Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

04APR2023
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In meiner Kindheit musste ich ihn noch beten, den Kreuzweg und ich fand das ziemlich langweilig. Schließlich kannte ich als gut katholisches Kind doch die Geschichte von der Kreuzigung Jesu. Warum sich noch mal vierzehn Bilder davon anschauen – in der Kirche oder auch in freier Natur - und dazu immer die gleichen Texte beten und singen.

Heute freue ich mich, wenn mir am Wegesrand auf den Feldern, in den Wäldern oder auch in den Weinbergen Kreuzwege begegnen. Bildstöcke oder auch kleine Kapellen, auf denen der Leidensweg Jesu dargestellt wird. Meist sind es 14 Stationen, manchmal aber auch nur sieben. Sie zeigen wie Jesus verurteilt wird, wie er das Kreuz schleppt, er darunterfällt, eine Frau ,Veronika, ihm ein Schweißtuch reicht, wie er ans Kreuz genagelt wird und schließlich am Kreuz stirbt. Ich frage mich, was haben sich unsere Vorfahren dabei gedacht, diese grausame Geschichte nicht nur in der Kirche, sondern überall in der Landschaft aufzustellen? Und ihn dann auch noch betend abzugehen, einzeln oder gemeinsam, Bildstock für Bildstock? Warum haben sie sich das Leid Jesu so intensiv vor Augen geführt? Modern gesagt: Das Leid Jesu meditiert?

Ich denke an meine Oma. Bei der Station „Jesus begegnet seiner weinenden Mutter“ wird sie während des Krieges bestimmt an ihren Lieblingssohn gedacht haben. An die Szene als er ihr sagte, dass er in den Krieg muss, und es nach Stalingrad geht. Und nach dem Krieg hat sie sicherlich vor der Station „Der Leichnam Jesu wird in den Schoß seiner Mutter gelegt“ geweint. Denn der Sohn ist nie heimgekommen und bis heute weiß niemand, wo sein Grab ist. Sie hat nicht nur das Leid Jesu meditiert, sondern auch ihr eigenes Leid. Das hat sicherlich geschmerzt, aber auch Trost gegeben. Weil sie sich getragen wusste von der Gemeinschaft der anderen Mütter im Dorf, die ebenfalls Söhne verloren hatten. Und weil sie sich getragen wusste vom Glauben an einen Gott, der ebenfalls gelitten hat, der die Menschen auch im größten Leid nicht im Stich lässt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37387
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