SWR2 Wort zum Tag

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22JAN2022
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„Wir werden in ein paar Monaten einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen.“ Das sagte Gesundheitsminister Spahn am Anfang der Pandemie. In ihrer Neujahrsansprache 2021 sagte dann Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass seit wenigen Tagen die „Hoffnung ein Gesicht“ habe: "Es sind die Gesichter der ersten Geimpften“.

Verzeihen (oder gar Vergeben) und Hoffnung, das sind Vokabeln, die wir eigentlich aus religiösen Zusammenhängen kennen. Spitzenpolitiker haben sie in diesen sehr ungewöhnlichen Zeiten benutzt – verständlicherweise, wie ich finde. Wenn eine gesellschaftliche Situation uns fundamental durchrüttelt, wie es bei der Pandemie der Fall ist, greifen wir schneller als sonst auf fundamentale Kategorien zurück, die sonst eher in Predigten oder heiligen Schriften vorkommen.

Verzeihen hat für mich vor allem mit den vielen Ungereimtheiten und Dilemmata zu tun, die wir im Zusammenhang mit den Schutzmaßnahmen erleben. Oft ist es unlogisch, dass man das eine darf und das andere nicht. Das erzeugt Frust und manchmal kann ich diese Widersprüche nur dann aushalten, wenn ich mich großzügig frage, welche Fehler ich selbst machen würde. Wenn ich Politiker wäre und die Verantwortung hätte, müsste ich nicht auch vorher erlassene Regeln oder Maßnahmen widerrufen und darauf hoffen, dass man mir verzeiht?

Viele „Sollbruchstellen“ in unseren Gesellschaften sind durch die Pandemie zutage getreten und an diesen Stellen ist auch vieles gebrochen. Es wird schwierig werden, Menschen gegensätzlicher Einstellung danach wieder zusammenzubringen. Bei vielen von uns sind in dieser Zeit Konflikte mit Verwandten, Bekannten und Freunden ausgebrochen, die wir vorher für kaum vorstellbar gehalten hätten….

Was hilft da anderes als aktives Verzeihen und die Hoffnung, dass nach dem Stress und den Verwerfungen Spannungen auch wieder abgebaut werden können?

Womit wir wieder bei der Hoffnung wären. Diese stirbt nicht nur zuletzt, sondern sie ist wirklich angebracht: Ich hoffe ernsthaft, dass wir viel Gutes und Positives aus der Pandemie gelernt haben. Wir haben miteinander gelitten und waren solidarisch mit denen, die am meisten gefährdet waren und sind. Wir mussten zusammenhalten und einsichtig sein, damit wir gemeinsam durch die schlimmsten Wochen kamen.

Und jetzt steht die Chance im Vordergrund, dass die Einschränkungen und Krisen bald weniger werden und Licht am Ende des Corona-Tunnels auftaucht. Im Moment sieht es ja danach aus. Ich habe jedenfalls Hoffnung!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34735
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