Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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29APR2022
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Anonyme Urnengräber sind preiswert und praktisch. Mich persönlich würde es nicht weiter stören, so begraben zu werden. Aber es gibt auch eine Kehrseite, für die Hinterbliebenen: Da ist kein konkreter Ort des Gedächtnisses. Kein Grab-stein, der das gewesene Leben bezeugt.

„Ja, aber braucht man das wirklich?“ könnte man natürlich fragen. Das kann nur jeder für sich selber herausfinden. Der Theologe Fulbert Steffensky hat einmal gesagt: „Die Toten wärmen mich.“

Und er hat erzählt, wie er immer gerne über den heimatlichen Friedhof geht. Denn da kommt er an seinen Eltern vorbei, an seinen Geschwistern, und an vielen Freunden und Bekannten. Und er spürt dann jedes Mal, wie sehr er mit ihnen verbunden ist. Es sind ja Menschen, die ihm selber ins Leben verholfen habe: Die Eltern, die Lehrerin, die alten Freunde... Und wenn er so umhergeht, auf dem Friedhof, und die Toten in seine Erinnerung lässt, dann fühlt er sich gleich weniger allein.

 „Die Toten wärmen mich.“ Ja, ich könnte das genau so sagen: Auch im Mantel meines Lebens ist all die Zuneigung und Zärtlichkeit der Menschen eingewoben, an die ich mich gerne erinnere. Und auch meine Toten haben mir etwas voraus. Wenn ich an ihren Gräbern stehe und an sie denke, ist es manchmal, als würden sie zu mir sprechen:

„Was mir widerfahren ist, wird dir auch widerfahren“, sagen sie. „Du wirst sterben.“ Und sie machen mir Mut: „Was ich geschafft habe, das wirst du auch schaffen.“

Und ich ahne schon: Es wird schwer werden, nicht mit aller Kraft am Leben festzuhalten. Wenn es soweit ist, werde ich wohl gut aufpasse müssen, dass ich nicht vor lauter Anstrengung auch noch das letzte bisschen Leben verliere...

Es ist harte Arbeit, sich in Gottes Hände zu geben. Aber es ist nicht unmöglich. Dazu machen mir die Toten Mut. Und sie nehmen mir die Angst. Sie lächeln mir zu. Und flüstern mit dem Säuseln des Windes: „Nur Mut. Wir sind da.“

Ja, es stimmt: Die Toten wärmen mich. Und vielleicht hätte ich am Ende ja doch gerne einen sichtbaren Ort - mit Grabstein und Name - der mein gewesenes Leben bezeugt. Damit ich die wärmen kann, die nach mir kommen.

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