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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

11JUL2023
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„Wenn es richtig dicke kam, habe ich zur Mutter Gottes gebetet und die hat mir geholfen.“ Nicht ein wortkarges altes Mütterchen mit Kopftuch und Rosenkranz in der Hand, sagt mir diesen Satz, sondern eine eloquente Frau, die ein mittelständisches Unternehmen leitet und eher in Designer-Klamotten herumläuft.

Ich lerne sie bei einer Urlaubsreise kennen. Wir kommen ins Plaudern und ich verrate, dass ich Theologe bin. Und schon erzählt sie mir, wie sie es so hält mit der Religion. Sie habe das Glück gehabt, immer gute Pfarrer erlebt zu haben, aber eine gute Kirchgängerin wäre sie deshalb nicht. Aber zur Maria, zur Mutter Gottes habe sie ein sehr gutes Verhältnis. „Weißt du“, sagt sie zu mir, „wenn es brenzlig wurde, der Betrieb auf der Kippe stand, weil Kredite bedient werden mussten, Auftraggeber aber nicht bezahlt hatten, dann habe ich eine Kerze bei der Mutter Gottes aufgestellt und gebetet: „Maria hilf!“ Und sie hat jedes Mal geholfen! Entweder die Bank hat mit sich reden lassen oder aber der Auftraggeber hat endlich bezahlt. Auf alle Fälle nach Kerze und Gebet bei der Mutter Gottes ging es wieder aufwärts.“ Erst schmunzeln wir ein wenig darüber, dann aber kommen wir in ein interessantes Gespräch. War es wirklich Maria, die da geholfen hat oder war es das Gebet, das ihr geholfen hat. Durch das Gebet hat sie sich verändert, ist stärker und vielleicht auch selbstbewusster geworden. So selbstbewusst, dass die Banker einfach nicht anders konnten als die Kredite zu verlängern und die Auftraggeber eingesehen haben, endlich die Rechnungen zu begleichen. Wir legen uns in unserm Gespräch nicht fest. Für sie ist es auch unerheblich, ob es Maria persönlich war oder das Gebet zu Maria. Hauptsache es hat geholfen. Am Ende unserer Unterhaltung kommen wir dann als Glaubende, die auch öfter mal zweifeln, zu einem für uns wichtigen Ergebnis: Auch wenn wir uns manchmal die Frage stellen, ob es Gott überhaupt gibt, wenn der Glaube an Gott hilft, brenzlige Situationen zu überstehen, dann macht er Sinn.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

10JUL2023
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Ich gehe gerne auf den Friedhof. Hier bin ich – auch wenn ich alleine bin – nicht einsam. Denn hier fühle ich mich verbunden mit vielen Menschen.

Zunächst einmal mit dem Verstorbenen, dessen Grab ich regelmäßig besuche. Wenn ich eine neue Kerze aufstelle, die Blumen gieße, seinen Namen auf dem Grabstein lese, dann denke ich an ihn. Szenen aus unserm gemeinsamen Leben fallen mir ein. Wenn ich alleine bin, spreche ich ihn auch an, nenne ihn bei seinem Kosenamen. Denn wenn ich seinen Namen laut ausspreche, stärkt das meine Erinnerung an ihn und das tut mir gut.

Ich fühle mich auf dem Friedhof aber nicht nur mit ihm verbunden, sondern auch mit den anderen Verstorbenen, die ich gekannt habe. Wenn ich ihre Namen auf den Grabsteinen lese, dann blitzen Gesichter in mir auf, ich erinnere mich an ihre Stimmen, ihren Gang, ihr Lachen und manchmal auch an das eine oder andere gemeinsame Erlebnis.

Selbst mit den vielen, die ich nicht gekannt habe, fühle ich mich verbunden. Besonders wenn die Gräber nicht mehr gepflegt werden und die Schrift auf den Grabsteinen kaum noch zu lesen ist. Ich male mir dann aus, wie sie wohl gelebt haben. Was sie gehofft haben, ob sie ein erfülltes Leben hatten oder eher nicht, ob es beschwerlich war oder eher leicht. Mit dem Blick auf ihre Gräber wird mir klar: Auch mein Grab wird in einigen Jahren oder Jahrzehnten so aussehen. Dann wird sich kaum noch einer an mich erinnern. So ist eben der Lauf der Welt. Der einzelne Mensch ist nur ein Staubkorn im großen Strom der Geschichte. Aber immerhin ein Staubkorn, ein kleiner winziger Teil von einem großen Ganzen. Und so fühle ich mich auf dem Friedhof nicht nur verbunden mit den Verstorbenen, sondern auch eingebunden in die große Gemeinschaft aller Menschen, und das ist für mich eine Gemeinschaft der Lebenden und der Toten.

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

09JUL2023
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Da hat unser Herr Jesus den Frommen seiner Zeit mal wieder einen eingeschenkt. „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr !, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt.“ (Mt 7,21) Will sagen: Es kommt nicht darauf an, was ich rede, was ich fordere, was ich bete, sondern darauf, was ich tue.  Es kommt nicht darauf an, dass ich im Vater Unser laut und für alle vernehmlich bete: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe!“ sondern darauf, dass ich auch was dafür tue, dass der Wille Gottes geschieht, dass sein Reich kommt.

Mit dem Satz: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt“, hat Jesus aber nicht nur den Frommen seiner Zeit einen eingeschenkt, sondern auch uns heute. Ganz besonders uns Kirchenleuten, die wir ja gerne davon reden, dass die Kirche an seinem Reich arbeitet, sich dafür einsetzt, dass sein Wille geschieht. Sicherlich gibt es auch heute noch Menschen in der Kirche, die dies in aller Redlichkeit tun, aber wir können über das große Versagen der Kirche als Ganzes nicht hinwegsehen, gerade wir Katholiken.

Was mich in dieser Misere tröstet? Den Willen des Vaters zu tun, ist nicht an Kirchenmitgliedschaft gebunden. Man braucht keinen Taufschein, um sich für das Reich Gottes einzusetzen. Ich kenne viele Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind oder überhaupt nie drin waren. Die aber den Willen des Vaters tun, die am Reich Gottes mitarbeiten, auch wenn sie das selbst nie so nennen würden. Zum Beispiel bei der Tafel, im Hospizverein, in der Flüchtlings- oder Nachbarschaftshilfe oder einer der vielen andern Gruppen, in denen Menschen sich für ihre Mitmenschen einsetzen. Sie erfüllen den Willen Gottes – liebe deinen Nächsten wie dich selbst -, auch wenn sie nicht „Herr, Herr!“ rufen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

08APR2023
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Der Freund ist tot. Gestern haben wir ihn zu Grabe getragen. Heute am frühen Morgen bin ich noch mal zum Friedhof gegangen. Ich stehe vor seinem Grab. Der sanfte Tau eines Morgens im Frühling hat sich über die Blumen und Kränze gelegt. Die Sonne bricht sich durch den Nebel, es wird ein schöner Tag werden. Alles drum herum ist voller Leben, blüht und grünt, aber mein Freund ist tot. Niemals mehr werd' ich seine Stimme hören, ein Glas Wein mit ihm trinken, ihn umarmen. Der Gedanke schmerzt und ich will ihn nicht zulassen. Aber ich komme nicht daran vorbei. Zu groß ist das Grab, das vor mir liegt. Ich zupfe ein wenig an den Blumen herum und lege die Kranzschleifen gerade. Dabei werden Erinnerungen an den Freund wach. Die machen ein wenig warm ums Herz. Nicht so, dass ich den Schmerz vergessen kann, aber doch so, dass ich ihn besser aushalte. Ein ganz seltsames Gemisch von Gefühlen entsteht: Trauer und Schmerz aber auch Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit, für jedes gute Wort und jede Umarmung.

Im kirchlichen Kalender ist heute Karsamstag. Der Tag zwischen Karfreitag und Ostersonntag. Der Tag zwischen Kreuzigung und Auferstehung Jesu. Für die Jünger und Jüngerinnen Jesu damals sicherlich der Tag, an dem ihnen bewusstwurde: Der Freund ist tot. Diese brutale Realität können wir nicht verändern, nur aushalten. Von Ostersonntag, von der Auferstehung des Freundes, haben die Jüngerinnen und Jünger an Karsamstag nichts gewusst, diese Hoffnungsperspektive hat es für sie nicht gegeben.

Je älter ich werde, umso öfter stehe ich am Grab eines guten Freundes oder einer guten Freundin. Umso öfter habe ich Karsamstag, muss ich mich im Aushalten üben. Und der Glaube an die Auferstehung? Anders als die Jüngerinnen und Jünger damals weiß ich von der Geschichte. Aber – ganz ehrlich - oft fällt es mir schwer sie zu glauben. Aber bei allem Zweifel, die Hoffnung darauf möchte ich nicht aufgeben.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

06APR2023
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Er hat ihnen die Füße gewaschen, nicht den Kopf. Für mich eine der schönsten Geschichten in der Bibel. Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße. Es ist der letzte Abend, den Jesus mit seinen Freunden hat. Er weiß, dass seine Stunde gekommen ist, dass er bald gefangen genommen wird und die Geschichte ihren Lauf nehmen wird. Karfreitag, seine Hinrichtung, steht vor der Tür. In dieser Situation hält er seinen Jüngern keine langen Vorträge. Nach dem Motto: Was ihr alles beachten müsst, wenn ich nicht mehr bei euch bin. Er macht etwas anderes, etwas, was wohl mehr wirkt als alle Worte. Er gibt ihnen ein Beispiel. Er wäscht ihnen die Füße. Zur damaligen Zeit, als die Straßen sehr staubig waren und man im warmen Israel wohl in erster Linie in Sandalen umherlief, war das eine große Wohltat. Aber, weil das ja nicht besonders schön ist, andern den Dreck von den Füßen zu waschen, war das eine Arbeit für Sklaven.

Am Schluss, nachdem Jesus allen die Füße gewaschen hatte, gibt es dann den Satz zur Moral der Geschichte. Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe“ (Joh 13, 14) Das ist eine Moral, die ich gut abkann. Eine Moral, die vom andern nicht mehr verlangt, als das, was man selbst vorlebt. Eine Moral, die dem andern die Füße wäscht, nicht den Kopf. Die keine Regeln aufstellt, wie der andere sich zu verhalten hat. Sondern das Gebot der Nächstenliebe lebt, und nicht predigt. 

Nun, aufgrund der moralischen Situation meiner Kirche lässt sich keiner mehr von ihr den Kopf waschen, was ich gut verstehen kann. Vielleicht ist das ja ein guter Einstieg für meine Kirche, sich endlich konsequent an Jesus zu orientieren und sich auf’s Füße-waschen zu beschränken. Damit hätte sie auch genug zu tun.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

05APR2023
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Man schreibt das Jahr 5783. Der 14. Tag im Monat Nisan. Überall auf der Welt treffen sich jüdische Familien und feiern ein großes Fest. Dieser Tag ist heute. Denn das Judentum ist ein bisschen älter als das Christentum. Dort schreibt man bereits das Jahr 5783. Heute wird das Pessach Fest eröffnet. Man trifft sich in der Familie zu einer Art Hausgottesdienst mit festem Ritus. Der legt fest, was gegessen und getrunken wird, welche Gebete dabei gesprochen werden und dass das jüngste Kind am Tisch die entscheidende Frage stellen muss. Sie lautet: „Warum unterscheidet sich diese Nacht von allen anderen Nächten.“ Und darauf erzählt der Vater die Geschichte vom Auszug der Israeliten aus der Gefangenschaft in Ägypten. Diese tolle Geschichte wie es dem kleinen Volk Israel mit der Hilfe Gottes gelingt, der Großmacht Ägypten ein Schnippchen zu schlagen. Allerlei Wunder spielen dabei eine Rolle, da wird schon mal das Rote Meer geteilt, damit das Volk durchschreiten kann oder es regnet Brot vom Himmel, damit man in der Wüste nicht verhungert. Historisch weiß man nicht genau, was damals passiert ist. Trotzdem ist diese uralte Geschichte quicklebendig, weil sie seit Jahrtausenden immer weitererzählt wird, von einer Generation an die andere. Diese Geschichte hat Kraft und gibt Kraft, weil die grundlegende Aussage lautet: Gott lässt uns nicht im Stich.

Ich stelle mir die Frage: Wie hat ein jüdischer Vater in der Zeit des Holocaust diese Geschichte seinem Kind erzählt. Verzweifelt, mutig, trotzig? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass diese Geschichte auch heute - nach dem Holocaust - weiterhin erzählt wird.

Gott lässt uns nicht im Stich. Das ist manchmal verdammt schwer zu glauben. Mir tut es dann gut, mich in den Glauben meiner Vorväter und -Mütter einzureihen und mich von ihm tragen zu lassen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

04APR2023
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In meiner Kindheit musste ich ihn noch beten, den Kreuzweg und ich fand das ziemlich langweilig. Schließlich kannte ich als gut katholisches Kind doch die Geschichte von der Kreuzigung Jesu. Warum sich noch mal vierzehn Bilder davon anschauen – in der Kirche oder auch in freier Natur - und dazu immer die gleichen Texte beten und singen.

Heute freue ich mich, wenn mir am Wegesrand auf den Feldern, in den Wäldern oder auch in den Weinbergen Kreuzwege begegnen. Bildstöcke oder auch kleine Kapellen, auf denen der Leidensweg Jesu dargestellt wird. Meist sind es 14 Stationen, manchmal aber auch nur sieben. Sie zeigen wie Jesus verurteilt wird, wie er das Kreuz schleppt, er darunterfällt, eine Frau ,Veronika, ihm ein Schweißtuch reicht, wie er ans Kreuz genagelt wird und schließlich am Kreuz stirbt. Ich frage mich, was haben sich unsere Vorfahren dabei gedacht, diese grausame Geschichte nicht nur in der Kirche, sondern überall in der Landschaft aufzustellen? Und ihn dann auch noch betend abzugehen, einzeln oder gemeinsam, Bildstock für Bildstock? Warum haben sie sich das Leid Jesu so intensiv vor Augen geführt? Modern gesagt: Das Leid Jesu meditiert?

Ich denke an meine Oma. Bei der Station „Jesus begegnet seiner weinenden Mutter“ wird sie während des Krieges bestimmt an ihren Lieblingssohn gedacht haben. An die Szene als er ihr sagte, dass er in den Krieg muss, und es nach Stalingrad geht. Und nach dem Krieg hat sie sicherlich vor der Station „Der Leichnam Jesu wird in den Schoß seiner Mutter gelegt“ geweint. Denn der Sohn ist nie heimgekommen und bis heute weiß niemand, wo sein Grab ist. Sie hat nicht nur das Leid Jesu meditiert, sondern auch ihr eigenes Leid. Das hat sicherlich geschmerzt, aber auch Trost gegeben. Weil sie sich getragen wusste von der Gemeinschaft der anderen Mütter im Dorf, die ebenfalls Söhne verloren hatten. Und weil sie sich getragen wusste vom Glauben an einen Gott, der ebenfalls gelitten hat, der die Menschen auch im größten Leid nicht im Stich lässt.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

03APR2023
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Erst jubeln und dann pfeifen. Das kommt häufiger vor, z.B. beim Fußball. Wenn sie Erfolg haben, die Ballkünstler dann liegen die Fans ihnen zu Füßen. Sie klatschen, jubeln und skandieren die Namen der Stars. Aber wehe, es kommt der Misserfolg, dann wird gepfiffen und es kommen die brutalen Raus-rufe. Und zum Schluss muss oft auch ein Kopf rollen, meistens der des Trainers, denn einer muss den Kopf ja hinhalten, wenn's nicht so läuft, wie die Fans es gerne hätten.

Vom Jubeln und Auspfeifen wird in dieser Woche auch in den Kirchen erzählt. Denn es ist die Karwoche und in der geht es um die letzten Lebenstage Jesu. Und die beginnen erstmal mit Jubel. Jesus zieht in Jerusalem ein, die Menschen legen ihm ihre Kleider zu Füßen, streuen Palmzweige auf den Weg und rufen vor Begeisterung: Hosianna, hochgelobt sei Jesus, der Sohn Davids. Gestern an Palmsonntag wurde das in den Kirchen gefeiert. Aber in fünf Tagen, an Karfreitag, wird er ausgepfiffen. Nicht mehr "Hosianna", ruft das Volk, sondern ganz brutal " ans Kreuz mit ihm". Sie fordern seinen Kopf, denn Jesus hat die Erwartungen des Volkes nicht erfüllt. Sie sahen in ihm den Retter, der das Land von den verhassten Römern befreien sollte. Er aber treibt nur die Händler aus dem Tempel und redet von Nächstenliebe. Anstatt die Römer aus dem Land zu jagen, legt er sich mit der politisch-religiösen Führungsklasse des eigenen Landes an. Er fordert nicht Krieg gegen die Römer, sondern Gerechtigkeit in Israel. Es kam wie es kommen musste, das Volk, das ihn gestern noch liebte, hasst ihn nun. Und so können die religiösen Funktionäre ihn mit Billigung der öffentlichen Meinung kreuzigen lassen.

Es ist so eine Sache mit der so genannten Stimme des Volkes.  Sie schlägt schnell um, ist leicht manipulierbar und viele behaupten in ihrem Namen zu sprechen. Die Wahrheit bleibt dabei meist auf der Strecke.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

17DEZ2022
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Der Ochse fehlt in der Krippe. Sie ist die Attraktion auf dem Weihnachtsmarkt in Andernach am Rhein: Eine lebende Krippe. An den Adventswochenenden wird dort von Laienschauspielern die Weihnachtsgeschichte aufgeführt und die Tiere vom Stall von Bethlehem sind mit dabei. Aber nur Esel, Schafe und Ziegen, der Ochse fehlt.

Nun kann ich verstehen, wenn die Veranstalter einen Ochsen nicht die ganze Zeit auf den Marktplatz stellen wollen. Vielleicht ist es auch im Sinne des Tierwohls nicht so gut, aber schade finde ich es trotzdem.

Denn es ist kein Zufall, dass Ochs und Esel im Stall von Bethlehem stehen. Schon auf den ältesten Bildern von der Geschichte sind sie zu sehen. Die Maler erinnern damit an eine Bibelstelle aus dem Propheten Jesaja: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht:“ (Jes 1,3) Was die Maler uns damit sagen wollen: Nehmt Euch ein Beispiel an Ochs und Esel, sie wissen, wer der Herr ist. Nämlich dieses Kind in der Krippe.

Und es gibt noch einen zweiten Satz in der Bibel mit Ochs und Esel. In einem Buch aus dem Alten Testament, dem Buch Deuteronomium steht: „Du sollst nicht Ochs und Esel zusammen vor einen Pflug spannen.“ (Dtn 22,10) Das wird jeder Bauer verstehen. Denn die beiden Tiere sind unterschiedlich in Größe und Stärke. Ochs und Esel passen gar nicht zusammen, aber genau das passt an Weihnachten. Denn dieses Kind in der Krippe kann Gegensätze vereinen. Da spielen Größe und Stärke keine Rolle.

Wäre das nicht ein tolles Krippenbild. Die Mächtigen dieser Welt stehen vereint an der Krippe und vergessen mal die Frage, wer von ihnen der Größte, Stärkste und Schlaueste ist. Sondern es geht mal nur um dieses Kind in der Krippe und damit um die Kinder dieser Welt, die ein Recht darauf haben in Frieden und Gerechtigkeit groß zu werden. Das ist nämlich der Wille des Herrn in der Krippe. Die Frage, wen die Maler dann als Ochse und wen sie als Esel darstellen, ist mir dabei ziemlich egal.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

16DEZ2022
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Eigentlich ist sie so wie immer, nur ich sehe sie mit anderen Augen: Die Krippe im Kölner Hauptbahnhof. Ich kenne sie seit Jahren, immer wenn ich in der Advents- und Weihnachtszeit in Köln ein-, aus- oder umsteige, schaue ich sie mir an.

Sie ist schon was Besonderes. Etwa 20 qm groß und steht mitten im Shopping-Bereich des Hauptbahnhofs. Maria, Josef und das Jesuskind, die eigentlichen Hauptfiguren der Geschichte sieht man nicht direkt. Denn dargestellt ist die Kölner Altstadt im Zustand von 1946 – nichts als Ruinen. Mit viel Liebe zum Detail sind zerstörte Bürgerhäuser, die im Wasser liegende Hohenzollernbrücke, der Torso der Kirche Groß St. Martin und mit Schutt bedeckte Straßen dargestellt. Und dazwischen Menschen, viele mit Koffer, Rucksack, Decke und irgendwelchen Habseligkeiten. Trümmerfrauen, die Steine sortieren und Sand sieben. Aber auch ein improvisierter Verkaufsstand einer Bäckerei und Kinder, die in all dem Chaos spielen. Und wenn man dann genau hinschaut, sieht man im zerstörten Eingangsbereich der Kirche auch Maria, Josef und das Jesuskind. Maria sitzt mit dem Kind auf einem kleinen Schutthaufen, der notdürftig mit einem Teppich abgedeckt ist. Wie alle andern sind sie Opfer eines Krieges geworden, der unsägliches Leid und Zerstörung über Europa gebracht hat.

Warum ich sie in diesem Jahr mit anderen Augen betrachte? Bisher hat sie mich in erster Linie an die Erzählungen meiner Eltern und Großeltern erinnert, die all dies erlebt haben.

Jetzt erinnert sie mich an Städte in der Ukraine. An Kiew, Cherson, Mariupol. Dort, wo zurzeit Menschen in Trümmern ihre Habseligkeiten suchen und sich auf ein kaltes Weihnachtsfest vorbereiten.

Die Botschaft von Weihnachten: Irgendwo dort auf einem Schutthaufen in einer zugigen Ecke sitzen heute Maria, Josef und das Jesuskind. Gott ist immer auf der Seite der Opfer. Kein Täter dieser Welt wird daran vorbeikommen.

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