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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

06JUL2023
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„Jeder Mensch hat einen Namen“ – so heißt ein Heft, das die Hilfsorganisation „United for Rescue” herausgegeben hat. Die Helfer retten Flüchtlinge vor dem Ertrinken. In dem Heft werden 20 Menschen mit Namen vorgestellt. 20 der 20.000, die seit 2014 auf ihrer Flucht im Mittelmeer ertrunken sind. Menschen wie Zahair, der mit seiner Mutter und seinen drei Geschwistern aus Afghanistan geflohen war. Sein Boot sank am 16. März 2018 vor der griechischen Küste. Er wurde acht Jahre alt.

Jeder Mensch hat einen Namen: Wenn ich jemanden mit Namen kenne, macht das einen Unterschied. Er ist dann nicht mehr Teil einer anonymen Masse, sondern ein unverwechselbarer Mensch. Und es ist nicht mehr so einfach, sein persönliches Schicksal zu ignorieren oder ihm Gewalt anzutun.

Nicht umsonst bekamen im Nationalsozialismus die Menschen, die in Lagern gequält und getötet wurden, statt ihres Namens eine Nummer eintätowiert. Eine Zahl zu sein statt einen Namen zu tragen, das nimmt einem Menschen die Würde. Und ein Mann, der im Krieg war, hat mir vor langer Zeit erzählt, dass es schrecklich war, wenn sie durch irgendeinen Zufall die Namen derer aufgeschnappt haben, gegen die sie kämpfen mussten. Es ist so viel schwerer, auf jemanden zu schießen, den man mit Namen kennt.

Ich habe dich bei deinem Namen gerufen – in einem Vers aus der Bibel im Buch Jesaja sagt das auch Gott. Er sagt es zu seinem Volk, den Israeliten. Denn die kommen sich in dem Moment verloren vor und vergessen. Als wären sie nur Teil einer anonymen Masse, und niemand kümmert sich, was mit ihnen geschieht. Aber Gott kennt sie beim Namen. Für ihn ist jeder Mensch einzigartig. Auch jeder und jede von uns heute. Er kennt meinen Namen und verleiht mir damit eine besondere Würde. Fürchte dich nicht, sagt Gott, ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.

Mir tut der Gedanke gut. Und es tut mir auch im Alltag gut, wenn jemand meinen Namen kennt. Wenn ich irgendwo noch ziemlich neu bin und jemand sich dann erinnert: „Karoline, oder?“, dann fühle ich mich gleich willkommen.

Jeder Mensch hat einen Namen. Und Gott kennt jeden einzelnen Menschen mit Namen. Deshalb finde ich es so wichtig, dass auch wir auch in der großen Masse immer wieder den einzelnen Menschen und sein Schicksal sehen – wie genau diesen einen kleinen Jungen, der Zahair hieß und der auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken ist.

Und es ist auch gut, wenn wir einander beim Namen nennen. Und diejenigen, die uns neu begegnen, nach ihrem Namen fragen. Gerade auch die Leute, die uns erstmal fremd sind. Ja, es ist gut, sie mit Namen ansprechen und ihnen so zeigen: Ich sehe dich mit deiner ganz eigenen Würde. Du und ich – wir sind beide einzigartige Menschen. Und ich will ich dich mit Respekt behandeln.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05JUL2023
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Manche Leute haben wirklich jede Menge Energie. Ich staune, was sie alles gleichzeitig machen. Beruf, Familie, Hobbys und noch ein Ehrenamt…

Aktiv zu sein, viel zu machen steht bei uns hoch im Kurs. Wer das kann, gilt als stark und erfolgreich. Und der Sinn des Lebens besteht für viele darin, möglichst viel rauszuholen aus der Lebenszeit.

Aber – frage ich mich – was ist mit den weniger Energiegeladenen? Den Normal-Aktiven? Und noch schlimmer: Was ist mit der Zeit im Leben, in der gar nichts mehr geht? Wenn Dinge geschehen, die man nicht ändern kann – auch wenn man sonst noch so aktiv und rührig ist?

Immer wieder treffe ich Menschen, die in sehr schwierigen Situationen stecken. Die eine Trennung verkraften müssen. Die eine Krankheit haben, die ihr Leben umkrempelt. Manchen raubt das die letzte Kraft. Und ich staune, wie es ihnen trotzdem gelingt, ihr Leben zu leben – trotz und mit ihrer Trauer, ihrer Wut, ihrer Verunsicherung. Was hilft ihnen dabei?

Der Theologe Jörg Zink hat sich darüber Gedanken gemacht. Ob wir mit Leid umgehen können, sagt er, kommt auch darauf an, ob wir darin geübt sind. Aber, stellt er fest: „Es ist heute schwer, darin geübt zu sein“. Das liegt einerseits daran, dass es mehr Möglichkeiten gibt als früher sich abzulenken von Traurigkeit oder Angst oder schweren Gedanken. Andererseits, so Zink, liegt es auch daran, dass „niemand unter uns einen Sinn darin sieht, leiden zu können. Noch nie“, schreibt er, „haben die Menschen einander so einseitig gewertet wie heute. Unter uns ist einer so viel wert, wie er leistet.“

Ich finde, was Jörg Zink schreibt, ist sehr bedenkenswert. Denn tatsächlich besteht mein Leben ja nicht nur aus den Zeiten, in denen ich aktiv sein kann. Es gibt auch die anderen – auf jedem Fall ganz am Anfang und ganz am Ende des Lebens, aber auch dazwischen. Zeiten, in denen ich angewiesen bin auf andere. Zeiten, so schreibt Zink, „in denen es wichtiger ist, geduldig zu sein als tüchtig, besser, Schmerzen gewachsen zu sein als zu arbeiten, nötiger … die Einsamkeit einer Nacht auszuhalten als am Tage mitzureden.“ Diese Zeiten, sagt Zink, sind uns fremd geworden, aber er ist überzeugt: Diese Zeiten „sind es, in denen sich zeigt, wer wir in Wahrheit sind.“

Kann man sich also tatsächlich darin üben, mit Leid umzugehen? Ich glaube: Wie ich auf einen schlimmen Schicksalsschlag reagiere, das habe ich nicht im Griff. Aber wie Jörg Zink glaube ich auch: Es ist wichtig, die schweren Seiten des Lebens nicht zu verdrängen – auch und gerade dann, wenn es mir gut geht. Und nie zu vergessen: Du bist mehr als das, was du tust oder leistest! Viel mehr…

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04JUL2023
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Tanzen finde ich großartig. Neulich hatte ich mal wieder einen Abend lang die Gelegenheit dazu. Die Musik, der Rhythmus, die vorbeiwirbelnden Körper und die lachenden Gesichter – das holt mich ganz ins Hier und Jetzt. Ich mag es, mit anderen zusammen zu tanzen oder auch ganz frei – und dabei meinen Körper zu spüren. Schade, habe ich mir wieder gedacht, dass ich das nicht öfter mache.

Tanzen ist uns Menschen offenbar in die Wiege gelegt: Überall auf der Welt und in allen Kulturen wird getanzt. Und das Tanzen gehört fast immer auch ganz selbstverständlich zur Religion dazu. Auch in der Bibel ist das zu lesen. Schon damals haben die Menschen Gott nicht nur mit Worten gelobt. Singt dem Herrn ein neues Lied, heißt es da in einem Psalmgebet, tanzt im Kreis, lobt fröhlich seinen Namen (Psalm 149,3). Ja, Beten ist nicht nur etwas für den Kopf, sondern Singen, Sprechen und Tanzen in einem! Aus dem gesprochenen Lobgebet wird ein Freudenausbruch, der den ganzen Körper erfasst – ein Fest, das das Leben feiert. Die Idee gefällt mir.

Tanzen gehört also zum Leben – und zum Glauben. Die Sozialarbeiterin und engagierte Christin Madeleine Delbrêl hatte sogar den Gedanken, dass das ganze Leben im Vertrauen auf Gott einem Tanz gleichen sollte. Sie hat darüber ein Gebet geschrieben.

Wenn wir wirklich Freude an dir hätten, o Herr, heißt es da

könnten wir dem Bedürfnis zu tanzen nicht widerstehen.

Um gut tanzen zu können, braucht man nicht zu wissen, wohin der Tanz führt.

Man muss ihm nur folgen, darauf gestimmt sein, schwerelos sein.

Sich selbst und die eigenen Pläne mal zurücknehmen, Vertrauen haben und sehen, wohin man geführt wird: Mit einer so tänzerischen Haltung ans Leben heranzugehen, ist nicht immer leicht. Das wusste Madeleine Delbrêl auch. Deshalb hat sie ihr Gebet auch als Bitte formuliert.

Gib, so bittet sie Gott, dass wir unser Dasein leben

nicht wie ein Schachspiel, bei dem alles berechnet ist,

nicht wie einen Lehrsatz, bei dem wir uns den Kopf zerbrechen,

sondern wie ein Fest ohne Ende, bei dem man dir immer wieder begegnet… 

Das ist eine große Bitte. Ich fange mal damit an, wieder öfter zu tanzen. Vielleicht auch einfach durch die Küche. Denn wie sogar der strenge Theologe Augustinus schon in der Antike gesagt hat:

Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmeln nicht mit dir anzufangen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

03JUL2023
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Macht reich sein glücklich? Studien haben herausgefunden: Ja – aber nur bis zu einem gewissen Maß. Auch reiche Leute haben ihre Probleme und machen sich selbst das Leben schwer. Immer mehr Besitz bedeutet nicht immer noch mehr Glück.

Bei Jesus in der Bibel klingt es sogar so, als sei das Gegenteil der Fall. Vielleicht kennen Sie seinen berühmten Ausspruch: Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes hineinkommt (Lukas 18,25). Das hat Jesus einem wohlsituierten Mann geantwortet. Der Mann, einer der tonangebenden Leute in der Jerusalemer Stadtgesellschaft, hat ihn gefragt hat, wie er das „ewige Leben“ bekommen kann. Dabei ging es sicher nicht nur um das, was nach dem Tod kommt. Bei Jesus war nämlich klar: Das Leben mit Gott fängt schon hier und jetzt an. Die Frage, die der reiche Mann gestellt hat, war also auch: Wie kann ich heute ein gutes, sinnvolles und erfülltes Leben führen?

Jesus antwortet mit diesem verrückten Bild: Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes hineinkommt. Ich fand das immer ziemlich niederschmetternd. Ein Kamel durch ein Nadelöhr – niemals.

Aber neulich hat mir jemand erklärt, dass man das Bild vom Kamel auch anders verstehen kann. Das Nadelöhr, so hat er es mir erklärt, war zur Zeit Jesu auch der Name für eines der Stadttore in Jerusalem. Es war ziemlich eng. Und wenn eine Karawane zum Tor kam und in die Stadt wollte, dann haben die mit Waren vollgepackten Kamele nicht hindurchgepasst. Die Händler mussten die Tiere dann erst einmal entladen, ihren ihre Lasten abnehmen. Erst dann kamen die Kamele durch das Nadelöhr-Tor hindurch.

Seit ich das gehört habe, verstehe ich den Satz von Jesus neu: Reichtum, sagt er, Reichtum ist wie ein Ballast. Wer viel besitzt, viele Dinge oder viel Geld, schleppt all das mit sich herum wie in Lastkamel.

Dem Mann in der Geschichte gibt Jesus deshalb einen radikalen Ratschlag: Verkaufe alles, was du hast, und verteile das Geld an die Armen. Dazu ist der Mann nicht in der Lage. Und vermutlich auch kaum jemand von uns.

Aber wenn ich an das bepackte Kamel denke, das nicht durchs Stadttor passt, denke ich doch: Es ist gut, nicht zu viel Ballast anzuhäufen. Nichts zu kaufen, was ich nicht wirklich brauche. Mich von Dingen zu trennen, die ich nicht mehr brauche. Von meinem Geld immer wieder etwas zu spenden. Und manche Dinge mit anderen zu teilen, statt sie selbst zu besitzen. Vor allem aber: Mein Leben nicht darum kreisen zu lassen, was ich habe und was nicht. Ich glaube: Dann komme ich wirklich besser hinein in ein sinnvolles, ein wahres Leben.

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SWR2 Lied zum Sonntag

14MAI2023
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Es gibt diesen besonderen Moment kurz vor dem Einschlafen. Manchmal nehme ich ihn bewusst wahr. Der leichte Schwebezustand, der mit der großen Müdigkeit kommt – wenn alles unwichtig wird, was vorher noch so dringend schien. Ich mag diesen Augenblick. Für eine Sekunde breitet sich tiefer Frieden aus.
Daran denke ich, wenn ich dieses Loblied höre: Gelobt sei deine Treu.

Den Moment des Friedens kurz vor dem Einschlafen, den kann ich nicht selbst machen. Genauso wenig wie das Gefühl am Morgen direkt nach dem Aufwachen, wenn die ersten Gedanken sich sortieren.

Das Morgenlied erinnert mich daran: Es ist nicht selbstverständlich, am Abend loslassen zu können. Und am Morgen trotz mancher Schwierigkeiten zu spüren: Es ist gut, dass für mich ein neuer Tag beginnt. Der Frieden am Abend und das Ja zum neuen Tag am Morgen, das ist ein Geschenk, das mich, wie es im Lied heißt, einhüllt wie ein wärmender Mantel. Ein Gottesgeschenk.

Nein, nichts ist selbstverständlich, sagt das Lied. Nicht die Ruhe der Nacht, nicht, dass jeden Morgen die Sonne aufgeht. Nicht das Brot auf dem Tisch und nicht das Dach über dem Kopf. Und es gibt deshalb tausend Gründe, Gott zu danken.

Das gilt auch, vielleicht besonders dann, wenn nicht alles in Ordnung ist in meinem Leben und erst recht nicht in der Welt, in der ich lebe. Der Jugenddiakon Gerhard Fritzsche, der das Lied 1938 gedichtet hat, war sich – mehr als viele seiner Zeitgenossen – bewusst, dass Unrecht geschieht in seinem Land. Und der Bibelvers, den er seinem Lied zugrunde gelegt hat, stammt aus den Klageliedern aus dem Alten Testament. Sie sind nach der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier entstanden. Und doch heißt es da: Die Güte des Herrn ist alle Morgen neu.
Wir preisen dich und bringen dir unser Lob mit Singen, bis unser Mund im Tode schweigt.

Der Schluss des Liedes beeindruckt mich. Wie selbstverständlich hier der Tod in den Blick rückt.
Aber ich denke: Gerade die Haltung, die das Lied ausdrückt, macht das möglich. Wer jeden Morgen als neue Chance und jedes Stück Brot als Geschenk begreift, der lebt leichter. Und kann auch leichter loslassen. Und vielleicht, das hoffe ich, ist es ja am Ende des Lebens so wie am Abend, in diesem Moment vor dem Einschlafen. Wenn alles leicht wird – und sich das Herz mit Frieden füllt.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

29APR2023
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Manchmal läuft es einfach wie geschmiert. Jetzt im Frühling fahre ich wieder richtig gerne mit dem Fahrrad. Neulich war ich besonders beschwingt unterwegs. Mein altes Fahrrad schien fast wie von selbst zu fahren. Ich habe mich schon gewundert, wie viel fitter ich plötzlich geworden bin – bis mir eingefallen ist: Das Fahrrad war in der Werkstatt – und dort wurde gleich auch die Kette kräftig geschmiert. Endlich mal wieder.

Ich habe gestaunt, was für einen Unterschied so ein bisschen Kettenfett macht. Aber beim Nachdenken darüber ist mir aufgefallen: Manchmal ist das bei mir selbst ganz ähnlich, wie bei dem Fahrrad und der Kette: Manchmal braucht es nicht viel, um wieder besser voranzukommen. Dann genügt es, mal wieder richtig auszuschlafen. Oder eine längere Pause zu machen und ein gutes Buch zu lesen. Ein leckeres Essen zu kochen und in Ruhe zu essen. Oder mich mit einer Freundin auf einen Kaffee zu treffen. Danach läuft das, was ich zu tun habe, oft wieder richtig gut. Wie geschmiert eben. Und ich bin nicht nur körperlich erholt – auch mein Kopf dann arbeitet wieder deutlich besser. Und ich sehe den Aufgaben, die anstehen, auch wieder zuversichtlicher entgegen.

Tu deinem Leib etwas Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen, das hat schon vor über fünfhundert Jahren Teresa von Avila gesagt haben. Sie war Mystikerin und Nonne. Dass sie sich Gedanken über das Wohlbefinden des Körpers gemacht hat, war in ihrer Zeit und besonders in der Kirche ihrer Zeit nicht selbstverständlich. Aber Teresa von Avila hat verstanden: Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Körper, Geist und Seele. Wenn es einem von den dreien nicht gut geht, leiden die anderen mit. Deshalb ist es gut, sich um seinen Körper zu kümmern, wenn der Pflege braucht, und ihn nicht zu verschleißen.

Aber genauso gilt, dass der Geist und die Seele Nahrung brauchen, damit es ihnen gut geht. Auch Jesus hat das gewusst. In der Bibel wird erzählt, dass er sich immer wieder mal zurückgezogen hat, abseits der Menge, die ihn meistens begleitet hat. Manchmal ist er allein auf einen Berg gestiegen. Er hat sich dann Zeit für sich genommen und meistens gebetet, um wieder Kraft zu schöpfen.

An meinem Fahrrad habe ich gemerkt: Ein bisschen Fett macht das Fahren so viel leichter. Es lohnt sich deshalb, die Kette regelmäßig zu schmieren. So ähnlich ist es aber auch sonst im Leben: Damit es wieder läuft, darf ich nicht vergessen, meinem Körper und meinem Geist immer wieder etwas Gutes zu tun. Ein bisschen Kettenöl für die Seele eben.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

27APR2023
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Im Mattiswald lauern viele Gefahren. Darum ist man im Mattiswald am sichersten, wenn man sich nicht fürchtet. Das lernt Ronja, die Räubertochter aus dem Kinderbuch von Astrid Lindgren, schon als kleines Mädchen. Und fortan übt sie sich darin, keine Angst zu haben. Auf ihre ganz eigene Weise. Und die finde ich faszinierend:

Hüte dich davor, in den Fluss zu plumpsen, hatte ihr Vater ihr eingeschärft. Und darum sprang sie, so schreibt Astrid Lindgren über ihre Romanheldin, am Ufer kühn und keck von einem glatten Stein zum anderen, dort wo das Wasser am wildesten toste. Schließlich konnte sie sich ja nicht im Wald davor hüten, in den Fluss zu plumpsen. Sollte das Sich-Hüten überhaupt von Nutzen sein, dann musste sie es bei den Stromschnellen und Strudeln und nirgendwo sonst üben. Wollte sie aber zu den Stromschnellen gelangen, musste sie den Mattisberg hinabklettern, der jäh und schroff zum Fluss hin abfiel. Auf diese Weise konnte sie sich gleichzeitig darin üben, sich auch davor nicht zu fürchten.

Fürchte dich nicht – das ist auch ein typischer Satz aus der Bibel. Fürchte dich nicht – so macht Gott immer wieder Menschen Mut, die erschrocken oder überfordert sind.

Hab‘ keine Angst – manchmal sage auch ich das. Und ich meine es beruhigend. Aber wenn ich darüber nachdenke, ist es eigentlich seltsam. Als ob man jemanden, der nun mal Angst hat, dazu auffordern kann, sie nicht zu haben.

In den Geschichten in der Bibel, habe ich gemerkt, ist es eher wie bei Ronja Räubertochter. Fürchte dich nicht – sagt Gott. Aber dann gibt er den Menschen fast immer eine Aufgabe – und zwar oft die, vor der sie sich fürchten. Er schickt den Propheten Jeremia los, um vor allen Leuten zu reden, obwohl er sich dafür noch viel zu jung fühlt. Und die erschrockene Maria lässt er wissen, dass ausgerechnet sie ein ganz besonderes Kind zur Welt bringen wird.

Ja, ich glaube, Ronja Räubertochter hat Recht: Hab‘ keine Angst – dazu kann man sich oder andere nicht einfach auffordern. Aber man kann es üben – genau da, wo die Angst steckt.

Ich gebe zu: Ronjas Art zu üben, keine Angst zu haben, ist nichts für schwache Nerven. Schon gar nicht für schwache Elternnerven. Aber ich denke: Es ist gut, wenn wir einander – und auch unseren Kindern oder Enkeln – genau dazu Mut machen. So wie Gott es tut: Fürchte dich nicht – und wage etwas. Denn, wie Ronja sagt: Man kann sich nicht im Wald davor hüten, in den Fluss zu plumpsen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

26APR2023
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Irgendetwas habe ich fast immer auszusetzen an mir selbst. Ich glaube, so geht es vielen – Ihnen vielleicht auch. Irgendetwas könnte immer besser sein: mal hadere ich mit meinem Äußeren, mal finde ich, dass andere immer mehr Energie haben als ich. Oder ich ärgere mich, weil ich Leute oft so schlecht wiedererkenne.

Mit sich selbst unzufrieden sein – das kennt wohl jeder. Naja, außer vielleicht Karlsson vom Dach. Karlsson ist der Titelheld aus einem Kinderbuch von Astrid Lindgren – ein kleiner, rundlicher Geselle in Latzhose, der einen Propeller auf dem Rücken trägt und deshalb fliegen kann. Vor allem aber ist Karlsson grundsätzlich zufrieden mit sich selbst: Ich bin ein schöner und grundgescheiter und gerade richtig dicker Mann in meinen besten Jahren, lässt er die anderen gerne wissen.

Manchmal muss ich an Karlsson denken, wenn ich mich selbst im Spiegel betrachte – und dann lachen: Schön, grundgescheit und gerade richtig dick – ja, warum denn eigentlich nicht! Ich finde, von Karlssons rundherum positiven Blick auf sich selbst könnten wir uns eine Scheibe abschneiden.

In der Bibel gibt es übrigens ein Psalmgebet, in dem jemand ähnlich zufrieden auf sich selbst blickt – und Gott dafür dankbar ist. Ich danke dir und staune, dass ich so wunderbar geschaffen bin, heißt es da.

Ich gebe zu: Insgesamt taugt Karlsson vom Dach nicht wirklich als Vorbild. Er ist nämlich nicht nur von sich überzeugt, sondern darüber hinaus auch ziemlich egoistisch und rechthaberisch. Das stört keinen großen Geist, ist sein Kommentar, wenn er wieder mal Mist gebaut hat.

Trotzdem: Dem schüchternen kleinen Jungen Lillebror, mit dem Karlsson sich im Buch anfreundet, tut die Freundschaft richtig gut. Karlsson hilft Lillebror, mutiger und selbstsicherer zu werden.

Lernen kann man von Karlsson vom Dach auf jeden Fall, das Gute an sich selbst zu sehen. Und die eigenen Defizite nicht zu schwer zu nehmen, egal, ob es ums Aussehen, die Fitness oder die schlechte Gedächtnisleistung geht. Das stört keinen großen Geist, würde Karlsson dazu sagen. Und meistens hat er ja recht.

Ich bin ein schöner und grundgescheiter und gerade richtig dicker Mann in meinen besten Jahren. Wer findet, dass Karlsson übertreibt, kann es ja mit der Bibel sagen: Ich danke dir, Gott, und staune, dass ich so wunderbar geschaffen bin.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

25APR2023
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In unserem Garten steht ein stattlicher Walnussbaum. Ich kann ihn sehen, wenn ich in der Küche sitze. Ich freue ich mich immer wieder an ihm. Am kräftigen Stamm, der etwas schief steht und trotzdem fest. An den einzigartigen Formen der Äste, die eine perfekte Krone bilden… Bald wird sie wieder voller grüner Blätter sein.

Bäume haben eine besondere Ausstrahlung. Für viele sind sie ein Symbol für ein gutes Leben. Auch in der Bibel. Gesegnet ist der Mensch, der auf Gott vertraut, heißt es beim Propheten Jeremia. Der ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt.

Sein wie ein Baum – das ist ein starkes Bild. Es heißt: Fest verwurzelt sein im Boden, an der Kraftquelle. Wachsen, blühen und Frucht bringen. Aufrecht stehen – und sich in stürmischen Zeiten biegen, aber nicht brechen.

Ich merke aber: Gerade die Sache mit den festen Wurzeln ist nicht so einfach. Bäume stehen manchmal jahrhundertelang an derselben Stelle. Unser Leben ist viel bewegter. Fast niemand verbringt heute das ganze Leben am gleichen Ort. Für Ausbildung, Studium oder Beruf geht es oft woanders hin. Manche leben dann an zwei Orten gleichzeitig, pendeln am Wochenende zu Familie oder Partnerin. Und häufig wird es auch im letzten Lebensabschnitt nötig, noch einmal umzuziehen – zu den Kindern oder ins Heim… Einen alten Baum verpflanzt man nicht, höre ich dann oft.

Wie kann das gehen – mobil sein und trotzdem feste Wurzeln haben? Wurzeln, die einen aufrecht stehen lassen und Halt geben, wenn es stürmisch wird im Leben. Wurzeln, die einen mit der Kraftquelle verbinden.

Die Schriftstellerin Hilde Domin musste ihre Heimat verlassen und ins Exil gehen. Man muss weggehen können, hat sie geschrieben, und doch sein wie ein Baum: als bliebe die Wurzel im Boden, als zöge die Landschaft und wir stünden fest.

Wurzeln, die fest bleiben – auch wenn sich unser Leben verändert. In der Bibel ist das ein Bild für das Gottvertrauen. Wer auf Gott vertraut, hat in ihm eine Kraftquelle, die nicht an einen bestimmten Ort gebunden ist – und die auch in schwierigen Zeiten nicht versiegt: Gesegnet ist der Mensch, der auf Gott vertraut.Der ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt, der seine Wurzeln zum Bach hinstreckt. Vor der Hitze fürchtet er sich nicht, und seine Blätter bleiben grün.

An diesen Bibelvers muss ich denken, wenn ich heute unseren großartigen Walnussbaum anschaue. In dem Haus, in dessen Garten er steht, werde ich nicht immer wohnen. Aber ich glaube: Wenn ich in Gott verwurzelt bin, bin ich überall zuhause. Und kann dort weiter wachsen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

24APR2023
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Kennen Sie Herrn Tur Tur? Herr Tur Tur ist eine Figur aus Jim Knopf, dem berühmten Kinderbuch von Michael Ende. Als Kind konnte ich stundenlang vor dem Kassettenrekorder hocken und mir die Abenteuer der Helden von der Insel Lummerland anhören. Aber das Buch ist auch etwas für Erwachsene, finde ich. Wegen Herrn Tur Tur zum Beispiel. Der ist nämlich ein Scheinriese. Das heißt, eigentlich ist er ein ganz normaler, etwas schüchterner und sehr freundlicher Mann.

Das besondere an Herrn Tur Tur ist aber: Je weiter man von ihm weg ist, desto größer erscheint er. Als Jim und und sein Freund Lukas, der Lokomotivführer, Herrn Tur Tur das erste Mal von Weitem sehen, sieht er riesig aus – und Jim bekommt Angst. Aber Lukas macht Jim Mut, näher heranzugehen „Wenn man Angst hat, sieht meistens alles viel schlimmer aus, als es in Wirklichkeit ist,“ erklärt er dem Jungen. Und tatsächlich – als sie dem Riesen näherkommen, wird er langsam kleiner. Und als er vor den beiden steht, ist er sogar einen Kopf kleiner als Lukas.

Die Geschichte finde ich immer noch genial. Nicht nur für Kinder. Im Gegenteil, ich habe sogar den Eindruck: Je älter man wird, umso mehr neigt man dazu, sich schon im Voraus Sorgen zu machen über alles Mögliche. Egal, ob das ein klärendes Gespräch ist, das man endlich mal führen sollte nach einem Streit. Oder eine unangenehme Untersuchung beim Arzt, die man immer wieder aufschiebt. Oder auch ein großes Familienfest, das zu organisieren ist. Oft ist es so: Je länger man aus der Distanz darüber nachdenkt, desto größer scheint das Problem.

Wenn man dann aber endlich anfängt, es wirklich anzugehen, dann zeigt sich immer wieder: Das Problem ist bloß ein Scheinriese. Aus der Nähe betrachtet ist die Sache eigentlich überschaubar. Und die Menschen, mit denen man dabei zu tun hat, sind auch keine Ungeheuer. Sondern manchmal ganz freundlich und sogar hilfsbereit. Wie Herr Tur Tur, der Scheinriese.

Für mich heißt das: Besser nicht versuchen, alles vorher bis ins kleinste Detail zu durchdenken. Jedes mögliche Problem bläht sich sonst auf. Und alles, was schief gehen könnte unterwegs, wächst an zu einem „Scheinriesen“. Das wusste auch schon Jesus. Er hat deshalb dazu ermutigt, Gottvertrauen zu haben – und nicht zu sehr im Voraus zu grübeln: „Macht euch keine Sorgen um den kommenden Tag“, hat Jesus gesagt, „der wird schon für sich selber sorgen. Es reicht, dass jeder Tag seine eigenen Schwierigkeiten hat.“

Es geht also darum, das zu tun, was heute dran ist. Aus der Nähe betrachtet wird dann klar, was wirklich schwierig ist. Und was eben nur ein Scheinriesenproblem war. Denn, wie Lukas der Lokomotivführer sagt: „Wenn man Angst hat, sieht meistens alles viel schlimmer aus als es in Wirklichkeit ist.“

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