SWR2 Wort zum Tag

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23JUL2022
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Ambiguitätstoleranz – ein ziemlich hochgestochen klingender Ausdruck. Aber für religiöse Menschen heute vielleicht doch ein sehr passendes Wort. Es bezeichnet die Fähigkeit, mehrdeutige Situationen und widersprüchliche Handlungsweisen zu ertragen. Beim Thema Religion und Gewalt ist das besonders stark. In vielen heiligen Schriften gibt es Texte voller Gewalt – der Koran wird hier immer wieder zitiert, aber in der Bibel finden sie sich ebenfalls. Ein Bischof sagte kürzlich in meinem Beisein, dass er sich mit zunehmendem Alter mehr und mehr frage, wie er mit solchen Texten umgehen soll, wenn sie in den Lesungen bei Gottesdiensten auftauchen.

Ein weiteres Problem ist religiös motivierte Gewalt, wie sie konkret stattfindet. Leider ist das oft nicht nur ein Missbrauch von Religion, wie immer wieder behauptet wird, sondern da glauben Menschen wirklich ernsthaft, es sei Gottes Wille, wenn sie andere töten.

Auf der anderen Seite gibt es in der heiligen Schrift mächtige Aufrufe zu Frieden, Versöhnung und sogar Feindesliebe. Sie inspirieren bis heute kirchliche Friedensstifter. In diesem Monat zum Beispiel in Kolumbien, wo ein Jesuitenpater als Vorsitzender der Wahrheitskommission eine wirkliche Chance hat, einen furchtbaren und langwierigen Konflikt aufzuarbeiten. Und in Ecuador, wo ein Bischof es geschafft hat, in einem blutigen Streit zwischen der Regierung und Vertretern von Indigenen-Verbänden zu vermitteln.

Ich freue mich darauf, dass ich in diesen Tagen eine Konferenz in Zimbabwe mitgestalten darf. Die Bevölkerung dieses südafrikanischen Landes geht schon seit über 20 Jahren von einer Wirtschaftskrise in die andere. Politisch motivierte Gewalt und Unterdrückung sind an der Tagesordnung. Auch hier sind es immer wieder die Kirchen, die nicht nur die besten Schulen des Landes aufrechterhalten, sondern auch dem Grundsatz folgen, den religiöse Akteure in solchen Situationen zugrunde legen sollten: Sie waren vor der Krise da, sie sind während der Krise nicht weggegangen und sie werden auch nach der Krise eine neue Zeit mitgestalten.

Das beeindruckt mich und lässt mich an das Jesuswort denken, in dem er den Menschen zusagt: „Ich bin bei Euch alle Tage“. Und ich muss an die Worte in der christlichen Trauung denken, wo man sich verspricht „die Treue zu halten, in guten und schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit, in Reichtum und Armut.“ Wenn die Kirche das vermitteln kann, dann will ich gerne zu dieser Kirche gehören.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35819
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