Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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16DEZ2022
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Eigentlich ist sie so wie immer, nur ich sehe sie mit anderen Augen: Die Krippe im Kölner Hauptbahnhof. Ich kenne sie seit Jahren, immer wenn ich in der Advents- und Weihnachtszeit in Köln ein-, aus- oder umsteige, schaue ich sie mir an.

Sie ist schon was Besonderes. Etwa 20 qm groß und steht mitten im Shopping-Bereich des Hauptbahnhofs. Maria, Josef und das Jesuskind, die eigentlichen Hauptfiguren der Geschichte sieht man nicht direkt. Denn dargestellt ist die Kölner Altstadt im Zustand von 1946 – nichts als Ruinen. Mit viel Liebe zum Detail sind zerstörte Bürgerhäuser, die im Wasser liegende Hohenzollernbrücke, der Torso der Kirche Groß St. Martin und mit Schutt bedeckte Straßen dargestellt. Und dazwischen Menschen, viele mit Koffer, Rucksack, Decke und irgendwelchen Habseligkeiten. Trümmerfrauen, die Steine sortieren und Sand sieben. Aber auch ein improvisierter Verkaufsstand einer Bäckerei und Kinder, die in all dem Chaos spielen. Und wenn man dann genau hinschaut, sieht man im zerstörten Eingangsbereich der Kirche auch Maria, Josef und das Jesuskind. Maria sitzt mit dem Kind auf einem kleinen Schutthaufen, der notdürftig mit einem Teppich abgedeckt ist. Wie alle andern sind sie Opfer eines Krieges geworden, der unsägliches Leid und Zerstörung über Europa gebracht hat.

Warum ich sie in diesem Jahr mit anderen Augen betrachte? Bisher hat sie mich in erster Linie an die Erzählungen meiner Eltern und Großeltern erinnert, die all dies erlebt haben.

Jetzt erinnert sie mich an Städte in der Ukraine. An Kiew, Cherson, Mariupol. Dort, wo zurzeit Menschen in Trümmern ihre Habseligkeiten suchen und sich auf ein kaltes Weihnachtsfest vorbereiten.

Die Botschaft von Weihnachten: Irgendwo dort auf einem Schutthaufen in einer zugigen Ecke sitzen heute Maria, Josef und das Jesuskind. Gott ist immer auf der Seite der Opfer. Kein Täter dieser Welt wird daran vorbeikommen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36692
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