Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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27APR2023
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Im Mattiswald lauern viele Gefahren. Darum ist man im Mattiswald am sichersten, wenn man sich nicht fürchtet. Das lernt Ronja, die Räubertochter aus dem Kinderbuch von Astrid Lindgren, schon als kleines Mädchen. Und fortan übt sie sich darin, keine Angst zu haben. Auf ihre ganz eigene Weise. Und die finde ich faszinierend:

Hüte dich davor, in den Fluss zu plumpsen, hatte ihr Vater ihr eingeschärft. Und darum sprang sie, so schreibt Astrid Lindgren über ihre Romanheldin, am Ufer kühn und keck von einem glatten Stein zum anderen, dort wo das Wasser am wildesten toste. Schließlich konnte sie sich ja nicht im Wald davor hüten, in den Fluss zu plumpsen. Sollte das Sich-Hüten überhaupt von Nutzen sein, dann musste sie es bei den Stromschnellen und Strudeln und nirgendwo sonst üben. Wollte sie aber zu den Stromschnellen gelangen, musste sie den Mattisberg hinabklettern, der jäh und schroff zum Fluss hin abfiel. Auf diese Weise konnte sie sich gleichzeitig darin üben, sich auch davor nicht zu fürchten.

Fürchte dich nicht – das ist auch ein typischer Satz aus der Bibel. Fürchte dich nicht – so macht Gott immer wieder Menschen Mut, die erschrocken oder überfordert sind.

Hab‘ keine Angst – manchmal sage auch ich das. Und ich meine es beruhigend. Aber wenn ich darüber nachdenke, ist es eigentlich seltsam. Als ob man jemanden, der nun mal Angst hat, dazu auffordern kann, sie nicht zu haben.

In den Geschichten in der Bibel, habe ich gemerkt, ist es eher wie bei Ronja Räubertochter. Fürchte dich nicht – sagt Gott. Aber dann gibt er den Menschen fast immer eine Aufgabe – und zwar oft die, vor der sie sich fürchten. Er schickt den Propheten Jeremia los, um vor allen Leuten zu reden, obwohl er sich dafür noch viel zu jung fühlt. Und die erschrockene Maria lässt er wissen, dass ausgerechnet sie ein ganz besonderes Kind zur Welt bringen wird.

Ja, ich glaube, Ronja Räubertochter hat Recht: Hab‘ keine Angst – dazu kann man sich oder andere nicht einfach auffordern. Aber man kann es üben – genau da, wo die Angst steckt.

Ich gebe zu: Ronjas Art zu üben, keine Angst zu haben, ist nichts für schwache Nerven. Schon gar nicht für schwache Elternnerven. Aber ich denke: Es ist gut, wenn wir einander – und auch unseren Kindern oder Enkeln – genau dazu Mut machen. So wie Gott es tut: Fürchte dich nicht – und wage etwas. Denn, wie Ronja sagt: Man kann sich nicht im Wald davor hüten, in den Fluss zu plumpsen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37512
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