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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

22JUL2022
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„Ja, und seither bin ich ziemlich einsam geworden“, hat mir eine Frau erzählt. „Ich kann mich einfach nicht mehr mit anderen Menschen unterhalten. Seit mein Mann gestorben ist, kommt mir alles belanglos vor. Und diese Sprüche: "Du wirst schon sehen, die Zeit heilt alle Wunden"; oder "Du wirst darüber wegkommen" – die haben mir jedes Mal einen Stich ins Herz versetzt, so unverstanden habe ich mich gefühlt! Da ist es besser, allein zu sein.“

Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Es gibt Schicksalsschläge, da wirkt jeder Trostversuch respektlos, absurd oder geradezu zynisch. Und da ist es nur natürlich, dass man den Rückzug antritt, um sich zu schützen.

Und dennoch, ich glaube, dass Einsamkeit auf Dauer keine gute Lösung ist, für unser Seelenheil. Denn eigentlich sind wir Menschen gesellige Wesen, und die Nähe zu anderen tut uns gut. Der Kontakt zu anderen Menschen – das weiß man heute – ist, auf das Leben gesehen, bedeutender für das Allgemeinbefinden, als aller Sport und bewusste Ernährung zusammen.

Nur, wie damit umgehen, wenn wir andere Menschen - und ihr Verhalten - kaum ertragen?

Man kann z.B. Strategien entwickeln: Man kann sich im Vorhinein auf Situationen vorbereiten, die man fürchtet oder die zwangsläufig auftreten werden, indem man überlegt: Was sage oder tue ich, wenn dieses oder jenes geschieht?

Wenn ich beispielsweise gerade nicht auf meine Trauer angesprochen werden möchte, weil mir dann die Tränen kommen, kann ich das direkt abwehren: „Bitte, ich möchte jetzt nicht darüber sprechen.“ Und freundlich auf ein anderes Thema lenken.

Oder ich kann Sprüche im Ansatz ersticken: „Tut mir leid, aber solche Redensweisen helfen mir gerade überhaupt nicht. Was mir wirklich hilft ist, wenn man mich einfach so sein lässt, wie ich mich gerade fühle.“ Oder so ähnlich.

Das Gute an so einer Strategie ist: Man fühlt sich nicht mehr so ausgeliefert; und gewinnt wieder ein wenig Kontrolle über das Leben – ohne zu vereinsamen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

21JUL2022
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„Als Pfarrer oder Pfarrrerin müsste man doch Vorbild sein, oder? Aber bei euch gibt es genauso viele Scheidungen, wie bei den anderen auch. Also: Wie geht das eigentlich zusammen...?“

Das fragen mich viele. Und ich höre die Kritik. Aber ich höre auch die Sehnsucht, dass doch bitte wenigstens einer vorleben möge, wie es richtig geht - wo doch so viele mit ihren Ansprüchen an der Wirklichkeit scheitern...

Allein, die Sache mit dem Vorbild halte ich für ein großes Missverständnis: Denn kein Mensch ist in der Lage, ein durch und durch gerechtes und fehler-freies Leben vorzuleben. Nicht einmal Pfarrerinnen... 

Und das ist ja offenbar auch von Anfang an nie der Plan Gottes gewesen: eine perfekte Welt zu erschaffen, mit perfekten Lebewesen. Und wenn man das Wesen des Menschen so betrachtet: eben als leidlich gut, aber nicht perfekt, dann bedeutet das doch auch: Fehler gehören dazu. Ein nicht perfektes Wesen kann gar nicht anders: Es wird irren. Und es wird falsche Entscheidungen treffen, selbst bei besten Absichten...

Jesus hatte da einen sehr realistischen Blick auf die Menschen. Und ich finde in der Bibel keine einzige Stelle, an der Jesus unfehlbare Menschen sucht, um sie als leuchtendes Beispiel über andere zu stellen. 

Es ist stets umgekehrt gewesen: Er hat Gescheiterte und Sünder zum Vorbild genommen, für uns alle. Denn die waren sich ihrer Fehlerhaftigkeit bewusst. Und die haben das Wichtigste verstanden: nämlich was Gnade bedeutet; und Vergebung.

Eine amerikanische Pastorin, mit einer armen Gemeinde, ist mal gefragt worden, was sie eigentlich besonders auszeichnet, für ihre Arbeit.  Sie hat die Frage an ihre Gemeinde weitergegeben. Keiner hat geantwortet: „Ganz klar: Ihre vorbildliche Lebensführung.“ Oder: „Sie predigt in einer Weise, dass wir alle lernen, makellose Ehen zu führen.“

Was sie einhellig gesagt haben, war folgendes: „Wir lieben an unserer Pfarrerin, dass sie ihre Predigten in allererster Linie an sich selber richtet. Und uns erlaubt sie, mitzuhören.“

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

30APR2022
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„Wenn es Gott wirklich gibt, warum lässt er Kriege zu?“ hat mich einer gefragt. Und er hat die Frage auch gleich selbst beantwortet:

„Wenn es Gott wirklich gäbe - den Schöpfer des Himmels und der Erde - dann wäre er auch mächtig genug, den Kriegstreibern in den Arm zu fallen und sie am Morden und Zerstören zu hindern. Also: entweder gibt es ihn nicht, oder es interessiert ihn nicht. Es ist also im Grunde genommen egal.“

Es klang bitter. So, als ob er es mal anders geglaubt hätte, und enttäuscht worden ist. Und ich versteh das gut. Denn wie oft würde ich auch gerne laut aufschreien und fordern: „Herr, siehst Du denn nicht, was los ist bei uns? Jetzt tu doch endlich was und greif ein!“ Und ich wünschte, dass Gott mächtig dazwischenfährt und den Herren Diktatoren zeigt, wer der wahre Herr im Hause ist.

Aber ein Blick aufs Kreuz genügt, und ich lasse meine Fäuste wieder sinken. Es sind Worte der Verzweiflung, die mich innehalten lassen: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Das sagt Jesus am Kreuz.

Das sind für mich die einen Worte, wenn mir nichts mehr einfällt; die einen Worte, die mich halten, wenn ich mich am liebsten abwenden möchte von diesem Gott, der einfach nichts tut... “Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Es tröstet mich, dass selbst der Sohn Gottes alle Grausamkeit und Sinnlosigkeit der Welt am eigenen Leib erfahren hat. Er weiß, was das bedeutet; wir sind nicht allein damit. Und so sehr ich es mir auch oft anders wünschte: Gott hat uns kein Leben ohne Leid - mitunter grenzenlosem Leid... - versprochen.

Was er versprochen hat: Er ist da: Er ist mit in der Finsternis; er ist da, wo Menschen verzweifelt sind und hoffnungslos. Auch da noch, wo wir nichts mehr davon spüren.

Und am Ende wird er uns die Tränen abwischen. Und es wird kein Schmerz mehr sein. Und der Tod wird nicht mehr sein, sondern ewiges Leben in seinem Reich, in dem Frieden und Gerechtigkeit herrschen. Und diese letzte Gewissheit schimmert irgendwie immer hinter meinen Zweifeln hindurch. 

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

29APR2022
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Anonyme Urnengräber sind preiswert und praktisch. Mich persönlich würde es nicht weiter stören, so begraben zu werden. Aber es gibt auch eine Kehrseite, für die Hinterbliebenen: Da ist kein konkreter Ort des Gedächtnisses. Kein Grab-stein, der das gewesene Leben bezeugt.

„Ja, aber braucht man das wirklich?“ könnte man natürlich fragen. Das kann nur jeder für sich selber herausfinden. Der Theologe Fulbert Steffensky hat einmal gesagt: „Die Toten wärmen mich.“

Und er hat erzählt, wie er immer gerne über den heimatlichen Friedhof geht. Denn da kommt er an seinen Eltern vorbei, an seinen Geschwistern, und an vielen Freunden und Bekannten. Und er spürt dann jedes Mal, wie sehr er mit ihnen verbunden ist. Es sind ja Menschen, die ihm selber ins Leben verholfen habe: Die Eltern, die Lehrerin, die alten Freunde... Und wenn er so umhergeht, auf dem Friedhof, und die Toten in seine Erinnerung lässt, dann fühlt er sich gleich weniger allein.

 „Die Toten wärmen mich.“ Ja, ich könnte das genau so sagen: Auch im Mantel meines Lebens ist all die Zuneigung und Zärtlichkeit der Menschen eingewoben, an die ich mich gerne erinnere. Und auch meine Toten haben mir etwas voraus. Wenn ich an ihren Gräbern stehe und an sie denke, ist es manchmal, als würden sie zu mir sprechen:

„Was mir widerfahren ist, wird dir auch widerfahren“, sagen sie. „Du wirst sterben.“ Und sie machen mir Mut: „Was ich geschafft habe, das wirst du auch schaffen.“

Und ich ahne schon: Es wird schwer werden, nicht mit aller Kraft am Leben festzuhalten. Wenn es soweit ist, werde ich wohl gut aufpasse müssen, dass ich nicht vor lauter Anstrengung auch noch das letzte bisschen Leben verliere...

Es ist harte Arbeit, sich in Gottes Hände zu geben. Aber es ist nicht unmöglich. Dazu machen mir die Toten Mut. Und sie nehmen mir die Angst. Sie lächeln mir zu. Und flüstern mit dem Säuseln des Windes: „Nur Mut. Wir sind da.“

Ja, es stimmt: Die Toten wärmen mich. Und vielleicht hätte ich am Ende ja doch gerne einen sichtbaren Ort - mit Grabstein und Name - der mein gewesenes Leben bezeugt. Damit ich die wärmen kann, die nach mir kommen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

28APR2022
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„Sie haben es gut; Sie haben ja Ihren Glauben.“ Das höre ich oft. Es gibt viele Menschen, die würden gerne glauben, aber können es einfach nicht. Kann man Glauben lernen?

Ich glaube, schon. Es beginnt damit, dass man sich für den Glauben interessiert. So wie bei anderen Dingen auch: Wenn ich beispielsweise keine Ahnung vom Gärtnern habe und wüsste gerne mehr darüber, fällt das Wissen ja auch nicht einfach so vom Himmel. Ich muss mich aufrappeln und mich schlau machen: Übers Gärtnern lesen; oder Leute befrage, die was davon verstehen. Oder ganz konkreten Frage nachgehen: Was ist auf meinem Stückchen Land oder auf meinem Balkon - oder meiner Fensterbank - eigentlich möglich? 

Bei manchen scheinen die Möglichkeiten begrenzt, aber ich habe da schon die blühendsten Überraschungen erlebt...
Und die wichtigste Frage ist: Wonach sehne ich mich? Sehne ich mich nach Blumen, dann werden mir irgendwann Blumen gedeihen. Sehne ich mich nach Tomaten, dann werden sie mir auch irgendwann leuchtend rot entgegenscheinen.    

Und wenn ich mich nach Glauben sehne, dann ist der erste Keim bereits gesetzt. Dieses stille Sehnen, dass es fast schmerzlich in einem zieht – gibt es ein innigeres Gebet? Ein deutlicheres Seufzen nach Gott?

Ich bin sicher: Gott hört das; es braucht gar keine Worte. Und wenn wir es sehr still machen in uns, und hinhören, dann vernehmen wir vielleicht auch etwas. Aber da braucht es Geduld. Hingabe. Und Übung.

Eine Frau hat mir erzählt, dass sie sich angewöhnt hat, jeden Tag einen Abschnitt in der Bibel zu lesen. Anfangs ist ihr Gott dabei immer rätselhafter vorgekommen, und fremder. Aber dann ist sie plötzlich auf einen Satz gestoßen, der hat sie mitten ins Herz getroffen: „Lass dir an meiner Gnade genügen.“

Da ist ihr miteinemmal aufgegangen: Ich muss mich gar nicht so furchtbar anstrengen. Ich muss gar nichts leisten. Ich brauch mich einfach nur öffnen. Und annehmen, was kommt.

„Lass dir an meiner Gnade genügen.“ Manchmal scheinen die Möglichkeiten sehr begrenzt. Aber man kann die blühendsten Überraschungen erleben...

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

19JAN2022
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Heute macht mir das nichts mehr aus: Arm hinhalten, Spritze rein, und das war´s... - Aber Sie machen sich keine Vorstellung, wie das früher bei mir war. Es gab nämlich nichts, wovor ich mich so gefürchtet habe, wie vor Spritzen! Ganz gleich, ob es um eine Impfung ging, oder um eine Blutentnahme – wenn ich gewusst habe, dass so etwas bevorsteht, konnte ich Tagelang nicht mehr schlafen. Und wenn es dann schließlich so weit war - dann habe ich wie in Trance alles über mich ergehen lassen, nur um direkt danach umzukippen. Totaler Kollaps. Und zwar jedes Mal, darauf konnte man sich einhundertprozentig verlassen!  

Gut, das ist schon lange her. Aber ich habe es in düsterer Erinnerung. Denn neben all der Angst fühlt man sich auch ziemlich einsam und dumm, mit so einer Phobie.
„Wie kann man sich nur so anstellen, wegen so einer kleinen Nadel!“ Das hab ich oft gehört. Nur: die Angst lächerlich machen, das hilft kein bisschen. Es macht alles nur noch schlimmer. Aber was hilft dann?

Bei mir war`s so: Mit zwanzig habe ich ein Praktikum im Krankenhaus gemacht. Und da habe ich so viele Menschen gesehen, in denen Infusionsnadeln steckten, aus denen Infusionsnadeln rausgeholt oder in die Kanülen hineinge-stochen wurden – da ist mir gar nichts anderes übriggeblieben, als mich an den Anblick zu gewöhnen.

Und dabei ist mir auch klargeworden, dass der Pieks mit einer Nadel lange nicht das Schlimmste ist, was Menschen aushalten müssen. – Denn was ist das schon im Vergleich zu einer Operation? Und da war noch etwas, das ist mir aufgefallen: dass die Tapferkeit der Kranken oft mit der Schwere der Krankheit wächst. Und diese Tapferkeit, die hat mich so berührt - da ist sie irgendwie auf mich übergegangen. Und die Angst ist gewichen.
Man könnte also sagen: Die Kranken haben mich geheilt. Oder auch ganz einfach nur: das Hinsehen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

18JAN2022
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„Warum bist du eigentlich Pfarrerin geworden?“ - Diese Frage löst immer eine gewisse Ratlosigkeit bei mir aus. Weil es da keine besondere Geschichte gibt, die das erklären könnte. Die schlichte Wahrheit ist: Es hat sich einfach so ergeben. Wie das bei vielen Berufen so ist. bIch gebe zu: Ein bisschen neidisch bin ich schon auf die, die eine richtige Berufungsgeschichte zu erzählen haben. So wie die Kollegin auf der Fortbildung, jetzt im Herbst. Die hat erzählt:

 „Eigentlich ist Pfarrerin schon immer mein Traumberuf gewesen, solange ich denken kann. Das Dumme war nur: mein Vater ist auch Pfarrer gewesen. Und ich wollte auf gar keinen Fall das gleiche machen, wie meine Eltern. Also habe ich mich für eine andere Ausbildung im kirchlichen Bereich entschieden.

Am Tag der Einführung wollte ich mich dann im Studienzentrum anmelden. Ich habe schwungvoll die Drehtür aufgestoßen und da ist mir eine Karte aus einem Kartenständer direkt vor die Füße geflogen: Und als ich gelesen habe, stand da: 
„Du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!“ (Lk 9,60) Ich war wie vom Donner gerührt. Das hat alles verändert. Ich habe die Karte aufgehoben, habe sie an mich genommen und ich habe sie befolgt.

Ich trage sie immer bei mir, in meiner Bibel. Und wenn ich sie betrachte, spüre ich immer noch etwas Besonderes. Und das hat mir schon oft Kraft gegeben.“ bIhr kommen die Tränen, wie sie das erzählt. Und uns allen, die zugehört haben, geht es genauso: Wir sind sehr bewegt. 

An manche Menschen ergehen so deutliche Zeichen. Aber ich glaube: Wenn sich die Dinge einfach so ergeben, so ganz unaufgeregt, das ist auch nicht schlechter. Da ist man ja vielleicht ganz unmerklich und sanft geführt worden... Und wer weiß: Vielleicht stehen ja die großen Zeichen noch aus?

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

17JAN2022
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„Alles Unbenutzte trägt eine Verheißung in sich.“

Den Satz habe ich in meinen Notizen im alten Terminkalender gefunden; keine Ahnung, woher er kommt. Aber ich hab direkt zu meinen neuen Terminkalender hinübergeschaut. Denn - obwohl das Jahr ja nun schon ein wenig angebraucht ist, ist er noch völlig unbenutzt. Er liegt auf meinem Schreibtisch und leuchtet mir in seinem tiefgründigen Blau mit goldenem Schriftzug entgegen. Es ist immer das gleiche mit mir: Es dauert Wochen, bis ich die Termine übertrage; es kostet mich richtig Überwindung. Vielleicht fällt es mir auch nur schwer, mich vom alten Jahr zu lösen.

„Alles Unbenutzte trägt eine Verheißung in sich.“
Stimmt schon: Ein Buch, das ich noch nicht aufgeschlagen habe, verspricht eine hinreißende Geschichte. Da ist noch alles drin; die freudige Erwartung pur, weil sie ja noch gar nicht enttäuscht werden konnte. Ein ungeöffnetes Geschenk – genau das gleiche. Und vielleicht verpacken wir es ja nur aus diesem einen Grunde: Um die Freude der Erwartung zu steigern. Denn es gibt doch kaum etwas Verheißungsvolleres, als der Moment vor dem Auspacken; in dem wir noch nicht ahnen, was sich darin verbirgt. Und noch alles erwarten können - die grandioseste Überraschung.   

Ja, und wenn ich mir für eine ganz besondere Gelegenheit etwas Neues zum Anziehen kaufe, hebe ich es mir immer auf bis zuletzt. Ich würde es nie bei einer anderen Gelegenheit zum ersten Mal tragen. Warum nicht? Es ist, als würde ich mir sonst etwas verderben; als würde ich mich der Verheißung, die dieses besondere Ereignis in sich trägt, berauben. Ich werde mich dieser Tage meines neuen, so völlig unbenutzten Terminkalenders annehmen. Ganz bewusst und aufmerksam. Wegen der Verheißung...

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

30OKT2021
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Neun kleine Enkelkinder und die Großeltern haben einen großen Teich. Können Sie sich das vorstellen? Nicht auszudenken, was da alles passieren kann. Bei unseren Freunden ist das so. Aber die haben gute Nerven und ein beneidenswertes Gottvertrauen: Sie führen ihre Enkelkinder an die Gefahr heran. Und passen auf, dass nichts passiert.

Natürlich übt der Teich eine magische Anziehungskraft auf die Kinder aus. Und trotz aller Wachsamkeit sind fast alle - selbst der Großvater - schon mal hineingefallen. Jetzt könnte man ja annehmen, das sei jedes Mal ein heilsamer Schock. Und die Kinder bekämen mehr Respekt vor der Gefahr. Aber unser Freund hat erzählt, einmal habe er einen seiner Enkel laut weinen gehört. Er ist zu ihm hin und hat gefragt: „Was ist denn los?“

Daraufhin hat der Kleine auf den Teich gezeigt und geschluchzt: „Alle sind schon in den Teich gefallen, nur ich nicht!“ Was tun? Ich hätte mich vermutlich zu dem Kind gesetzt und gesagt: „Schau mal, das zeigt doch nur, wie schlau du bist! Denn wer schlau ist, ist auch vorsichtig. Weil er ganz genau weiß: es ist lebensgefährlich, in den Teich zu fallen.“ - So die Stimme der Vernunft...     
Ganz anders die Reaktion unseres Freundes: Er hat das Kind geschnappt und in den Teich geworfen. - Nein, natürlich nicht ganz so; er hat es festgehalten und mal kurz hineingetaucht. Und der Junge war glücklich. 

Mich beeindruckt dieser entspannte Umgang; und ich würde es gerne genauso machen. Aber ich kann das nicht. Denn wenn es um kleine Kinder geht, sehe ich überall Gefahren; und ich muss mir immer gleich das Schlimmste vorstellen... So tick ich nun mal.

Wie sich wenigstens einen Rest an Leichtigkeit bewahren? Vielleicht so: Wenn man ein ängstlicher Typ ist, muss man auch danach handeln, sonst hat man keine ruhige Minute mehr. Und sich zugleich im Gottvertrauen üben... Denn eine letzte Sicherheit gibt es ja nie. Aber da ist ein Netz, das uns alle hält - selbst wenn die menschlichen Absicherungen versagen. 

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

29OKT2021
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„Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt“, hat Albert Schweitzer mal gesagt. „Man wird ja auch kein Auto, weil man in eine Garage geht.“ Und das kann ich nur bestätigen: Ich gehe oft in unsere Garage; und es hat noch nie abgefärbt... Aber mal im Ernst - wie ist das nun: Stimmt es, dass man noch lange kein Christ ist, nur weil man die Kirche besucht?
Nun, genaugenommen macht uns die Taufe zur Christin oder zum Christen, und nicht der Kirchbesuch. Aber vermutlich hat Albert Schweitzer auf etwas ganz anderes abgezielt:

Er hat die Scheinheiligkeit kritisiert, mit der manche gern dabei gesehen werden: „Schaut her, ich bin ein gottesfürchtiger Mensch und lebe moralisch einwandfrei!“ Fromme Selbstgefälligkeit ist natürlich alles andere als eine christliche Haltung. - Was aber keineswegs gegen den Gottesdienstbesuch an sich spricht.

Und von daher finde ich den Vergleich mit dem Auto und der Garage auch so treffend:
Natürlich wird kein Mensch zum Auto, nur weil er in eine Garage geht. Aber es besteht doch kein Zweifel daran, dass es dem Auto guttut, Zeit in der Garage zu verbringen... Da steht es geschützt vor Wind und Wetter. Der Lack bleibt in Schuss, es setzt keinen Rost an und wird vermutlich länger halten.

Ja, und mir tut es gut, die zu Kirche besuchen. Denn in Kirchenräumen fühle ich mich seltsam geborgen... – irgendwie im Schutzraum Gottes. Wir nennen die Kirche ja auch „Gotteshaus“; weil wir das Gefühl haben, dass Gott darin wohnt. Und so gesehen besuche ich Gott, wenn ich in die Kirche gehe. Und jedes Mal, wenn ich Gott besuche, pflege ich meine Beziehung zu ihm. Und das macht sie haltbarer.

„Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt“, hat Albert Schweitzer gesagt. Stimmt. Man könnte aber auch sagen: „Wer glaubt, ein Christ werden zu können, indem er die Kirche besucht, ist auf einem guten Weg.“

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