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13MAI2021
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Alexander Foitzik: Zum Fest „Christi Himmelfahrt“ spreche ich heute mit Schwester Margareta Gruber.

Sie ist Professorin für Neutestamentliche Exegese und Biblische Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar und gehört zu der Kongregation der Franziskanerinnen des Klosters Sießen.

Frau Professorin Gruber, liebe Schwester Margareta. Heute feiern Christinnen und Christen die „Himmelfahrt Christi“. Wie kann oder soll man sie sich eigentlich vorstellen, diese Himmelfahrt?

Prof. Dr. Sr. Margareta Gruber: Unsere Vorstellung ist von Bildern bevölkert, die wir gesehen haben: Christus schreitet in den Himmel, aus dem ihm Gott seine Hand entgegenstreckt, oder er schwebt mit ausgestreckten Armen nach oben, oder er entschwindet in die Wolken und nur seine Füße streckt er noch heraus. Im Spätmittelalter wurde eine Figur opernhaft die Kirche hinaufgezogen und die Osterkerze gelöscht.

Das Neue Testament ist viel nüchterner. Dort heißt es einfach: er wurde vor ihren Augen emporgehoben. Das berichtet auch nur Lukas, und selbst er hat zwei Versionen: Im Evangelium findet das am Morgen des Montags nach Ostern statt; nur in der Apostelgeschichte schreibt er von den 40 Tagen.

Alexander Foitzik: Demnach hat Lukas also die „Himmelfahrt“ sozusagen erfunden?

Prof. Dr. Sr. Margareta Gruber: Nein. Er hat für seine Botschaft ein eingängiges und geniales Bild gefunden.

Was wir uns als Auffahrt in den Himmel bildlich vorstellen, wird biblisch auch Erhöhung, Entrückung oder Verherrlichung genannt. Erhöhung meint, dass jemand bei Gott ist und von dort her vollmächtig für das Heil der Welt wirkt. Das tut der auferstandene Christus. Für Paulus fällt die Erhöhung deshalb z.B. mit der Auferstehung zusammen. Auch im ältesten Credo in 1 Kor 15 wird die Erhöhung nicht genannt, sondern mit der Auferstehung vorausgesetzt. Dann kommt Lukas und macht daraus eine eindrückliche Szene. Die ältesten kirchlichen Glaubensbekenntnisse übernehmen das: „Auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel“.

Alexander Foitzik: Was bedeuten denn die „vierzig Tage“, von denen in der Apostelgeschichte die Rede ist? Befand sich Jesus vierzig Tag lang in einer Art „Zwischenzustand“, zwischen Auferstehung und Himmelfahrt?

Prof. Dr. Sr. Margareta Gruber: Das wird so nur in der Apostelgeschichte gesagt. 40 ist die Heilige Zahl der Vollendung. Was ist vollendet? Das Projekt Menschwerdung! Wenn Christus in den Himmel zurückgekehrt ist, hat sich der Kreis geschlossen, die Verbindung zwischen Himmel und Erde steht sozusagen – störungsfrei für alle Zeit. Christus ist mit seiner ganzen Existenz bei Gott und gleichzeitig gegenwärtig bei den Seinen. Was er aber in den „Himmel“, in den göttlichen Bereich, mitnimmt, sind seine Erfahrungen als Mensch. Unser aller Menschsein, das er ja in seiner Menschwerdung angekommen hat, ist damit in ihm bereits im Himmel, in Gott, angekommen.

Das Christentum feiert das Fest übrigens erst frühestens seit dem vierten Jahrhundert. Am Anfang hat man Tod, Auferstehung und Erhöhung Christ als Einheit und in einer Feier in der Osternacht begangen.

Alexander Foitzik: Den Weg von Karfreitag bis zu Ostern müssen die Jüngerinnen und Jüngern Jesu als ein kaum auszuhaltendes Drama erlebt haben: Gott ganz fern, dann wieder ganz nah! Den Jüngerinnen, die ans Grab geeilt waren, sagt ein Engel: „Er ist nicht hier!“. Dann begegnen sie doch selbst dem von Gott „Auferweckten“. Und die „Himmelfahrt“ Jesu – wieder auf und davon?

Prof. Dr. Sr. Margareta Gruber: Die Ostererzählungen gehören für mich zu den faszinierendsten Texten des Neuen Testaments. Sie scheinen so klar, aber je genauer man hinschaut desto geheimnisvoller werden sie. Warum erkennen die Jünger und Jüngerinnen ihn nicht? Warum kommt er, aber es wird nicht gesagt, dass er wieder geht? Was bedeutet es, dass es immer wieder um Brot geht? Warum darf Thomas die Wunde berühren? Und so weiter.

Ich glaube immer mehr, dass diese Erzählungen weniger berichten möchten, was konkrete Personen damals mit Jesus erlebt haben, sondern dass es um etwa ganz anders ging: Dieser Jesus, der Auferstandenen, war ja weiterhin gegenwärtig unter den ersten Christen, sie lebten mit ihm und erfuhren ihn, beteten zu ihm. Aber diese Gegenwart war von einer geheimnisvollen Art: Der Auferstandene gibt sich und entzieht sich, er ist „nicht mehr da“ und doch anwesend. Man darf ihn nicht festhalten, aber ihm nachfolgen. Man erkennt ihn am Brotbrechen, an den Wunden, und im Armen. Das hat viel zu tun mit dem, was auch Menschen heute erfahren. Gott ist gegenwärtig in der Verborgenheit. Er offenbart sich und er entzieht sich. Beides ist oft kaum zu unterscheiden. Ostern ist kein Happy end sondern der Beginn einer neuen Weise, wie Gott unter den Menschen gegenwärtig ist. 

Alexander Foitzik: Das biblische Buch „der Offenbarung des Johannes“ ist für Sie, Frau Professorin Gruber, ein Schwerpunkt ihrer Forschung und Lehre. In diesem Buch ist von dem Versprechen „eines neuen Himmels und einer neuen Erde“ die Rede. Was hat diese Verheißung mit Christi Himmelfahrt zu tun?  

Prof. Dr. Sr. Margareta Gruber: Ganz knapp so: Wenn die Himmelfahrt Christi bedeutet, dass unser ganzes armes Menschsein mit seinem auferstandenen Leben bereits bei Gott angekommen ist, dann ist der „Himmel“, das Leben mit oder in Gott, das Ziel von allem geschaffenen Leben. Der neue Himmel und die neue Erde kommen vom Himmel her auf die Erde – also hat das mit Verwandlung der Erde zu tun, nicht mit ihrer Zerstörung.

Alexander Foitzik: Schwester Margareta, Sie haben vier Jahre lang in Jerusalem ein ökumenisches Haus für Theologiestudierende geleitet. In dieser Stadt erinnert man an die „Himmelfahrt Jesu“, aber auch an die „Himmelsreise“ des Propheten Mohammed. Worin unterscheiden sich die beiden „Himmelfahrten“? Aber auch umgekehrt: Kann das nicht auch zum Gespräch miteinander inspirieren - wenn wir, Muslim*innen und Christ*innen, gemeinsam zum Himmel schauen?  

Prof. Dr. Sr. Margareta Gruber: Was der Prophet Mohammed erfahren hat ist keine Himmelfahrt, sondern eine Himmelsreise, also ein Zustand der Entrückung, wie ihn im Neuen Testament etwa Paulus von sich beschreibt. Mohammed befand sich in Mekka und wurde von dort im Traum „zur fernen Anbetungsstätte“ geführt. Gemeint ist Jerusalem und der Heilige Ort des Tempelberges. Die erste Gebetsrichtung der Muslime war ja nicht Mekka, sondern Jerusalem. Durch die Traumerfahrung des Gründers schreibt sich die junge muslimische Gemeinde in die biblische Heilsgeschichte ein. Erinnert wird an Mose, aber auch die anderen großen Propheten mit ihren Gotteserfahrungen auf dem Berg, damit auch an Jesus mit seiner Erfahrung der Verklärung auf dem Berg Tabor. Jerusalem ist auch für die Muslime der Ort des privilegierten Gebetes. Wenn man das nicht als Streitapfel versteht, wie es sich heute darstellt, sondern als ein gemeinsamer Auftrag von Gott für die Welt, dann sehe ich hier einen Anknüpfungspunkt für das Gespräch, vielleicht sogar mehr: Franziskus von Assisi war so kühn, sich einen Aufruf zum gemeinsamen Gebet vorzustellen. Der könnte aus Jerusalem kommen, aber auch aus jeder anderen Stadt.

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05APR2021
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Die Auferstehung von den Toten ist für Christen die Hoffnung schlechthin. Das absolute Gegengewicht gegen den Tod. Eine erste Ahnung davon habe ich mit sechs oder sieben Jahren bekommen.  Am Ostermorgen begann nämlich der Gottesdienst traditionsgemäß auf dem Friedhof, direkt am großen Kreuz zwischen den Gräbern. Und sicher hat der Pfarrer in seiner Predigt auch Paulus aus der Bibel zitiert und gesagt: «Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos» (1. Kor. 15, 14). Das erinnere ich aber nicht mehr genau. Ich weiß nur noch: Es hatte für mich als Kind etwas ungemein Beeindruckendes, Überzeugendes in der Morgensonne zu stehen, die Gräber ringsherum zu betrachten, und zu hören: Die, die hier liegen, sind nicht für immer tot.

Als Kind bin ich oft auf diesem Friedhof gewesen. Wir wohnten damals am Rand einer Großstadt mitten im Ruhrgebiet. Am Nachmittag, wenn die Sonne schien und es Zeit für den Spaziergang war, nahm mich meine Mutter an die Hand und ging mit mir auf den Friedhof.

Für Reisen hatten wir kein Geld, und der Friedhof bot immerhin einiges Grün, ohne weit fahren zu müssen. Friedhofsbesuche mit meiner Mutter waren überhaupt nicht traurig. Das erste, was sie sagte, wenn wir durch das schmiedeeiserne Tor traten, war:
„Ist das nicht eine himmlische Ruhe hier? Hier kann man doch endlich mal durchatmen. Und hörst du die Amsel?“ Draußen ratterte noch die Straßenbahn vorbei. Aber die Friedhofsmauer dämpfte den Krach. Zuallererst schaute meine Mutter immer auf das, was zwischen den Gräber wuchs und blühte. „Sieh doch mal, wie schön der Rhododendron hier.“ Und: „Hier müsste man auch mal ein bisschen Unkraut jäten.  Alles zugewuchert. Um dies Grab kümmert sich wohl kein Mensch mehr.“ Dann ging sie mit mir an den Grabsteinen vorbei, blieb von Zeit zu Zeit stehen, und las mir die Aufschriften vor: “‘Dem Auge fern – dem Herzen nah‘; das ist doch schön“, und “Christus spricht: Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Und „Hier schläft Karl Schmidt der Auferstehung entgegen.“

Sie kommentierte die Lebensdaten auf dem Grabstein: “Na, der hier ist ja nicht alt geworden, gerade mal 35 Jahre. Gott, so ein junger Mensch. Das muss ja für die Eltern fürchterlich gewesen sein. “ Vor der Stele, auf der die Namen der im 1. Weltkrieg gefallenen Soldaten standen, machte sie ihrem ganzen Groll über ihre durch den 2. Weltkrieg verlorene Jugend Luft. “Die Menschen lernen es einfach nie. Wie können sie so dumm sein, immer wieder denselben Fehler zu machen und sich gegenseitig umbringen, nur weil das ein paar Politikern in den Kram passt?“  Wenn wir zu den ganz kleinen Gräbern kamen, den Kindergräber, erzählte sie mir immer, wie es war, als ihre kleine Schwester mit einem Jahr gestorben war. “Ich habe ihr noch das Totenhemdchen angezogen. Wie eine Puppe lag sie da.“

Das alles ist lange her. Ich habe seitdem viele Friedhöfe besucht. Von Berufswegen als Pfarrerin, im Urlaub und einfach, weil Friedhöfe gleichzeitig Parks sind, Großstadtoasen, Kult- und Kulturstätten. Die besten Orte, um sich klar zu werden, wie unwichtig vieles ist, was sich vor uns als große Sorgen aufbauscht.  Man besucht eigentlich ja nur sich selbst, wenn man zu den Toten geht. Aus sicherer Distanz können Friedhofsbesucher als „Grenzgänger zwischen Diesseits und Jenseits“ (Gadamer) sehen, wie das Drama ihres Lebens ausgehen wird und gleichzeitig darauf schauen, wie die ersten Tulpen blühen. Und für Christen ist, wenn sie der Osterbotschaft Glauben schenken, der Tod eigentlich nichts, was sie fürchten müssten. Es gibt ein Danach, es gibt ein Wiedersehen, eine Auferstehung der Toten.

Auch Julian Barnes, dem Autor des wunderbaren Buches „Nichts, was man fürchten müsste“ gefällt der Gedanke der Auferstehung gut. „Die Geschichte von Jesus – hehre Mission, Auflehnung gegen die Unterdrücker, Verfolgung, Verrat, Hinrichtung, Wiederauferstehung“ ist für ihn „ein ideales Beispiel für die Formel, nach der Hollywood bekanntlich fieberhaft sucht: eine Tragödie mit Happy End.“ Aber gegen seine Todesangst kann dieses Happy End nichts ausrichten. Aus dieser tiefen Angst heraus hat Julian Barnes sich mit einer Menge von Ratschlägen, philosophischen und religiösen Gedanken beschäftigt, die versprechen, die quälenden Gedanken an das Sterben und den Tod in Schach zu halten. Aber er muss feststellen: Der Tod „lässt nicht mit sich reden oder durch schöne Worte in etwas anderes verwandeln, er weigert sich einfach, an den Verhandlungstisch zu kommen. Gott mag tot sein, aber dafür ist der Tod sehr lebendig“.

Julian Barnes ist ein passionierter Friedhofsbesucher, der die Gräber vieler berühmter Dichter, Maler und Philosophen besucht hat. Mit ihnen unterhält er sich im Geiste über den Tod und das Sterben.  „Wer nur einen einzigen Tag wahrhaft und im vollsten Sinn gelebt hat, der hat alles gesehen.“, behauptet Montaigne. „Nein!“, widerspricht ihm Julian Barnes. „Selbst wer ein ganzes Jahr so gelebt hat, hat nicht alles gesehen.“ Und auch die Forderung, man sollte auf der Welt Platz machen für andere, wie andere für uns Platz gemacht haben, lässt Barnes nicht gelten. Er habe sie nicht darum gebeten zu gehen. Und das immer wieder vorgebrachte Argument überzeugt ihn nicht: „Alle Menschen müssen sterben. Wozu dann darüber klagen? Es ist nun einmal so. Barnes ist sich sicher, dass viele von ihnen „darüber bestimmt genauso sauer (sind) wie ich.“

Vielleicht, so vermutet Barnes, verläuft die Trennung gar nicht so sehr zwischen den religiösen und den unreligiösen Menschen, sondern zwischen solchen, die den Tod fürchten und solchen, die das nicht tun. Seine eigene Todesangst sei „im Laufe der Jahrzehnte zu einem wesentlichen Teil“ seiner selbst geworden, was er  „dem Einsatz der Fantasie zuschreiben möchte.“

Und fantastisch hört sich auch sein Gedanke an: Was werden wohl die zu ihrer Auferstehung sagen, die zu Lebzeiten nie daran geglaubt haben? „Der Furor eines auferstandenen Atheisten – der wäre wahrlich sehenswert“, meinte Barnes. Aber könnte es nicht auch sein, dass die gegen ihre eigene Überzeugung auferstandenen Atheisten mehr Freude als Furor zeigen und froh sind, dass sie sich ein Leben lang getäuscht und sich vielleicht umsonst gegrämt haben?

Vor ein paar Jahren habe ich einen meiner besten Freunde beerdigt, der sich immer ironisch als „Dorfatheist“ bezeichnete.  Als ich ihn in meiner Vikarszeit auf dem Land kennenlernte, war er lange schon aus der Kirche ausgetreten.  Einmal – hat er mir erzählt - stieß er bei der Lektüre von Schillers Don Carlos auf eine Formulierung, von der er meinte, sie passe gut in eine Grabrede: „Du verlierst mich Karl - /Auf viele Jahre -Tore nennen es/ auf ewig.“

Tore, weil sie sich selbst um eine wunderbare Hoffnung bringen, die Hoffnung, mit dem Tod nicht „verloren zu gehen“.

Auf eine Grabinschrift hat mein Freund verzichtet. Aber dafür hat er etwas viel Schöneres in Aussicht gestellt. In einer Mail, kurz vor seinem Tod, schrieb er mir einmal: „Wenn ich mich für viele Jahre nicht melde, mach es gut, wir sehen uns drüben!“ Dass der Tod ein Erwachen sein möge, ein schönes Erwachen, das hoffe ich für ihn und uns.

Mein Freund, der Dorfatheist, schämte sich „des Evangeliums“ der Auferstehung, des schöneren Erwachens in einer besseren Welt, nicht. Beim Gang über den Friedhof denke ich: „Wir sehen uns drüben“ - Daran glaube ich, das hoffe ich, und darauf freu ich mich jetzt schon.

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02APR2021
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Mein Gesprächspartner am Karfreitagmorgen, ist Maximilian Magiera. Er ist im ersten Jahr seiner Ausbildung zum Gemeindereferenten, einem pastoralen Beruf in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Und er arbeitet einen Tag in der Woche mit mir zusammen bei der Katholischen Rundfunkarbeit. Mein Name ist Thomas Steiger. Ich bin Hörfunkpfarrer am Südwestrundfunk und wünsche ihnen einen guten Morgen.

Maximilian, ein junger Mensch der bei der Kirche arbeitet, das ist heute fast eine Ausnahme. Was begeistert dich an deinem Beruf, an dem was du da tust?

Ich hab nach meiner Schulzeit angefangen mit einer Ausbildung zum technischen Produktdesigner. Es ist natürlich eine ganz andere Richtung und für mich war dann am Ende der Ausbildung eigentlich relativ klar, ne ich brauche was Neues, ich brauch was Anderes. Ich bin in mein Büro gegangen am Morgen, bin dann nach hause hatte eigentlich ein gutes Gehalt,  kann man eigentlich ganz zufrieden sein, und doch hat mir was gefehlt, und das war der Kontakt mit Menschen. Das war etwas zu tun was Sinn macht, was Freude macht, wo ich nach hause gehe und begeistert bin. Und da war dann für mich klar, ich muss mich nochmal umorientieren, nach was andrem suchen. Bin dann meiner Sehnsucht gefolgt und auf diesen Beruf vom Gemeindereferent gekommen, wo ich einfach die Möglichkeit hab, in Kontakt zu gehen mit Menschen. Dass ich einen Ort schaffen kann, an dem die großen Fragen des Lebens gestellt werden können und ich dann da mit der Suche nach der Antwort auch helfen kann.

Maximilian was verbindest du mit diesem Tag, mit dem Karfreitag?

Ja für mich gehört der Karfreitag zu einem der emotionalsten Tage, die ich so im Kirchenjahr kenne. Der ist auch von meiner Familie sehr geprägt, ist ein sehr wichtiger Feiertag. Also ich kenn das, dass man an Karfreitag kein Fleisch ist, dass man ja sehr bedacht den Tag verbringt, sehr ruhig. Und dann gehört natürlich auch der Kirchenbesuch einfach dazu. Für mich ist das ein Feiertag, an dem ich, mitten im Trubel, der sich einfach so in meinem Leben abspielt, innehalten kann und mir dann auch meiner eigenen Sterblichkeit bewusst werde. Und da gehören natürlich auch so Dinge dazu, dass man vom Gesetz her kennt, dass an diesem Feiertag die Stille als Schutz dieses Tages auch nochmal wichtiger ist. Das man auch merkt, ja der Tag hat eine besondere Bedeutung, eine besondere Stimmung und schafft dann diesen emotionalen Charakter, den ich so schätze an diesem Feiertag. Und zudem ist für mich der Karfreitag eigentlich auch der zentrale Aspekt des Christentums, dass es das Kreuz braucht, da sonst die Auferstehung ja gar keinen Sinn machen würde.

Hast du denn eine besondere Erinnerung wie du einmal diesen Tag, den Karfreitag, verbracht oder gestaltet hast?

Ja, ich hab ne recht schöne Zeit verbracht. Es war im Jahr 2018, während meines

Studiums. Da war ich in Assisi, in Italien und hab da meine Exerzitien verbracht. Also

eine ganz bewusste Zeit der Ruhe, des Zurückziehens aus dem Alltag, in dem Fall aus

meinem Studium. Und diese Woche, die ich dann dort verbracht habe, die hatte den

Titel: “Impulse in der Spannung von Leiden, Tod und Auferstehung.

Kar-und Osterliturgie in Assisi erleben.“

 

Es war so schön, wir sind jeden morgen in die Messe nach San Damiano gelaufen. Das ist eine sehr kleine Kirche, etwa 20 Minuten läuft man da den Berg hinunter, durch die schönen Olivenplantagen und früh am Morgen, wenn es noch dunkel ist, war das immer ganz schön, in Stille da runter zu laufen und als erstes in die Messe zu gehen. Die Kirche ist wirklich klein, da gibt es wenige Bänke. Da kommt es oft vor, dass sogar die Menschen stehen müssen oder auf dem Boden sitzen, wirklich kreuz und quer in der Kirche verteilt. Und dort hing auch ursprünglich das ganz bekannte Kreuz, die Ikonendarstellung von Jesus. Die dem Franziskus, der damals in Assisi gelebt hat, auch sehr wichtig war. Ja und dort haben wir auch Karfreitag verbracht. Die Liturgie war natürlich komplett auf italienisch. Ich kann ein paar Wörter italienisch, aber für mich war das wirklich auch Neuland. Davor haben wir so die Warnung bekommen, dass die Italiener üblicherweise bei der Kreuzverehrung dann die Skulptur Jesu küssen. Und damit hab ich ehrlich gesagt ein bisschen gehadert. Das ist für mich als Deutscher, der die Kreuzverehrung kennt, mit den Rosen die man darauf legt, etwas sehr Fremdes gewesen. Und ich war mir unsicher, bis zum letzten Moment, ob ich das ausprobieren möchte. Für mich ist das einfach eine heilige Figur, was Besonderes, wo ich mich gar nicht so nah ran trau und dann hab ich mir gedacht, wenn ich jetzt schon in Italien bin und es hier so üblich ist, dann möchte ich es ausprobieren. Und muss sagen, das war eine ganz einmalige Erfahrung; dem Jesus der da am Kreuz hängt, so nah zu sein. Ich muss sagen, ich würde das gerne auch wieder tun, nur trau ich mich das jetzt in Deutschland am Karfreitag vielleicht nicht unbedingt.

 

Jetzt sind wieder ein paar Jahre vergangen, seit 2018. Was bedeutet dir der Karfreitag heute und wie wird dein Tag heute aussehen?

Dieses Jahr ist sowieso alles anders. Ich werde den Karfreitag mit meiner Familie verbringen, ich werde nach Hause fahren. Wir werden uns ja auch eine Zeit nehmen, wir werden eine kleine Andacht feiern können und auch ins Gespräch gehen können. Das ist auch mir sehr wichtig, weil ich doch denke, dass Gespräche über das Sterben, über den Tod, über die Auferstehung, den Glauben, auch in der Familie nicht auf der Tagesordnung unbedingt stehen. Und das möchte ich so dieses Jahr wieder mit rein bringen, auch sich über solche Themen auszusprechen.

Das Leid und der Tod spielt ja in der Corona-Zeit ohnehin ein Rolle, das ist ein sehr präsentes Thema und ich denke wir dürfen auch nicht vergessen, dass das ganz normale Leben ja auch weitergeht, trotz Corona. Das Menschen jeden Tag eine Nachricht bekommen, dass jemand gestorben ist oder schwer erkrankt ist. Im Mittelpunkt des kirchlichen Feiertags heute und der Feiern, die es am Karfreitag gibt, steht natürlich das Leiden Christi. In den katholischen Gottesdiensten wird die Johannespassion gelesen, Jesu Leidensgeschichte in aller Ausführlichkeit. Und Maximilian da frag ich dich, ob du eine Stelle in dieser Passion hast, die dich besonders berührt?

Für mich ist es vor allem die Person vom Simon von Cyrene. Der so völlig unbeteiligt inmitten der Leute steht, die da bei der Kreuzigung Jesu dabei waren und er tritt aus den Reihen hervor und sieht, dass der Jesus das schwere Kreuz zu tragen hat, dass er da am Boden liegt und ihm hilft er. Das birgt die Hoffnung für mich, dass auch ich in schweren Zeiten nicht alleine bin, wenn ich ein schweres Kreuz zu tragen hab.

Dass es jemand gibt, der hilft.

Und mein Wunsch wäre auch, dass ich selber öfter, Simon von Cyrene bin und anderen Menschen helfen kann.

Als Gemeindereferent unterrichtest du ja in der Schule. Du gibst Religionsunterricht. Kommt ihr da auch auf den Tod und die Auferstehung von Jesus zu sprechen?

Ich habe eine 4. Klasse und bei denen spielt Religion jetzt nicht unbedingt eine allzu große Rolle. Aber die großen Fragen des Lebens, die stellen sie sich trotzdem alle. Als große Fragen werden Fragen betitelt, auf die es eigentlich keine abschließende Antwort gibt. Und da kommen dann Fragen wie: Wieso musste denn Jesus sterben? Was passiert nach dem Tod? Und wieso hängen wir die Kreuze überall auf? Da fällt es mir auch schwer zu antworten und in diesem Jahr hab ich mir gedacht, ich kann das im Online-Unterricht nicht bringen. Und da hab ich mir dann gedacht, möchte ich eher wegen Corona den Schülerinnen und Schülern zeigen, dass der Glaube an Gott Kraft geben kann. Auch in solch einer Zeit, dass wir die Erfahrung machen können, wir sind nicht alleine. Und dass wir eine Hoffnung haben können, auf eine Auferstehung. Auch für uns selbst, dass wir bald alle wieder zusammen sein können. Da hab ich für dieses Jahr, ganz passend, ein Lied gefunden, was mich in dieser Zeit begleitet. Dort heißt es in der 1. Strophe: „Durch das Dunkel hindurch, scheint der Himmel hell. So hell soll auch die Erde sein, steht auf, steht auf, steht auf, so hell soll auch die Erde sein. Steht auf.“ Und ich möchte dazu ermutigen, dass wir diese Botschaft der Auferstehung auch für uns selbst mitnehmen. Dass wir uns von der Auferstehung Jesu anstecken lassen und dann selbst aufstehen, damit auch unsere Welt ein bisschen heller wird.

Ich hoffe, dass deine Schüler das gut annehmen können, als eine Lebenshilfe, die du ihnen anbietest. Prima, dass du dich dieser Herausforderung stellst.

Vielen Dank für die manchmal doch sehr persönlichen Einblicke, die du den Hörerinnen und Hörern und mir gegeben hast, lieber Maximilian. Gemeinsam wünschen wir Ihnen einen guten Tag.

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25DEZ2020
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Das Thema Frieden ist ein zentrales Thema auch des Festes, das wir heute feiern: Weihnachten. Herr Bischof Kohlgraf, sie sind seit gut einem Jahr der Präsident der deutschen Sektion von Pax Christi. Was verbirgt sich dahinter?

Pax Christi ist eine internationale, katholische, christliche Friedensbewegung mit ökumenischer Ausrichtung. Die Gründung ist nach dem zweiten Weltkrieg erfolgt. Es ging damals vorwiegend um die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland. Es kamen dann im Laufe der Jahre und Jahrzehnte andere Themen hinzu. In den sechziger Jahren sehr stark auch die Versöhnung mit Polen etwa und zugute kam natürlich, dass katholische Kirche auch immer eine Weltkirche ist, also dass man da wirklich auch diese weltweiten Netze hatte und Pax Christi hat sich dann in den kommenden Jahrzehnten immer auch an Themen orientiert, die aktuell waren.

In der Weihnachtsgeschichte des Evangelisten Lukas wird ja von den Hirten auf dem Feld erzählt, denen dieses himmlische Heer erscheint und da heißt es: Sie priesen Gott und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade. Was will Lukas damit sagen: Friede auf Erden?

Also es ist ja nicht von ungefähr, dass in dieser Weihnachtsgeschichte auch die Großen der Politik damals vorkommen. Also Augustus und Herodes und ich stelle mir jetzt also vor, der Augustus hat sich so als Friedenskönig feiern lassen, als Messias, als Friedensbringer. Der Friede, für den Augustus steht, konnte allerdings auch nur mit militärischer Gewalt aufrechterhalten werden. Das ist schon bewusst gesetzt. Und auch Herodes war nicht unbedingt ein Mensch, der bekannt war für seine Menschenfreundlichkeit. Also da gings um viel Gewalt und trotzdem um Menschen, die sich als Friedensfürsten haben feiern lassen, und dagegen stellt Lukas dieses Kind in der Krippe. Das ist natürlich fast schon irgendwie eine Karikatur oder eine Satire auf die politischen Größen. Also es ist eine starke politische Botschaft in Richtung derer, die sich selbst groß machen und als Gott verehren lassen: Schaut, wo der wahre Friede ist und dieses Kind in der Krippe ist der Friedensbringer schlechthin, aber gerade in seiner Gewaltlosigkeit, in der Armut der Krippe.

Was dann aber natürlich konträr läuft zu der Realität, die die Menschen umgeben hat.

Ja, es hat auch immer so etwas gebraucht wie Visionen und eine Motivation zu sagen: Jeder persönliche Einsatz für diesen Frieden ist nicht in den Wind gesetzt, sondern das wird Früchte tragen. Und das ist ja auch glaube ich das, was in unserer Zeit so wichtig ist, dass niemand sagen kann: Was kann ich letztlich schon verändern. Ich glaube, die Art und Weise, wie ich rede, wie ich denke, wie ich mich einbringe, verändert Gesellschaft und da kommts wirklich auf jeden Einzelnen an.

Nun wissen wir natürlich auch aus den Evangelien, dass Jesus nicht das war, was man so gemeinhin einen Softie nannte, sondern er hatte schon klare Ansagen und klare Botschaften. Ich erinnere nur an die Tempelreinigung, wo er die Händler aus dem Tempel vertrieben hat und auch eben dieser berühmte Satz: Ich bin nicht gekommen Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Haben wir ihn da vielleicht als Person missverstanden?

Ich glaube, dass die Jünger schon verstanden haben, dass Jesus von einer Leidenschaft erfüllt war. Also nach der Tempelreinigung sagen sie: Sie erinnerten sich an das Wort „Der Eifer für dein Haus verzehrt mich“, also Jesus ist nicht nur der liebe blondgelockte Jüngling, der kein Feuer in sich hat. Ich glaube schon, dass er innerlich brannte für Gott und für die Liebe zu den Menschen und dass er auch brannte in der Ablehnung all dessen, was Menschen kaputt macht und was die Ehre Gottes schmälert. Man muss jetzt allerdings aufpassen. Wir können die Bibel nicht als Steinbruch nutzen. so einen Satz: Ich bin gekommen das Schwert zu bringen jetzt zu benutzen um zu sagen: Wir bringen jetzt unsere Wahrheit mit Gewalt in die Welt hinein. Das wird nicht funktionieren und das wird auch dem Anliegen Jesu nicht gerecht.

Wir reden im Moment gerade ganz viel über Extremismus im politischen Islam, aber auch das Christentum hat ja eine Geschichte, die durchaus blutig war. Wir haben Kriege vom Zaun gebrochen und haben auch Menschen bedrängt. Warum fällt es auch Menschen, die diese Botschaft bekommen haben, so unendlich schwer, Frieden zu halten?

Es wird immer dort zum Problem, wo ein religiöser Wahrheitsanspruch mit Gewalt vertreten wird. Und das hats natürlich im Christentum gegeben, da haben Sie völlig Recht. Wir hatten auch, gerade in der katholischen Kirche, ein Riesenproblem mit der Anerkennung der Religionsfreiheit bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil und auch bis heute ist das in einigen kirchlichen Gruppen keineswegs akzeptiert, dass es eine Religionsfreiheit gibt. Das heißt, dass Menschen sich, wenn sie sich überhaupt für das Christentum überzeugen lassen, das wirklich auch nur in Freiheit tun können, dass sie die Freiheit haben, sich anders zu entscheiden. Das ist letztlich dann auch die Konsequenz. Ich weiß allerdings, dass mir diese Form immer noch lieber ist, als zu sagen, wir sind ein christliches Abendland, wo vielleicht die meisten glauben, weil es eben dazugehört, oder weil es eben ohne sich zu blamieren, oder ohne Gewalt nicht anders geht.

Nun haben wir seit 2000 Jahren diese Botschaft vom Frieden auf Erden, den wir auch heute an Weihnachten natürlich wieder verkünden. Er ist bis heute noch nicht da. Ist vielleicht Frieden, so wie er da verkündet wird, eine Illusion?

Ja, der Papst spricht von einem Traum in seiner neusten Enzyklika. Ich finde das eigentlich ein schönes Wort. Und solche Träume oder Utopien finden sich bereits auch in der Heiligen Schrift. Also s gibt im Buch Jesaja die Vision von einer Friedenswallfahrt aller Völker zum Berg Zion, wo ganz unterschiedliche Gruppierungen und Menschen zusammenkommen. Aber solche Texte sind Träume, sind Utopien und nicht einfach, glaube ich, als Vertröstung, sondern ich glaube, dass solche Sprachbilder oder solche Traumbilder auch Motivation sind zu sagen: Wir können an dieser Vision arbeiten. Lasst uns wenigstens Schritte gehen auf eine solche Welt hin. Ob es den Himmel auf Erden jemals gibt? Wahrscheinlich wohl nicht. Aber, wenn niemand daran arbeitet, wenn niemand etwas tut, dann wird sich nichts entwickeln. Und ich glaube, dass solche Bilder in sich auch eine große Kraft tragen.

Lassen sie uns nochmal zurückkommen zu Pax Christi. Es gibt in diesem Jahr die Kampagne „Kein Weihnachten in Moria“. Was steckt dahinter, was  ist das Ziel?

Wir haben noch die Bilder im Kopf, als diese Lager brannten und viele tausend Menschen plötzlich obdachlos und ohne irgendeinen Schutz auf der Straße standen. Ich glaube mit dem Papst, der das scharf kritisiert hat, dass Europa sich hier versündigt hat an Menschen und seiner Verantwortung nicht gerecht geworden ist. Der Winter steht vor der Tür. Es leben immer noch 21.000 Menschen derzeit in diesen Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen. Wir müssen die Menschen, die da sind, aufnehmen. Und auch als Kirche erheben wir nicht nur den moralischen Zeigefinger, sondern wir hätten viele Möglichkeiten, auch die Politik in dieser Frage zu unterstützen und Menschen aufzunehmen. Wir können das so nicht hinnehmen.

Wir erleben in diesem Jahr ja ein Weihnachtsfest, dass es vielleicht so noch nie gab. Was würden Sie sagen, kann uns die christliche Weihnachtsbotschaft in dieser konkreten Situation, die wir in diesem Jahr 2020 haben, sagen?

Wir haben gemeinsam mit der Evangelischen Kirche eine ökumenische Botschaft für dieses Weihnachtsfest, die genau dem entspricht, was im Weihnachtsevangelium steht: Fürchtet euch nicht. Also, Gott ist dabei. Gott geht genau in dieses Dunkel und viele Menschen fühlen sich, glaube ich, in diesen Tagen sehr allein und gehen mit Sorgen in die Zukunft. Und für mich ist die Glaubensbotschaft ganz, ganz wichtig: Du bist in dieser Situation nicht allein, weil Gott bei dir ist. Aber auch, das ist meine Erfahrung, weil es in der Kirche und auch außerhalb der Kirche Menschen gibt, die ein Auge auf dich haben und die dir helfen.

Was bedeutet Weihnachten Ihnen persönlich?

Für mich ist Weihnachten nie gewesen dieses süßliche Weihnachtsfest, das viele Menschen damit verbinden. Für mich war es auch immer ein Fest, wo ich sehr stark darüber nachdenken durfte und auch musste: Was bedeutet das eigentlich, dieses biblische Bild, dass Gott ins Dunkel steigt? Und in diesen Weihnachtsgeschichten ist wenig von dieser weihnachtlichen Rührseligkeit die Rede, sondern da ist sehr viel von menschlicher Existenz, von Grundsatzfragen die Rede In diesem Weihnachtsfest steckt mehr als nur das, was wir manchmal draus machen. Weihnachten ist mehr.

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11JUN2020
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Foitzik: Heute feiert die katholische Kirche das Fest Fronleichnam. Darüber spreche ich mit dem Freiburger Theologen Karlheinz Ruhstorfer. Professor Ruhstorfer lehrt Dogmatik und Ökumenische Theologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Freiburg.

Das Fest Fronleichnam feiert die katholische Kirche öffentlich auf Straßen und Plätzen. Im Zentrum steht dabei der Glaube, dass Christus in den Zeichen Brot und Wein wirklich gegenwärtig ist, so wie es Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern beim letzten Abendmahl versprochen hat. Das Wort Fronleichnam lässt sich so übersetzen: der lebendige Leib des Herren.

Herr Professor Ruhstorfer, öffentliche Gottesdienste und Messfeiern waren in den letzten Wochen und Monaten gar nicht möglich – wegen all der Maßnahmen, die nötig waren, um die Covid 19-Pandemie einzudämmen. Was bedeutet es vor diesem Hintergrund heute Fronleichnam zu feiern, eben dieses Fest, bei dem der Glaube der Kirche öffentlich bekannt und bezeugt wird?

Ruhstorfer: In der Pfingstausgabe der Wochenzeitschrift DIE ZEIT vor zwei Wochen stand auf der Titelseite: „Frommes Schweigen“. Die Redakteurin Evelyn Finger stellt darin fest, dass die Kirchen in der Coronakrise die Menschen allein gelassen hätte. Sie hätten das Gefühl vermittelt, nicht systemrelevant zu sein. Was auch immer die Kirche in diesen Wochen im Verborgenen getan haben oder nicht getan haben. In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, die Kirchen seien nicht präsent. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung. Die Kirchen vermitteln ohnehin schon lange das Gefühl, auf dem Rückzug zu sein. Corona wirkte hier wie ein Brandbeschleuniger. Eben deshalb ist ein Fest wie Fronleichnam so wichtig. Die Kirche muss öffentlich sichtbar sein. In den Medien, aber eben auch auf den Straßen und Plätzen unserer Städte. Eine Fronleichnamsprozession könnte da schon die Botschaft vermitteln: Wir sind da. Wir bezeugen, dass es einen Gott gibt. Ein Gott, der mit uns durch die Straßen und Gassen geht, der uns auf allen Lebenswegen begleitet.

Foitzik: Der erzwungene Verzicht auf öffentliche Eucharistiefeiern ist sicherlich vielen in der Kirche sehr schwer gefallen, ist doch die Eucharistiefeier – wie es eben auch das Zweite Vatikanische Konzil formuliert hat – Quelle und Höhepunkt unseres Glaubens und Glaubensleben. Dabei haben sich aber auch manche gefragt, wie wichtig ihnen eigentlich diese Eucharistiefeier wirklich ist. Liegt so in dieser Art erzwungenem eucharistischen Fasten auch eine Chance?

Ruhstorfer: Die Chance liegt wohl darin, dass eine Unterbrechung zur Besinnung und zur Neuorientierung führen kann. Der Philosoph Jürgen Habermas, der selbst unverdächtig ist in Sachen radikalem Katholizismus, schrieb vor kurzem über die sakramentalen Handlungen der Kirche. Er meint, dass Sakramente und damit auch die Eucharistiefeier niemals nur „eine irdische, von der Kirche veranstaltete feierliche Kommunikation unter den Gemeindemitgliedern sein kann“. Das war jetzt Orgiginalton Habermas. Eucharistie ist eine rein menschliche und soziale Angelegenheit. Das wäre falsch. Es geht darin um die Realpräsenz Gottes. Die sakrale Dimension der Eucharistie verweist darauf, dass Gott selbst hier sinnlich gegenwärtig wird. Er verwandelt sich in irdische Wirklichkeit, um die irdische Wirklichkeit in göttliches Leben zu verwandeln. Diese sakrale Tiefendimension darf nach Habermas nie vergessen werden. Und diese eigentlich spirituelle, religiöse oder metaphysische Dimension der Eucharistie betrifft auch das gesellschaftliche Miteinander. Denn ohne diese Dimension droht - so Habermas - „das Versiegen der sakralen Quellen sozialer Integration“. D.h. es geht um gesellschaftlichen Zusammenhalt, um die Verwandlung der Welt in einen menschenwürdigen und damit gottgefälligen Ort. Habermas sagt, dass der Verlust dieser transformativen Kraft der Sakramente „einer menschheitsgeschichtlichen Zäsur gleichkäme“.

Foitzik: Von Habermas jetzt mal auf eine ganz andere Ebene. Herr Professor Ruhstorfer, sie sind Vater von drei Kindern und waren Religionslehrer bevor Sie an die Universität zurückkehrten. Das Fest Fronleichnam ist wohl das Fest im katholischen Kirchenjahr, mit dem sich heute die meisten Katholikinnen und Katholiken schwertun, erst recht, wenn sie als Eltern oder als Lehrerinnen beispielsweise Kindern und Jugendlichen erklären sollen, um was es da eigentlich geht. Wie kann man dieses Fest heute noch begehen, das doch einer ganz anderen Sakramenten-Theologie, einem ganz anderen Sakramentenverständnis entstammt?

Ruhstorfer: Sicher verändert sich das Sakramentenverständnis in der Zeit. Aber eines muss doch gleich bleiben. Die Sakramente sind die Schnittfläche von Gott und Schöpfung, Schöpfer und Geschöpf. Bei einer Fortentwicklung der Theologie muss es meines Erachtens darum gehen, zu einem tieferen und weiteren Verständnis der Sakramente zu kommen. In der Materie, im Fleisch, im Schmutz der Erde will Gott ankommen. Überall da, wo Krankheiten überwunden werden durch Ärztinnen und Ärzte, wo Trost gespendet wird durch Mitmenschen, wo Kindern von Lehrerinnen und Lehrern Welt und Zukunft erschlossen wird, wo Armut überwunden wird, wo gerechte Strukturen in der Welt geschaffen werden, überall da wird sakramentale Verwandlung der Welt sinnfällig und wirklich. In diesem Sinn sind Sakramente die bleibende Gegenwart Jesu, der ja selbst auch gesagt hat, dass das Reich Gottes nahe ist, dass es wie ein Sauerteig die gesamte Welt durchsäuert. Die konkreten Sakramente der Kirche (Taufe, Eucharistie, Buße usw.) sind doch nur besonders sichtbare Ausprägungen der Tatsache, dass das Gottesreich angebrochen ist und sich mehr und mehr durchsetzt – gegen allen Anschein, gegen alle Dunkelheit der Welt.

Foitzik: Herr Professor Ruhstorfer, Sie lehren Ökumenische Theologie an der Universität Freiburg: Fronleichnam gilt als das allerkatholischste Fest im Jahreskreis. Es war das Fest mit dem die katholische Kirche geradezu öffentlich demonstriert hat, was sie von den Protestanten unterscheidet, nämlich der Glaube an die Gegenwart Jesu in der als Leib Christi verehrten Hostie.

Umgekehrt war für Luther Fronleichnam das, ich zitiere, „allerschändlichste Fest“; an keinem anderen werde - so Luther - „Gott und sein Christus mehr gelästert, denn an diesem Tag und sonderlich mit der Prozession.“ Wie sehr trennt uns heute dieses Fronleichnamsfest noch von unseren evangelischen Schwestern und Brüdern?

Heute muss uns Fronleichnam in keiner Weise von unseren evangelischen Mitchristinnen und Mitchristen trennen. Es kommt nicht darauf an, ob Gott hier mehr durch die objektive Seite der Kirche, des Amtes und damit des Priesters wirkt, so wie esdie katholische Kirche denkt, oder über die subjektive Seite des gläubigen und freien Individuums, so wie es in der evangelischen Kirche Tradition ist. Es muss nur klar werden, dass Gott es ist, der mit den Menschen auf ihren verschlungenen Wegen unterwegs ist. Dass Gott uns Hoffnung gibt, dass Gott uns von unserenIrrwegen zurückholt und auch über Umwege findet. Vielleicht müssen wir Katholiken heute evangelischer werden und die evangelischen Gläubigen katholischer. Den Weg in die Zukunft können wir nur miteinander finden.

Foitzik: Herr Professor Ruhstorfer, ganz herzlichen Dank für diese so reichhaltigen Gedanken, die vielleicht dem einen oder anderen von uns ein einigermaßen schwieriges Fest ganz neu nahe gebracht hat, vielen Dank.

Ruhstorfer: Ich bedanke mich.

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01JUN2020
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Heike Springhart

"Zum Pfingstmontag" ein Gespräch zwischen dem evangelischen Rundfunkpfarrer Wolf-Dieter Steinmann und Privatdozentin und Pfarrerin Dr. Heike Springhart aus Pforzheim

Steinmann
Ich freue mich, dass ich heute mit Heike Springhart reden kann. Privatdozentin und Pfarrerin. Damit Sie sich nicht wundern. Wir kennen uns so lange, dass wir auch hier im Radio beim Du bleiben.
Heike, es gibt 3 Feste im Jahr, für die ein Tag im Kalender nicht reicht: Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Wenn Du eine persönliche Hierarchie der 3 Feste machen sollst, wie sieht die aus?

Springhart
Das kommt ein bisschen auch die Kriterien an. Also emotional ist es für mich auch Weihnachten. Ostern und Pfingsten in eine Hierarchie zu bringen, finde ich fast unmöglich.
Weil mir theologisch eigentlich Pfingsten am liebsten ist. Aber es ist am wenigsten emotional besetzt. Das liegt vielleicht daran, dass man es als Kind, also Pfingsten nicht feiert. Aber auch - durchaus theologisch - ist mir Ostern mit der Auferweckung aus Tod und dem Wunder nach den Wunden, ist mir das wichtig.
Aber theologisch finde ich eigentlich Pfingsten am reizvollsten. Insofern würde ich sagen: Platz 1 Weihnachten und Ostern und Pfingsten auf Platz 2. (lacht)

Steinmann
Und was sind dann für Dich als Theologin 2-3 Kerngedanken von „Pfingsten“?

Springhart
Also das eine ist, dass der Geist Gottes die Kraft ist, die die Kirche lebendig hält. Und sie aus ihren Mauern und ihrer Komfortzone rausweht und den Blick öffnet für die grenzüberschreitende Kraft Gottes. Also über die Sprach- und die Ländergrenzen hinweg. Und auch über die Grenzen in der Gesellschaft.
Die erste Pfingstpredigt aller Zeiten von Petrus, die bezieht sich ja auch auf die Verheißung, dass der Geist auf alle ausgegossen wird. Die Verheißung von Joel, dem Propheten, und die Idee, dass junge Menschen Visionen haben und alte Menschen wieder Träume. Das finde ich ne ganz wunderbare Vision. Weil sie nämlich gegen die Macht des Faktischen den lebendigen Aufbruch setzt.
Das zweite ist, dass die Welt nicht sich selbst überlassen ist, sondern dass Gott seinen Geist ausgießt, nicht nach dem Gießkannenprinzip, Aber doch wie Regen auf alle.
Und zuletzt ist der Geist Gottes nicht irgendwas, was so rumwabert, sondern der Geist Jesu, das heißt er treibt zu ganz konkretem Einsatz für Gerechtigkeit, für Verantwortung, für den Kampf gegen Rassismus und Sexismus an.

Steinmann
Diese Joelverheißung (Joel 3,1f)ist ja nun was ganz Besonderes.
Wir haben in den letzten paar Jahren immer mal wieder den Generationenkonflikt ausgerufen. „Fridays for Future“, da hieß es, die Jungen beklagen sich darüber, dass ihnen die Alten das Leben wegnehmen, und in der Coronakrise war es anfänglich umgekehrt. Und da wird zwar ein Generationenunterschied gemacht, aber es ist jedenfalls kein Generationenkonflikt.

Springhart
Beides ist in die Zukunft gerichtet. Das eint irgendwie die Perspektive. Also ich verstehe das mit den Träumen wirklich als: ‚Ich träume mir was für meine Zukunft.‘ Und die jungen Menschen, die Visionen schauen – heißt es ja in der Bibel – und da ist das Überraschende doch, dass sie nicht nur für sich individuell Visionen haben von der besseren Welt, sondern dass sie die ja auch zum Ausdruck bringen. Es gibt dann noch die, die prophetisch reden. Dh. Dass junge Menschen ihre Visionen nicht nur haben, sondern dass sie sie zu Gehör bringen. Und das Spektakuläre ist vielleicht, wenn sie gehört werden und dass es eben nicht abgetan wird, dass junge Leute eben immer sich von der Zukunft eine Vorstellung machen.

Steinmann
Und dass es bei den Alten eine Resonanz dafür gibt. Dass diese Visionen, die von den Jungen geäußert werden von den Alten tatsächlich als Traum aufgenommen werden, obwohl sie selbst davon nichts mehr haben werden.

Springhart
Also für mich ist diese Perspektive, dass die Alten Träume haben, eigentlich ein Gegen- bild wie wir jetzt im Moment über die Alten nachdenken. Wir sehen sie jetzt als Risikogruppe und auch sonst sehen wir sie unter der Perspektive des abnehmenden Lebens. Und das trifft aber die Realität des Alters überhaupt nicht. Die Potentiale zu sehen, die da drinstecken, an Kreativität. An Perspektive auf die Wirklichkeit, selbst bei Demenz, da ist diese Idee; ‚Alte haben Träume, die in die Zukunft weisen‘, hat da ihre verheißungsvolle Kraft.

Steinmann
Ich bin ja fest davon überzeugt, dass Theologie eine lebensrelevante Wissenschaft ist. Oder, ein lebensrelevanter Zugang zur Welt.
Begreifen tu ich das oft erst, wenn Theologie in Form von Geschichten erzählt werden kann, die auch Lebenserfahrungen wiederspiegeln. Gibt es solche Lebenserfahrungsgeschichten vom „Geist Gottes“ , die Dir begegnet sind, in jüngster Zeit vielleicht auch ?

Springhart
Die erste, die ist nicht so ‚in jüngster Zeit‘. Aber schon die erste Anfangsgeschichte, die Pfingstgeschichte selber ist so ne Lebensgeschichte, dass aus dieser Anfangsgeschichte der christlichen Gemeinde, die in irgendwelchen Katakomben sich getroffen haben, dass daraus die weltweite Christenheit wurde. Das war ja nun eigentlich nicht zu erwarten. Aber jetzt in jüngerer Zeit:
Grundsätzlich gehört zu den Lebensgeschichten des Geistes, dass es Neuanfänge gibt. Da wo man nicht damit gerechnet hat. Für mich ist so ein sprechendes Beispiel die Auferstehungskirche in Pforzheim und die anderen so genannten Notkirchen in Deutschland. Die nach dem Krieg aus den Trümmern gebaut wurden. Wenn mir hier – inzwischen betagte Menschen – mit leuchtenden Augen erzählen, dass sie als Konfirmanden 1947/48 die Steine hoch geschleppt haben und sauber geschrubbt haben, und ich merke wieviel denen dieses Gebäude und die Kirche, für die dieses Gebäude steht, bedeutet. Dann hat das für mich sehr viel mit einer Lebensgeschichte des Geistes Gottes zu tun.
Oder die Konfirmandin, die mir schreibt: ‚ich bin jetzt eigentlich nicht so traurig, dass keine Konfirmation war, weil da kann ich noch länger in Konfi-Unterricht gehen. Und ich freu mich mega auf meine Konfirmation.‘
Eine Konfirmandin, die sich im Februar hat taufen lassen. Wenn da nicht der Geist Gottes am Werk ist, weiß ich nicht. Also irgendetwas ist bei ihr angerührt. Das sind Lebensgeschichten Gottes, des Geistes.

Steinmann
„Der Geist wird euch auch helfen, die Wahrheit zu verstehen“. Steht auch in der Bibel.
Wenn wir das mal auf die gegenwärtige Krise beziehen. Hat die auch eine Wahrheit, in die uns der Geist Gottes hineinführt und etwas daraus erkennen lässt?

Springhart
Also ich würde mal vorwegsagen, dass ich es wichtig finde, Wahrheit und Sinn zu unterscheiden. Weil in der Frage könnte man so auf die Idee kommen, die ich für falsch halte, „OK, Krise als Chance. Wir haben jetzt hier die Chance, uns völlig neu zu betrachten und deswegen reden wir uns diese Krise schön. Das finde ich deswegen falsch, weil es das Leid übergeht. Für die die an der Krankheit erkranken, für die die um ihre wirtschaftliche Existenz bangen usw. Falsch fände ich auch, Corona als Strafe Gottes zu verstehen.
Aber was ist es denn? Welche Wahrheit könnte drinstecken.
Ich finde, die Wahrheit, die drinsteckt, dass sie den Blick dafür schärft, dass es zum Menschsein gehört, verwundbar zu sein. Und zwar für alle.
Im Moment ist so viel davon die Rede, dass es die vulnerablen Gruppen gibt, also die Alten und die chronisch Kranken, die besonders schutzbedürftig sind. Es klingt immer ein bisschen so, als wären nur die verwundbar. Was uns gesellschaftlich jetzt eigentlich schockiert oder trifft, ist die Erkenntnis: wir sind es alle und wir können die nicht aussortieren.
Das ist ne Wahrheit, die nicht erst seit Corona gilt, die sich aber jetzt aufdrängt, darüber nachzudenken und ernst zu nehmen.
Ne andere theologische Wahrheit liegt für mich darin, Krankheit und Tod in ihren bedrängenden Dimensionen ernst zu nehmen. Das ist eigentlich ein Grundmoment des christlichen Glaubens. Wir reden deswegen von Neuschöpfung und Auferstehung, weil wir von Krankheit und Tod bedrängt sind.
Und zuletzt ist mir schon auch wichtig, dass die globale Dimension, die sich mit dieser Pandemie verbindet, eben auch hilft zu sehen: so schwierig die Situation bei uns ist, sie ist eben nicht zu vergleichen damit was Covid19 für die Menschen in den südafrikanischen Townships und in den Flüchtlingslagern der griechischen Inseln bedeutet. Also den weiten Blick. Die Wahrheit bedeutet: es reicht nicht, um sich selber zu kreisen.

Steinmann
Sagt ja auch die Theologie des Geistes oder die Zeugnisse, die Texte in der Bibel, dass eine Wirkung des Geistes ist, dass man sich um die Schwachen kümmert, dass die Schwachen unter dem besonderen Schutz des lebendigen Gottes stehen. An wen sollten Christen besonders denken?

Springhart
Da denk ich, wenn wir jetzt weltweit gucken an die schon genannten in den Townships und Slums auf der südlichen Halbkugel. Aber ich denke auch an die Menschen in China und Hongkong, die nicht nur von dem Virus in besonderer Weise getroffen sind und waren, sondern auch von Meinungs- und Pressefreiheit, die beschnitten ist, in diesen Ländern. Ich denke aber auch an die Kinder und Frauen bei uns, die in besonderer Weise von sexualisierter und häuslicher Gewalt betroffen sind. Ich denke, das ist ein großes Problem, was sich mit dieser Situation verbindet. Und die Flüchtlinge vor den Toren Europas. In Morija und anderswo.

Steinmann
Letzte Frage: Pfingsten erinnert daran, dass der Geist Gottes überall lebendig ist.
Du hast Beziehungen in alle Welt. Wenn es ginge, wo würdest Du heute gern Pfingsten feiern, mit wem von diesen Freunden und Kolleg*innen?
Es geht ja nun nicht. Wirst Du dich trotzdem mit ihnen verbinden?

Springhart
Also eigentlich wäre ich morgen nach Tel Aviv geflogen. Da werde ich sicher dran denken, auch ein bisschen schmerzlich. Aber die intensivsten persönlichen Beziehungen habe ich nach Chicago. Also wenn ich es mir aussuchen könnte, dann würde ich in Chicago feiern. Und mit denen werde ich sicher auch Kontakt haben. Meine Gedanken gehen aber sicher auch nach Südafrika, wo ich Freunde und Kollegen habe. Wo die Situation gerade richtig schwierig ist.

Steinmann
Was ist das Besondere an der Situation in Südafrika?

Springhart
In den Townships ist es eben viel schwieriger in den Griff zu kriegen, weil da einfach nicht möglich ist, sich sozial zu distanzieren. Ich denke, das Virus insgesamt, wenn es in Südafrika und auf dem afrikanischen Kontinent sich ausbreitet, sind einfach die Möglichkeiten, einzugreifen, sehr viel kleiner. Was für die USA gilt, dass die sozialen Spannungen deutlich werden, das wird natürlich in so einem zerrissenen Land wie Südafrika, noch deutlich verschärfter zu sehen sein.

Steinmann
Siehst Du eine Möglichkeit, dass wir von hier aus, auch etwas tun könnten?

Springhart
Was Corona angeht bin ich da skeptisch. Ich denke, Südafrika und die Länder der südlichen Halbkugel sind uns insgesamt aufgegeben. In unserer Art, uns mit Lebensmitteln zu versorgen, mit Rohstoffen, mit Kleidern. Und da jetzt nicht auch das Unsere noch beizutragen, dass die Ärmsten der Armen dann auch unter unwürdigen Bedingungen leben. Und die Kontakte zu halten.

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21MAI2020
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Frieder Bernius Foto: "Musikpodium"

Beethovens Missa Solemnis – Universaler Gott und Lebensweg Christi

Steinmann:
Herr Bernius, Sie sind für mich „der“ Gesprächspartner heute. Weil ich gern 2 Dinge zusammen bedenken möchte: Einmal das Beethoven Jahr 2020 und den Feiertag Christi Himmelfahrt.
Sie haben Beethovens Missa Solemnis eingespielt mit dem Stuttgarter Kammerchor und der Hofkapelle. Beinahe in der Mitte dieser Messe stehen Ostern und Himmelfahrt. Wie passt das für Sie? Beethoven und heute?

Bernius:
Da muss ich ein bisschen ausholen: Im christlichen Jahresfestkreis da habe ich mich seit meiner Jugend mich bewegt. Dafür habe ich auch schon einige Werke aufgeführt und festgehalten.
Wenn es jetzt aber um Ludwig van Beethoven geht, müssen wir uns fragen:
wie ist es mit ihm und diesem Festkreis?
Er kommt aus einem katholischen Umfeld in Bonn und war schon als Jugendlicher mit kirchenmusikalischen Aufgaben betraut. Er hat danach sein Leben in Wien als freier Komponist und Dirigent verbracht, also war er nicht aufgrund seines Amtes verpflichtet, für die katholische Liturgie zu schreiben. Er hat aber zwei Messen geschrieben. Und diese beiden einzigen Messen, die er komponiert hat, die zeigen, dass das kein Nachteil sein muss. Sie erreichen nämlich Dimensionen, die über eine bloße musikalische Umrahmung der katholischen Liturgie hinausgehen.
Er wollte seine ganz eigenen Vorstellungen darüber zum Erklingen zu bringen.
Und diese orientieren sich nicht in erster Linie an den kirchlichen Dogmen, sondern sie gehen von einem Gottesbegriff aus, der die Existenz Gottes in der Natur erfahrbar macht, ohne sie grundsätzlich zu hinterfragen. Sie kennen sein Lied "Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre". Das ist ein Text von Gellert und der bringt das treffend zur Sprache. Seine "Missa solemnis" ist charakterisiert worden als ein "künstlerischer Reflex seiner universalen Suche nach Gott". Die dogmatische Einheit von Gott und Christus lehnt Beethoven ab. Dafür identifiziert er sich hörbar mit dem Lebensweg Jesu.
In der "Missa solemnis" hören wir, wie er daran bewegt Anteil nimmt. Nehmen Sie zB den Abschnitt des Credo von "Qui propter nos homines ..." über "et homo factus est" bis zu "crucifixus etiam pro nobis, passus et sepultus est". Aber er sieht auch Parallelen zwischen dem Lebensweg von Christus und seiner eigenen Taubheit, die für einen Musiker ja das größte Unglück ist.

Steinmann:
Also Herr Bernius, Beethoven macht eher stark, Christus wurde gekreuzigt, hat gelitten, ist begraben worden. Dann folgen im christlichen Glaubensbekenntnis, Auferstehung und Himmelfahrt. Auf lateinisch: „Et ascendit in caelum.“ Welche Bedeutung hat diese Passage dann speziell in der Missa solemnis?

Bernius:
Also wir haben da schon mitgelitten wie er das cruxifixus komponiert und das passus und auch das sepultus est. Das ist ein langer Textabschnitt und die Frage ist, kann man aus der Länge einzelner Textabschnitte entnehmen, ob und wie ein Komponist davon gepackt ist? Also ich glaube das ist so, denn es lässt sich aus der Länge dieser Passage von etwa hundert Takten - aber von den nachfolgenden, die Sie jetzt genannt haben: "et resurrexit" und "et ascendit in caelum" - da lässt sich herauslesen, dass das kürzere Abschnitte sind, dass das Mitleiden ihn mehr herausfordert als die Dogmen des Glaubens.

Musik

Das „et resurrexit“ „er ist auferstanden“, ist zwar dadurch, dass es a cappella gesungen wird, ein wirkungsvoller Kontrast zum vorhergehenden „sepultus est“. Dennoch lässt sich durch seine Kürze und dem ebenfalls sehr kurz gestreiften Abschnitt des „er ist in den Himmel gefahren“ doch vielleicht ablesen, dass er mit diesen Dogmen seine Schwierigkeiten hatte. Und Beethoven symbolisiert dabei das „ascendit“ mit Tonleitern nach oben und das „in caelum“ „bis in den Himmel“ mit den höchsten Lagen der Sängerinnen und Sänger. Und das sind aber eher Affekte konventionellen Charakters, wie es Komponisten vor ihm bereits gemacht haben. Es folgt dann aber ein besonderer Abschnitt, das "et vitam venturi", wo es um das Leben nach dem Tod geht. Da glauben wir wieder ein besonderes persönliches Interesse an dieser Frage zu hören: zuerst zögernd, unsicher „et vi-tam ven-tu-ri“, aber bis zum Amen immer mehr bis zu einer rauschhaften Gewissheit sich steigernd.
Das ist ein sehr beeindruckendes Ende des Glaubensbekenntnisses, zugleich eines,
das vieles von Beethovens Denken und seinen Erwartungen verrät.

Beethovens Deutung verstehen

Steinmann:
Dass Sie das heute nicht „live“ musizieren können. Das tut weh, oder?

Bernius:
Ja, das ist wahr, und wir wissen nicht, wie es weitergeht. Eigentlich hilft manchmal schon, das Herauskommen aus dem normalen Betrieb, aber in dem Fall, wenn es so ungewiss ist, ist das schwierig. Es trifft uns Künstler ja auch besonders, und es nimmt uns auch manchmal den Boden unter den Füßen weg.

Steinmann:
Wenn Sie hätten die Möglichkeit gehabt hätten, heute, die Missa aufzuführen. Wo hätten Sie es gern gemacht?

Bernius:
Ich würde nicht sagen, dass es unbedingt nur immer in einer Kirche sein muss. Denn ich möchte Folgendes erreichen, dass wir die Textdeutung eines Werks verstehen, also nicht nur den Text, sondern auch die Deutung des Komponisten. Und dann gehört es dazu, dass auch die Akustik dazu beitragen muss.

Steinmann
Und was möchten Sie Ihren Zuhörern und Zuhörerinnen damit vor allem „gönnen“ ?

Bernius:
Es geht um die persönliche Sicht eines außergewöhnlichen Komponisten und auch Menschen. Und das möchte ich meinen Zuhörerinnen und Zuhörern eindringlich vor Ohren führen. Sie müssen nachher verstehen, was das für eine außergewöhnliche Komposition und außergewöhnliche Auffassung von dem Text ist.

Steinmann:
Was geht Sie seine Musik an? Als Musiker?

Ja, schon in der Schule ist mir gesagt worden, dass Beethoven der größte Komponist ist und ich habe lange gebraucht, bis ich das verstanden habe. Es ist manchmal schon sehr kompliziert, ihn zu verstehen. Und grade, um die Missa Solemnis habe ich lange einen Bogen gemacht. Habe erst mit 60 die erste Aufführung gemacht und jetzt habe ich es zum zweiten Mal hervorgeholt. Es muss mir gelingen, davon überzeugt zu sein, wenn ich damit andere fesseln will, sonst wäre das nicht möglich.

Steinmann:
Zurück zu Beethoven selbst: was „interessiert“ ihn an einer Messe? „Musste“ man Kirchenmusik komponieren oder ist da mehr?

Bernius:
Ja, zuerst war die "Missa Solemnis" als ein Auftragswerk für die Inthronisation von Erzherzog Rudolph, gedacht. Das war ein Freund und Gönner von Beethoven. Dann hat Beethoven aber gemerkt, dass es nicht reicht. Dass er seine Vorstellungen da nicht in einer gewöhnlichen Messgottesdienstlänge unterbringen kann.
Er hat dann sogar 5 Jahre daran gearbeitet. Man hört, dass es ihm zu einem persönlichen Anliegen geworden ist.
Nach seiner Beendigung hat er es als sein "größtes Werk" bezeichnet.
Und das hat sicherlich nicht nur mit der Werklänge und der dadurch verbrachten Arbeitszeit zu tun.

Ewiges Werk, das die Gegenwart ertragen hilft

Steinmann:
200 Jahre sind seither fast ins Land gegangen. Also ich empfinde heute Christi Himmelfahrt fast den „schwierigsten“ Feiertag um ihn sich irgendwie anzueignen mit einem Bewusstsein von heute. Insofern ist auch der unmittelbare Zugang zu Beethovens Messe schwierig. Gibt Sie Ihnen dennoch etwas als Mensch von heute, auch in einem geistig-geistlichen Sinne?

Bernius:
Mich fasziniert alles, was so ein schöpferisches Genie wie Beethoven gedacht und was er empfunden hat. Er hat einmal begeisternd vom "gestirnten Himmel über uns" gesprochen und dessen für niemanden fassbare Weite. Und von der Empathie für Christus habe ich schon gesprochen. Und das gehört für ihn dann doch alles zusammen. Diese Begeisterung und diese Empathie, die haben jetzt ein Kunstwerk hervorgebracht, das für alle Ewigkeit erhalten bleiben wird. Und für mich ist das ein Glück und das hilft mir, Gegenwart zu verstehen und sie zu ertragen und - wenn es geht - noch lange, mein Bestes zu geben.

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Musik
„credo“ track 3 aus Ludwig v Beethoven, Missa Solemnis, Kammerchor Stuttgart, Hofkapelle Stuttgart. Leitung Frieder Bernius.

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13APR2020
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Christopher Schacht Autorenfoto Christopher Schacht - (c) Micha Bührle

Heute am Ostermontag steht ein besonderer biblischer Text im Mittelpunkt: Nach dem Tod Jesu sind zwei seiner Jünger unterwegs zum Ort Emmaus, als sich Jesus zu ihnen gesellt. Sie erkennen ihn nicht, aber sie stellen ihm Fragen und bitten ihn, dass er bei ihnen bleibt. Und dann erst merken sie, dass es Jesus ist.  So ging es auch Christopher Schacht als er unterwegs war – auf einer ganz besonderen Reise. Christopher ist nach seinem Abitur einmal um die Welt gereist – mit einem Budget von gerade mal 50 Euro. Ich habe das Gespräch mit dem 26-Jährigen vor der Corona-Krise im Studio in Mainz geführt. Er war vier Jahre lang unterwegs, hat 45 Länder gesehen und auf der Reise seinen Glauben an Gott gefunden. Heute studiert er Theologie. Nach seinem Abi 2013, als er in die Welt aufbrach, hatte er mit Religion allerdings wenig zu tun und bezeichnete sich selbst als Agnostiker. Ich wollte von ihm wissen, wie änderte sich das, als er unterwegs war?

Ich hab einen Informatikhintergrund, hab mein Abitur in Physik gemacht. Und dann hab ich angefangen zu fragen. Und das find ich cool: Bei den Emmausjüngern, die sind da unterwegs, Jesus kommt zu ihnen und dann fragt er sie: „Worüber redet ihr da?“ Und dann schütten die ihr Herz aus, mit all den Problemen, und all den Sachen: „Hast du nicht gehört, was passiert ist, hier in Jerusalem? Dieser Jesus von Nazareth, der gekreuzigt worden ist“ und für sie ist eine Welt zusammengebrochen und sie schütten Jesus ihr Herz aus und stellen ihre ganzen Probleme und Fragen – und  genauso war das bei mir auch am Anfang: Wo ich so gemerkt habe: Moment, Jesus ist bei mir, wie bei den Emmausjüngern und dann hab ich aber noch so viele Fragen und Probleme gehabt , die ich erst mal tatsächlich ihm so entgegengeworfen hab. Und gesagt hab: Moment: Was ist hiermit,  ganz ehrlich: Bibel ist doch absolut unglaubwürdig heutzutage, das kann doch als moderner Mensch keiner mehr ernstnehmen. Und was ist damit und damit? Und je mehr ich aber mit ihm dann unterwegs war und in Dialog kam, und ich eben nicht abgehauen bin, sondern mich dem  gestellt hab, desto näher kam ich ihm dann auch.

Das heisst du hast deine Zweifel auch reingepackt in dein Gebet?

Ja absolut, ja also ich glaube ein Glaube ohne Zweifel ist kein echter Glaube.  

Sehe ich auch so. Zweifel nimmt ja auch den Glauben ernst.

Ja total, Zweifel nimmt den Glauben ernst. Und ich find: Glauben hat ganz ganz viel mit Vertrauen zu tun. Und wenn ich nicht irgendwo nen Zweifel noch mitbringe, wo kann ich denn dann Vertrauen lernen.  Glaube ist nicht nur ein Gefühl, es kann sich auch in Gefühlen mit ausdrücken, aber in allererster Linie ist es auch eine Entscheidung tatsächlich sich darauf zu verlassen und das ist so ein Miteinander: wenn ich erst mal diese Schritte darauf zu mache, dann kommt auch ganz viel wieder zurück.

Und ich glaub auch eine Entscheidung , die man immer wieder neu treffen muss,oder?

Definitiv, definitv. Aber eine Entscheidung, die sich lohnt.

Du hast ja die Bibel mit dabei gehabt auf deiner Reise und die hattest du vorher auch nicht gelesen. Für die Emmausjünger ist ja die Schrift, die ihnen Jesus dann auslegt auch eine ganz wichtige Hilfe um Gott besser zu verstehen, warum Dinge so kommen mussten.

Das Schöne ist, ich hatte in Südamerika dann einige Leute kennengelernt:Ich muss ehrlich sagen  ohne diese Wegbegleiter, so wie Jesus den Jüngern dort in Emmaus die Schrift ausgelegt hat, ohne diese Leute, auch die ich so an meiner Seite gehabt hätte, wäre es sehr viel schwieriger gewesen. Was wichtig war, war aber nicht nur diese Auslegung, sondern auch das Vorleben, also das Leute einfach diese Gastfreundlichkeit gelebt haben, diese Nächstenliebe, diese Vergebung und das zu sehen, dass andere Leute das machen und damit ein Leben lang unglaublich gut gefahren sind, dass sie beeindruckende Leute und Persönlichkeiten sind hat in mir dann eben auch dieses Vertrauen geweckt, ok wenn die das können, dann kann ich das vielleicht auch.

Du hast ja selbst dann ein Buch geschrieben, das heisst: „Mit 50 Euro um die Welt“[1], das wurde Spiegel – Bestseller. In dem Buch schreibst du zu einer Situation in Argentinien Da wirst du von Straßenhunden angegriffen und da schreibst du: „Zwar war ich mittlerweile mehr denn je davon überzeugt, dass mich nach dem Tod ein unvorstellbar viel besseres Leben im Himmel erwartete, doch jetzt gerade merkte ich, dass ich doch ziemlich an meinem Erdenleben hing.[2]

Ja genau.

Das kann ich sehr gut verstehen. Aber dieser Satz zeigt eben auch: du hast einen starken Glaube an die Auferstehung , die wir jetzt an Ostern feiern. Und die Jünger im Evangelium, die drücken es so aus: „Der Herr ist wirklich auferstanden“(Lk 24, 34).Glaubst du das?

Amen. Ja glaub ich. Paulus schreibt es: Wir werden dann von Angesicht zu Angesicht sehen  und einfach die Größe, die Grandiosität und die Schönheit Gottes von Angesicht zu Angesicht sehen. Um das noch mal runter zu brechen: Der Himmel im christlichen Verständnis ist Beziehung mit Gott.

In dem Buch schilderst du  und sagst: „Ich glaube, dass Gott allein uns retten kann […]  Ich glaube, dass wir uns keineswegs selbst retten können. Das zu versuchen schiebt nur noch mehr Leistungsdruck auf uns. Ansprüche und Erwartungen, denen wir nicht gerecht werden können.[3]“ – Ist das nicht eine total zentrale Botschaft für unsere Leistungsgesellschaft auch hier in Deutschland?

Ja, absolut.  Wir denken wir müssen was tun, um geliebt zu sein – und die christliche Botschaft ist: du bist geliebt, du musst gar nichts mehr tun, du bist so geliebt, obwohl du vielleicht alles falsch gemacht hast. Trotzdem ist Gott in die Welt gekommen und ist für dich gestorben und auferstanden. Du bist kostbar, du bist einzigartig und du bist wertvoll. Und dich hatte Gott schon von Anfang an im Plan, als er die Welt geschaffen hat.

Du hast da einen ganz tollen Satz in deinem Buch geschrieben: „Liebe kann man nicht durch Leistung kaufen, das ist eigentlich jedem klar und deswegen kann man auch Gottes Liebe nicht durch Leistung kaufen[4].“

Liebe kann man nicht kaufen, und trotzdem probieren wir das. Mit Geld zwar nicht, aber dann trotzdem wieder mit Leistung irgendwie uns Liebe zu verdienen und sagen: Naja, jetzt muss die Person mich doch mal mögen, wie ich mich anstrenge und projizieren das auch von unseren menschlichen Beziehungen auf die Gottesbeziehung.

Du warst auch in Krisenregionen unterwegs, du schilderst vom Nahen Osten ganz eindrücklich auch von einem Attentat, das du fast mitbekommen hast. Kommen dir da manchmal Zweifel, dass du sagst: Gott wo bist du in dem ganzen Elend dieser Erde?

Ich glaube tatsächlich der Grund, warum wir Leid haben ist einer, den wir Menschen nicht unbedingt nachvollziehen können, wo wir wirklich einen Vertrauensschritt machen müssen. Aber gleichzeitig gewiss sein dürfen: Wir sind nicht alleine. Für Gott ist das Leid so dramatisch, dass er selbst in diese Welt gekommen ist um ein Teil dieses Leidens zu werden. Das Leid ist Gott nicht egal, es geht im absolut nahe. Warum er es noch nicht abgeschafft hat, er alleine weiß es, aber was ich weiß ist, dass er es tun wird, das verheißt ja die Bibel. Das ist ja die Hoffnung die wir haben. Und das ist die Hoffnung, die wir an Ostern immer noch mal wieder neu haben. Es gibt einen Tag, da wird Gott jede Träne abwischen und alles Leid, der Tod ist vergangen, alles Schlimme ist nicht mehr.

Du hast viel Elend gesehen, aber andererseits: du hast natürlich auch wunderschöne Sachen gesehen. Was hat dich am meisten beeindruckt? Was war für dich der schönste Ort der Welt?

Also wenn man ne Weile unterwegs ist, dann weiss man dass der schönste Ort der ist mit den tollsten Leuten. Die Landschaften, super tolles Essen – „ Liebe geht durch den Magen“ sagt man ja auch -  ist definitiv nicht unerheblich, aber wenn du mit den richtigen Leuten unterwegs bist, dann kannst du egal in was für einer Situation, egal an was für einem Ort sein , und es ist immer toll.  Zu Hause ist dort , wo einen die Menschen lieben.

Wo glaubst du findest du Gott jetzt in deinem Alltag, in deiner Arbeit , in deiner Berufung – wo begegnest du ihm?

Also ich würde so sagen es gibt drei Orte- einer ist der ganz Klassische: Gebet. Der zweite ist tatsächlich auch das Bibellesen und Kennenlernen. Und der dritte- und das ist ganz, ganz wichtig -  im Umgang mit anderen Menschen. Immer wenn sich Leute sehe, die sich für andere einsetzen, dann finde ich kommt da immer so ein Stück weit Himmel auf Erden und gleichzeitig wenn wir das auch tun, dann können wir ein Teil davon werden eben dieses Himmelreich auf Erden auch größer zu machen und zu verbreiten.

Du machst das  ja unter anderem auch mit dem Erlös aus deinem Buch, du spendest 80% aus dem Bestseller, das ist ja jetzt mittlerweile einiges, was da zusammengekommen ist,…

überraschend, ja!

 …für ein Projekt im Tschad. Kannst du erklären: Was ist das für ein Projekt und warum liegt es dir am Herzen?

Im Tschad ist ganz viel noch diese Frauenbeschneidug und das meistens so im Alter von 10 bis 13 Jahren und für die Mädchen ist das ganz ganz schlimm. Die können ein Leben lang nicht mehr richtig auf Toilette gehen, jeder sexuelle Verkehr ist eine absolute Qual, also wirklich grausam und viele von denen wollen deswegen auch weglaufen, aber du kannst ja nicht nirgendwo hin. Das Projekt, in das ich spende, heißt „ Beth Elpia“ – „Haus der Hoffnung“. Und die bauen eben diese Zufluchtshäuser für die Frauen, wo sie dann dort hinkönnen, aufgenommen werden, einen Beruf lernen, dass sie sich auch selber tragen können.

Allerletzte Frage, Christopher: Du schreibst in deinem Buch: „Mein nächstes Abenteuer beginnt jetzt.[5]“ Was ist es?

Jeder Alltag hat so seine ganz eigenen Abenteuer und Reize und wo wir fast sagen würden: „Ja ist ja normal irgendwie“ und spielen wir wieder runter und „anderen Leuten geht’s doch auch so.“  Aber nein: das Leben ist einfach absolut besonders, und jeder Tag ist einzigartig.Und wirklich jeder Tag ist ein Abenteuer, wenn wir uns drauf einlassen, kein Tag ist wie der andere. Jeder Tag ist besonders und jeder Tag hat seine eigenen Herausforderungen – und Abenteuer, das hab ich dann auch dort geschrieben, ist nicht sich bewusst irgendwelchen Risiken auszusetzen, sondern sich auf das Unerwartete einzulassen, das einem begegnet.

Unerwartet ist auch die aktuelle Situation, die unseren Alltag stark verändert. Vielleicht kann das Gespräch mit Christopher Schacht, dass wir vor der Coronakrise aufgezeichnet haben, auch  Mut machen aus dem Glauben Kraft zu schöpfen: Ostern schenkt Hoffnung, gerade in dieser schwierigen Zeit. Jesus ist nicht nur mit den Emmausjüngern damals unterwegs gewesen, er ist auch heute mit jedem Einzelnen von uns. Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Ostermontag!  

 

[1]Schacht, Christopher: „Mit 50 Euro um die Welt. Wie ich mit wenig in der Tasche loszog und als reicher Mensch zurückkam“. adeo-Verlag, Asslar 2018

[2]Schacht, Christopher: „Mit 50 Euro um die Welt. Wie ich mit wenig in der Tasche loszog und als reicher Mensch zurückkam“. adeo-Verlag, Asslar 2018

[3]Schacht, Christopher: „Mit 50 Euro um die Welt. Wie ich mit wenig in der Tasche loszog und als reicher Mensch zurückkam“. adeo-Verlag, Asslar 2018 

[4]Schacht, Christopher: „Mit 50 Euro um die Welt. Wie ich mit wenig in der Tasche loszog und als reicher Mensch zurückkam“. adeo-Verlag, Asslar 2018  

[5]Schacht, Christopher: „Mit 50 Euro um die Welt. Wie ich mit wenig in der Tasche loszog und als reicher Mensch zurückkam“. adeo-Verlag, Asslar 2018 

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10APR2020
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Ein Gespräch mit Klinikseelsorger Joachim Schmid, Tübingen

– ein Gespräch mit dem Tübinger Klinikseelsorger Joachim Schmid und Pfarrerin Karoline Rittberger-Klas von der Evangelischen Kirche.

Rittberger-Klas:
Der Karfreitag ist ein äußerst sperriger Feiertag. Die Geschichte vom Sterben Jesu erzählt von Schuld und Sühne, vom Leiden und von der Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind. Alles keine angenehmen Themen. Der Karfreitag stellt vieles in Frage. Und er lässt einen – auf jeden Fall mich – mit vielen Fragen zurück. Über den Karfreitag spreche ich heute mit Joachim Schmid. Er ist evangelischer Pfarrer und Krankenhausseelsorger an der Tübinger Uniklinik.
Herr Schmid, Sie sind schwerpunktmäßig auf den Stationen der psychiatrischen Klinik unterwegs. Dort haben Sie mit Menschen in besonderen Krisensituationen zu tun. Welche Erfahrungen machen Sie da mit dem Karfreitag?

Schmid:
Viele psychisch erkrankten Menschen leiden unter extremen Schuldgefühlen. Besonders in depressiven Phasen ist das bedrückende Gefühl übermächtig, anderen Menschen, sich selbst und auch Gott nicht zu genügen. In Psychosen kann das dann soweit gehen, dass Patienten unter Wahnvorstellungen und Stimmen leiden, die ihnen sagen, dass sie verantwortlich seien für Schreckliches und Böses in der Welt. Ich habe einen Patienten kennengelernt, der mir sagte, er hätte Jesus ans Kreuz geschlagen. Eine andere Patientin äußerte sich wütend und bedrückt zugleich, etwa so: „Ich will aber nicht, dass da an Karfreitag ein anderer für mich stirbt! Ich will überhaupt nicht, dass jemand leidet und stirbt.“ Ich kann das auch nachvollziehen, unabhängig von einer Krankheit.

Rittberger-Klas:
Der Karfreitag als Herausforderung, ja als Überforderung – ich glaube, das geht durchaus auch anderen Menschen so, die nicht an einer psychischen Erkrankung leiden. Nicht wenige Menschen haben ja mit der Betonung der Sünde in der Kirche ihre Probleme. Ich glaube, es ist gut, diese Empfindungen ernst zu nehmen. Vielleicht mahnt uns das, mit der Wucht der Karfreitagsthemen „behutsam“ umzugehen, ohne sie zu verdrängen...

Schmid: Den anderen mit seinen, mit ihren Gefühlen und Gedanken annehmen, darin sehe ich meine Aufgabe als Seelsorger allgemein – aber natürlich besonders in der Psychiatrie. Es gibt nicht wenige Patienten – und das nicht nur in der Psychiatrie – die ihre Krankheit als eine Strafe Gottes ansehen oder sogar erleben. Dagegen möchte ich – gerade in unseren Tagen – daran festhalten: Krankheit, egal welche, ist keine Strafe Gottes. Die ersten Christen haben den Kreuzestod Jesu mit dem alten Prophetenwort von Jesaja gedeutet: „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden haben.“ (Jesaja 53,5) Christen erkennen im Kreuz die Befreiung von Sünde und die Befreiung von Bestrafung durch Schicksalsschläge. Das Kreuz Jesu steht für mich als Zeichen der Versöhnung und des Friedens.

Rittberger-Klas:
Sie sind nicht nur in der Psychiatrie unterwegs, sondern auch auf andere Stationen in der Klinik. Erleben Sie da auch Situationen, wo Patientinnen und Patienten die Geschichte vom Karfreitag für sich als hilfreich, als tröstlich empfinden?

Schmid:
Neulich sagte mir eine Tumorpatientin, die erfolgreich operiert werden konnte, aber dennoch eine unsichere Prognose hat, dass sie gerade in der Passionszeit auch eine Dankbarkeit für das Leben spüre, das ihr noch geschenkt ist. Ich erlebe es immer wieder, dass Menschen ihr Leid in der Krankheit in den Horizont des Leidens Jesu am Kreuz bringen: Da ist einer, der selbst leidet, ja sogar den grausamen Foltertod stirbt, und der mich nicht verlässt in dem, was mir widerfährt, sondern mir zur Seite steht.
Ein junger Mann, der von meiner Kollegin in seinen letzten Tagen seelsorgerlich begleitet wurde, und in seinem Leben immer zuversichtlich im Glauben war, hatte an Karfreitag plötzlich keine Kraft mehr zu beten. Geholfen hat ihm die Zusage, dass Christus selbst nun in ihm betet und singt. Ich bleibe hier und wache mit dir, wache und bete – also eine Abwandlung des Taizé-Liedes, darin konnte sich der junge Mann aufrichten und seinen Frieden finden.

Rittberger-Klas: Was bedeutet für Sie persönlich Karfreitag? Hat sich Ihr eigener Zugang zur Geschichte vom Sterben Jesu auch verändert durch ihre Arbeit in der Klinik?

Schmid:
Es ist mir bewusster geworden: Gott selbst leidet und stirbt am Kreuz. In einem alten Kirchenlied hieß es früher: „O große Not, Gott selbst liegt tot“. Es wurde dann etwas abgemildert später zu „Gotts Sohn liegt tot“. Aber dass Gott selbst leidet, dass Gott nicht nur allmächtig ist, sondern ohnmächtig stirbt, seine Verlassenheit klagt – in Jesu Worten „mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – das erlebe ich in schweren seelsorgerlichen Situation als sehr tröstlich. Es gibt keinen Ort und keine Not, weder in der Klinik noch sonst wo, wo Gott nicht sagt: „Ich bin da, ich bin bei dir. Selbst im Tod verlasse ich dich nicht!“

Oder lassen Sie mich mit dem bekanntesten Patienten der Psychiatrie antworten, mit dem Jubilar, Friedrich Hölderlin, der zu Karfreitag – ich habe das neulich erst entdeckt – die sehr treffenden Gedichtzeilen verfasst hat:

Allversöhnend und still mit den armen Sterblichen ging er,
Dieser einzige Mann, göttlich im Geiste, dahin.
Keines der Lebenden war aus seiner Seele geschlossen,
Und die Leiden der Welt trug er an liebender Brust.
Mit dem Tod befreundet' er sich, im Namen der andern
Ging er aus Schmerzen und Müh siegreich zum Vater zurück.

Rittberger-Klas:
Hölderlin – auch zum Karfreitag... Ich habe den Eindruck, in diesen Wochen sind ja nicht nur die Menschen, die als Patienten im Krankenhaus liegen, in einer Ausnahmesituation. In gewisser Weise ist das ganze Land im Krisenmodus, ganz besonders aber alle, die im medizinischen Bereich tätig sind. Wie erleben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen das in der Klinik?

Schmid:
Dass Patienten keinen Besuch von ihrer Familie und von Freunden bekommen können, das ist eine sehr große Belastung. Wenn man krank ist, wünscht man sich die Nähe seiner Liebsten und nur behelfsweise kann das überbrückt werden durch Telefon oder Videoschaltung. Es bleibt aber keine andere Alternative. Wir Krankenhausseelsorger müssen auf Gottesdienst im Radio, im Internet, im Fernsehen verweisen, verteilen einen Ostergruß, eine Meditation und ein Gebet, in schriftlicher Form, und stehen den Patienten zur Seite, soweit es uns möglich ist. Das hat eine Doppeldeutigkeit, „soweit“: Die Hilflosigkeit mit auszuhalten, und dennoch nicht in einer Lähmung zu erstarren, ist keine leichte, aber eine gebotene Aufgabe. Aber ich bin überzeugt, dass Gebet und Segen auch eine räumliche Trennung überwinden.

Wir sind in diesen Tagen auch besonders für Mitarbeitende in der Pflege, für Ärztinnen und Ärzte und andere im Krankenhaus arbeitende Menschen da, stehen mit Gesprächsangeboten, Ritualen zur Seite, um die enorme Belastung auszuhalten, dass sie ausgesprochen werden kann.

Rittberger-Klas:
Sie haben das vorhin ja schon angesprochen: In der christlichen Tradition ist der Karfreitag ja nicht abgekoppelt von Ostern zu verstehen, nicht abgekoppelt von der Erfahrung von Leben, von Auferstehung, von neuem Leben. Insofern ist die Leidensgeschichte Jesu auch Teil einer Hoffnungsgeschichte. Gibt es für Sie eine Bibelstelle, die das besonders gut zum Ausdruck bringt?

Schmid:
Vielleicht kein typisches Karfreitagswort des Apostels Paulus, aber für mich spricht es gerade in diesen Tagen sehr deutlich: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“ (1. Korinther 13,12)

Und weil wir, wie sie schon sagten, den dunklen Karfreitag nur im Licht von Ostern feiern können, lassen Sie mich meinen eigenen Konfirmandenspruch noch zitieren, auch von Paulus, aus dem Römerbrief: „Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben.“ (Römer 15,13)

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25DEZ2019
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Rittberger-Klas: „Kommet – ihr Hirten, ihr Männer und Frauen“, so heißt es im Weihnachtslied, das in den Stall von Bethlehem einlädt. In evas Stall in Stuttgart haben sich auch in diesem Jahr an Heiligabend wieder rund tausend Menschen einladen lassen. Um miteinander Weihnachten zu feiern – mit allem, was dazugehört: Kaffee und Gebäck, Saitenwürstle und Kartoffelsalat, Krippenspiel und Geschenke. Und einem festlichen Gottesdienst in der Stuttgarter Leonhardskirche. Seit vielen Jahren lädt die Evangelische Gesellschaft in Stuttgart zu dieser besonderen Weihnachtsfeier ein.

Herr Käpplinger, Sie sind als Vorstandvorsitzender der Evangelischen Gesellschaft nicht nur hauptverantwortlich für evas Stall, sondern Sie waren an Heiligabend auch wieder mittendrin. Was war denn für Sie persönlich der Höhepunkt des Abends?

Käpplinger: Das war der Moment, als unmittelbar vor dem Segen, am Ende des Gottesdienstes, in der Kirche eine konzentrierte Ruhe eingekehrt ist, deren Energie körperlich zu spüren war. Und nach dem Segen hat sich diese Energie im gemeinsamen Singen von O du fröhliche kraftvoll in einem wunderbaren Gemeinschaftserlebnis entladen.

Rittberger-Klas: Das war sicher ein besonderer Moment – wer kommt denn eigentlich in evas Stall und dann nachher auch in die Leonhardskirche, um dort mit ihnen Weihnachten zu feiern? Tausend Menschen, das sind ja viele – wo kommen die alle her?

Käpplinger: Es kommt die ganze Vielfalt zusammen, die gemeinsam unsere Menschheit ausmacht – wobei es schon einen Schwerpunkt gibt: Das sind Menschen, die arm sind, die allein und deshalb oft einsam sind.

Rittberger-Klas: Führt denn Armut zu Einsamkeit?

Käpplinger: Ja, Armut führt deshalb auch zu Einsamkeit, weil arme Menschen nicht unbedingt ausgegrenzt werden, aber sich ausgegrenzt fühlen. Ein kleines Beispiel: Wir laden manchmal Menschen zu uns nach Hause ein – das machen Sie vielleicht genauso wie ich. Wenn ich aber immer derjenige bin, der eingeladen wird, und ich die Gegeneinladung nie aussprechen kann, dann kann es dazu führen, dass ich mich von allein zurückziehe, weil ich mich schäme. Ich kann nichts zurückgeben, dieses Gefühl „ich kann nicht so wie die anderen“, verstärkt zur Armut dazu das Gefühl des Nicht-Dazugehörens – und in der Folge führt das zur Einsamkeit.

Rittberger-Klas: Sind es denn nur arme Menschen – oder sind auch ganz andere Leute dabei, die auch gerne so Weihnachten feiern, in dieser besonderen Weise – oder es auf jeden Fall tun.

Käpplinger: Es gibt ja auch die Armut an Gemeinschaft. Es sind auch Menschen darunter, die alleine leben, deren Geldbeutel vielleicht gar nicht so angespannt ist, aber die niemanden haben, mit dem sie gemeinsam diesen Tag, dieses besondere Fest verbringen können. Und dann suchen sie die Gemeinschaft, die Nähe zu anderen, um zu spüren: Ich bin gar nicht alleine.

Rittberger-Klas: Der christliche Glaube setzt ja in vielen seiner Ausdrucksformen auf Gemeinschaft – das fängt an beim Gottesdienst, ganz besonders, wenn Abendmahl gefeiert wird. Ein symbolisches gemeinsames Essen mit im Zweifelsfall fremden Menschen. Kommunion sagt man in der katholischen Kirche – Gemeinschaft, der Name ist Programm.

Ist das in unserer hochindividualisierten Gesellschaft ein Problem, das wir als Christen und als Kirche so sehr das Gemeinsame betonen, obwohl das vielleicht viele gar nicht mehr wollen: zur selben Zeit dasselbe tun. Oder ist es andersherum gerade heute eine Chance, das zu betonen?

Käpplinger: Ich möchte die Chance betonen. Ich nehme nämlich wahr, dass es viele Menschen gibt – gerade in unserer hochindividualisierten Gesellschaft –, die danach suchen und streben, gemeinsam mit anderen Menschen Dinge zu erleben und zu teilen – und zwar durchaus zur gleichen Zeit und am gleichen Ort. Denken Sie an Events wie Rock am Ring, Großkonzerte in Stadien – oder die wöchentlichen Inszenierungen rund um Fußballspiele. Dort gibt es feste Rituale – da gehört übrigens auch das gemeinsame Singen dazu! Beim Stall erleben unsere Besucherinnen und Besucher genau das: Viele andere kommen so wie ich zusammen. Wir warten gemeinsam auf die Stunde, in der Gott ein Mensch wird, und wir freuen uns darüber, nicht allein, sondern zusammen mit den anderen – und dann macht es viel mehr Spaß.

Rittberger-Klas: Wenn Sie auf die biblische Überlieferung schauen – was ist für Sie die wichtigste Geschichte oder der wichtigste Gedanke, wenn es ums Thema Gemeinschaft geht?

Käpplinger: In unserem Alltag sind es ja meist recht homogene Gruppen, in denen wir zusammenkommen, um gemeinsam etwas zu erleben oder gemeinsam etwas zu tun. In der Bibel sind es dagegen oft ganz unterschiedliche Menschen, die da zusammengebracht werden – und dadurch entsteht eine ganz andere Form von Gemeinschaft, nämlich die Gemeinschaft der Verschiedenen, die einzig geeint werden durch den Glauben an Gott, den Schöpfer, der in Jesus ein Mensch wird wie wir.

Rittberger-Klas: Haben Sie da eine Geschichte vor Augen, wo das besonders deutlich wird?

Käpplinger: Ja, ich denke da immer an die Erzählung von Zachäus. Von diesem Zöllner, der reich war, aber ausgegrenzt, weil die anderen Menschen ihn mieden – aus durchaus guten Gründen. Und was macht dann Jesus: Er lädt sich zu ihm nach Hause ein an seinen Tisch, er übt Gemeinschaft mit ihm, der draußen war, und holt ich so wieder zurück in die Gemeinschaft. Und dieses Gemeinschaftserlebnis führt ja bei Zachäus dazu, dass er von selber aktiv wird. Da gibt es gar kein „du solltest, du musst mal...“, da gibt es gar keine Forderung an ihn. Er wird aus eigenem Antrieb aktiv und spürt, wie gut es tut, dazu zu gehören.

Rittberger-Klas: Der Gedanke von Gemeinschaft, das steckt ja in der Zachäusgeschichte am Ende doch auch mit drin, hat im christlichen Glauben ja auch noch den anderen, sehr praktischen Aspekt von Helfen und Teilen - der diakonische Gedanke, aus dem heraus auch die Evangelische Gesellschaft in Stuttgart entstanden ist. Wie erleben Sie es: Ist der diakonische Gedanke heute in der Gesellschaft noch plausibel? Sehen sich Menschen da selbst noch in der Verantwortung für andere, die in Not geraten?

Käpplinger: Ich glaube, der diakonische Gedanke – was bei uns als Motto heißt „Der Dienst am Nächsten“ – der ist nach wie vor nötig, damit Menschen nicht vergessen werden und auch nicht verloren gehen. Es gibt Gott sein Dank immer Menschen, die wissen und wahrnehmen, dass ihr persönliches Wohlergehen auch eine Verantwortung beinhaltet. Und zwar für die Mitmenschen, denen es weniger gut, ja denen es schlecht geht. Manche engagieren sich deshalb ehrenamtlich und bringen ihre Zeit und ihr Know-How ein. Manche ergreifen einen sozialen Beruf und kümmern sich professionell um die Wahrung der Würde des Mitmenschen. Und wieder andere unterstützen Einrichtungen wie die eva, indem sie uns von ihrem Geld abgeben und so unsere Arbeit, diesen „Dienst am Nächsten“, erst möglich machen.

Rittberger-Klas: Nochmal zurück ganz konkret zur Weihnachtsfeier in evas Stall. Was nehmen Sie mit aus diesen Stunden, die sie da gemeinsam mit so unterschiedlichen Menschen verbringen für den Rest des Jahres?

Käpplinger: Im Johannesevangelium heißt es einmal: Der Wind weht, wo er will – damit ist ja der Heilige Geist gemeint, der weht, wo er will. Im Stall, da weht dieser Wind. Da ist es zu spüren und bewirkt, dass Menschen, die sonst oft einsam sind – und sich auch so fühlen – sich getragen fühlen. Wie mit Flügeln unter den Armen, aufgehoben in einer Gemeinschaft, die man nicht anordnen kann, die man nur erleben kann. Und dass, obwohl ihre Probleme, zum Beispiel die Tatsache, dass sie arm sind und dass sie am Rande, teilweise außerhalb unserer Gesellschaft leben müssen, damit nicht beseitigt wird. Ich nehme daraus mit, dass wir täglich für die Würde aller Menschen einzustehen haben. Und ich nehme daraus mit, dass unsere Arbeit – das Gebet und die Tat, also dieser Einsatz im Dienst am Nächsten, sehr sinnvoll ist und bleibt.

 

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