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SWR2 Wort zum Tag

Es gibt die berühmte Redensart von den Geistern, die man ruft, aber nicht mehr loswird. Sie stammt aus Goethes Ballade „Der Zauberlehrling“. Dieser Zauberer-Azubi, nutzt die Abwesenheit seines Meisters, um einmal auszuprobieren, was er kann und wie weit er damit kommt. Goethes Ballade trifft damit genau den Moment, in dem ein junger Mensch seine Fähigkeiten entdeckt und entfaltet. Wenn ich sehe, was ich kann, kann ich unabhängig werden. Mündig und erwachsen. Und wenn viele Christen jetzt am Wochenende Pfingsten feiern, geht es auch darum: wie ich als Christ mündig werden und mich mit meinen Fähigkeiten entfalten kann.

Der Zauberlehrling in Goethes Ballade hat es immerhin so weit gebracht, dass er einen Besen dazu bringt, für ihn Wasser zu holen. Das Problem ist nur, dass er den Besen nicht mehr stoppen kann und verzweifelt sagen muss: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“ (Goethe, Johann Wolfang von: Der Zauberlehrling, in: Werke [HA] I, 276-279, hier 279).

Mir kommt es so vor, als ob viele Völker in Europa und in der Welt in Sachen Demokratie gerade ähnliches durchmachen. Sie gehen erste Schritte in die Mündigkeit und haben (endlich) eigene demokratische Wahlen. Aber die Wahl, die sie treffen, führt sie eher weg davon, mündig zu werden. Die Regierungen, die sie gewählt haben, schränken ihre demokratischen Rechte ein. Und hier in Deutschland sieht es auch oft so aus, dass viele Leute sich von einfachen Wahrheiten angesprochen fühlen. Das ist ja nicht nur einfacher, sondern auch weniger anstrengend, als sich auf Diskussionen einzulassen und mit den komplexen Antworten zu beschäftigen, die viele Politiker und Experten haben. Für manche scheint es nahe zu liegen, den Islam als Wurzel der Probleme zu sehen. Anstatt die vielen kleinen, mühevollen Schritte anzupacken, die nötig wären, damit Menschen aus verschiedenen Ländern und mit verschiedenen Religionen miteinander leben können. Aber der einfachere Weg könnte dazu führen, dass wir auch rufen müssen: „Die ich rief, die Geister, wird ich nun nicht los“

Wenn ich als Christ zu Pfingsten Gottes Geiste anrufe, orientiere ich mich an einem ganz anderen Geist. Gottes Geist ist lebensbejahend. Und zu diesem Leben gehört für mich, dass ich bereit bin, mich den komplexen Antworten zu stellen. Dass ich kleine Schritte mache. Gottes Geist ist auch ein Geist, der Mut macht, dass ich nicht zurückschrecke aus Angst vor den Problemen, die sich aus diesen Schritten ergeben. Sondern dass ich mir und den anderen zutraue, dass wir neue Lösungen finden, wenn wir den Weg gemeinsam gehen und offen sind für diesen Geist, der will, dass unser Leben gelingt.

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SWR4 Abendgedanken

Es gibt ein schönes Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe, das ich besonders gern am Abend höre: „Wandrers Nachtlied“ heißt es:

Überallen Gipfeln ist Ruh,
In allen Wipfeln spürest du
kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Es sind einfache Worte, die mich berühren. Ich habe diese Stimmung schon erlebt, an einem Spätsommerabend: Die Sonne war hinter den Bergrücken verschwunden und es lag eine unbeschreibliche Stille über der Landschaft. Ich habe mich wunderbar entspannt gefühlt, meine Gedanken sind ruhiger geworden und eine tiefe Dankbarkeit hat mich erfüllt…

Vor vielen Jahren bin ich an dem Ort gewesen, an dem Goethe „Wandrers Nachtlied“ geschrieben hat: Auf dem Kickelhahn, einem Berg im Thüringer Wald. Und Goethe hat dabei nicht etwa an den Tod gedacht, sondern er war einfach müde nach einem schweren, arbeitsreichen Tag. Er ist von der Stadt durch den Wald auf den Berg gewandert und hat sich dort auf einer Bank ausgeruht.
Goethe war zu dieser Zeit im Staatsdienst beschäftigt. Erschöpft von den Ereignissen des Tages, kreisten seine Gedanken immer noch um die verschiedenen Unannehmlichkeiten und Sorgen. Hier in der Abendstille der Natur, fernab der Betriebsamkeit der Stadt wollte er Ruhe finden.

Ich finde es sehr wichtig, am Abend zur Ruhe zu kommen, Abstand zu gewinnen zu den Ereignissen des Tages. Sonst ist es schwer in einen erholsamen Schlaf zu kommen! Den brauchen wir aber unbedingt um fit für den nächsten Tag zu sein.

Das Leben in unseren Tagen ist viel unruhiger geworden. Die Städte sind laut und die Anforderungen des Berufslebens, des Lebens überhaupt vielfältig und hoch. Viele Menschen sind gestresst und überfordert.

Um zur Ruhe zu kommen hilft mir besonders, raus zu gehen in die Natur, bei jedem Wetter. Versuchen zu mir selbst zu finden . Dabei kann ich mich meist gut entspannen und meine Gedanken ordnen. Das, was ich erlebt habe, überdenken. Was mich angestrengt hat, was mich geärgert hat. Ist das wirklich so wichtig, dass ich mir davon den Schlaf rauben lasse? Der Blick auf die Natur, die ihre abendliche Ruhe ausstrahlt, hilft mir dabei wieder Kraft und vielleicht sogar Mut zu schöpfen. An einem besonders schönen Abend scheint es so, als wollte mir jemand zeigen welch schöne Seiten das Leben hat, wofür ich dankbar sein kann, was wirklich zählt. Und glücklich ist, wer darüber seine Sorgen vergessen oder sie sogar vor dem Schlafengehen vertrauensvoll in Gottes Hände legen kann. Vielleicht mit einem ganz einfachen, persönlich formulierten Abendgebet.

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SWR2 Wort zum Tag

Woher holen wir den Atem? Für die meisten Menschen ist ihr Atmen so selbstverständlich, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, diese Frage zu stellen. Nicht so Navid Kermani.

Der Orientalist und Schriftsteller, der im letzten Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt, bewegt sich auf faszinierende Weise immer wieder zwischen den Welten der östlichen und westlichen Kulturen und Religionen. In seinem Buch „Zwischen Koran und Kafka“ deckt er Motive in der Weltliteratur auf, die zeigen, wie sehr sich religiöse Traditionen des Ostens und des Westens wechselseitig inspiriert haben. Ein Kapitel widmet er Johann Wolfgang von Goethe und überschreibt es „Gott-Atmen“.

Allen Glaubens- und Gottesvorstellungen voraus ist für Kermani der Atem „die grundlegende religiöse Erfahrung, die wir bestreiten oder anerkennen können“. Und er zitiert Goethe aus dem „West-östlichen Divan“:

Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:

Die Luft einziehn, sich ihrer entladen.

Jenes bedrängt, dieses erfrischt;

So wunderbar ist das Leben gemischt.

Du danke Gott, wenn er dich preßt,

Und dank‘ ihm, wenn er dich wieder entläßt.

Auch wenn der Atem rein physiologisch erklärt werden kann, vermag doch – so Kermani – „nichts so sehr wie der Atem selbst das nüchternste Gemüt erschüttern.“ Mindestens der erste Atemzug bei der Geburt eines Kindes und beim Sterben eines Menschen der letzte. „Ich bin mir sicher“, sagt er, „dass Gott für den Menschen entstanden ist in ebensolchen Situationen wie der Geburt des eigenen Kindes, in denen das Bedürfnis einen überwältigt, seinen Dank auszusprechen. Denn zu danken bedeutet: jemandem oder etwas zu danken.“

In diesem Zusammenhang zitiert Kermani Goethe mit einem Absatz aus Wilhelm Meisters Lehrjahren:

„Wie glücklich war ich, dass tausend kleine Vorgänge zusammen, so gewiß als das Atemholen Zeichen meines Lebens ist, mir bewiesen, dass ich nicht ohne Gott auf der Welt sei! Er war mir nahe, ich war vor ihm. Das ist’s, was ich mit geflissentlicher Vermeidung theologischer Systemsprache mit größter Wahrheit sagen kann.“

Ohne „theologische Systemsprache“: Goethe traut seiner eigenen Sprache, um möglichst nahe an dem zu sein, wie er die Nähe Gotte erfährt. Damit lobt er Gott – wie der Beter des Psalms „Alles was atmet, lobe den Herrn.“ (Ps 150)

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Der rote Faden. Gibt es diesen sprichwörtlichen roten Faden denn auch im Leben der Menschen? Also eine Spur, so eine Art Leitmotiv, das immer wiederkehrt und dem Leben Sinn und Richtung gibt? Ich denke schon, besonders seit ich erfahren habe, woher denn dieser Ausdruck kommt. Der gute alte Goethe hat ihn in unsere Sprache gebracht. Als Bild für den roten Faden der sich durch eine gut erzählte Geschichte zieht. Indem er erklärt hat, woher er kommt. Goethe wörtlich: „Der rote Faden ist eine besondere Einrichtung bei der englischen Marine. Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte, vom Stärksten bis zum Schwächsten, sind dergestalt gesponnen, dass ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen; woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, dass sie der Krone gehören.“                                                       

Welch‘ ein schönes Bild, gerade auch wenn ich es auf das Leben übertrage. In meinem Leben, und ich denke nicht nur in meinem, ist die Liebe der rote Faden, der es im Innersten zusammenhält. Und ich weiß sehr wohl, wie das Leben auseinanderfallen kann, wenn dieser Faden reißt oder aus den anderen Fäden herausgelöst wird. Eine Beziehung geht zu Ende ohne Liebe. Eine Arbeit ohne Liebe ist reine Mühsal, Erziehung ohne Liebe, Dressur. Glaube ohne Liebe ist Verstand ohne Herz - und gottlos. Eine weitere, schöne Parallele zum goethe‘schen „roten Faden“ ist für mich: so wie auch die kleinsten Taue durch die roten Fäden kenntlich sind, dass sie der Krone gehören, so glaube ich, dass jeder Mensch von Gott kommt und im letzten Gott gehört. Und er ihm den roten Faden Liebe in die Seele eingewoben hat.

Darum ist es auch die schönste und vornehmste Aufgabe von uns Menschen, auf den eigenen roten Faden zu achten und den der anderen zu sehen oder zu suchen. Damit das Lebenstau fest, stark und hilfreich ist.

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SWR3 Worte

Johann Wolfgang von Goethe über den Monat Mai:

Wie herrlich leuchtet mir die Natur!
Wie glänzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!

Es dringen Blüten aus jedem Zweig
und tausend Stimmen aus dem Gesträuch
und Freud und Wonne aus jeder Brust.
O Erd, o Sonne!
O Glück, o Lust!

Du segnest, Gott, herrlich das frische Feld,
im Blütenddampfe die volle Welt!

Johann Wolfgang von Goethe

Maifest, in: J.W. v. Goethe, Sämtliche Werke, Bd. 1, Artemis Gedenkausgabe, München 1977
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SWR2 Wort zum Tag

„Ich ging im Walde / So für mich hin, / Und nichts zu suchen / Das war mein Sinn.“ Eines jener Goethe-Gedichte, die unsereinem selbst die Schule nicht verleiden konnte. Leicht und genau kommen die Verse daher. Sie vermittelt etwas von dieser „Leichtigkeit des Seins“, für die wir alle eine Antenne haben und sozusagen ständigen Bedarf. Zweckfrei und absichtslos, innerlich offen und wie verträumt, und doch hellwach und präsent, voll da. „Im Schatten sah ich / Ein Blümchen stehen, / Wie Sterne leuchten, / Wie Äuglein schön. // Ich wollte es brechen, / Da sagt’s fein: / Soll ich zum Welken / Gebrochen sein? // Ich grub‘s mit allen / Den Würzlein aus / Zum Garten trug ich’s / Am hübschen Haus. // Und pflanzte es wieder / Am stillen Ort; / Nun zweigt es immer / Und blüht sofort.“
Das Gedicht ist einfach schön , lädt ein, das Dasein und diesen Morgen zu begrüßen. Und es erzählt davon, dass es etwas zu finden gibt, was man nicht suchen muss. Biographisch steht, Goethes Begegnung mit seiner geliebten Christiane Vulpius im Hintergrund. Da hat er die Frau fürs Leben gefunden. Gesucht hat er lang, ein Kostverächter war er bis zuletzt nicht, ein Macho durchaus. Aber hier hat er nicht gesucht, hier ist ihm jemand einfach geschenkt worden, Das Gedicht erzählt von Situationen, in denen wir auch heute noch überraschend beschenkt werden können – ohne zu suchen, ohne zu fordern, ohne zu leisten. Einfach so. „Und nichts zu suchen, / Das war mein Sinn“. Nichts suchen – und dann trotzdem etwas überaus Wertvolles finden. Dazu braucht es Vertrauen und Gelassenheit. Auch mit Glaube hat das zu tun. Was wirklich gilt im Leben, können wir uns selbst nicht herstellen und erzwingen. Ich kann mich noch so sehr nach Freundschaft und Liebe sehnen; ich kann mich auf die Suche machen, alle Antennen ausfahren; aber dass es glückt, kommt von woanders her.
Die Bibel spricht von Gott als dem Geber alles Guten, dem Schöpfer aller Ding. Er lässt sich finden sogar von denen, die ihn nicht suchen. Immer wieder denke ich an ein Wort von Hermann Hesse: „Wer sucht, findet nicht; wer aber nicht sucht, wird gefunden“ – völlig umsonst, überraschend, unbezahlbar und nicht einzufordern. Sich derart finden und beschenken lassen, wird zum Lebensglück. Derart auf Gottes gütiges Wirken vertrauen und sich überraschen lassen, ist die biblische Einladung. Gott ist das Entgegenkommen in Person. Unsereiner sollte mehr lernen, in diesem Sinne empfangsbereit und offen zu sein – durchaus im Sinne Goethes: „Ich ging im Walde / So für mich hin / Und nichts zu suchen / Das war mein Sinn“. Was dann geschieht, ist wichtig. Lassen wir uns also überraschen, z.B. heute.
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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Daniel hat bloß 6 Punkte im Deutsch-Aufsatz. Irgendwas über Goethe, Faust. „Na ja“, denkt die Mutter, „Daniel ist kein großer Schriftsteller. Aber 6 Punkte – das ist für seine Verhältnisse doch ein bisschen wenig.“ Daniel sagt verächtlich: „Goethe! – das war sooo langweilig!“ Ein paar Tage später hat er 13 Punkte in Reli. Thema „Gerechtigkeit“ „War das interessanter als Faust?“ fragt die Mutter. „Nö, sagt Daniel, „“aber der Lehrer ist ok. Der will einem echt was beibringen. Faust: da hatte die Lehrerin auch keinen Bock drauf.“
Vielleicht kann man darüber streiten, ob ein Oberstufenschüler Goethes „Faust“ kennen lernen sollte. Aber eins fand ich auffallend, als ich die Geschichte hörte: Schüler spüren, ob einer motiviert ist. Ob dem Lehrer wichtig ist, dass die Schüler verstehen, zum Beispiel was Gerechtigkeit bedeutet; oder warum ein Mensch wie Faust nicht zur Ruhe kommen konnte. Oder wie man die Winkel im Dreieck berechnet oder warum Kriege entstehen. Ob dem Lehrer oder der Lehrerin wichtig ist, dass die Schüler etwas begreifen und dann für ihr Leben etwas davon haben – das merken die Schüler. Oder ob nur behandelt wird, was eben im Lehrplan steht. Wenn einer von seiner Sache begeistert ist, dann kann er andere auch begeistern. Na ja, wenn ich an Daniel denke: vielleicht nicht gleich begeistern, aber doch jedenfalls interessieren.
„In dir muss brennen, was im anderen zünden soll!“ hat der Kirchenlehrer Augustin schon gewusst. Ich glaube, dass gilt nicht nur in der Schule. Das gilt überall, wo man etwas erreichen will. Nichts geht ohne Motivation. Nur wenn man es wichtig findet, dass 12jährige zusammen Freude am Fußball spielen haben und gemeinsame Erfolgserlebnisse, kann man ein guter Jugendtrainer sein. Nur wenn ich selber begeistert bin von dem, was man in der Bibel entdecken kann, kann ich als Pfarrerin eine gute Bibelstunde halten – oder eine einigermaßen interessante Morgenandacht machen. Wenn das eine nur machen würde, weil das Geld stimmt, dann stimmt was nicht.
Ganz am Anfang der Menschengeschichte, erzählt die Bibel, hat Gott den Menschen einen Auftrag gegeben. Sie sollen „die Erde bebauen und bewahren“. Sich einsetzen für diese Erde und die Menschen darauf, jeder an seinem Platz und mit seinen Möglichkeiten. Etwas tun, was andere aufbaut. Was anderen hilft, dass sie besser und leichter leben können.
Ich glaube, wer so motiviert seine Arbeit macht, der wird was erreichen. Auch bei Jungen wie Daniel.
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SWR4 Sonntagsgedanken

25FEB2024
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Auch der wunderbarste Urlaub geht leider irgendwann zu Ende. Oft komme ich randvoll mit Eindrücken, Bildern, Gefühlen nach zwei Wochen wieder nach Hause. Und dann: Macht sich ganz oft ein Gefühl von innerer Leere, ja Enttäuschung breit. Der leider oft triste Alltag hat mich wieder. Und in den muss ich mich nun wieder einklinken, ob ich will oder nicht. Es ist etwas, das ich auch bei anderen Anlässen immer wieder erlebe. Da war etwa das tolle Fest, von dem ich ganz beseelt nach Haus gekommen bin. Die Begegnung mit einem Menschen, die mich so gefesselt hat oder das Konzert, das noch lange in mir nachgeklungen ist. Oft schlafe ich nach so einem Erlebnis schlecht, weil es so vieles in mir aufgewühlt hat. Und wie oft habe ich selbst in solchen Momenten gedacht, was Goethe seinen Helden Faust mal so treffend sagen lässt: „Augenblick verweile doch, du bist so schön!“ Aber das geht nicht. Dem tragischen Helden in Goethes Stück gelingt das nicht - und mir leider auch nicht. Manch einer versucht dann, sich solche Hochgefühle immer wieder zu verschaffen. Lässt keinen Event aus, keine Party. Immer auf der Suche nach dem nächsten Kick. Das kann wie eine Sucht sein, eine fast verzweifelte Suche nach dem Augenblick, der sich so großartig anfühlt und doch so schnell vorbei ist.

Alles, was im Leben passiert, das gibt es natürlich auch im Glauben. Spirituelle Höhenflüge etwa. Das Gefühl, Gott für einen Moment ganz nahe zu sein. Vielleicht in einem Gottesdienst, der meine Seele berührt. In der Stille, wenn ich in einem Kloster ein paar Einkehrtage mache. In der Begegnung mit anderen. Im gemeinsamen Feiern, Singen, Beten. Wer sowas je erlebt hat, möchte es am liebsten festhalten. Aber auch der Augenblick ist flüchtig. Auf spirituellen Höhenflügen mag ich zwar spüren, dass Gott mir ganz nah ist. Doch wie oft erscheint mir Gott im Alltag auch unendlich weit weg, und schweigt?

Von so einem Höhenflug erzählt eine ziemlich seltsam anmutende Geschichte in der Bibel. Jesus und drei seiner Jünger steigen darin auf einen Berg um zu beten. Oben angekommen haben sie eine spirituelle Vision, die es sich mit normalen Worten offenbar gar nicht beschreiben lässt. Simon Petrus, einer der drei, ist jedenfalls so schwer beeindruckt, dass er da oben gleich ein paar Hütten bauen will. Er will das Erlebte festhalten. Will es bewahren. So soll es immer bleiben. Jesus aber macht ihm klar, dass das Unsinn ist. Denn solch mitreißende Höhepunkte sind eher wie funkelnde Juwelen, herausragend und außergewöhnlich. Das Leben dagegen wird in den Mühen des Alltags gelebt. So wie mein Glaube. Und genau da muss er sich auch bewähren.

 

 

 

 

Aber wie kann das gehen? Wie die Begeisterung aufrecht halten in den Niederungen des normalen Alltags? Wie die Begeisterung für meinen Job, den ich mir ja mal bewusst ausgesucht habe. Wie die Liebe zum Partner oder zur Partnerin, wenn der Honeymoon vorbei ist und Kinder und Karriere alle Kräfte aufsaugen. Und wie die Begeisterung für den Glauben? Wenn mir die Zweifel kommen, ob es ihn wirklich gibt, diesen Gott. Und wenn die Art, wie meine Kirche sich mitunter präsentiert und mit Menschen umspringt, mir die Freude am Glauben verdirbt. Weil ihre Botschaft so nicht mehr glaubwürdig ist. Wie also kann ich sie aufrechthalten, die Begeisterung, die mal war?

Ich glaube, mein Beruf würde mir tatsächlich keine Freude mehr machen, wenn ich mich nur noch frage: Warum tust du das eigentlich? Wenn ich nicht immer wieder auch spüren würde: Doch, es lohnt sich morgens aufzustehen, mich anzustrengen, auch mal Überstunden zu machen, wenns nötig ist. Weil es da tolle Kolleginnen und Kollegen gibt, mit denen zu arbeiten einfach Freude macht. Und weil das, was wir gemeinsam schaffen, unser Ergebnis, unser Produkt, echt klasse ist. Etwas, auf das ich stolz sein kann.

Auch wer liebt braucht im Alltag immer wieder Momente, die mir und dem anderen zeigen: Du bist mir wichtig. Das müssen gar nicht die großen Worte sein. Kleine Gesten reichen. Eine zärtliche Berührung, eine kleine Aufmerksamkeit. Ein waches Gespür dafür, wie es dem anderen gerade geht.

Und der Glaube? Für mich ist es ähnlich wie bei der Liebe. Glauben heißt ja darauf zu vertrauen, dass es mehr gibt als das, was ich jeden Tag sehe. Um etwas von Gott zu erahnen braucht es dann gar nicht mehr die große überwältigende Vision. Wer glaubt und mit offenen Augen durch die Welt geht, der wird Gottes Spuren in seiner Schöpfung entdecken. In allem also, was mir Tag für Tag begegnet. Im Schönen natürlich. Im Lächeln, das mir die Kollegin schenkt. Im freundlichen Gespräch mit der Schaffnerin im Zug. In der Natur, die nun langsam aus dem Winterschlaf erwacht. Aber immer auch im Verstörenden. So, wie im Gesicht des Obdachlosen, der neben dem Eingang des Kaufhauses in seinem Schlafsack liegt. In den Augen der Kriegsopfer, die gerade mit dem Leben davongekommen sind. Wenn es mir unverhofft dann doch mal begegnen sollte, das große, überwältigende Erlebnis, dann will ich es auskosten, so gut es geht. Wie einen kleinen Vorgeschmack des Himmels. Und die Erinnerungen daran, die nehme ich mit, als Proviant für die Seele. Mit in die Niederungen meines ganz normalen Alltags.

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SWR1 Begegnungen

05NOV2023
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Holm-Hadulla, Rainer Matthias Bildrechte: Rainer Matthias Holm-Hadulla

Sein ganzes Leben hat der Arzt und Psychotherapeut Rainer Matthias Holm-Hadulla über das Thema „Kreativität“ geforscht. Und er ist überzeugt: Verzweiflung, Hass und Gewalt kann man kreativ bewältigen. Für ihn ist es auch die wichtigste Aufgabe unsrer Kultur. Ich denke an die aktuellen Kriege in der Ukraine und Israel und frage mich: Wie ist sowas heute möglich?

Ich denke, das sind die Rückfälle in die Barbarei. Freud sagte: das Eis der Vernunft ist dünn. Eine dauerhafte Kulturarbeit versagt immer wieder. Und ich denke, dass man da immer wieder neu anfangen muss und neu aufbauen muss.

Immer wieder neu anfangen? Also ich spüre eher den Wunsch, abzutauchen, nichts wissen zu wollen.  Dabei weiß ich ja – Probleme, vor denen man sich drückt, verschwinden nicht, sie tauchen immer wieder auf und werden eher. Also hinschauen und – was dann?

Wir müssen die Information, die wir bekommen, auch verarbeiten, wir müssen sie transformieren können in Gedanken, in Ideen, in Pläne und auch in alle Strategien, wie wir damit umgehen können.

Informieren ja, aber sich nicht überfluten lassen. Also nur so viel aufnehmen, dass man handlungsfähig bleibt. Rainer Holm-Hadulla nennt das „Alltagskreativität“. Man kann aber auch eine außergewöhnliche Kreativität entwickeln.

Also ich unterscheide ja außergewöhnliche und alltägliche Kreativität. Der wichtigste Unterschied ist, dass die außergewöhnliche Kreativität auch für viele andere von Bedeutung ist.

Rainer Holm-Hadulla hat sich die Lebensgeschichten von außergewöhnlich kreativen Menschen angeschaut wie Mozart, Goethe, Madonna, Mick Jagger und andere. Und da ist ihm aufgefallen:

Wenn man dann außergewöhnliche Kreative betrachtet, dann merkt man doch, dass die große Kreativität immer – ich würde sagen immer aus einer Bewältigung von Leid, Verzweiflung, Hass und Gewalt entsteht. Kunstwerke, die das nicht spüren lassen, ist Kitsch. Nehmen wir das Jahrtausendgenie Mozart. Von frühester Kindheit an muss er sich mit dem Tod auseinandersetzen, sein Vater und seine Mutter haben 5 Kinder vor ihm verloren.

Ähnliches gilt für Goethe und Musikgrößen wie John Lennon, Madonna oder Jimi Hendrix.
Sie schaffen wunderbare Werke, weil sie es müssen. Weil sie einerseits ein persönliches Leiden bewältigen müssen und andererseits andere damit inspirieren wollen.

Gerade, wenn man an die Großen denkt, das machen sie immer, immer ganz radikal in Bezug auf einen anderen. Ja, Mozart spricht Menschen an. Seine Musik besteht darin, andere zu verlebendigen, nicht nur sich selbst.

Die Welt ist in Aufruhr. Nachrichten von entfesselter Gewalt fluten unsere Wohnzimmer. Wie damit umgehen? Bei den Menschen mit außergewöhnlicher Kreativität fällt auf: Sie sind offen für die Not Anderer. Und zugleich können sie sich abgrenzen und diszipliniert an Lösungen arbeiten.

Ich glaube, das wird ein bisschen auch in unserer – sagen wir mal „hedonistischen“ Kunstauffassung unterbelichtet. Dass die Arbeit – also etwas für andere zu tun und nicht nur für mich, ein Lebenselixier ist.

Dazu aber brauchen wir Schutzräume. Schutzräume durch gute Beziehungen. Und Schutzräume, in denen wir mit anderen das Leben feiern. Für Rainer Holm-Hadulla sind das auch die Kirchen.

Also ich bin kein bibeltreuer Christ, ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt Christ bin und an was ich genau glaube. Aber was ich weiß, ist, dass dieser Begegnungsraum mir Ideen ermöglicht. Und die Musik, die ich sonst nicht hätte... im Sinne einer erfüllten Erfahrung.  

Ich würde das Ritual eines Gottesdienstes so beschreiben: Ich trete gemeinsam mit anderen vor Gott, mache mich ganz ehrlich mit dem, was mich bedrängt. Und mit Blick auf den gekreuzigten und auferstandenen Jesus vertraue ich darauf, dass sich Böses in Gutes verwandelt. Das ist mein Glaube an die Auferstehung. Hier und jetzt. Das kann ich nicht machen. Aber ich kann es spüren. Auch als so etwas wie ein neues Urvertrauen.  

Der alt werdende Picasso sagt „jetzt kann ich endlich malen wie ein Kind“. Und das ist ja auch die Gotteskindschaft, die, an die wir glauben.  Dass wir durch dieses Transformationsritual irgendwie erlöst werden.

Ich wünsche mir, dass wir erlöst werden von Verzweiflung, Hass, Gewalt und Dummheit. Dass wir darin nicht versinken, sondern dem etwas dagegensetzen. Unsere Kreativität! Mit der wir anfangen zu arbeiten und einfach mal was machen. Etwas Neues probieren, auch wenn es Angst macht. Rainer Holm-Hadulla hat zum Beispiel in Heidelberg ein Betreuungsangebot für geflüchtete Kinder eingerichtet. Und er hat Studierende dafür gewonnen, etwas für traumatisierte Kinder zu tun.

Und da war eine Studentin, die hatte schon Angst. Und die ist dann doch hingegangen und hat einen halben Tag dort verbracht. Und ich bin dann dazugekommen und bevor wir gesprochen haben, kam ein Kind, hat diese Studentin an der Hand genommen „Bitte, bitte, komm wieder!“ Und diese Studentin hatte Tränen in den Augen und hat gesagt: „Ja, das ist es.“ 

 

Lit: Rainer M. Holm-Hadulla, Die kreative Bewältigung von Verzweiflung, Hass und Gewalt, Psychosozial- Verlag 2023

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SWR3 Worte

15MAI2022
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Der Wonnemonat Mai kann uns mit seiner aufblühenden Kraft und Schönheit anstecken. Mit Worten von Johann Wolfgang von Goethe klingt das so:

"Wie herrlich leuchtet mir die Natur! Wie glänzt die Sonne! […]
Es dringen Blüten aus jedem Zweig und tausend Stimmen aus dem Gesträuch, und Freud und Wonne aus jeder Brust.
[…] O Glück, o Lust!
Du segnest, Gott, herrlich das frische Feld,
im Blütendampfe die volle Welt!“

Johann Wolfgang von Goethe, Maifest

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