SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

14MAI2023
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Es gibt diesen besonderen Moment kurz vor dem Einschlafen. Manchmal nehme ich ihn bewusst wahr. Der leichte Schwebezustand, der mit der großen Müdigkeit kommt – wenn alles unwichtig wird, was vorher noch so dringend schien. Ich mag diesen Augenblick. Für eine Sekunde breitet sich tiefer Frieden aus.
Daran denke ich, wenn ich dieses Loblied höre: Gelobt sei deine Treu.

Den Moment des Friedens kurz vor dem Einschlafen, den kann ich nicht selbst machen. Genauso wenig wie das Gefühl am Morgen direkt nach dem Aufwachen, wenn die ersten Gedanken sich sortieren.

Das Morgenlied erinnert mich daran: Es ist nicht selbstverständlich, am Abend loslassen zu können. Und am Morgen trotz mancher Schwierigkeiten zu spüren: Es ist gut, dass für mich ein neuer Tag beginnt. Der Frieden am Abend und das Ja zum neuen Tag am Morgen, das ist ein Geschenk, das mich, wie es im Lied heißt, einhüllt wie ein wärmender Mantel. Ein Gottesgeschenk.

Nein, nichts ist selbstverständlich, sagt das Lied. Nicht die Ruhe der Nacht, nicht, dass jeden Morgen die Sonne aufgeht. Nicht das Brot auf dem Tisch und nicht das Dach über dem Kopf. Und es gibt deshalb tausend Gründe, Gott zu danken.

Das gilt auch, vielleicht besonders dann, wenn nicht alles in Ordnung ist in meinem Leben und erst recht nicht in der Welt, in der ich lebe. Der Jugenddiakon Gerhard Fritzsche, der das Lied 1938 gedichtet hat, war sich – mehr als viele seiner Zeitgenossen – bewusst, dass Unrecht geschieht in seinem Land. Und der Bibelvers, den er seinem Lied zugrunde gelegt hat, stammt aus den Klageliedern aus dem Alten Testament. Sie sind nach der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier entstanden. Und doch heißt es da: Die Güte des Herrn ist alle Morgen neu.
Wir preisen dich und bringen dir unser Lob mit Singen, bis unser Mund im Tode schweigt.

Der Schluss des Liedes beeindruckt mich. Wie selbstverständlich hier der Tod in den Blick rückt.
Aber ich denke: Gerade die Haltung, die das Lied ausdrückt, macht das möglich. Wer jeden Morgen als neue Chance und jedes Stück Brot als Geschenk begreift, der lebt leichter. Und kann auch leichter loslassen. Und vielleicht, das hoffe ich, ist es ja am Ende des Lebens so wie am Abend, in diesem Moment vor dem Einschlafen. Wenn alles leicht wird – und sich das Herz mit Frieden füllt.

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