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SWR3 Gedanken

06APR2025
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Rund eintausend Milliarden Euro neue Staatsschulden und kaum einer regt sich darüber auf. Vielleicht auch deshalb, weil ein Land wie unseres sich diese astronomische Summe leisten kann - sagen jedenfalls die meisten Ökonomen. Ganz anders sieht das in vielen armen Ländern aus. In Sri Lanka oder Mosambik etwa. Länder, die so hoch verschuldet sind, dass sie da alleine nicht mehr rauskommen. Weil das, was sie erwirtschaften, zum großen Teil von den Zinsen aufgefressen wird. Geld, dass dann nicht mehr im Land investiert werden kann. Ein Teufelskreis. Diese Länder und die Millionen Menschen, die dort leben, kommen so auf keinen grünen Zweig.

Deshalb haben 35 zivilgesellschaftliche Organisationen nun eine Kampagne angestoßen: Erlassjahr 2025. Dass viele dieser Organisationen aus dem Bereich der Kirchen kommen, ist kein Zufall. Ein Erlassjahr ist nämlich eine uralte Forderung der Bibel. (Lev 25,8-55) Alle 50 Jahre, so heißt es da, sollen alle ihre Schulden erlassen bekommen, verpfändete Grundstücke den Schuldnern zurückgegeben werden. Weil in der Vorstellung der Bibel das Land Gott gehört und vor Gott alle Menschen gleich sind. Eine Art Reset also für Gesellschaft und Wirtschaft.

Nun leben wir nicht mehr in biblischen Zeiten. Ein genereller Schuldenerlass für alle wäre auch kaum sinnvoll. Was es aber dringend braucht: Ein weltweites, faires Insolvenzverfahren für Staaten. Und dazu gehört eben auch, ihnen den Großteil ihrer Schulden zu erlassen. Oft ihre einzige Chance.

 

www.erlassjahr2025.de

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

05APR2025
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„Ich weiß, was ich kann“, sagte mir meine Tochter, als wir miteinander telefonierten. Sie macht gerade ihre Facharztausbildung und in ihrem Job ist das enorm wichtig: Zu wissen, was man kann. Und vor allem: Zu wissen, was man alles (noch) nicht kann. Das gilt zwar auch für andere Jobs. Aber wo es um Leben und Gesundheit von Menschen geht, da kommt es besonders darauf an, die eigenen Grenzen realistisch einzuschätzen. Leute, die sich für viel toller halten als sie sind, die gibt es schließlich genug. Und weil sie sich oft maßlos überschätzen, richten sie Unheil und Schaden an. Im Straßenverkehr, in zwischenmenschlichen Beziehungen, in ihrem Job.

Zu wissen, was ich kann und besonders, was nicht, dafür gibt es im Deutschen ein ganz wunderbares Wort: Demut. Ein Wort, das auch in der christlichen Botschaft einen wichtigen Platz hat. Wer demütig werden will, der sollte deshalb vor allem ehrlich mit sich selbst sein. Demut bedeutet nämlich nicht, verdruckst und mit eingezogenem Kopf durchs Leben zu huschen. Auch als demütiger Mensch kann ich selbstsicher auftreten. Aber ich weiß eben, wo meine Grenzen sind. Weil kein Mensch alles können und wissen muss. Und weil ich selbstbewusst zu dem stehen darf, was ich nicht weiß oder kann. Das macht mich nicht schlechter oder minderwertiger als andere.

In der Bibel gibt es einen Satz, der das für mich ganz gut auf den Punkt bringt: Lernt von mir, sagt Jesus da, denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. (Mt 11,29) Genau das wünsche ich mir nämlich auch: Ruhe finden für meine Seele. Und das kann dann heißen: Ich muss gar nicht toller und größer erscheinen, als ich bin. Muss mich nicht aufplustern, aber auch nicht klein machen. Kann meinen Weg gehen, aufrecht und demütig. Weil ich weiß, wer ich bin und was ich kann.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

04APR2025
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Auch ich bin einer. Einer der gescholtenen Boomer. Einer von denen also, die jetzt 60 sind und älter. Wir sind nicht nur ziemlich viele, wir entscheiden auch wichtige Dinge. Vor allem aber sind wir bei allen Wahlen die stärkste Gruppe. Wir bestimmen also maßgeblich, wie die Zukunft aussieht. Gut ist das nicht. Weil wir Alten nicht die Zukunft sind. Zukunft – das sind die Kinder und Jugendlichen. Und was die bewegt, darum geht es gerade kaum. Weil sie halt wenige sind und keine Stimme haben. Und weil es uns Alten oft so scheint, als ob sie in einer anderen Welt lebten.

Bewusst wird mir das, wenn auf meiner Fahrt zur Arbeit Schülerinnen und Schüler im Zug sind. Da merke ich: Was sie auf ihren Handys anschauen oder worüber sie sich unterhalten, das ist längst nicht mehr Meins. Der 10-Jährige und der über 60-Jährige. In Vielem leben wir scheinbar auf verschiedenen Kontinenten. Mit seinen Helden bei TikTok kann ich so wenig anfangen wie er mit den Figuren meiner Kindheit. Und was ich mir erhoffe, das wird oft wohl ganz anders aussehen als das, was er sich wünscht.

Nun wäre das alles nicht so schlimm, wenn die, die entscheiden, immer alle im Blick hätten. Auch die, die klein sind, schwach oder unmündig. Oft passiert das aber nicht. Beim Klima- und Umweltschutz. Bei der Frage, wie wir unsere Städte lebenswert gestalten. In Restaurants oder Wohnanlagen, wo Kinder vor allem als störend empfunden werden.

Kinder an die Macht, wie es in einem Hit mal hieß, ist sicher nicht die Lösung. Aber die Welt öfter mal durch die Augen von Kindern zu betrachten, würde schon helfen. Und als Christ kann ich mich auch an ein Wort erinnern, dass Jesus mal über die Kinder gesagt hat: „Menschen, die im Herzen Kinder geblieben sind, denen gehört das Himmelreich“.

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03APR2025
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Der amerikanische Soziologe Richard Sennet hat vor kurzem einen Satz gesagt, den ich mir gemerkt habe: „Tu etwas, das gut für die Welt ist und gut für dich!“ Sennet ist inzwischen 82 und einer der wichtigen Intellektuellen unserer Zeit. Er hat sich gefragt, was er wohl in diesen irren Zeiten heute machen würde, wenn er nochmal 22 wäre. Am besten, so meinte er, etwas tun, das anderen hilft und einem selbst auch noch Freude macht.

Den Gedanken finde ich gut, weil für mich darin ein zutiefst christlicher Ansatz steckt: Gutes tun. Einfach so. Für einen anderen Menschen, für die Umwelt, für unsere Gesellschaft. Und zwar ohne zuerst zu fragen: Was bringt mir das? Was hab ich davon? Die Antwort darauf könnten übrigens Millionen Menschen geben, die sich ehrenamtlich engagieren. Weil sie erleben, dass Gutes tun, anderen helfen, oder christlich gesprochen: Nächstenliebe schenken, auch sie selbst zufriedener macht. Tu anderen Gutes und du hast selbst was davon.

Nun könnte man resigniert sagen: Was kann mein mickriges Engagement schon groß bewirken? Was kann ich schon machen gegen mächtige Leute, die brachial und rücksichtslos ihre Interessen durchdrücken? Denen es völlig schnuppe ist, ob andere auf der Strecke bleiben. Vordergründig vielleicht nicht viel. Aber zum Glück ist Gutes-Tun nie sinnlos. Das Engagement im Ehrenamt nicht. Aber auch jedes kleine Lächeln, jedes freundliche Wort, jede Unterstützung, die ich einem anderen schenke, bewirkt ja etwas. Beim Gedränge an der Supermarktkasse. Beim behutsamen Gespräch mit der Kollegin, die seit Tagen schon niedergeschlagen wirkt. Im freundlichen Lächeln für den Obdachlosen, dem ich einen Euro in seinen Becher werfe. Weil eben jedes Gute, auch wenn es noch so unscheinbar ist, diese irre Welt zumindest ein kleines bisschen heller macht

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19MRZ2025
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Was einen echten Kerl ausmacht, das hat Herbert Grönemeyer vor zig Jahren mal halb ironisch in seinem Lied „Männer“ besungen: Dicke Muskeln, furchtbar stark und immer der ganz harte Kerl. Klingt schwer nach Klischee. Trotzdem, viele von uns Männern haben offenbar ein Problem. Weil sie glauben, dass sie vor allem dann Mann sind, wenn sie sich an solch antiquierten Rollenbildern orientieren. Bilder, denen sie vielfach aber gar nicht entsprechen. 

Und deshalb finde ich es zweifelhaft, wenn der „harte Kerl“ gerade scheinbar wieder in Mode kommt. Wenn manche Politiker sich gegenseitig überbieten, wer am härtesten gegen unerwünschte Migranten oder angebliche Sozialschmarotzer vorgeht. Oder wenn Meta-Chef Mark Zuckerberg schwadroniert, dass endlich mehr „männliche Energie“ in seinem Unternehmen herrschen müsse. Was immer das auch heißen soll. Ausgefahrene Ellenbogen? Keine Rücksicht mehr auf Schwächere? Sexismus und dämliche Witze über Frauen?

Für mich klingt das eher pubertär. Als ob stark und energisch vor allem der wäre, der am lautesten rumkrakeelt und den harten Hund markiert. Dabei gibt es sie ja, die starken Männer. So, wie es auch richtig starke Frauen gibt. Weil Starksein eben nicht zuerst mit Muskelkraft und schon gar nichts mit Machogehabe zu tun hat. Stark ist ein Mensch, der souverän ist. Und souverän bin ich, wenn ich weiß, wer ich bin. Was ich will und kann. Wenn mich Kritik nicht gleich umhaut, sondern ich sie gelassen hören kann. Wenn ich mich nicht größer und wichtiger machen muss, als ich eigentlich bin. Anders gesagt: Stark bin ich, wenn ich in mir ruhe.

Gegen all das neue Machogetue steht übrigens eine Kernbotschaft des Christentums, auch wenn sie gerade nicht so angesagt erscheint: Jeder ist etwas wert. Ganz egal, ob du ein Amt oder einen Titel hast. Ob du Millionen verdienst oder gerade über die Runden kommst. Du bist wertvoll! Weil du Mensch bist.

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18MRZ2025
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„Der ist wohl so ein ‚Überkorrekter‘“, meinte mein Sitznachbar, als der Zugbegleiter neben dem Deutschland-Ticket auch den Personalausweis sehen will. Formal ist das völlig in Ordnung, kommt bloß nicht so oft vor. Aber über-korrekt? Was mein Nachbar wohl meinte war: Da nimmt‘s einer offenbar ganz genau. Für seinen Geschmack wohl: viel zu genau.

Nun finde ich es zwar auch nervig, wenn ich im Zug noch meinen Ausweis rauskramen muss. Aber ich mag es, wenn Menschen es genau nehmen. Genau in dem, was sie tun. Menschen eben wie dieser Schaffner. Wenn ich auf der Strecke unterwegs bin, begegne ich ihm öfter. Blaue Bahn-Uniform, dunkelrote Krawatte, immer freundlich und eben - korrekt. Einer, der seinen Job offensichtlich mag. Und der das, was er tut, ernst nimmt. Den Anspruch habe ich auch an mich selbst.

Und deshalb finde ich es auch klasse, wenn die Verkäuferin im Modeladen sich Zeit nimmt, um mich zu beraten. Wenn ich das Gefühl habe, dass es ihr selbst wichtig ist, dass mir ein Kleidungsstück gut steht. Wenn die Technikerin im Studio, die diesen Beitrag schneidet, ganz genau hinhört, damit der Ton wirklich sauber ist. Aber auch, wenn ich in einem Gottesdienst sitze und merke: Der Pfarrer da vorn hat sich echt Gedanken gemacht hat, wie er ansprechend predigen kann. Sowas freut mich. Weil all die Mühe, ja Liebe, die ein Mensch in seine Arbeit legt, sie so wertvoll macht. Und weil ich als Kunde, als Zuhörer oder eben Bahnfahrer genau das dann spüre.

Manch einer mag das pingelig nennen oder eben „überkorrekt“. Aber für mich ist es etwas, was die Philosophie wohl Ethos nennt. Der Ansporn, etwas, das ich für andere tue, wirklich gut zu machen. Ganz egal, was es ist. Ob jemand Wasserrohre montiert oder einen Bus fährt. Kunden berät oder Schüler unterrichtet. Es liegt in seiner Hand, etwas Wertvolles daraus zu machen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

17MRZ2025
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Ein von Gott Erwählter. Ein Messias. Kleiner macht es US-Präsident Donald Trump ja nicht mehr. Eigentlich zum totlachen, wenn es seine Fans nicht auch so sehen würden und die Folgen nicht so schlimm wären.

Dabei hat es Leute wie ihn immer schon gegeben. Weil es auch immer Menschen gegeben hat, die sich einen Messias herbeigesehnt haben. Die Bibel etwa erzählt vom Bußprediger Johannes, der am Jordan stand und Leute taufte. Über ihn heißt es: „Das Volk war voll Erwartung und alle überlegten im Stillen, ob Johannes nicht selbst der Messias sei“. (Lk 3,15) Dabei wollte er gar keiner sein. Und so tauchten damals dauernd neue Messias-Anwärter auf. Und immer hofften die Leute, erlöst zu werden. Von den römischen Besatzern. Von Entbehrungen im Leben. Vom Unrecht und Elend um sie herum. Der ersehnte Messias würde es richten. Daran hat sich in 2000 Jahren offenbar nicht viel geändert. Historisch gesehen ist so ein Möchtegern-Messias also nichts Besonderes. Bloß das mit der Erlösung, das hat eben nie geklappt. Denn wann immer ein vermeintlicher Messias das Himmelreich auf Erden schaffen wollte, ist es furchtbar schiefgegangen.

Nun denken gläubige Christinnen und Christen beim Wort Messias natürlich an Jesus. Weil sie überzeugt sind, dass er dieser Messias war. Ganz anders allerdings, als die Leute ihn sich vorgestellt hatten. Einer, der kein König sein wollte. Auch kein Rächer der Enterbten, der ordentlich auf den Putz haut. Stattdessen einer, der den kleinen Leuten zugehört hat. Ruhig, einfühlsam und überlegt. Besonders denen, die am Boden lagen, weil sie das Leben aus der Bahn geworfen hat. Der gefordert hat, seine Feinde zu lieben und denen die Hand zu reichen, die einen hassen. Eine Witzfigur für alle Machtmenschen. Das Himmelreich auf Erden hat er damit nicht gebracht. Aber einen Weg aufgezeigt, wie es oft nur klein und unscheinbar, aber immer wieder zu erreichen wäre.

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SWR1 Begegnungen

16MRZ2025
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Jan Frerichs OFS copyright: Joschka Link

Heute mit Martin Wolf und mit Jan Frerichs. Wir treffen uns in Bingen, wo er lebt. Jan Frerichs war mal Franziskanermönch. Heute ist er verheiratet und hat zwei Söhne. Der Ordensfamilie der Franziskaner ist er aber treu geblieben. Er gehört nun dem franziskanischen Orden der Weltleute an, die eine Familie haben dürfen und nicht im Kloster leben. Wie sehr die Spiritualität des Heiligen Franz von Assisi ihn geprägt hat, das merkt man schnell, wenn man mit ihm spricht. Unter dem Label barfuss + wild bietet er Kurse an für Menschen, die spirituell auf der Suche sind. Und „wild“ meint hier durchaus Wildnis, Natur, Schöpfung. Etwas also, das ich nie im Griff habe. Für ihn ein guter Ort für geistliche Erfahrungen.

 

Für mich ist das Gegenteil von Glauben auch nicht Zweifeln. Das Gegenteil von Glauben ist für mich Kontrolle. Also wenn du das Gefühl hast, du kannst hier die Kontrolle behalten und du weißt eigentlich schon alles, dann brauchst du nicht zu kommen. Der wilde Raum ist immer der, wo die Antwort nicht schon klar ist, sondern wo ich sie erst finde.

 

Aber auch die uralten kirchlichen Traditionen, sagt er, können Menschen bei ihrer geistlichen Suche helfen.

 

Auch das Unverfügbare bedarf eines Rahmens. Oder sagen wir mal so: Wenn ich jetzt ein Wasser trinken möchte, ist es gut, wenn ich ein Glas habe, weil, dann kann ich das Glas benutzen, das Wasser da reintun und dann trinken. Was wir erleben ist, dass wir uns aufgehört haben mit dem Inhalt zu beschäftigen, sondern nur noch mit dem Glas beschäftigen. Und genauso ist es in spirituellen Dingen. Es ist gut, einen Rahmen zu haben, in dem ich mich bewegen kann. Aber der Fokus ist der Inhalt. Das ist das entscheidende Bild.

 

Um mal in diesem Bild zu bleiben: Suchen Menschen, die zu ihm kommen, also quasi nach diesem Wasser?

 

Sie suchen das Wasser, das tatsächlich den Durst stillt. Ist ja ein uraltes Bild. Jesus benutzt das Bild. Trink aus dieser Quelle und dein Durst wird gelöscht sein, sagt er ja.

 

Und ihren Durst nach Sinn, den können diese Menschen bei den Kirchen also nicht mehr stillen?

 

Durch die Bank könnte man sagen: Alle, die da so zusammenkommen bei barfuß + wild, die haben ihre spirituelle Heimat verloren, so die Orte, die es gab. Kirche als Institution, Gemeinde vor Ort, was auch immer man jetzt da einsetzt, das trägt nicht mehr. Vielleicht ist es auch eine bestimmte Frömmigkeit, die nicht mehr trägt. Der Kinderglaube, der einfach an seine Grenze gekommen ist. Wo ist ein Raum, in dem ich eine Antwort für mich suchen kann? Das ist eigentlich die Grundfrage.

 

Und so einen Raum für neue geistliche Erfahrungen möchte er Menschen bieten. Gibt es denn noch mehr, dass die Menschen, die zu ihm kommen, verbindet?

 

Die stehen auch im Leben alle an einer bestimmten Schwelle. Also, es kommt ein Zeitpunkt im Leben, wo klar ist, es liegt mehr hinter mir als vor mir. Und wenn auch klar wird, dass all das, worüber ich mich identifiziert habe bisher nicht mehr trägt - und diesen Prozessen einen Raum zu geben und aus den Erfahrungen unserer Vorfahren und aus unserer religiösen Tradition zu schöpfen, das ist eigentlich so ein bisschen das, was wir machen bei barfuß + wild.

 

Was es mit dieser „Schwelle im Leben“ auf sich hat, das hat mich interessiert und darüber spreche ich mit Jan Frerichs auch gleich nach der Musik.

 

Ich bin Martin Wolf und begegne heute Jan Frerichs. Aus der alten franziskanischen Tradition heraus macht er Angebote für Menschen von heute, die auf Sinn-Suche sind. Und oft ist er dabei mit ihnen draußen, in der Natur.

 

Wenn ich in die Natur schaue, dann kann das sehr lehrreich sein. Leben ist immer ein Prozess. Und es gibt in diesem Prozess auch den Part des Loslassens. Jeden Tag sehen wir das. Es gäbe überhaupt kein Leben, wenn es keinen Tod gäbe. Und Tod ist Loslassen. Und Tod heißt auch: Das Alte löst sich auf und aus diesem Alten wächst Neues. Aber das Neue kann nur kommen, wenn das Alte auch wirklich Platz macht.

 

Wobei es gar nicht um den physischen Tod gehen muss. Denn auch mitten im Leben heißt es ja immer wieder: Loslassen. Lebensabschnitte, die zu Ende gehen und nicht wiederkommen. Eine Freundschaft. Ein jahrzehntelanges Berufsleben.

 

Wenn wir uns ehrlich machen, sterben wir ja die ganze Zeit an jeder kleinen Schwelle im Leben. Meine Kinder sind jetzt 13 und 15. Ich gucke die an und denke: Wo sind eigentlich meine Kinder? Die kommen nicht wieder. Auf einer gewissen Ebene ist da auch etwas zu Ende gegangen. Und die Frage kann sein: haben wir die eigentlich gut genug verabschiedet, diese Zeit? Und haben wir die neue gut begrüßt? Das sind die Lebensübergänge.

 

Dass die erste Lebenshälfte ganz andere Fragen stellt als die zweite, das merke ich auch an mir selbst. Gibt es denn einen bestimmten Punkt im Leben, an dem ich weiß: Jetzt beginnt die zweite Hälfte?

 

Es geht nicht um die Lebensjahre. Ich habe mal beim ZDF im Kinderprogramm gearbeitet. Wir haben Sendungen gemacht über krebskranke Kinder, die haben mit zehn, elf Jahren Dinge gesagt, die ich von manchen Senioren noch nicht gehört habe. Das Leben hat sie schon in die zweite Lebenshälfte gebracht, weil sie sich eben zum Beispiel mit der Endlichkeit auseinandersetzen mussten. Es geht um Kontrollverlust an diesen Schwellen, und wie gehe ich damit um. Wie gehe ich also mit diesen Dingen um, die mir natürlich auch meine Begrenztheit deutlich machen? Das ist zweite Lebenshälfte.

 

Geht es letztlich also um die uralte Frage nach dem Sinn meines Lebens? Und darin vielleicht auch um die Frage nach Gott?

 

Es geht darum, wie ich mein Leben leben kann, wie ich mit den Fragen umgehe, die mein Leben mir auch stellt. So sind die Lebenshälften auch nicht nacheinander, sondern es sind zwei Qualitäten und ich wachse in die zweite hinein, das Innere, das Große und Ganze. Mystik ist die Erfahrung des Ganzen, Erfahrung Gottes. Gott ist ein Wort für das Ganze. Für das Sein, für das Da-Sein.

 

Ein Wiederentdecken also der christlichen Mystik.

 

Und an der Stelle bräuchte es Exerzitienhäuser, Orte der Einkehr, spirituelle Orte, das, was wir früher Frömmigkeit genannt haben. Damit die Leute, eine gute Erfahrung machen, die sie wirklich trägt im Leben.

 

 

 

www.barfuss-und-wild.de

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SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

16MRZ2025
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„Vertrauen ist der Anfang von allem.“ Das war mal ein erfolgreicher Werbeslogan einer großen Bank. Ob er da wirklich immer so gepasst hat, das weiß ich nicht. Aber grundsätzlich stimmt der Satz ja. Denn wenn ich nichts und niemandem mehr vertraue, dann werde ich es mächtig schwer haben. Wer vertrauen kann, hat es einfach leichter im Leben. Dabei fängt Vertrauen tatsächlich schon beim Geld an. Wenn ich etwa nicht mehr darauf vertrauen kann, dass mein 50-Euro-Schein auch in zwei Wochen noch genau 50 Euro wert ist, dann habe ich ein echtes Problem. Wenn ich Menschen, die ein politisches Amt innehaben, grundsätzlich nicht vertraue, dann hat unsere Demokratie ein Problem. Und wenn ich überhaupt niemandem mehr vertraue, der mir begegnet, dann werde ich schon bald nur noch ein missmutiger und ziemlich einsamer Mensch sein. Misstrauen entfremdet Menschen voneinander, macht echte Nähe unmöglich, zerfrisst jede Beziehung. Man könnte den Satz darum auch umdrehen: Misstrauen ist das Ende von allem.

Weil Vertrauen so unglaublich wichtig ist, spricht auch die Bibel immer wieder davon. Schon ganz am Anfang, im allerersten Buch. Da wird von Abraham erzählt. Bis heute spielt der für den Glauben von Juden, Christen und Muslimen eine entscheidende Rolle. Die Geschichte geht so: Jahre zuvor schon hatte Gott dem Abraham, der als Nomade in der Wüste lebte, und seiner Frau Sara versprochen, dass sie mal ganz viele Nachkommen haben werden. Das Problem war nur: Die beiden haben bis dato einfach keine Kinder bekommen. Trotzdem vertraut Abraham blind auf Gottes Zusage. Danach jedoch passiert dann viele Jahre einfach gar nichts. Eines nachts nun, in einer Vision, wendet sich Abraham erneut an Gott. Er will wissen, was denn nun aus Gottes damaligem Versprechen geworden ist. „Das wird doch eh nichts mehr mit Kindern“, hält er Gott vor. Und Gott? Wiederholt einfach sein Versprechen. Mehr noch. Er schickt Abraham nach draußen, vor sein Zelt. In den Nachthimmel über der dunklen Wüste soll er schauen - in jenes grenzenlose Meer an Sternen, das man nachts dort sehen kann. So viele Sterne, wie du da oben siehst, so zahlreich werden mal deine Nachkommen sein, verspricht ihm Gott. Manch einer hätte da wohl gesagt: „Na klar, wer‘s glaubt wird selig.“ Aber Abraham vertraut ihm. Wieder mal. „Und das“, so heißt es in der Bibel, „rechnete Gott ihm als Gerechtigkeit an“.

Für mich gehört diese Geschichte vom nächtlichen Sternenhimmel zu den schönsten in der Bibel. Weil sie so viel darüber erzählt, was Glauben bedeutet. Nämlich, vertrauen zu können. Grenzenlos. Gegen jede Einflüsterung, die mir sagen will: Ist doch alles Quatsch. Bringt ja eh nichts. Ein Mensch der vertrauen kann, der kann glauben.

                                                                                                                                                                      

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ein geflügeltes Wort, das sich schon lange in unserer Alltagssprache eingenistet hat. Ist ja auch was dran. Wenn es um Abrechnungen oder Bankauszüge geht. Um Firmenvertreter, die an der Haustür klingeln. Um unbekannte Anrufer, die mir irgendwas aufschwatzen wollen. Und obwohl wir das im Prinzip ja alle wissen, fallen trotzdem Menschen darauf rein. Weil sie anderen vertraut haben, obwohl gesundes Misstrauen und Kontrolle sinnvoller gewesen wären.

Aber auch in Glaubensfragen halten es viele heute eher mit Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser und gehen lieber auf Abstand. Vielleicht, weil ja bisher noch keiner irgendeinen Gott gesehen oder bewiesen hat. Weil jene, die an so einen Gott glauben, immer so ein Geruch von Selbstbetrug umweht. Der Verdacht, dass sie sich etwas zurechtphantasieren, was es nicht gibt und nie gegeben hat. Eine Krücke für schwache Gemüter eben, die mit den Zumutungen der realen Welt nicht klarkommen und sich darum was vormachen müssen. Ich kann Menschen, die so denken, sogar verstehen. Glauben in einer rationalen, durchorganisierten Welt ist eine ständige Zumutung. Auch für mich.

Als ich vor einigen Jahren am Sarg meines Vaters gestanden habe, da habe ich zu ihm gesagt: „Wir sehen uns wieder!“ Ich weiß noch, dass mir damals Zweifel kamen, noch während ich das sagte. Wird das so sein? Machst du dir nicht was vor? Zweifel gehören aber dazu, sind die Rückseite jedes erwachsenen Glaubens. Und doch kann ich noch immer glauben, was ich damals gesagt habe. Weil ich immer noch auf diesen Gott vertraue. Denn wenn ich dieses Vertrauen nicht hätte, dann würde letztlich auch der Satz, dass die Liebe stärker ist als der Tod, keinen Sinn mehr machen. Auch so ein Satz aus der Bibel. Ich kann ihn sogar spüren, immer wieder.

Hier kommt Abraham nochmal ins Spiel, der schließlich doch noch Kinder bekam, gegen jede Lebenserfahrung. Abraham, den nichts und niemand erschüttern konnte in seinem Vertrauen auf Gottes Zusage. Oder anders gesagt: In seinem Glauben. Damals, am Sarg meines Vaters, habe ich gemerkt: So unerschütterlich glauben wie dieser Abraham kann ich nicht. Aber vertrauen will ich trotzdem darauf, dass das Leben und die Liebe größer sind als der Tod. Und dass an Gottes Wort, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, etwas dran ist. Vertrauen ist vielleicht nicht der Anfang von allem. Aber es ist der Anfang des Glaubens.

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SWR1 3vor8

23FEB2025
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Heute wird ein neuer Bundestag gewählt. Was von all den steilen Forderungen aus dem zurückliegenden Wahlkampf am Ende übrig bleibt, das wird sich zeigen. In den letzten Wochen jedenfalls konnte man mitunter meinen, dass es nur noch Schwarz oder Weiß gibt. Dass kaum noch Platz ist für die unendlich vielen Grau- und Zwischentöne, die unsere Gesellschaft ausmachen.

Nun sind steile Forderungen ja keine Spezialität von Wahlkämpfern. Auch das Christentum kennt sie, vor allem, wo es ums Zusammenleben geht. Ein Blick in die sogenannte Feldrede Jesu, die der Evangelist Lukas aufgeschrieben hat, genügt. Ein Ausschnitt daraus ist heute in den katholischen Kirchen zu hören. (Lk 6,27-38) Da lese ich etwa: Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand das Deine wegnimmt, verlang es nicht zurück! Ich gebe zu: Da bin ich schon raus. Ich gebe nicht jedem was, der mich auf der Straße nach Geld fragt. Und wenn ich bestohlen werde, möchte ich mein Eigentum natürlich zurückhaben. Außerdem sind das nicht die einzigen steilen Forderungen, die Jesus an seine Anhängerinnen und Anhänger richtet: Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen, heißt es da noch. Und auch: Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin. Nimmt man Jesus beim Wort, dann verlangt die christliche Botschaft denen, die ihr folgen, also eine ganze Menge ab. Anzunehmen ist aber auch, dass sehr viele Christinnen und Christen diesem hohen Anspruch kaum genügen dürften. Mich selbst eingeschlossen.

Nun wusste Jesus natürlich, dass die Welt nicht nur schwarz-weiß ist. Dass es da endlos viele Schattierungen und Zwischentöne gibt. Seid barmherzig, fordert er deshalb. Vielleicht kommen ja nur Menschen, die die vielen Grautöne wahr- und ernstnehmen, überhaupt auf so ein Wort wie „barmherzig“. Weil kein Mensch auf der Welt perfekt ist. Und weil unser Zusammenleben schnell unerträglich würde, wenn wir bei Fehlern und Schuld, bei Dummheit und Schwäche nicht mehr barmherzig sein könnten. Barmherzig zu anderen und auch zu uns selbst. Das kann natürlich nicht bedeuten, alles einfach gutzuheißen. Wegschauen und Schönreden lösen kein einziges Problem. Doch für die, die sich am Evangelium orientieren wollen, kann es nicht nur Schwarz oder Weiß geben. Und ein Mensch, der als Christ oder Christin barmherzig mit sich selbst sein kann, der wird es auch hinnehmen, wenn er an den hohen Ansprüchen Jesu öfter mal scheitert. Auch, wenn er sich noch so sehr bemüht hat.

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