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SWR2 Wort zum Tag

30JAN2023
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„Zum Paradies mögen Engel dich geleiten, die heiligen Märtyrer dich begrüßen und dich führen in die heilige Stadt Jerusalem.“ Ein mir bekannter Kirchenmusiker sang vor kurzem diese uralte Melodie. Es sind Worte, die in der katholischen Liturgie der Begräbnisfeier ihren Platz haben. Die Mutter eines engen Freundes haben wir zu Grabe getragen und ich war mitten in der Trauerfamilie, mit der ich befreundet bin.

Es war ein sehr intensiver Tag für mich, denn ich wurde wieder hineingenommen in dieses Geheimnis von Tod und Sterben, das mich schon oft fasziniert hat. Als im Lauf des letzten Jahrzehnts meine beiden Eltern starben, war ich selbst so betroffen, dass es mir schwergefallen ist, in die Tiefe dieses Geheimnisses hineinzugehen, dieses Faszinosum zu spüren.

Jetzt aber, bei dieser Beerdigung, merkte ich wieder, wie sich das Leben an diesem Punkt intensiviert und verdichtet. Die Verstorbene war eine einfache Frau und ihre ganze Biographie war geprägt von Arbeit und Sorge um die Familie. Mir ist wieder klar geworden, wie wenig akademische Bildung zählt, wenn das Leben zu Ende geht und zu Ende ist. Was zählt, sind Eigenschaften, wie sie die Verstorbene ausgezeichnet haben: Großzügigkeit, Herzensgüte, die Fähigkeit zu verzeihen und zu lieben. Jetzt zeigte sich, dass das die Dinge sind, die die Größe eines Menschen ausmachen. Aber brauchen wir erst den Tod, um dies festzustellen? Nicht unbedingt, aber es verdichtet sich im Tod, was ein Mensch wirklich war und was ihn ausgezeichnet hat. Der Tod ist für uns Menschen ein Skandal, weil er letztlich völlig unbegreiflich ist und es uns verborgen bleibt, was da passiert. Aber er führt uns auch in eine Tiefe, die wir im Alltag oft nicht erreichen.

Die Verstorbene war ein sehr gläubiger Mensch und ich habe mich gefragt, ob das ein Grund war, warum sie sich in Frieden von allen Freunden und Familienmitgliedern verabschieden konnte, bis zum letzten Tag ihres Lebens. Und was ihr Mann, ihre Kinder und Enkel sich von ihr erzählten, wie dieser gute Geist die Familie miteinander verknüpft hat, das hat mich tief beeindruckt. Ihre Zuversicht möchte ich gerne mit ihr teilen, diesen Glauben, dass es nach dem irdischen Leben einen guten, weiteren Weg gibt.

So würde ich es mir auch wünschen, wenn auch in meiner Begräbnisfeier einmal jemand singt: „Zum Paradies mögen Engel dich geleiten“

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SWR2 Wort zum Tag

11OKT2022
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Winnetou und Pipi Langstrumpf, Helden meiner Kindheit. Und jetzt sollen diese Bücher und Filme auf einmal moralisch nicht mehr gut sein? Die Wellen der Empörung schlagen hoch und wir sind dabei, als Gesellschaft kaum mehr einen Konsens zu finden. Viele Menschen empören sich lieber, als einander zuzuhören und zu verstehen, was eigentlich dahintersteckt, wenn etwas als nicht „politisch korrekt“ bezeichnet wird. Die Debatte um Winnetou und kulturelle Aneignung eignet sich jedenfalls hervorragend, uns weiter zu spalten und ein Blick in die USA genügt, um zu sehen, wie diese Spaltung immer mehr das tägliche Zusammenleben vergiften kann.

Für Anfang November haben die ARD-Anstalten eine Themenwoche geplant, die überschrieben ist mit „WIR GESUCHT - Was hält uns zusammen?“ Ich finde diesen Titel sehr passend, denn als Christ eifere ich Jesus von Nazareth nach, der mit seinem Leben und seiner Lehre deutlich gemacht hat, dass es nicht vornehmlich um das „ICH“ gehen kann, sondern um das „DU“ – von dort ist es dann ein kurzer Weg zum „WIR“.

Wenn ich vom „ICH“ zum „DU“ komme, bemühe ich mich, erstmal zuzuhören, statt verbal auf mein Gegenüber einzudreschen. Ich versuche zu verstehen, warum Menschen – vor allem junge Menschen – darauf hinweisen, was Rassismus ist und wo wir Menschen anderer Herkunft benachteiligen. Und wenn ich verstehe, dann kann ich auch hören, was daran ein Problem sein kann, dass wir in Europa seit Jahrhunderten auf andere Kulturen herabschauen, Menschen wegen ihrer Herkunft diskriminieren und benachteiligen, aber ihre kulturellen Symbole und Bräuche gedankenlos benutzen.

Und auch den jungen Menschen sollten wir zuhören, die für eine bessere Welt brennen und kämpfen und dadurch provozieren. Gegen Unterdrückung zu kämpfen erfordert Mut und macht verständlicherweise oft wütend. Aber wer die Welt positiv verändern will, muss auch die Frage beantworten, wie wir möglichst viele Mitmenschen auf diesem Weg zu einem besseren morgen mitnehmen können. Auch das gehört dazu, vom „ICH“ zum „DU“ zu kommen.

Ein entscheidender Unterschied ist dabei, ob ich klarmache, was falsches Handeln ist, oder ob ich den dabei handelnden Menschen generell als schlecht qualifiziere. Wenn ich meinem Gegenüber sage, dass zum Beispiel sein Reden oder Handeln gerade rassistisch war, kommt es sehr darauf an, ihn nicht gleich als „Rassisten“ abzustempeln. Denn dies würde ja heißen, dass er immer so handelt und generell so ist. Ich glaube, es braucht unbedingt den Geist der Unterscheidung zwischen diesen beiden Dingen – dann kann auch der nächste Schritt gelingen: vom „DU“ zum „WIR“.

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SWR2 Wort zum Tag

10OKT2022
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Es ist ziemlich genau zwei Jahre her, da saß ich mit meinem schwerkranken Vater auf dem Balkon und wir sprachen über den schweren Weg, der vor ihm lag, den letzten Abschnitt seines Lebens. Er fragte mich, ob ich denke, dass er ein guter Mensch gewesen sei. Ich konnte ihm versichern, dass ich das in der Tat glaube und es war ihm wichtig, dies von mir zu hören.

Was hier am Ende des Lebens so stark zutage tritt, scheint mir für unser Menschsein allgemein zu gelten: wir wollen gut sein, keine schlechten Menschen. Eigentlich …

Wie aber kommt es dann zu diesem oft verwendeten und eindeutig negativ gemeinten Begriff des „Gutmenschen“? Ich zucke regelmäßig zusammen, wenn ich ihn höre. Was soll denn sonst der Anspruch an uns sein, wenn nicht ein Gutmensch zu werden? Oder anders gefragt: Was unterscheidet denn einen Gutmenschen von einem „guten Menschen“?

Mir kommt ein anderer Begriff in den Sinn und zwar der des „Moralapostels“. Für uns Christen sind Apostel ja Gesandte Jesu, also wichtige Boten seiner frohen Botschaft. Mit „Moralaposteln“ aber sind Leute gemeint, die sich selbst zu Gesandten der Moral machen und Moral „predigen“ Moralpredigten aber sind immer unangenehm, weil mir da jemand sagen will, wie ich zu denken oder zu handeln habe. Das schränkt meine Freiheit ein und gleichzeitig nervt es.

Vielleicht kommt es also darauf an, wie man etwas sagt, wie man das gute Handeln einfordert und sich dabei nicht über diejenigen stellt, zu denen man spricht. Denn ohne Moral geht es nicht, die immer danach sucht, was für alle gut ist.

Ob wir es mögen oder nicht: Als Gesellschaft brauchen wir Leitfäden und müssen uns immer wieder gegenseitig daran erinnern, nicht aggressiv und gewalttätig zu sein, nicht unseren Planeten komplett zu zerstören, nicht die Armen und Benachteiligten einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Es gehört zu unserem Menschsein dazu, gut sein zu wollen und doch auch zum schlecht sein gewissermaßen getrieben zu sein. Und deshalb halte ich es lieber mit Margot Käßmann, die sich darüber ärgert, dass „Gutmensch“ zu einem so diffamierenden Begriff geworden ist. Sie sieht darin Menschen, die glauben, sie könnten die Welt verbessern und sagt: „Ich finde, wir brauchen solche Menschen.“

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SWR2 Wort zum Tag

23JUL2022
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Ambiguitätstoleranz – ein ziemlich hochgestochen klingender Ausdruck. Aber für religiöse Menschen heute vielleicht doch ein sehr passendes Wort. Es bezeichnet die Fähigkeit, mehrdeutige Situationen und widersprüchliche Handlungsweisen zu ertragen. Beim Thema Religion und Gewalt ist das besonders stark. In vielen heiligen Schriften gibt es Texte voller Gewalt – der Koran wird hier immer wieder zitiert, aber in der Bibel finden sie sich ebenfalls. Ein Bischof sagte kürzlich in meinem Beisein, dass er sich mit zunehmendem Alter mehr und mehr frage, wie er mit solchen Texten umgehen soll, wenn sie in den Lesungen bei Gottesdiensten auftauchen.

Ein weiteres Problem ist religiös motivierte Gewalt, wie sie konkret stattfindet. Leider ist das oft nicht nur ein Missbrauch von Religion, wie immer wieder behauptet wird, sondern da glauben Menschen wirklich ernsthaft, es sei Gottes Wille, wenn sie andere töten.

Auf der anderen Seite gibt es in der heiligen Schrift mächtige Aufrufe zu Frieden, Versöhnung und sogar Feindesliebe. Sie inspirieren bis heute kirchliche Friedensstifter. In diesem Monat zum Beispiel in Kolumbien, wo ein Jesuitenpater als Vorsitzender der Wahrheitskommission eine wirkliche Chance hat, einen furchtbaren und langwierigen Konflikt aufzuarbeiten. Und in Ecuador, wo ein Bischof es geschafft hat, in einem blutigen Streit zwischen der Regierung und Vertretern von Indigenen-Verbänden zu vermitteln.

Ich freue mich darauf, dass ich in diesen Tagen eine Konferenz in Zimbabwe mitgestalten darf. Die Bevölkerung dieses südafrikanischen Landes geht schon seit über 20 Jahren von einer Wirtschaftskrise in die andere. Politisch motivierte Gewalt und Unterdrückung sind an der Tagesordnung. Auch hier sind es immer wieder die Kirchen, die nicht nur die besten Schulen des Landes aufrechterhalten, sondern auch dem Grundsatz folgen, den religiöse Akteure in solchen Situationen zugrunde legen sollten: Sie waren vor der Krise da, sie sind während der Krise nicht weggegangen und sie werden auch nach der Krise eine neue Zeit mitgestalten.

Das beeindruckt mich und lässt mich an das Jesuswort denken, in dem er den Menschen zusagt: „Ich bin bei Euch alle Tage“. Und ich muss an die Worte in der christlichen Trauung denken, wo man sich verspricht „die Treue zu halten, in guten und schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit, in Reichtum und Armut.“ Wenn die Kirche das vermitteln kann, dann will ich gerne zu dieser Kirche gehören.

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SWR2 Wort zum Tag

22JUL2022
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Letzte Woche hatte ich einen Moment, den man in der Jungendsprache einen „cringe-Moment“ nennen würde. Aus dem Englischen übersetzt bedeutet „cringe“ so viel wie „zusammenzucken“ und wird als Ausdruck für „fremdschämen“ benutzt. Ich las auf allen Kanälen, dass Papst Franziskus sich zum Thema Schwangerschaftsabbruch geäußert hatte und es mit „dem Anheuern eines Auftragsmörders“ verglich. Dieses hoch komplexe Thema, dass gerade in den USA zu einem Kulturkampf stilisiert wird, mit so einem plumpen Vergleich zu behandeln konnte ich schwer ertragen. Ein enger Freund, der ohnehin mit der Frage hadert, ob er sein Kind in der katholischen Kirche taufen lassen will, schickte mir die Nachricht zu und war fassungslos. Nicht viel besser ging es mir, als der Papst ein paar Wochen davor den sogenannten „synodalen Weg“ in Deutschland und damit die jahrelangen Reformbestrebungen der deutschen Katholiken grundsätzlich infrage gestellt hat. Ich halte diesen Reformprozess für die letzte Chance, wie meine Kirche vielleicht doch noch in der Lebenswirklichkeit heutiger Menschen ankommen kann. Und dann diese Worte des Papstes: „In Deutschland gibt es eine sehr gute evangelische Kirche. Wir brauchen nicht zwei davon.“ Da war es wieder, dieses Gefühl: Wenn ich bleibe, stütze ich halt doch nur ein System, welches ich eigentlich für zutiefst verbohrt und unnachgiebig halte.

Doch dann war ich bei einer Feier mit Freunden, die ich vor Jahrzehnten in der kirchlichen Jugendarbeit kennengelernt habe. Wir haben zusammen einen berührenden und bereichernden Gottesdienst gefeiert. Ein offener, zugewandter Priester war da und viele Menschen, die genauso wie ich zeitlebens mit der Kirche hadern und doch so viel für sich aus der christlichen Botschaft ziehen können. Es war zu spüren, wie diese Botschaft sie auf ihren Lebenswegen begleitet hat, persönlich und als Freunde oder Paare. Und so stehe ich hier mit dieser ganzen Ambivalenz und frage mich, was denn nun mehr wiegen sollte: Das Negative oder das Gute.

Es ist die Gretchenfrage vieler Menschen heute, die gläubig und in der Kirche beheimatet und trotzdem von ihr enttäuscht sind. Wie sollen wir sie auflösen? Einstweilen bleibt mir wohl nur, diese Widersprüchlichkeiten zu ertragen, ihnen aber auch dadurch gerecht zu werden, dass ich sie klar benenne und mit anderen teile. Denn ich will die Kirche weder verdammen, noch so tun, als wäre alles doch eigentlich in Ordnung. Ein paar „cringe-Momente“ weniger wären schon mal ganz gut.

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SWR2 Wort zum Tag

24MAI2022
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Morgen beginnt in Stuttgart der 102. Katholikentag. „Leben teilen“ heißt dieses Mal das Motto und es wird in vielen Foren und Diskussionen darum gehen, was Christinnen und Christen zu gesellschaftlichen Themen zu sagen haben. Gleichzeitig wird es in Stuttgart auch um innerkirchliche Themen gehen. Nachdem die Kirche in den Abgrund sexualisierter Gewalt an Kindern geblickt hat, stieß die katholische Bischofskonferenz einen Reformprozess an, bei dem es um Themen geht, die wir seit Jahrzehnten diskutieren: Sollen Priester weiter zu sexueller Enthaltsamkeit gezwungen sein oder sollen sie sich aussuchen können, ob sie zölibatär leben wollen oder nicht? Muss die Kirche nicht Frauen zur Weihe zulassen, weil es eine grundsätzliche Verletzung ihrer Menschenrechte ist, ihnen dies zu verweigern? Wie kann der Zugang zu Macht und Einfluss in der Kirche so geregelt werden, dass er allen offensteht und nicht nur einer kleinen Gruppe von Männern? Wie kann die Lehre der Kirche zu Sexualität so reformiert werden, dass der Respekt vor den Menschen im Vordergrund steht, statt starre Regularien, die den Menschen misstrauen?

Natürlich kann man sagen, dass diese Themen nur diejenigen interessieren, die schon zur Kirche gehören und somit für den Rest der Gesellschaft nicht relevant sind.

Ich meine aber, dass die christliche Botschaft und das Leben mit dem christlichen Glauben für uns Menschen viel Wertvolles bereithält, uns sehr viel geben kann, damit Leben gelingt – und zwar jenes „Leben in Fülle“, von dem Jesus im Johannesevangelium spricht. Wenn aber Menschen heute gar nicht mehr zu dieser Botschaft vordringen, weil die Kirche ihnen den Weg dazu verstellt, dann dient sie nicht der Verbreitung des Evangeliums, was eigentlich ihre wichtigste Aufgabe ist. Diese Hindernisse zur Seite zu räumen ist also ein Dienst am Menschen und ums Dienen geht es in der erwähnten Botschaft ganz zentral und überall. Deshalb sind die Reformthemen, die wir ab morgen beim Katholikentag diskutieren werden, kein kirchliches Kreisen um sich selbst, sondern eine Suche, wie Glaube für die Menschen von heute fruchtbar gemacht werden kann. Ich freue mich auf diese Diskussionen und die Suche, wie unsere Kirche immer mehr eine dienende Kirche werden kann für die Menschen von heute.

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SWR2 Wort zum Tag

23MAI2022
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Übermorgen beginnt in Stuttgart der 102. Katholikentag. „Leben teilen“ heißt dieses Mal das Motto und man kann sich vorstellen, welche Themen sich dabei in den Vordergrund drängen. Eines wird lauten: Wie organisieren wir das Zusammenleben in der Gesellschaft nachdem die Corona-Pandemie uns schonungslos vor Augen geführt hat, wo unsere sozialen „Sollbruchstellen“ liegen? Ganz sicher wird es in vielen Diskussionen darum gehen, wie wir auf den Krieg in der Ukraine reagieren. Ist es geboten, aus Solidarität Waffen in die Ukraine zu liefern und zwar auch im Geiste der christlichen Botschaft, die uns an die Seite derer ruft, die bedrängt sind? Oder ruft uns diese Botschaft dazu auf, unbedingt auf Gewalt zu verzichten und nur die Macht des Wortes zu nutzen und zu verhandeln? Hier sind wir als Christinnen und Christen in einer elementaren Situation, die eine Entscheidung fordert. Es geht um die biblische Tugend, die Geister zu unterscheiden. Einfache Antworten verbieten sich. Dass wir Abstriche machen müssen, um mit unseren Energiezahlungen nicht weiter eine kriegerische Aggression zu alimentieren, scheint mir persönlich kaum strittig. Das kann sich wirtschaftlich sehr schmerzhaft auswirken und uns sehr wohl zum von Altbundespräsident Gauck bemühten „frieren für die Freiheit“ führen. Ich denke, dass aus ihm auch der Theologe spricht, wenn er sagt: „Wir können auch einmal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger an Lebensglück und Lebensfreude haben. Eine generelle Delle in unserem Wohlstandsleben ist etwas, was Menschen ertragen können.“

Mir würden noch viele gesellschaftliche Themen einfallen, die beim Katholikentag in Stuttgart auf’s Tablett kommen werden und die ich erwähnenswert finde. Ist ein Katholikentag aber heute überhaupt noch relevant für unsere Gesellschaft und interessiert noch jemand, was dort besprochen wird? Dass so viele Spitzenpolitiker dort hinkommen und mitdiskutieren ist ja schon mal ein deutliches Zeichen – der Bundeskanzler kommt auch….

Ich meine aber, dass es etwas Anderes sein muss, was die kirchliche Stimme bei gesellschaftlichen Themen bedeutend macht: Dass wir als Christinnen und Christen von einem unabhängigen Fundament aus argumentieren. Wer sich an der heiligen Schrift orientiert, der wird sich weniger von einzelnen Interessen leiten lassen und schon gar nicht nur von wirtschaftlichen.

Wenn sich die Kirche und wenn sich gläubige Menschen an diesen christlichen Werten orientieren statt am eigenen Vorteil, können sie „Salz der Erde“ sein, so, wie es Jesus in der Bergpredigt sagt.

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SWR2 Wort zum Tag

22JAN2022
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„Wir werden in ein paar Monaten einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen.“ Das sagte Gesundheitsminister Spahn am Anfang der Pandemie. In ihrer Neujahrsansprache 2021 sagte dann Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass seit wenigen Tagen die „Hoffnung ein Gesicht“ habe: "Es sind die Gesichter der ersten Geimpften“.

Verzeihen (oder gar Vergeben) und Hoffnung, das sind Vokabeln, die wir eigentlich aus religiösen Zusammenhängen kennen. Spitzenpolitiker haben sie in diesen sehr ungewöhnlichen Zeiten benutzt – verständlicherweise, wie ich finde. Wenn eine gesellschaftliche Situation uns fundamental durchrüttelt, wie es bei der Pandemie der Fall ist, greifen wir schneller als sonst auf fundamentale Kategorien zurück, die sonst eher in Predigten oder heiligen Schriften vorkommen.

Verzeihen hat für mich vor allem mit den vielen Ungereimtheiten und Dilemmata zu tun, die wir im Zusammenhang mit den Schutzmaßnahmen erleben. Oft ist es unlogisch, dass man das eine darf und das andere nicht. Das erzeugt Frust und manchmal kann ich diese Widersprüche nur dann aushalten, wenn ich mich großzügig frage, welche Fehler ich selbst machen würde. Wenn ich Politiker wäre und die Verantwortung hätte, müsste ich nicht auch vorher erlassene Regeln oder Maßnahmen widerrufen und darauf hoffen, dass man mir verzeiht?

Viele „Sollbruchstellen“ in unseren Gesellschaften sind durch die Pandemie zutage getreten und an diesen Stellen ist auch vieles gebrochen. Es wird schwierig werden, Menschen gegensätzlicher Einstellung danach wieder zusammenzubringen. Bei vielen von uns sind in dieser Zeit Konflikte mit Verwandten, Bekannten und Freunden ausgebrochen, die wir vorher für kaum vorstellbar gehalten hätten….

Was hilft da anderes als aktives Verzeihen und die Hoffnung, dass nach dem Stress und den Verwerfungen Spannungen auch wieder abgebaut werden können?

Womit wir wieder bei der Hoffnung wären. Diese stirbt nicht nur zuletzt, sondern sie ist wirklich angebracht: Ich hoffe ernsthaft, dass wir viel Gutes und Positives aus der Pandemie gelernt haben. Wir haben miteinander gelitten und waren solidarisch mit denen, die am meisten gefährdet waren und sind. Wir mussten zusammenhalten und einsichtig sein, damit wir gemeinsam durch die schlimmsten Wochen kamen.

Und jetzt steht die Chance im Vordergrund, dass die Einschränkungen und Krisen bald weniger werden und Licht am Ende des Corona-Tunnels auftaucht. Im Moment sieht es ja danach aus. Ich habe jedenfalls Hoffnung!

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SWR2 Wort zum Tag

21JAN2022
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Haben Sie schon einmal von einem religiösen Fest namens Timkat gehört? Es wird gerade in Äthiopien gefeiert. Drei Tage lang begehen die äthiopischen Christen dieses höchste religiöse Fest, das dort wichtiger ist als Weihnachten. Es hat auch den gleichen theologischen Sinn wie Weihnachten: Epiphanie, die Erscheinung Gottes unter uns Menschen. Vor allem geht es darum, dass Christus unter uns Menschen gekommen ist und dies wird durch die Erinnerung seiner Taufe im Jordan gefeiert. Viele tausenden Menschen feiern ausgelassen dieses farbenfrohe Fest mit Prozessionen, Tänzen und Gesang.

Als ich es selbst in Äthiopien erleben durfte, war ich tief beeindruckt wie aus allen Richtungen in weiße Gewänder gekleidete Menschen zusammenkommen und dabei singen, tanzen und trommeln. Die Feierlichkeiten beginnen mit einer Prozession zu einem Gewässer. Den weiß gekleideten Gläubigen folgen Priester in bunten Gewändern unter bunten Schirmen. Sie tragen Nachbildungen der „Tabot“, der Steintafeln Mose mit den zehn Geboten auf ihren Köpfen und bringen sie zum Wasser. Bei der heiligen Messe wird das Wasser gesegnet und danach springen viele Menschen hinein, um ihren Taufsegen zu erneuern. Ein Fest voller Glaube, Verbundenheit und Lebensfreude und im ganzen Land sind die Straßen festlich in Grün, Rot und Gelb, den Farben Äthiopiens, geschmückt.

Doch dieses Jahr ist gleichzeitig auch alles anders. Es herrscht Krieg in Äthiopien und in einem Teil des Landes kommt sicher wenig Freude am Timkat-Fest auf. Dieser Teil heißt Tigray und möchte sich von der Zentralregierung lossagen. Dadurch ist ein furchtbarer Konflikt entstanden, in dem sich beide Seiten schlimmer Menschenrechtsverletzungen und Gräuel schuldig gemacht haben. Versöhnung scheint in weite Ferne gerückt und Frieden eine Illusion im Land, in dem der Präsident noch 2018 den Friedensnobelpreis erhielt. Der Tigray-Konflikt ist ein furchtbares Beispiel, wozu es führen kann, wenn Menschen sich in ihren Identitäten verschanzen und bereit sind für die Zugehörigkeit zu ihrem Volk oder ihrer Volksgruppe jede Aggression herauszulassen. Der Konflikt in Ex-Jugoslawien steht uns vielleicht noch vor Augen. Er war und ist uns näher als der hierzulande kaum bekannte Konflikt um Tigray. Doch am Balkan führten genau die gleichen Mechanismen zu Hass, Gewalt und Grausamkeit.

Ich hoffe und bete, dass der Sinn von Timkat dieses Jahr ganz besonders Wirklichkeit wird für die Menschen in Äthiopien und vor allem in Tigray. Gott kam zu uns Menschen, aber nicht um zu spalten und um Hass zu sähen, sondern um zu versöhnen und zu verbinden.

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SWR2 Wort zum Tag

07DEZ2021
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Dass Advent „Ankunft“ heißt, haben viele wahrscheinlich schon im Religionsunterricht gehört. Denn alle Jahre wieder kommt das Christuskind und die Weihnachtszeit und die Christen feiern die Ankunft Gottes in der Welt. Verbunden mit den bekannten Dekorationen und wirtschaftlichen Interessen – dem sogenannten Weihnachtsgeschäft. Wie aber soll da noch die Bedeutung dieses Advents, dieser Ankunft im Bewusstsein bleiben oder überhaupt nur aufscheinen?

Ich will es mal mit einem Vergleich der Religionen versuchen: Blicken wir z.B. auf die traditionellen Religionen weltweit – also dem was man früher „Heidentum“ nannte: ihnen ist die Idee fremd, dass Gott direkt und unvermittelt in die Welt kommt. Aber auch in den großen Glaubensrichtungen, die wir die „Weltreligionen“ nennen, ist die Vorstellung von Gottes Wirken in der Welt immer vermittelt. D.h. es sind andere Wesen, Gottheiten, Geister oder Menschen, die die Botschaft Gottes oder seinen Segen in die Welt bringen. Der Glaube an Jesus von Nazareth, dessen Ankunft wir jetzt gedenken, er beinhaltet die „Inkarnation“. Wörtlich also die „Einfleischung“ Gottes in den Körper eines Menschen. Dies ist ein revolutionärer Glaube, weil er Gott so direkt bei uns sieht. Im Stall von Bethlehem ist dann das passiert, was Papst Franziskus auch von seiner Kirche möchte: Jesus hat den Geruch der Schafe angekommen, vielleicht war es sogar eher ein Gestank.

Menschsein ist leider viel zu oft geprägt von Leid, Brutalität und Hoffnungslosigkeit. Die Corona-Krise hat vieles noch verschlimmert: seelisches Leid, häusliche Gewalt, Marginalisierung und der Teufelskreis der Armut. „Homo homini lupus“ – der Mensch ist dem Menschen ein Wolf sagt eine alte lateinische Sentenz.

Vielleicht ist das der Sinn von Weihnachten: Wenn wir verzweifelt sind, wenn wir nicht mehr an das Gute glauben können, wenn wir in der Gosse liegen – dann reicht es nicht mehr, dass die Zuwendung Gottes durch die Vermittlung anderer Wesen kommt, selbst wenn es Engel oder Heilige wären. Dann muss Gott selbst ran, um die Verzweiflung zu besiegen und zu sagen: Du gequälter Mensch bist mir so wichtig, dass ich mich selbst in deine Gestalt und in deine Lebenswelt hineingebe.

Ich wünsche allen einen gesegneten Advent und eine Ahnung von der Menschwerdung, die Weihnachten bedeutet.

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