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25FEB2024
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In einem Hollywoodfilm wäre es der Regen. Der setzt immer dann ein, wenn es eigentlich nicht noch schlimmer werden kann und sich die Filmhelden in einer aussichtslosen Situation befinden.

Hier ist es kein Regen, sondern Schlangen. Das Volk Israel ist auf dem Weg zur Freiheit. Allerdings schon lange. Sehr lange. Jahrzehntelang, so erzählt es die Bibel, wandern sie schon durch die Wüste. Und die Stimmung kippt langsam. Das Essen will nicht mehr richtig schmecken, das Ziel ist nicht in Sicht, sie fühlen sich heimatlos. Und dann tauchen auch noch Schlangen auf. So richtig tödliche Schlangen. Auch das noch.

Schlangen sind heute nicht unser Problem. Allerdings kenne ich das „auch das noch“-Gefühl: Fast war der Weg durch die Pandemie geschafft, da kam der Krieg in der Ukraine. Gleichzeitig die Sorge um den Klimawandel. Dann der Konflikt im Nahen Osten. Erst kürzlich: Die Sorge um ein Erstarken rechtsextremer Kräfte. Und innerhalb der Kirche: Das Bewusstwerden darüber, wie viele Menschen von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Vieles ist bei uns anders. Aber auch ich habe, wie die Israeliten das Gefühl: nicht auch das noch.

Die Israeliten wenden sich angesichts der tödlichen Gefahr an Gott. Sie spüren, dass sie auf ihn geworfen sind. Dass er noch einmal eine ganz andere Möglichkeit ist. Gott präsentiert durch Mose Hilfe. Das erzählt der Bibeltext, über den heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt wird. Sie sollen ihren Blick von den Schlangen auf dem Boden lösen und nach oben schauen – Auf eine Schlange aus Bronze, die an einem langen Stab angebracht ist. Wer zu dieser Schlange aufschaut, bleibt gesund, auch wenn die Schlange gebissen hat. Eine kuriose Geschichte. Und fremd.

Was mir aber einleuchtet, ist das „den-Blick-Nach-Oben richten“. Das scheint mir auch heute eine heilsame Strategie. Denn wenn ich mit meinem Blick nur bei den unüberwindbaren Gefahren bleibe, dann verliere ich mich in den negativen Gedanken und der Hilflosigkeit. Und bin wie gebissen vom Hass, vom Gegeneinander und der Resignation. Ich glaube, wir können aus dem Gefühl, dass alles zu viel ist, nicht allein herauskommen. Das übersteigt unsere Möglichkeiten. Ich brauche den Blick nach oben. Zu Gott, dessen Sohn für unüberwindbare Liebe gestorben ist. Den der Hass nicht für immer kleingekriegt hat. Zu Gott, von dem gesagt wird, dass nichts von seiner Liebe trennen kann. Zu Gott, der diese Welt nicht vergessen hat, sondern in ihr Mensch geworden ist.  

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18FEB2024
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Eine Woche mit mir allein. Ohne Handy, Internet und Bücher. Das mache ich jedes Jahr ein Mal. Schön und herausfordernd zugleich. Schön, weil es gut tut, mal aus dem Alltag rauszukommen. Alles hinter mir zu lassen und durchzuatmen. Zeit nur für mich und für Gott. Aber es kann auch ganz schön hart sein – weil mich dann nichts mehr von mir selbst ablenkt. Ich werde mit dem konfrontiert, was unter der Oberfläche liegt. Auch mit dem Dunklen, mit meinen Fragen, Zweifeln und Ängsten, die ich sonst lieber zugedeckt lasse. Innerlich geht es in dieser Zeit also keineswegs ruhig zu.

Das eigene Leben anschauen und ganz auf sich selbst gestellt sein – das kann hart sein. Diese Erfahrung hat auch Jesus gemacht. Die Bibel berichtet, dass Jesus 40 Tage in der Wüste ist. Eine Zeit, in der es ordentlich zur Sache geht. Vom Satan und wilden Tieren ist die Rede. Aber auch von Engeln. In katholischen Gottesdiensten klingt das heute so: „In jener Zeit trieb der Geist Jesus in die Wüste. Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.“ (Mk 1, 12f.)

Der Satan – er steht bildlich für das Böse. Für Gedanken und Phantasien, die mich ausdauernd belagern, und die mich wegbringen möchten von einem Leben, das mir und anderen gut tut. Zum Beispiel, wenn ich mich mit anderen vergleiche und der Neid Platz bekommt. Das schafft erst in mir Unfrieden - und dann auch im Miteinander mit anderen.

Und wenn ich an mir selbst zweifle oder einsam bin, dann fühlen sich diese Gedanken manchmal an wie wilde Tiere, die über mich herfallen und laut brüllen. Wie Raubtiere tigern die Gedanken dann durch den Kopf und machen mich unruhig.

Dass auch Jesus davon nicht verschont geblieben ist, beruhigt mich. Er kennt das Böse und weiß, dass es gelingen kann, sich dagegen zu stellen. Und mit den wilden Tieren hat er gelernt zu leben. Sie müssen gar nicht verschwinden, aber ich kann sie kennenlernen und zähmen. Wenn ich mir klar mache, dass ich immer mal wieder Anerkennung oder auch körperliche Nähe brauche, dann können mich diese Bedürfnisse begleiten ohne übermächtig zu werden.

Im März habe ich wieder eine stille Woche geplant. Was dieses Jahr zum Vorschein kommen wird, kann ich heute nur ahnen. Aber aus den letzten Jahren weiß ich, dass die Tage mir gut tun, um so manches Chaos im Kopf zu sortieren. Und hoffentlich geht es mir so wie Jesus in der Wüste: er hatte nicht nur die Einsamkeit und die wilden Tiere an seiner Seite, sondern auch die Engel Gottes.

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11FEB2024
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Immer wieder einmal jagt mir das, was da so alles in der Bibel steht, einen ziemlichen Schrecken ein. Und zwar aus gleich mehreren Gründen.

Erstens erschreckt mich, wie aktuell viele Stellen der Bibel sind. Die beißende Kritik beim Propheten Amos zum Beispiel. Von ihm ist heute in den evangelischen Gottesdiensten zu hören. Er kritisiert das Wirtschaftssystem und die Reichen seiner Zeit. Die einfachen Leute damals sind mehr und mehr in die Abhängigkeit von den Reicheren geraten. Immer stärker konnten die den Schwächeren ihre Bedingungen aufzwingen. Und wurden so immer reicher und die Armen immer ärmer und ärmer.

Das war vor ungefähr 2800 Jahren im damaligen Königreich Israel. Die Kritik heutzutage an der Ungerechtigkeit im globalen Handel klingt in meinen Ohren aber ganz ähnlich, und ich frage mich: Lernen die Menschen wirklich nichts dazu? Seit Jahrtausenden immer das gleiche: Die Gier gewinnt?

Mich erschreckt, dass sich daran scheinbar niemals etwas ändern wird. Noch tiefer fährt es mir aber in die Glieder, wenn ich den Propheten wirklich ernst nehme. Dann kann ich nämlich nicht einfach mit dem Finger auf „DIE Reichen und Mächtigen“ zeigen. Amos hält ja nicht einfach „Denen da oben“ den Spiegel vor, sondern dem ganzen ungerechten System. Jeder, der da mitmacht und drinsteckt, ist Teil davon. Also auch ich. Ich kaufe gerne billig ein, profitiere von den Vorteilen des Welthandels, und frage nicht so gerne danach, wo die Nachteile liegen. Und verstecke mich dann nur zu gerne hinter der Tatsache, dass ich das große ganze ja eh nicht ändern kann. Und gar keine Möglichkeit habe, aus dem System auszusteigen.

Das ist der letzte Schrecken, den mir der Prophet Amos einjagt: Dass ich die Möglichkeit wahrscheinlich wirklich nicht habe – auszusteigen aus dem System. Und viele große und kleine Unternehmen oder die Politik auch nicht. Man kann niemandem in dem System pauschal verurteilen oder zum allein Schuldigen erklären.

Man kann sich nur an die eigene Nase fassen, denke ich. Wenn wir Menschen in den Spiegel schauen, den der biblische Prophet Amos uns Menschen vorhält, dann sehen wir: Es gibt immer jemanden, der schwächer ist, als man selbst. Sogar wenn man nicht viel hat, gibt es sicher einen, der noch schlechter dran ist.

Den Propheten ernst nehmen – sich an die eigene Nase fassen und die Schuld für das Unrecht in der Welt nicht auf „die da oben“ abschieben. Mir jagt das einen Schrecken ein – ein Erschrecken vor mir selbst.

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04FEB2024
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Zwei Freunde von mir sind überraschend gestorben. Einer ist ein Klassenkamerad von mir; wir saßen im November noch nebeneinander bei unserem Jahrgangstreffen. Den anderen kennen Sie vielleicht sogar. Stefan Warthmann. Er spricht seit Jahren regelmäßig Beiträge hier im SWR. Wir sind auch schon lange befreundet, weil wir miteinander studiert haben. Und nun sind beide tot, weil ihr Herz nicht mehr mitgemacht hat, von einer Minute auf die nächste. Wie schrecklich für die, die zurückbleiben. Auch für mich ist es unfassbar.

 

Was ich für mich nicht als Zufall durchgehen lassen kann: Dass heute in den katholischen Gottesdiensten ein Bibeltext aus dem Buch Ijob dran ist, der exakt dazu passt. Bei Ijob geht es darum, dass ihm plötzlich ein schreckliches Unglück geschieht, weil alle sterben, die Ijob nahe waren. Und er sich nun damit auseinandersetzen muss, was das heißt: die zu verlieren, die man liebt, ohne Warnung, aus heiterem Himmel; brutal erinnert zu werden, wie vergänglich das eigene Leben ist; und irgendwie das alles mit Gott in Verbindung zu bringen. Ijob glaubt, dass Gott gut und gerecht ist. Aber wie passt das zu dem, was ihm widerfährt? Wieder und wieder beschreibt Ijob die offene Wunde, die entsteht, wenn der Tod das Leben zerreißt. Er sagt: Schneller als das Weberschiffchen eilen meine Tage, sie gehen zu Ende, ohne Hoffnung. Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist! Nie mehr schaut mein Auge Glück[1].

 

Der plötzliche Tod meiner Freunde macht mich sprachlos. Ich kann zuhören, wenn ich bei denen bin, die den beiden besonders nahestanden. Manchmal kann ich auch weinen. Trösten kann ich kaum. Wie auch? Ich spüre, dass es mich unruhig macht, dem Tod so nahe zu kommen, auch meinem eigenen. Dann laufe ich hin und her und liege nachts wach. Ijob versucht zu klagen, Gott seine Wut entgegen zu schleudern. Und macht damit seine eigenen Erfahrungen. Es entlastet ihn. Aber gut weiterleben kann er so nicht. Wer mit dem Tod hautnah konfrontiert ist, hat mehr Fragen als Antworten. Dass ein Mensch stirbt, von einem Tag auf den anderen nicht mehr da ist, das übersteigt meine Vorstellungskraft. Ich verstehe es schlicht nicht, und muss trotzdem weiterleben. Ijob hat Recht: Mein Leben ist nur ein Hauch. Aber mein Leben ist auch groß und wunderbar. So wie das Leben meiner Freunde auch. Einmalig und unvergesslich. Wenn dann noch stimmt, was ich glaube, dass Gott uns zu sich nimmt, danach, dann geht das Weiterleben wenigstens ein bisschen leichter.

 

[1] Ijob 7,6f.

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28JAN2024
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Manchmal da möchte man doch Gefühle oder Momente am liebsten einschließen. Für immer darin leben. Dann, wenn man voller Glück ist, ganz mit sich im Reinen, es keinerlei Störfaktoren gibt. Diese Situationen und Augenblicke dauerhaft zu konservieren – das wäre es! 

So einfach geht das leider nicht. Die Hochs des Lebens sind flüchtig. Einfrieren und auftauen, wann man möchte, kann man solche Glücksmomente leider nicht. Oft muss man wieder quälend lange sie warten. 

Für mich ist Weihnachten so ein Moment, den ich gerne festhalten würde. Klar, nicht alles an Weihnachten ist perfekt. Aber trotzdem: Ich finde an Heiligabend und den nachfolgenden Feiertagen legt sich immer so eine Ruhe übers Land. Familie und Freunde treffen sich. Über die Weihnachtstage ist alles andere unwichtig. Weihnachtsstimmung breitet sich aus. Ich habe jedes Jahr den Eindruck: Das tut uns gut. 

Heute wird in vielen Kirchen nochmals an Weihnachten erinnert. Denn in einigen Traditionen endet die Weihnachtszeit erst am 2. Februar. In vielen evangelischen Kirchen wird dabei über einen Abschnitt aus dem 2. Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth gepredigt. Paulus macht den Leserinnen und Lesern Mut:

Wir stehen von allen Seiten unter Druck, aber wir werden nicht erdrückt. Wir sind ratlos, aber wir verzweifeln nicht. Wir werden verfolgt, aber wir sind nicht im Stich gelassen. (2Kor 4,8) 

Paulus erinnert an die Kraft, die durch Jesus in die Welt gekommen ist. Er schreibt seinen Brief Jahrzehnte nach Jesu Tod. Aber Jesus Botschaft hat weitergelebt und die Menschen ermutigt und gestärkt. Das ist bis heute so. Deshalb feiern wir immer noch Weihnachten, die Geburt Jesu. Da kommt eine Kraft in unser Leben, die uns stützt und trägt. 

Die Weihnachtsstimmung lässt sich vielleicht nicht einschließen. Aber Weihnachten wirkt weiter. Das Fest ermutigt. Und wenn ich mich an diese friedlichen, fröhlichen, erfüllenden Weihnachtsmomente zurückerinnere, zieht mich das hoch, wenn ich ratlos oder verzweifelt bin. 

 

     

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21JAN2024
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Das Gefühl, dass Zeit begrenzt ist und immer knapper wird, kennen viele. Nicht nur aus dem Job. Da steht eine Prüfung, ein großes Fest oder ein Umzug bevor. So vieles muss vorher noch erledigt werden. Hab ich auch an alles gedacht, wirklich nichts vergessen? Wird am Ende alles auch so klappen, wie ich mir das ausgedacht habe? Und immer sitzt einem dabei diese Zeit im Nacken, die immer kürzer zu werden scheint. Mir macht sowas mächtig Stress.

Dass die Zeit begrenzt ist und abläuft, das war für die ersten Christinnen und Christen tatsächlich eine Art Grundgefühl. Nur als stressig scheinen sie das damals gar nicht empfunden zu haben. Ganz im Gegenteil. Weil sie damals noch gehofft haben, dass Jesus bald wiederkommen und Gottes neue Welt dann endlich voll und ganz da sein wird. Denn darauf hat auch Jesus selbst ganz fest gehofft. Es spiegelt sich in der Geschichte, die heute in den katholischen Gottesdiensten zu hören ist. Da wird erzählt, wie Jesus beginnt, als Wanderprediger durch Galiläa zu ziehen. Und der Kern seiner Botschaft heißt: „Die Zeit ist erfüllt. Das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt!“ (Mk 1,15) Er war sich sicher: Gottes neue Welt steht kurz bevor. Und die Menschen können ihr entgegengehen, wenn Sie sich besinnen und ganz auf diesen Gott setzen.

Bis heute beten Christinnen und Christen in jedem Gottesdienst den Satz „bis du kommst in Herrlichkeit“. Das ist nicht nur eine Erinnerung an ganz Früher. Der Gedanke, dass die Zeit unserer Welt begrenzt ist, gehört zum Christentum. Oft wird das einfach wie selbstverständlich gesagt. Doch wenn ich in Ruhe darüber nachdenke, dann ist der Satz ja ungeheuerlich. Und zugegeben, wie das gehen soll mit einem Ende der Zeit, das weiß ich auch nicht. Was ich mir aber sehr wohl vorstellen kann, je älter ich werde umso mehr: Dass meine eigene Zeit zu Ende geht. Dass ich mich immer öfter mal frage, wie meine Lebensbilanz wohl am Ende aussehen wird. Sicher, das könnte mir völlig egal sein. Nach mir die Sintflut. Ist es aber nicht. Weil ich als Christ eben glaube, dass ich das nicht nur vor mir selbst, sondern auch mal vor Gott vertreten muss. Angst macht mir das nicht. Aber es macht mir klar, dass auch Zeit endlich und kostbar sein kann. Und dass es deshalb nicht gleichgültig ist, was ich daraus mache.

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14JAN2024
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Ich muss so sieben, acht Jahre alt gewesen sein. Ich erinnere mich, in bin mehr oder weniger gerannt an der Hand meiner Mutter – zu irgendeinem Treffpunkt meiner Schulklasse für einen Ausflug. Meine Mutter ist so gelaufen, dass sie sich eine blutige Blase an der Verse geholt hat – ihr Kind sollte den schönen Ausflug doch nicht verpassen. Und mir selbst, an der Hand meiner Mutter, ist damals total die Puste ausgegangen. Und – ich weiß noch – ich hatte ganz weiche, wacklige Knie vom Laufen. Fast hätte ich geheult, und am liebsten hätte ich aufgegeben.

Wie scheußlich sich das anfühlt – die Kraftlosigkeit, Atemlosigkeit, der Wusch, einfach aufzugeben - das ist mir wieder eingefallen, als ich einen Blick auf den Bibeltext geworfen habe, der heute in vielen evangelischen Gottesdiensten in der Predigt dran ist. Es ist eine Stelle aus dem sogenannten Hebräerbrief, und da heißt es sinngemäß:

Stärkt die müden Hände und die wackligen Knie. Tut sichere Schritte mit euren Füßen, damit niemand ins Stolpern gerät… Jagt dem Frieden nach mit allen Menschen und sucht nach Heiligkeit. (frei nach Hebr. 12, 12-14)

Dem Frieden nachjagen – hier in Mitteleuropa hatten viele wirklich gehofft, dass wir da ein Stück weiter wären. „Nie wieder Krieg“ hatte es nach dem Zweiten Weltkrieg geheißen. So viele Menschen haben sich eingesetzt und engagiert für Frieden, für Abrüstung und Völkerverständigung – und jetzt? In der Ukraine, in Armenien, im Nahen Osten? Warum hat der Frieden da nicht gehalten? Und warum rumort es auch in unserer Gesellschaft so aggressiv, dass es einem mulmig werden kann? Wir haben uns doch so bemüht, sind gelaufen und haben anscheinend doch nur Blasen an den Füßen, die Knie geben nach und manchmal möchte man den Glauben verlieren und einfach aufgeben.

Nein, sagt da der Autor und Schreiber des Hebräerbriefes in der Bibel. Dazu habt ihr kein Recht. Stärkt eure Knie. Schaut zu, dass ihr ordentlich vorankommt. Schluss mit dem Rumgestolpere und weg mit dem Gedanken ans Aufgeben! Gebt den Glauben und das Vertrauen nicht auf. Ihr glaubt ja an Gott und nicht einfach nur an die Kraft der eigenen Beine. Daran, dass Gott für seine Welt Frieden will. Und dass Jesus an Weihnachten geboren wurde, damit dieser Wille für uns greifbar wird! Dass wir Menschen heilig sein können! Und dass Jesus Christus mit uns mitläuft und rennt – und uns mitzieht. Also auf. Mit neuer Kraft: dem Frieden hinterher und der Heiligkeit.

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07JAN2024
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Für mich ist es jedes Mal ein bewegender Moment. Ich stehe als Seelsorgerin am Grab eines Menschen. Gerade wurde die Urne oder der Sarg in die Erde gelassen, und dann nehme ich Weihwasser und spreche die alten Gebetsworte: „Im Wasser und im Heiligen Geist wurdest Du getauft. Der Herr vollende an dir, was er in der Taufe begonnen hat.“

Für mich ist das zutiefst tröstlich. Denn diese Worte bedeuten: Durch die Taufe ist ein Mensch so eng mit Gott verbunden, dass selbst der Tod diese Verbindung nicht zerstören kann. Und sogar noch mehr, dass Gott das Leben vollendet. Dass er alles, was im Leben dieses Menschen kostbar gewesen ist, aufnimmt, und das, was unfertig oder zerbrochen war, ergänzt und heilt.

 

Wenn heute in katholischen Gottesdiensten das Fest „Taufe des Herrn“ gefeiert wird, dann ist die biblische Erzählung von Jesus zu hören, in der er im Jordan getauft wird. Eine Stelle voller Symbolkraft. Jesus kommt zu Johannes dem Täufer und steigt ins Wasser. Vielleicht sogar an eine der tiefsten Stellen im Jordan. Dahin, wo es schlammig ist, wo man stecken bleiben, ausrutschen oder gar untergehen kann. Ein Ort, der symbolisch für das stehen kann, was mich manchmal runterzieht, ein Ort der Ängste und Sorgen. Vielleicht auch ein Ort, der für die Momente steht, in denen ich mit anderen nicht umsichtig umgegangen bin oder in denen ich nachlässig mit meinem Körper war. Momente, in denen ich danach gemerkt habe: so kann es nicht weitergehen. Zu viel dies, zu wenig das.

 

Genau dorthin geht Jesus. Und dort, am tiefsten Punkt, da begegnet mir Gott mit seiner Liebe. In der Bibel heißt es, dass sich der Himmel öffnet und „eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“ (Mk 7,11)

Eine göttliche Liebeserklärung. Und sie verändert Jesus: Danach beginnt er, öffentlich aufzutreten, und die Menschen spüren etwas von diesem himmlischen Liebesband.

In diese Verbindung zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Jesus, sind Menschen mit hineingenommen - vor allem durch die Taufe, aber auch wenn sie eine Sehnsucht nach dieser Verbindung spüren. Eine Verbindung, die Kraft zum Leben und auch zum Sterben gibt.

Für mich sagt Gott zu jedem Menschen: Du, Mensch, bist gut. So wie Du bist. Du bist meiner Liebe wert. Es gibt Dinge, die Dein Leben gefährden. Die dich runterziehen in die Tiefe. Aber ich bin bei Dir. Und auch am tiefsten Punkt Deines Lebens, im Tod, da führe ich Dich zum Leben.

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06JAN2024
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Legendär ist er, König Salomo, von dem die Bibel erzählt. König in Jerusalem, berühmt für seine Klugheit. Sein Vertrauen setzt er auf Gott und regiert sein Land mit großer Weisheit. Und die Pracht an seinem Hofe! Da können die Royals von heute einpacken – und wenn sie auf den Fotos der Illustrierten noch so sehr lächeln und strahlen. Aber ob er wohl wirklich der „perfekte“ Herrscher war? Die Illustrierten von heute hätten sicher versucht, irgendeinen Skandal über Salomo auszugraben. Und sie hätten es sich sicher nicht nehmen lassen, von DEM Staatsbesuch des Jahres zu berichten, den Salomo einmal empfangen hat.

Keine Geringere als die Königin von Saba war angereist – nur um den legendären, unglaublich klugen und perfekten Salomo selbst zu sehen. Und sie macht gleich Ernst, als sie bei ihm eintrifft. In der Bibel wird erzählt, dass sie dem König Salomo Rätselfragen stellt. Am Ende ist sie aber überzeugt: Kein Haar in der Suppe zu finden. Salomo wird seinem legendären Ruf gerecht.  „Das alles sah sie, und es verschlug ihr den Atem.“, so formuliert es der Bibeltext, über den heute in vielen evangelischen Gemeinden gepredigt wird.

Ich finde es bemerkenswert, wie sie dann reagiert. Sie beglückwünscht den König zu seiner Weisheit, spricht davon, dass auf ihm wahrlich Gottes Segen liegt und beschenkt ihn dann mit 4000 Kilogramm Gold. Wenn ich da an die Illustrierten von heute denke oder die Art, wie in der Politik der eine die Schwachstelle des anderen sucht, dann wäre die normale Reaktion auf einen so weisen und mächtigen König viel eher, nach seinen Schwachstellen zu suchen und im besten Falle Profit daraus zu schlagen. Von nichts davon ist hier die Rede. Die Königin reagiert nur mit neidloser Anerkennung. Voller Ehrfurcht. Ganz ähnlich wie die heiligen drei Könige, die viele Jahrhunderte später in der Geschichte von Jesus Geburt auftauchen. Die Weisen aus dem Morgenland, wie sie in der Bibel eigentlich genannt werden, können genau wie die Königin und Saba neidlos bewundern.

Sie können anerkennen, was Anerkennung verdient. Staunen, ohne zu überlegen, ob da nicht doch auch ein Makel ist.

Der Königin von Saba verschlägt es den Atem, sie staunt und dann dankt sie dem Gott Salomos für die Weisheit des Königs. Neidloses Staunen und Danken – ich finde, das ist ein gutes Motto, um Menschen zu begegnen. Auch dann, wenn es keine Könige sind.

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31DEZ2023
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Was für ein Titel: Fest der „Heiligen Familie“. In diesem Jahr fällt in der Katholischen Kirche der letzte Tag des Jahres mit diesem Fest zusammen. Und die Pfarrer, die predigen müssen, haben ein Problem, weil von dem nicht mehr viel übrig ist, was man traditionell so unter Familie und heilig versteht. Ehen werden geschieden, Paare heiraten erst gar nicht - kirchlich sowieso kaum noch. Mit der Autorität der Eltern ist es nicht mehr weit her. Viele Menschen bleiben lieber Singles. Und auch, dass die Rollen und Geschlechter klar in Mann und Frau eingeteilt sind, kann man beileibe nicht mehr behaupten. Wer also nach dem bürgerlichen Ideal von Familie sucht und meint, das sei heilig, der wird enttäuscht sein. Auch von mir, weil ich etwas in der Art auch in der Bibel so nicht finde. Obwohl die Auswahl der Texte, die an diesem Sonntag im Gottesdienst vorgetragen werden, zumindest den braven Schein aufrecht erhalten wollen. In einer Lesung heißt es nämlich: Ihr Frauen, ordnet euch den Männern unter, wie es sich im Herrn geziemt![1] So einen Gedanken findet inzwischen sogar meine Mutter komisch; und die ist über achtzig und in ziemlich traditionellen Rollenmustern aufgewachsen.

Was steckt aber dann an Familie und Heiligkeit in so einem Satz? Und was bringt das für heute? Dass Frauen sich unterordnen, ist vorbei. Gottlob! Aber es bleiben Situationen, wo in einer Familie eine das Sagen hat und der andere folgen muss. Hoffentlich sind die Aufgaben dabei gut verteilt und die Rollen wechseln. Hoffentlich gibt es dann neben dem Sagen und Unterordnen, auch das einander Respektieren und Lieben. Das war schon in der Familie so, die dem Fest heute seinen Namen gibt. Maria wird unter seltsamen Umständen schwanger und setzt sich trotzdem ihrem Verlobten gegenüber durch. Der, Josef, muss sich erst in seine Vaterrolle hineinfinden. Und das Kind interessiert sich bald mehr für Dinge außerhalb seiner Familie, was den Eltern einiges an Kopfzerbrechen bereitet hat.

Familie ist heute anders als früher, komplizierter und vielfältiger, als viele das wahrhaben wollen. Aber im Grunde ist es ganz einfach. Familie ist dort, wo Menschen Leben weitergeben, ein gutes Vorbild und Begleitung sind für die, die nachkommen. Und heilig ist Familie überall da, wo in ihr etwas von Gottes Liebe aufblitzt.

 

[1] Kolosserbrief 3,18

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