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SWR4 Sonntagsgedanken

28APR2024
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Ich bin Badezimmersänger. Ich bin Flurpfeifer. Ich bin Fahrstuhlsummer. Ich verrutsche zwar immer wieder in den Tonarten. Aber ich singe gerne. In den meisten Fällen aus guter Laune oder weil ich meine Laune aufhellen möchte.

Entweder sing ich das, was mir gerade besonders gefällt oder aber die Sachen, die ich von klein auf kenne, auch Lieder aus dem Gesangbuch. In den meisten Fällen sind das die Lieder, die wir damals im Kindergottesdienst gesungen haben. Mit 8 Jahren habe ich wahrscheinlich einfach mitgesungen, mit 10 vielleicht auch über die Texte nachgedacht. Und kurz vor der Konfirmation haben wir uns natürlich über manches Lied auch amüsiert.

Ein Beispiel: Am Schluss des Kindergottesdienstes haben wir oft ein Segenslied gesungen:  „Herr, wir bitten komm und segne uns“ gesungen. Und immer, wenn die Stelle kam: „Lege auf uns Deinen Frieden“ dann haben mein Freund und ich so getan, als würde etwas Schweres auf uns drauf liegen. Bei der Zeile:  „Segnend halte Hände über uns“. Da haben wir Pfarrer gespielt und der Luft vor uns die Hände aufgelegt. Und bei „Rühr uns an mit Deiner Kraft“ haben wir so getan, als würden wir in einem großen Topf Suppe rühren. Haha, haha.

Wir fanden das damals natürlich fürchterlich witzig. Und unsere Leiter mussten ebenfalls grinsen, wenn sie uns Quatschköpfen zugeschaut haben.   Wir waren ja noch ziemlich klein und ziemlich stolz auf uns, dass wir wussten: Rühren heißt beides! In der Suppe rühren und berühren und bewegen. Und wir haben eben gerne auch mal Quatsch gemacht.  

Aber, und das hätten wir nicht vermutet: Über die Jahre hinweg – erst in der Kinderkirche, dann im Konfirmandenunterricht und noch darüber hinaus - ist das Lied sehr bei uns geblieben. Es ist tatsächlich ein Lebensbegleiter geworden.  

Herr, wir bitten komm und segne uns hat mich nie mehr verlassen. Im Studium haben wir es gesungen. In meiner ersten Gemeinde gehörte das Lied zum Repertoire des Gemeindechores. Die Jugendlichen, mit denen ich Gottesdienste feiere, singen es gerne.

Und manchmal singe ich es im Bad oder pfeife es im Flur. Die Rührbewegung mache ich mittlerweile nicht mehr. Stattdessen spüre ich dem Gefühl nach, wie dieses Lied aus meiner Kinderzeit mich heute prägt und wie sehr es meine Beziehung mit Gott und Welt beschreibt.

Die Melodie ist fröhlich und motiviert zum Mitsingen. Der Text ist dann aber ziemlich ernst. Zum Beispiel der Vers: „In den Streit der Welt hast du uns gestellt, deinen Frieden zu verkünden…“ Wir Christinnen und Christen stehen im Leid und im Streit der Welt. Und unsere Aufgabe ist es, Frieden zu verkünden und Liebe zu bezeugen. Damit das gelingt, braucht es den Segen Gottes.

Ich entdecke in diesem Text immer wieder meine Verantwortung in der Welt. Und ich entdecke das gern in einem Segenslied, weil Gott mir den Mut gibt, mich Leid und Streit entgegen zu stellen.

Als Kind habe ich den Text so klar nicht verstanden. Da haben wir uns immer nur auf den Kehrvers gefreut. Erst als Jugendlicher und junger Mann habe ich gemerkt: Die Welt ist nicht so fröhlich und beschwingt, wie die Melodie des Liedes es vermuten lässt. Mein Glaube steht auf der Hoffnung, dass alles, was Menschen niederdrückt, beschwert und sogar tötet nicht das letzte Wort hat. Dass Gott jedes Leid bei sich aufnimmt und wegnimmt. Und dass er uns seinen Segen mitgibt, damit wir uns gegen das Leid stemmen – und bereits zu Lebzeiten.

Wenn ich dieses Lied singe oder pfeife, erinnere ich mich an diesen Gott. Meine Hoffnung. Und an meine Verantwortung, genau hinzusehen. Und dann gebe ich mein Bestes. Weil ein Lied, dass ich nun seit 30 Jahren mit mir trage, mein Gottvertrauen aktiviert. Vielleicht haben Sie ja auch so ein Lied, das sie schon lange begleitet und das so für Sie wirkt.

Ich jedenfalls pfeife mir gleich ein „Herr, wir bitten, komm und segne uns.“ Und wenn mein Freund und ich uns ab und zu im Gottesdienst treffen, machen wir immer noch kleine Rührbewegungen mit der Hand. Und dann grinsen wir verstohlen und merken: Uns ist was Gutes passiert.

Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche.

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SWR4 Sonntagsgedanken

21JAN2024
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Wenn Sie – liebe Hörerinnen und Hörer – mit Gott zu tun bekämen, wie würden Sie sich das vorstellen? Wie müsste das aussehen? Ich vermute mal: biblisch! Auf wundersame Weise. Wenn Gott mir begegnen soll, dann sicher auf ganz außergewöhnliche Weise. Vielleicht Gott auf dem Gipfel eines hohen Berges treffen. Manche erwarten vielleicht Gott nach einem langen Fasten in sich sprechen zu hören. Gott ist ja so sehr nicht von dieser Welt, dass es doch logisch ist, Gott nur zu erwarten, wenn ich etwas wirklich Übermenschliches zu leisten hatte. 

Aber machen Sie sich bitte keinen Druck. Eine kleine Episode aus der Bibel erzählt das genaue Gegenteil. Und die erzähle ich jetzt Ihnen: 
Ein nichtjüdischer Mensch namens Naaman hat eine Hautkrankheit. Er hat zu seinen Göttern gebetet, ihnen Geschenke gemacht, hat sich in mehreren Flüssen seines Heimatlandes rituell gewaschen – nicht hilft. Schließlich bekommt er den Tipp: Schau Dich mal in Israel um. Man erzählt sich, dass der dortige Gott Kranke heilen kann. 500kg Silber und 70kg Gold nimmt er mit. So ein Gott verdient eine ganz außergewöhnliche Gabe. Ein Diener begleitet ihn. 

In Israel treffen sie schließlich auf den Propheten Elisa. Der rät Naaman: Wasche Dich siebenmal im Jordan, dann wirst Du gesund. Und Naaman weigert sich: „Ich habe mich in jedem Fluss gewaschen, ich werde das nicht noch einmal tun. Das ist doch unsinnig!“ Ich stelle mir vor, wie Elisa die Schultern zuckt und sich denkt: „Wer nicht will, der hat schon.“ Naamans Diener fasst sich ein Herz und sagt zu seinem Herrn: „Hör mal, wenn Dir der Prophet empfohlen hätte, etwas Großes zu tun, hättest Du es sicher getan. Steh Dir nicht im Weg und tu doch, was Dir zu selbstverständlich erscheint. Du hast doch nichts zu verlieren.“ Und Naaman tut das Naheliegende, wäscht sich und wird gesund. 
Am Ende will er Elisa Gold und Silber überreichen. Elisa aber lehnt das ab. Er und sein Gott brauchen solchen Zinnober nicht. 

Wissen Sie, mir gefällt das. Wer hofft, dass Gott handelt, der oder die soll das Naheliegende nicht ausschließen. Ich denke, gläubige Menschen warten oft auf den großen Knall, das große Wunder. Damit Gott seinen guten Willen auch hörbar und sichtbar macht. Aber es gehört anscheinend zu den Eigentümlichkeiten des biblischen Gottes, dass er seinen guten Willen gerade im Naheliegenden vermittelt. Das heißt aber nicht, dass Naaman ein blindes Huhn wäre.

Aber das, was eigentlich naheliegt, kann einem manchmal ganz schön fern sein. Ich hab das mal erlebt. Ich war mit einer Gruppe Teenager in Griechenland auf einer Freizeit. Eine Frau in meinem Alter, die ebenfalls als Betreuerin dabei war, war Angela. Ich hätte mit ihr gerne irgendwie auf eine gute Art und Weise Kontakte geknüpft. Aber, ich weiß nicht, warum: Jedes Gespräch von uns war geprägt von schnippischen Kommentaren. Vielleicht, weil die Jugendlichen um uns herum waren und wir beide vor ihnen gut dastehen wollten. Ich habe einen richtigen Konkurrenzkampf angefangen. Und ich wollte natürlich unbedingt gewinnen: der coolere sein und das Machtspielchen gewinnen. 

Tief in mir drin, war mir das klar. Und dass mich falsche Eitelkeit gepackt hatte – wie eine Krankheit. So ähnlich wie die Krankheit  auf der Haut von Naaman. Tief in mir drin wollte ich sie auch gerne loswerden. Aber zuerst habe ich schon gehofft, dass Gott  irgendwie eingreift, irgendetwas Außergewöhnliches passieren und unser Konflikt sich lösen würde. 

Nach drei, vier Tagen dieses völlig unnötigen Machtspielchens haben wir einen Leuchtturm an der Ägäis besucht. Der Wind hat geweht, die Sonne war warm, Angela saß alleine auf einer Mauer. Es war ein wunderschöner Tag. Aber etwas Außergewöhnliches ist nicht passiert. Und das Naheliegende schien mir so fern: Rüber gehen und zugeben, dass ich nicht ganz sauber war. Ich weiß nicht mehr, was mich angetrieben hat. Aber ich bin rüber und hab gesagt: „Wir hatten irgendwie einen schlechten Start. Ich hätte gerne positiven Umgang mit Dir. Können wir neu anfangen?“ Wieder ein paar Tage später hat sie gesagt: „Ich habe einen ganz anderen Matthias erlebt.“ Ich glaube schon, dass da der Heilige Geist geweht hat. Kraft und Versöhnung hab ich erlebt – nur halt anders, als ich erwartet hätte. Ohne Applaus, aber dafür mit Herz. 

Da hab ich was gelernt. Es war naheliegend, rüber zu gehen. Es war naheliegend, die eigene Eitelkeit zu überwinden. Mich im übertragenen Sinne zu waschen. Es hat auch nichts gekostet, schon gar nicht 500kg Silber und 70kg Gold, die Naaman aus der Bibel für ein angemessenes Geschenk gehalten hat.

Und noch etwas hab ich gelernt: Gottes gute Absicht für ein friedliches Miteinander zeigt sich im Naheliegenden. Es braucht keine außergewöhnliche Leistung, keine außergewöhnliche Erscheinung. Gar nicht so selten, liegt das, was gesund macht, nah. Das zeigt die kleine Geschichte von Naaman. 

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SWR4 Sonntagsgedanken

12NOV2023
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Wale beeindrucken mich. Buckelwale, Schweinswale oder die unfassbar großen Pottwale. Die hätte ich gerne einmal aus der Nähe gesehen. Im Sommer war ich dann endlich mal im Deutschen Meeresmuseum Ozeaneum in Stralsund. In einer großen Halle hängen Wale in Lebensgröße und aus den Lautsprechern erzählt eine Stimme ihre Geschichte. Immer wieder dröhnt das Heulen der Wale an die Ohren der Zuhörenden.

Plötzlich lärmen die Lautsprecher. Schiffsschrauben, Sonare und Baggerarbeiten sind lauter als die Wale. So muss es sich für sie unter Wasser anhören, und weil die Tiere der Lärm stresst, ziehen sie sich zurück. Für die Fortpflanzung kann der Lärm katastrophale Konsequenzen haben: Wenn sich ein Walbulle und eine Walkuh nicht mehr rufen können, wird es nichts mit der Paarung.

In den evangelischen Kirchen wird heute über ein paar Sätze des Apostels Paulus nachgedacht. Der hat sinngemäß geschrieben: Tiere, Pflanzen und Menschen seufzen, weil sie sterblich sind und fühlen, dass ihr Leben bedroht ist. Da dachte ich: So gesehen, klingen die Rufe der Wale wie langgezogene Seufzer. Ich bin nicht Dr. Dolittle; aber ein Teil von mir, versteht, was sie sagen: Es ist zu laut hier im Meer.

Und ich bin nicht der einzige, der ab und an die Sprache der Tiere versteht. Ein Mann hat mir mal von seinem Kater erzählt. Der hat sich jeden Tag morgens in einer Acht um seine Beine geschmiegt. Immer hat er miaut. Eines Tages – der Kater war schon älter – hat er aufgehört zu miauen. Auch die Acht um die Beine ist immer mal ausgefallen. Der Kater hat geräuschlos geseufzt. Der Tierarzt hat dann festgestellt: Der Kater ist krank. Der Mann hat mir dann gesagt: Eines Tages hat er mir in die Augen geschaut und ich wusste: Mein Kater sagt tschüss.

Ich denke aber auch an einen Förster in der Nähe von Mainz. Er sitzt mit mir zusammen in einer ehrenamtlichen Umweltgruppe. Er hat gesagt: Der Wald hat Stress. Laub fällt zu früh ab, manchmal schon im Spätsommer. Und ich finde: Laub im Spätsommer; da ist doch jedes Blatt ein Seufzer, der direkt ins Auge fällt.

Der Apostel Paulus hat mit bemerkenswerter Scharfsicht hingesehen: Nicht nur der Mensch, auch Tiere und Pflanzen kommunizieren ihr Leiden ganz deutlich. In dieser Frage ist die Erde einig. Oder, um es religiös zu formulieren: Da ist die Schöpfung eins. Und Paulus sagt: Tiere, Pflanzen und Menschen leiden gemeinsam.

Mir tut der Gedanke, mit Tieren und Pflanzen verbunden zu sein, richtig gut. Noch besser muss ich sagen: mit den Tieren und Pflanzen gerade jetzt verbunden zu sein. Dieser Gedanke gibt mir Hoffnung. Dass Paulus sagt: Vor Gott sind wir alle „eins“ ist ein Ausdruck für Verbundenheit, und die fehlt gerade häufig.  Jedenfalls ist das mein Eindruck.

Wir Menschen neigen ja dazu, uns den anderen Lebewesen etwas nüchtern zuzuwenden. Wir zählen, messen, katalogisieren. Und das ist natürlich auch gut und wichtig, um zu verstehen, was uns umgibt. Aber dabei kann der Gedanke verloren gehen, dass alle Lebewesen auf der Erde – also auch die Menschen – gemeinsam Gottes Schöpfung sind.

Denn es verändert unser Sprechen und Denken. Ein Baum wirft mit den Augen der Menschen sein Laub ab, weil er sich auf Dürre einstellt. Mit den Augen Gottes wirft er jedes Blatt mit einem Seufzer ab, dass sein Leben so schwer ist. Ein Mensch sieht: Der Lärm der Maschinen verdrängt den Wal in ruhigere Gewässer. Gott sieht: Der Wal seufzt ein letztes Mal lang und bleibt allein.

Zu fühlen, dass Menschen, Tiere und Pflanzen vor Gott eine Schöpfung sind, hilft, die anderen Geschöpfe zu verstehen. Ja, mehr noch! Es trägt dazu bei, dass wir Pflanzen und Tiere als uns ähnlich erkennen. Weil wir gemeinsam vor einem Gott stehen. Das kann helfen, den Umgang mit der Natur zu ändern. Denn sie hat das gleiche Lebensrecht vor Gott wie der Mensch.

Ich glaube, Christinnen und Christen sind von Paulus dazu aufgerufen, dieses Gefühl zu genießen. Die Verbundenheit und die Natur zu genießen – in all unserer gemeinsamen Vergänglichkeit. Wir sind gemeinsam Gottes geliebte Geschöpfe. Und wir dürfen hoffen, dass auch all die Narben, die der Mensch ihr geschlagen hat, eines Tages von Gott geheilt werden.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und ruhige Tage in der kommenden stillen Zeit.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Es ist halb zwölf Uhr nachts. Ich bin auf dem Weg nach Hause von der Kerb. Auf meiner Pfarrhaustreppe sitzt eine Gruppe Teenager. Eine Jugendliche steht auf und sagt: „Ich kenne Sie! Sie sind der Pfarrer. Glauben Sie an Gott?“

Das hört sich wahrscheinlich an, als hätte ich es erfunden. Das ist aber so passiert. Ich bin immer wieder überrascht, wie schnell im privaten Bereich so tiefgehende Fragen gestellt werden, und gerade nicht, wenn hochoffiziell Gelegenheit dazu wäre – im Reli-Unterricht zum Beispiel oder beim Gottesdienst.

Ich habe damals geantwortet: „Nicht jeden Tag. Manchmal fehlt mir Gott. Aber ich hoffe, ihn dann wiederzufinden.“ Die Jugendliche war völlig verwundert. Sie hat gefragt: „Muss man denn nicht immer glauben? Im Konfi-Unterricht habe ich gelernt, dass man auch beim Zweifeln immer glauben muss.“ „Nein“, habe ich gesagt. „Immer gleich glauben geht auch gar nicht. Aber die Hoffnung, immer wieder neu Gott zu treffen, die sollte man nicht verlieren.“ Sie hat noch gesagt: „Cool, das klingt glaubwürdig.“, dann bin ich durch die Tür ins Haus.

Ich weiß nicht, ob die Jugendliche – sie muss heute eine junge Frau sein – noch in der Kirche ist. Und mit ihrer Art zu glauben, einen Platz in der Gemeinde gefunden hat.   Ich habe sie nur einmal gesehen; eben in dieser Nacht. Es war ein völlig singuläres Aufeinandertreffen in privater Stimmung.

Ich erzähle Ihnen heute davon, weil gerade in privaten Momenten oder zufälligen Begegnungen Platz für religiöse Fragen ist. Oder genauer gesagt: Weil im privaten Kreis Menschen eher bereit sind, so ganz persönliche Glaubensfragen zu besprechen und sich Antworten suchen. Die Jugendliche damals hat die Gelegenheit genutzt. Sie wollte von einer Amtsperson wissen, ob es okay ist, wenn man nicht immer gleichmäßig stark gläubig ist. Ich kann nur hoffen, dass das Gespräch vor dem Pfarrhaus ihr den Mut gemacht hat, auf Gott zu vertrauen, auch wenn es mal schwer fällt.

Woran liegt es, dass solche Gespräche sich eher zufällig und ganz privat  ergeben können? „Privat“ – das Wort bedeutet unter anderem „Das Eigene“. Und da wird es schon direkt deutlich: Wo es um unser Eigenes geht, geht’s ohne Umschweife um uns. Und darüber lässt sich auch leichter in der eigenen, vertrauten Umgebung sprechen. Wo Menschen sich in einem eigenen Raum befinden, haben sie vielleicht weniger Angst, sich zu zeigen.

In der Öffentlichkeit ist das anders. Da höre ich im Kopf immer die leise Stimme, die fragt: „Aber was werden die Leute sagen?“ Die Jugendliche damals vorm Pfarrhaus hat sich obwohl in der Öffentlichkeit mit ihren Freundinnen privat genug gefühlt, um mich anzusprechen. Und ich hoffe, es hat ihr geholfen.

Solche Gespräche in der Nacht hat es schon immer gegeben. In einer Geschichte aus dem Neuen Testament ist Jesus zu einem Essen eingeladen. Ein Pharisäer, also ein religiöser Experte, hat ihn zu einem Bankett eingeladen. Plötzlich geht die Tür auf. Eine Frau kommt herein. Eine Sünderin, stadtbekannt für ihren schlechten Ruf. Aber hier ist sie nicht in der Stadt. Sie kommt ganz privat und mitten in der Nacht. Und sie weint auf die Füße Jesu, trocknet sie mit ihren Haaren und salbt sie. Jesus sagt: Deine Sünden sind Dir vergeben, geh in Frieden!

Für mich zeigt diese Geschichte, wie stark Menschen sein können, wenn es um das Eigene geht. Die Frau sieht ihre Chance, gesehen zu werden. Ihr Eigenes, Inneres zu zeigen und Anerkennung für sich als Mensch zu bekommen. Sie braucht das, weil in der Öffentlichkeit die Leute über sie reden – sonst wäre sie ja nicht stadtbekannt. Aber bei Jesus kann sie zeigen: Ich bin gar nicht nur so. Ich habe Mängel ja, aber ich wünsche mir Anerkennung. Dann kann ich weitermachen.

Die beiden Geschichten, die aus der Bibel und die von der Kerb, ähneln sich. Obwohl andere dabei waren, ergreifen beide Frauen die Chance, für sich zu sorgen. Sie tun das, indem sie sich anvertrauen und nach ihrem eigenen Gottvertrauen fragen. Die Frau aus der Bibel weinend zu Jesu Füßen. Die Jugendliche, indem sie das, was sie im Konfiunterricht gehört hat, mit einer anderen Meinung abgleicht. Gemeinsam haben beide Frauen: So wie sie sich selbst sehen, war vorher kein Platz für sie. Also jedenfalls nicht bei denen, die glauben, Regeln fürs Glauben aufstellen zu dürfen oder zu müssen.

Die Frau galt als Sünderin. Die Jugendliche hat das Gefühl gehabt, nicht „richtig“ oder „gut genug“ zu glauben. In den kurzen Momenten, in denen sie sich nicht gescheut haben, ihre private Seite zu zeigen, haben beide einen göttlich-spirituellen Moment erlebt. Beide haben gehört: So wie Du bist, bist Du genug.

Sich so ganz privat zu zeigen, erfordert Mut. Und es geht auch nicht immer. Aber ich wollte Ihnen trotzdem von beiden Geschichten erzählen. Manchmal, denke ich, braucht es gute Beispiele, um Zuversicht zu gewinnen. Die Frage nach dem persönlichen Gottvertrauen ist total privat – also ganz ihre eigene Sache. Aber es zu zeigen, kann es ganz zu Gottes Sache machen. Und was will man mehr?

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche.

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SWR4 Sonntagsgedanken

21MAI2023
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Die Bibel ist manchmal wirklich witzig. Im ersten Teil, dem Ersten Testament wird unter anderem die Lebensgeschichte eines Propheten namens Samuel erzählt. Seine Geschichte mit Gott fängt mit viel Situationskomik an.

Samuel wächst im Tempel bei seinem Lehrmeister auf; der heißt Eli. Beide schlafen und Samuel hört eine Stimme: „Samuel!“ Und Samuel geht zu Eli und sagt: Da bin ich. Eli antwortet: ich hab Dich nicht gerufen, geh schlafen.“ Samuel legt sich hin und hört eine Stimme: „Samuel!“ Und Samuel geht wieder zu Eli und sagt: Da bin ich. Und Eli antwortet: ich hab Dich nicht gerufen, geh schlafen.“ Und Samuel hört zum dritten Mal eine Stimme: „Samuel!“ Und Samuel geht nochmal zu Eli und sagt: Da bin ich. Und jetzt versteht Eli: Gott ruft Samuel. Und beim vierten Mal Rufen sagt Samuel wieder „Da bin ich.“ Aber er sagt es nicht zu Eli, sondern zu seinem Gott.

Wenn ich mir diese Szene vorstelle, finde ich sie schon humorvoll Gott ruft und Samuel geht ins Schlafgemach seines Lehrmeisters.  Ich stelle mir vor, wie Eli völlig verschlafen in seinen Bart nuschelt: „Ich hab Dich nicht gerufen!“ Samuel macht auf dem Absatz kehrt, zuckt die Schultern, fragt sich nicht weiter, was eigentlich los ist. Und das macht die Komik dieser Szene perfekt: Gottes oberster Priester und sein  Schüler verpassen Gott; und zwar gleich dreimal.

Normalerweise sagen Menschen zu mir: Wissen Sie, Herr Pfarrer: Ich warte auf ein Zeichen von Gott. In dieser Geschichte ist es humorvoll andersherum: Hier wartet Gott auf eine Reaktion von den Menschen. Versetzen Sie sich mal gedanklich in Gottes Position. Sie schweben über den Dingen und sehen Samuel. Sie rufen unsichtbar seinen Namen. Und Samuel? Der marschiert schnurstracks zu Eli ins Zimmer. Kein Blick nach oben – er schaut stur geradeaus – mit Gott rechnet er gar nicht. Dann sehen Sie Eli! Ah, gut, der kennt Sie, er ist ja verantwortlich für den Tempel. Und was macht der? Schickt seinen Schüler wieder ins Bett und kommt ebenfalls nicht auf die Idee, dass Gott seine Finger im Spiel haben könnte. Sie als Gott würden sich wahrscheinlich am Kopf kratzen.

Ich weiß, es ist eigentlich unmöglich sich vorzustellen wie es wäre, Gott höchstpersönlich zu sein.  Aber hier finde ich es wirklich mal einen Augenöffner. Gott wartet auf die Menschen. Das ist mal wirklich eine Entdeckung. Ich höre oft – gerade auch von Teenagern – Gott überzeuge sie nicht. Der tut nix, sagen sie. Diese Geschichte zeigt mir: Aus Gottes Perspektive ist das andersrum auch so. Menschen überzeugen nicht. Sie tun nix.

Streng genommen tut Samuel natürlich nicht nichts. Er hört ja durchaus eine Stimme. Sonst würde er nicht zu seinem Lehrer gehen. Aber er orientiert sich eben nicht hin zu Gott, sondern bleibt ganz auf der Erde. Und auch der Priester Eli, der quasi mit Gott unter einem Dach wohnt, geht nicht davon aus, dass Gott ihn ruft.

Mir macht die Geschichte von Gott, der ruft und ruft, Hoffnung. Ich will gar nicht alle Krisen aufzählen, in denen wir leben. Aber manchmal – und das ist nicht mehr humorvoll – kommt mir die Welt vor als wäre sie voller Samuels und Elis. Gott ruft: Lasst die Kriege sein, lasst das Austrocknen von Flüssen sein, lasst Euren Müll sein! Und wir Menschen hören das auch irgendwie, aber irgendeiner sagt dann schon halb verschlafen: Ich hab Dich nicht gerufen, leg Dich wieder hin!

Hoffnung wächst für mich aus der Tatsache, dass Gott bei Samuel und Eli nicht locker lässt und es am Ende klappt. Dass Samuel sagt: Da bin ich! Wie schön wäre das, wenn das auch in unserer Zeit so wäre. Dass mal alle Menschen sagen: Da bin ich, Gott! Ich habe Dich gehört. Jetzt geht’s in Deinem Sinne weiter. Keine Kriege, ressourcenschonender Umgang mit der Schöpfung, ein achtsamer Umgang miteinander, weil wir Menschen gelernt haben, wirklich hinzuhören.

Das finden Sie unrealistisch? Das mag schon sein. Aber heute – am Sonntag zwischen Himmelfahrt und Pfingsten – darf ich träumen und darauf warten, dass mein Traum Realität wird. Denn heute ist der Wartesonntag. Eli und Samuel warten im Tempel auf Gott. Gott wartet aber auch auf Eli und Samuel. Ich warte auf Gottes Nähe und Gott wartet auf meine Nähe. Er wartet auf jeden einzelnen Menschen – auf Sie, auf Dich und auf mich – und lässt dabei nicht locker.

Dass Gott wartet, halte ich jedenfalls nicht für unrealistisch. Und das macht für mich das Träumen am Wartesonntag auch so hoffnungsfroh. Weil es eines Tages so sein wird, dass es die ganze Welt wie Samuel macht; nach oben schaut und ruft: „Da bin ich!“

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche!

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SWR4 Sonntagsgedanken

05MRZ2023
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Eine junge Frau hat mir mal gesagt: „Ich werde meinen Kindern sagen, dass 40 Grad im Sommer angenehm kühl waren.“ Als Stadtjugendpfarrer arbeite ich mit Menschen um die 20. Und immer wieder sagen sie: „Wir haben Angst vor der Zukunft.“ Mit einer Gruppe Jugendlicher war ich in Sinsheim in der Klimaarena. Das ist ein Museum über die Veränderungen des Klimas und unsere Chancen, mit diesen umzugehen.

Eine Aktion zum Mitmachen im Museum ist es, eine möglichst ökologische Stadt zu entwerfen. Damit sie möglichst lange bewohnbar bleibt. Wie könnte so eine Stadt der Zukunft aussehen? Da sind junge und innovative Ideen gefragt. Und die Begeisterung der Jugendlichen hat mir deutlich gemacht: Ich, 36 Jahre alt, muss schon sorgsam mit dieser Welt umgehen. Wer heute 18 ist, geht auf eine ganz andere Zukunft zu als ich es gegangen bin.

Es ist auch meine Verantwortung, dass die junge Frau, sich später mal nicht über angenehme 40 Grad Celsius freuen muss. Und die Jugendlichen um mich herum erinnern mich fast wöchentlich diese unbequeme Wahrheit. Und als Christ ist mir auch voll bewusst, dass diese Erde ein Geschenk ist, um das ich mich kümmern möchte.

Dass es dauerhaften Erinnerungen für unbequeme Wahrheiten bedarf, weiß schon Jesus. Einmal erzählt er ein wahrhaft dramatisches Gleichnis: „Ein reicher Mann kauft sich einen Weinberg. Pächter bestellen und bewirtschaften ihn. Sie tragen nun die Verantwortung, und der Reiche zieht weit weg. Zur Zeit der Ernte, will der Reiche seinen rechtmäßigen Anteil haben und schickt einen Knecht zu den Pächtern. Aber anstatt ihrer Verantwortung gerecht zu werden, verprügeln die Pächter den Sklaven und jagen ihn davon. Der Reiche schickt einen zweiten. Der wird verprügelt. Der Dritte wird sogar erschlagen. Noch vielen Sklaven ergeht es so. Am Ende schickt der Reiche seinen Sohn. Auch der stirbt. Schließlich geht der Reiche und tötet alle Pächter. Und gibt den Weinberg an andere Pächter weiter.“ (Markus 12, 1 – 12)

Die Zuhörer von Jesus aus der Jerusalemer Oberschicht haben damals gemerkt: Er meint uns. Wir sind unserer Verantwortung für den Weinberg nicht gerecht geworden.

Und heute merke ich, dass die Kritik von Jesus immer noch aktuell ist. Für mich sind wir die Pächter. Und die, die zu uns geschickt werden und die uns an unsere Verantwortung erinnern, das sind zum Beispiel die jungen Menschen, mit denen ich arbeite. Klar: Dieses Bild hat Grenzen. Klar auch: So blutig wie in dieser Geschichte muss es nicht zugehen bei uns. Aber auch klar: Wenn ich auf dieser Welt leben darf, dann so, dass ich meiner Verantwortung gerecht werde.

Ich finde, dieses Gleichnis passt gut in unsere Tage. Die Frage nach Nachhaltigkeit, veganer Ernährung und Generationengerechtigkeit kann ich hier nicht beantworten. Aber Jesus macht doch deutlich: der Weinberg, unsere Welt, gehört uns nicht.

Ein Reicher Mann verpachtet seinen Weinberg und zieht in die Ferne. Die Pächter nutzen das aus und schalten und walten nach eigenem Interesse. Die Boten des Besitzers bringen sie deshalb sogar um. Und am Ende einer brutalen Gewaltspirale kommen sie selbst auch ums Leben.  Für mich ist das eine Erzählung, die noch heute aktuell ist.

Es stellt sich nämlich die Frage: Wem gehört eigentlich die Welt, auf der ich gerade lebe? Aus der biblischen Geschichte heraus ist die Antwort: Diese Welt gehört Gott. Sie ist kein Zufallsprodukt, sondern so gestaltet, dass sie bewohnbar ist.

Mit Jesu Gleichnis im Kopf stellt sich dann die nächste Frage: wie merken wir Menschen uns das? Oft genug benehmen wir uns ja, als könnten wir machen, was wir wollen. Jesus erzählt von Boten, die geschickt werden. Die rufen den Pächtern die unangenehme Wahrheit in Erinnerung, dass der Weinbergsbesitzer seinen Anteil verlangt. In meiner Deutung für heute: Er verlangt, dass wir mit seiner Welt so umgehen, dass er sich noch lange an ihr freut.

Die Boten, von denen Jesus erzählt können heute viele verschiedene Gesichter haben. Es können Erwachsene sein, Wissenschaftler oder Politikerinnen und Politiker. Es sind aber auch Jugendliche, Kinder und Babys. Unsere Rolle ist es, diese Botinnen und Boten anzuhören. Sie ernst zu nehmen. Denn sie werde uns, ob sie es wissen oder nicht, von Gott geschickt, der die aktuellen Pächter ermahnt: Lebt so, dass für Euch und für mich ein Anteil der Erde zum Leben bleibt.

Aus christlich-biblischer Perspektive ist jede Erinnerung – auch wenn sie irritieren mag – erstmal eine gute Erinnerung. Weil sie von Gott kommt. Und mit dem drastischen Gleichnis macht Jesus deutlich, wie dringlich es ist, Gott nicht zu vergessen. Wie wir mit unserer Welt umgehen, das hat Konsequenzen. Nicht nur Menschen gegenüber. Auch Gott gegenüber. Wer ihn als Erdenbesitzer vergisst, vergisst die Menschheit selbst.

Die junge Frau, von der ich am Anfang erzählt habe, ist mittlerweile in einen kirchlichen Ausschuss zur Bewahrung der Schöpfung angetreten. Ihr Begründung: „Ich mach da jetzt Druck.“ Ich wünsche ihr und mir, dass ihre Erinnerung auf offene Ohren stößt.

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SWR4 Sonntagsgedanken

27NOV2022
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Als ich ein Kind war,  habe ich gerne gebadet. Der schönste Moment war immer, die kalten Hände in das heiße Badewasser zu versenken. Und dann zu spüren, wie die Wärme des Wassers meinen ganzen Körper durchströmt. Herrlich war das. Und im Hochsommer war’s dann umgekehrt: herrlich der Sprung im Freibad ins kalte Wasser zur Abkühlung. Heiß oder kalt also! Abkühlen oder Aufwärmen. Bloß lauwarm darf das Wasser auf keinen Fall sein.  

Wer sitzt schon gerne in einer lauwarmen Badewanne?
Von lauwarmem Wasser ist heute am 1. Advent in vielen evangelischen Gottesdiensten die Rede. Die Vorbereitungszeit auf Weihnachten beginnt heute. Und dazu gehört auch, dass wir Christen uns fragen, wie es eigentlich um den eigenen Glauben bestellt ist.  Die Frage ist: Lasse ich mich wirklich von meinem Glauben leiten? Brenne ich für die Sache? Oder ist mein christlich motiviertes Handeln vielleicht nur lauwarm? Und gar nicht so heiß, wie ich denke?

Diese Frage stellt Gott schon den allerersten Christen. Und seine Beurteilung ist hart. Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung, lässt er den ersten christlichen Gemeinden ausrichten:  „Ach, Du bist lauwarm in Glaubensfragen. Wärst Du doch heiß, oder wenigstens kalt. Damit ich erkennen würde, was Du bist. Aber Du bist lau. An dem, was Du tust, kann ich nicht erkennen, ob Du mir, Gott, vertraust oder nicht.“

Das sind schon ziemlich harte Worte, die da fallen. Da wird man einfach so zum Mittelmaß gestempelt. Aber wenn ich mit mir selbst ehrlich bin merke ich: Das trifft auch auf mich zu…

Das Schicksal von Kriegsflüchtlingen zum Beispiel lässt mich sicher nicht kalt . Ich halte es auch für richtig , ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen. Aber meine eigene Wohnung habe ich nicht zur Verfügung gestellt. Ich bin dafür, dass Menschen, die auf der Straße leben, Almosen bekommen. Aber dann werfe ich mein Kleingeld doch nur bei Straßenmusikanten in die Mütze, weil die es sich verdienen.  Theoretisch will ich gerne meine Feinde lieben und dann denke ich über sie … na, jedenfalls denk ich nichts Nettes über sie. Offensichtlich ähnelt mein christliches Engagement auch einer ziemlich lauwarmen Badewanne.

Allerdings scheint mir das auch erstmal ganz normal zu sein. Dem Vorbild von Jesus Christus wirklich zu folgen, ist fast unmöglich. Jesus selbst hat für die Sache Gottes wirklich gebrannt .  Alle anderen waren und sind wohl mehr oder weniger lau. Sich das eizugestehen ist nicht leicht, aber es ist sehr heilsam!

Die wirkliche Gefahr ist, zu denken: ich bin wie eine Wanne voll heißen Wassers der Christlichkeit. Genau an dem Punkt lautet heute die biblische Botschaft: Halt mal ein Thermometer hin und kontrolliere Dich. Und wenn Dein Glaube abkühlt, dann sieh zu, dass Du heißes Wasser nachlaufen lässt!

Und es zeigt sich dann vielleicht, dass ich zwar die richtigen Absichten habe, ihnen aber nicht konsequent folge. Zum  Beispiel im Umweltschutz bei der Energiewende. Ich bin zwar  für Grüne Energie, aber Windräder oder Stromtrassen sollen lieber ein paar Kilometer weiter im Hinterhof der Nachbarn stehen. Das heißt lauwarm: Das Richtige wollen. Aber möglichst ohne selbst die Konsequenzen zu tragen.

Ich kritisiere das – auch an mir selbst. Und ich halte es gleichzeitig für zutiefst menschlich. Und als Christ muss ich mir das eingestehen! Muss mir die Kritik Gottes aus der Bibel anhören: „Ach, Du bist lauwarm in Glaubensfragen. Wärst Du doch heiß, oder wenigstens kalt. Da mit ich erkennen würde, was Du bist. Aber Du bist lau. An dem, was Du tust, kann ich nicht erkennen, ob Du mir, Gott, vertraust oder nicht.“

Ich glaube, dass die Einsicht, lauwarm zu sein der halbe Weg ist, um im Glauben wieder heißer zu brennen. Sie lenkt den Blick zurück auf Gott. Und der sagt: „Ja, du bist lauwarm, aber ich wärme Dich wieder auf.“ Und das halte ich für einen ganz entscheidenden Gedanken: Das heiße Wasser können wir nicht selbst produzieren. Aus lauwarm macht auch noch so viel Anstrengung nicht heiß. Das heiße Wasser kommt von außen. Und zwar genau dann, wenn wir merken: Oh, ich bin lau.

Dieser Gedanke zieht sich heute durch die Gottesdienste zum ersten Advent: Wir bereiten uns auf Weihnachten vor. Und dazu gehört eben auch, ehrlich mit sich selbst zu sein. Ja, wir Christen waren und sind alle mehr oder weniger lau. Aber bald kommt einer, der neue Wärme bringt. Noch  ist vieles dunkel in der Welt – aber die Kerze auf dem Adventskranz zeigt: Bald wird es hell. Es ist kalt – aber wie es bei „Leise rieselt der Schnee“ heißt: in den Herzens ist’s warm.

An der Geschichte dieses Menschen Jesus kann ich mich wärmen.  Ich kann meine Hände hineintauchen und spüren, wie seine Wärme meinen ganzen Körper durchströmt. Wie damals, als ich als Kind so gerne gebadet habe. Wenn das Wasser lauwarm wurde, hat meine Mutter warmes Wasser nachlaufen lassen, weil ich gerufen habe: Es wird lau. Und wenn heute mein Glaube und meine Zuversicht lauwarm werden, dann ist es Gott, der mich neu brennen lässt, wenn ich sage: ich werde lau...  

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36549
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SWR4 Sonntagsgedanken

04SEP2022
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Von Paulus wird erzählt, dass er vor Damaskus in Syrien eine Erscheinung hatte. Jesus hat sich ihm gezeigt und ihn bekehrt. Und das hat Jesus so gründlich getan, dass alle überrascht waren. Jeder kannte Saulus als eifrigen Pharisäer und  als Christenhasser. Und plötzlich war er selbst der gläubigste Christ und wurde als Paulus zum Missionar. (Apg 9, 21)

Ich habe vor kurzem so einen Paulus getroffen. Also, natürlich nicht den Paulus der Bibel. Aber einen, der ebenfalls seine bisherigen Leben von Jetzt auf Nachher über den Haufen geschmissen hat: Sascha. Sascha hat lange auf der Straße gelebt. Nach seiner Lebensgeschichte gefragt, erzählt er:

„Ich wusste nicht weiter mit meinem Leben. Ehe kaputt, Job verloren, Drogen, Alkohol. Ich war ohne Plan für mein Leben  Dann hatte ich aber im Traum eine Erscheinung. Meine Vorfahren sind mir erschienen und haben gesagt: Zieh los nach Mainz, fang neu an. – Und das hab ich gemacht. Auch wenn ich wusste, dass ich auf der Straße anfangen muss.“

Sascha hat dann von diesem Erlebnis in einem Gespräch einem Pfarrer erzählt. Der hat ihm daraufhin eine Bibel geschenkt. Sascha hat darin gelesen und tut das bis heute. Was er entdeckt hat? Sascha sagt: „Gott hat für alles einen Plan. Also hat er auch für mich einen Plan. Wenn ich in der Bibel lese, finde ich darin Vertrauen.“ Außerdem hat er auch Gemeinschaft in einem Hauskreis gefunden.

Mittlerweile hat Sascha einen Job und auch eine Wohnung. Drogen nimmt er auch keine mehr. Das Gespräch mit ihm hat mich sehr beeindruckt.

Und genau wie Paulus muss auch Sascha heute damit leben, dass die Leute sich lustig machen. Über das Kreuz an der Kette, das er jetzt trägt. Dass jetzt selbst mal zwei, drei Euro in die Sammelmütze wirft, wo er doch früher selbst Passanten um Geld angefragt hat.

Er erträgt das mit großer Geduld und sagt: „Es geht um den Zusammenhalt. Auf der Straße ist kein Zusammenhalt mehr. Aber wenn jeder nur noch Einzelkämpfer ist, gewinnt keiner. Früher gab es auf der Straße mehr Zusammenhalt. Und das will ich zurückbringen.“

Deshalb sucht Sascha die alten Orte auf, an denen er seine Zeit verbracht hat. Büsche in der Innenstadt. Eine Bank in einer Nebenstraße. Eine kleine Parkanlage in der Nähe eines Discounters. Dort gibt er den Männern, die er dort findet oft ein Bier aus. Er sagt: Alkohol gehört auf der Straße dazu. So zu tun als wüsste man es besser, bringt nichts. Dann fühlt sich der andere nicht ernst genommen.

Dann spricht er mit ihnen. „Ich sag denen dann, dass sie mal jemanden auf ihrer Matratze schlafen lassen sollen, wenn sie unterwegs sind. Bei der Stadt gibt es Möglichkeiten, Wäsche zu waschen. Das geht also. – Oder ich erkläre ihnen, dass sie sich ein Schließfach für die Wertsachen besorgen sollen. Klar, dass klingt nicht nach Zusammenhalt. Aber wo jeder auf seine Sachen aufpasst, macht Gelegenheit keine Diebe.“

Es gibt für Sascha solche und solche Tage. Manchmal haben die Männer ein offenes Ohr. Manchmal sagen sie, er solle abhauen. Er habe ja gut Reden, heißt es dann. Aber Sascha gibt nicht auf.

Die Begegnung mit diesem Straßenpaulus hat einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Angefangen hat bei ihm alles mit einem Traum von seinen Vorfahren. Wir aufgeklärten Westmitteleuropäer haben ja so unsere Schwierigkeiten mit sowas. Wenn einer Erscheinungen hat, machen wir uns eher Sorgen, bevor wir uns für ihn oder sie freuen. Aber hier habe ich wirklich jemanden erlebt, der wie Paulus ist.

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, so einen modernen Paulus bei mir auf der Straße zu treffen. Aber da war er. Nicht im Fernsehen, nicht bei den Influencern, nicht bei den superklugen Köpfen.

Paulus war auch viel auf den Straßen des römischen Reichs unterwegs. Aus seinem Engagement ist eine weltweite Glaubensgemeinschaft geworden. Ich würde es Sascha gönnen, wenn er wie Paulus immer wieder Freude über seine Erfolge empfinden kann.

Ich jedenfalls werde weiter von Sascha erzählen. Und wie er sich vorstellt, dass mehr Zusammenhalt das Leben für alle sicherer macht. Mich inspiriert das – Sie vielleicht auch? Saschas Hingabe und Begeisterung können uns nur Vorbild sein.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche.

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SWR4 Feiertagsgedanken

06JUN2022
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An Pfingsten feiern die Kirchen, dass Gott seinen Geist zu uns Menschen schickt - als Beistand und treuen Begleiter fürs ganze Leben. Das hört sich großartig an. Aber – wie sieht das konkret aus?

In der Bibel wird dazu eine Geschichte erzählt, die ich sehr mag. Mose zieht mit dem Volk Israel durch die Wüste. Gott steht seinem Volk treu bei und sorgt für genug Essen auf dem Weg, allerdings recht einseitig: Jeden Tag gibt es Manna, das nach Honigkuchen schmeckt. Das hört sich erstmal gut an, aber 40 Jahre Honigkuchen können einem Menschen auch lang werden. Deshalb beschwert sich das Volk bei Mose immer wieder. Sie sagen: Wir wollen zurück nach Ägypten, auch wenn es Sklaverei bedeutet. Da gab es Kürbisse, Melonen, Fische, Zwiebeln und Knoblauch.

In dem Moment bricht Mose innerlich zusammen. Er hält es nicht mehr aus, wie krass falsch das Volk seine Lage einschätzt, und was für Luxus-Probleme es hat. Die Freiheit von der Sklaverei ist erreicht – und das soll eingetauscht werden gegen Fische und Knoblauch? Mose will nicht mehr derjenige sein, der die Menschen motiviert, weiterzugehen. Er will nicht mehr der einzige sein, der unbeirrt in die Zukunft blickt und Optimismus ausstrahlt. Er kann einfach nicht mehr und betet: Gott, wenn Du mir sonst keine Hilfe angedeihen lässt, dann töte mich lieber. Ich hab es satt!

Gottes Antwort lautet: Suche 70 Männer. Denen will ich von meinem Geist geben, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen musst (Num, 11, 17). So zum Beispiel sieht es konkret aus, wenn Gott seinen Geist schickt. Mose bekommt Menschen geschickt, die ihm helfen, seine Last zu tragen.

Die Geschichte von Mose erzählt von einer Erfahrung, die viele auch heute kennen:
Ich denke zum Beispiel an Erika. Erika verteilt in ihrer Kirchengemeinde regelmäßig ein kostenloses Mittagessen an Bedürftige. Diese Arbeit hat ihr immer Spaß gemacht. Aber dann kam Corona:  viele Helferinnen und Helfer aus ihrem Team sind  ausgefallen. Die Arbeit ist ihr irgendwann über den Kopf gewachsen. Irgendwann hat sie der Gemeindeleitung gesagt, dass sie es nicht mehr schafft, und hat das auch in einem Gottesdienst öffentlich zugegeben. Das hat sich herumgesprochen, und Tage später haben sich lauter junge Familien gemeldet, um zu helfen.

Erika hat mir erzählt: „Es ist unglaublich, wie viele Menschen plötzlich da sind. Damit war überhaupt nicht zu rechnen. Das ist so eine Entlastung.“

Ich finde, das ist genau die Mosegeschichte aus der Bibel - bloß in der Gegenwart. Ich bin mir sicher: Die Geschichte von Mose ist brandaktuell. Menschen fühlen sich auch heute schwach, allein und hilflos.

Mein Eindruck ist aber auch: Schwäche zeigen, erzählen, dass man sich alleine fühlt – das ist nicht einfach. Schon in der Schule müssen Kinder immer mehr zu Alleskönnern werden. Nur ja keine schlechte Note in irgendeinem Fach. Ja keine Schwachstelle zeigen.Im Beruf geht das weiter, und Ellbogen sind immer noch wichtig. Facebook, Instagram, TikTok und YouTube produzieren Bilder von Schönheit und Perfektion, die unerreichbar sind.

Gleichzeitig erlebe ich in meiner Arbeit mit Jugendlichen, dass die Not größer wird, über die eigenen Schwächen, über Einsamkeit und Hilflosigkeit zu sprechen. Ich merke immer wieder: Erwachsene sollten offene Ohren für die Jugendliche haben. Einfach damit wir als Gesellschaft nicht unfähig werden, Schwäche, Einsamkeit und Hilflosigkeit wahrzunehmen.

Und das ist, denke ich, wieder sehr nah an Gottes Antwort an Mose dran. Er hat ja gesagt: andere sollen Dir tragen helfen, damit Du nicht alleine tragen musst. Es geht also bei Gott gar nicht darum, dass plötzlich alles, was schwer ist, verschwindet. Aber Gottes Geist sorgt dafür, dass andere mittragen.

Und das tolle ist: Schwächen zuzugeben bedeutet keine Niederlage. Wer die eigene Überforderung ausspricht, der öffnet die Tür für Gottes Geist. So wird aus Schwäche gemeinsame Stärke. Aus Einsamkeit Gemeinschaft und aus Hilflosigkeit wird Zupacken. Und mal ehrlich: wenn ich die Nachrichten schaue über Corona und Krieg in Europa – dann wünsche ich mir so einen Geist für die Menschen und zwischen den Menschen sehr.

Jetzt muss ich noch eines sagen: Es klingt vielleicht zu wunderbar, was ich hier beschreibe. Und Hilfe kommt trotzdem nicht automatisch nach dem Motto: Einfach sagen „ich kann nicht mehr“ und schwupps kommt der Heilige Geist und sorgt für Abhilfe. Das wäre schön. Die eigene Schwäche auszusprechen ist nicht die fertige Lösung - aber nötig, damit sich eine Tür auftut.

Aber ich glaube, dass Pfingsten ein gutes Datum ist, um an den Geist zu erinnern. Ein gutes Datum dafür ist, zur eigenen Schwäche zu stehen. Weil sie von Gott gesehen wird und danach hoffentlich auch von Menschen, mit denen man nicht rechnet.

Also: Nutzen Sie dieses Datum und sagen Sie es jemandem ehrlich, wenn es Ihnen einmal alles zu viel wird. Es besteht Grund zur Hoffnung, dass Ihre Worte dann auch von Gott gehört werden, der seinen Geist sendet, damit Ihnen beim Tragen geholfen wird.

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SWR4 Sonntagsgedanken

13MRZ2022
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Ich gehe nicht gerne in Krankenhäuser. Sogar zu Verwandten gehe ich selten. Zu selten sogar. Ich weiß das. Und ich schäme mich deshalb auch. Irgendetwas in mir will Leid und Schmerz nicht an sich ranlassen. Das ist sogar so, wenn mir jemand vom Krankenhaus erzählt. Da werde ich immer ganz still.

Vielleicht liegt es daran, dass mein Vater 9 Monate in einem Krankenhaus war, als ich 14 war. Bei unseren Besuchen habe ich auch viele kranke Kinder gesehen. Ich nehme an, dass mich das damals überfordert hat. So dass ich einfach viele Jahre bei Leid und Krankheit lieber weggeschaut habe.  

Andererseits: Mein Vater ist damals aus dem Krankenhaus gekommen. Ein Kind, das dort behandelt wurde und jahrelang auf Krücken angewiesen war, kann heute – als junger Mann – ohne Krücken gehen. Ich möchte es so beschreiben: die Monate mit den Krankenhausbesuchen haben  mich mit viel Leid konfrontiert. Durch sie habe ich aber auch ein gewisses Vertrauen ins Leben und auch in die Medizin gewonnen.

Bis heute ist das so: Obwohl ich Freunde und Verwandte nicht gerne im Krankenhaus besuche bin ich doch beruhigt, dass sie im Krankenhaus SIND - und dass ihnen jemand hilft. Besonders nachts tut mir das gut - und ich kann beruhigt schlafen. Dass das irgendwie zusammengehört hat mir – und das hat mich überrascht – die Geschichte von Jesus im Garten Gethsemane eröffnet.

Jesus weiß, dass er verraten und verhaftet werden wird. Es ist Nacht, und Jesus hat Angst. Mit drei seiner Jünger geht er in den Garten zum Beten und sagt zu ihnen: Bleibt mit mir wach und betet mit mir (Mt 24,38). Dann geht er ein paar Schritte weiter und betet dort. Und die Jünger schlafen ein. Das wiederholt sich dreimal.

Ich verstehe diese biblische Erzählung immer besser: je älter ich werde und je mehr Verwandte und Bekannte ich selbst begleiten musste bei Krankheit und auch beim Sterben. Mir wird  die Not Jesu immer deutlicher. Er hat Angst, fühlt sich allein und braucht, dass seine Jünger, seine Freunde, da sind. Es geht um das Gefühl: ich bin nicht allein. Doch das bleiben sie ihm schuldig.

Möglicherweise weil sie die Gefahr, in der sie sich befinden, unterschätzt haben. Weil Jesus bisher aus allen brenzligen Situationen herausgekommen ist. Ihr Vertrauen wurde nie enttäuscht, und immer ist es gut gegangen. Warum sollte es diesmal anders sein?

Ich habe mich in diesen Jüngern entdeckt. Und ich habe beides: Sympathie für diese seelenruhigen Schläfer. Aber auch Abneigung, dass sie dem Freund die wenigen wachen Minuten schuldig bleiben.

Was heißt das jetzt aber für den eigenen gesunden Schlaf, wenn jemand zum Beispiel im Krankenhaus liegt? Oder Corona hat? Ist Einschlafen unmoralisch?

Schlaf in der Bibel ist erstmal gut. Vielleicht kennen Sie den Spruch: Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf. Das stammt aus einem biblischen Gebet, aus Psalm 127. Und gemeint ist: Abends die Augen schließen können, gehört zum Tag dazu. Und das trotz aller Sorgen und Nöte - vielleicht sogar trotz aller Katastrophen.  Es nützt nichts, jede Sorge durch endloses Drehen und Wenden und Bedenken noch größer zu machen. Eine Lösung ergibt sich mitunter über Nacht - und wir können nichts dafür tun.

Bestimmt haben die drei Jünger, die mit Jesus im Garten waren, diesen Psalm gekannt. Vielleicht sind sie deshalb damals eingeschlafen. Mit dem guten Vertrauen auf ihren Gott, der am nächsten Morgen die Welt für Jesus ganz anders aussehen lässt. Also: Erstmal ist Schlafen natürlich nicht unmoralisch.

Allerdings haben die Jünger, als ihre Augenlider zugefallen sind, auch die Ängste übersehen, die Jesus hatte. Und das ist nicht gut. Sie haben Jesus nicht ernst genommen. In diesem Sinne verstehe ich seine Aufforderung „seid wach!“. Er hätte also auch sagen können: „Nehmt meine Ängste ernst!“, „Lasst mich nicht allein!“ „Seht mich!“

Die Angst des Mitmenschen ernst nehmen, füreinander da sein. - Und gleichzeitig ruhig schlafen. Kann man das verknüpfen?
Vielleicht ist der richtige Weg, sehenden Auges schlafen zu gehen.

Für mich heißt das: ernst nehmen, dass ein Krankenhausaufenthalt den Betroffenen Angst macht. Dass die Sorgen der Welt Angst machen. Gottvertrauen kann helfen, ist aber keine Garantie, dass einfach alles gut geht. Ich stelle deshalb mein Bedürfnis, Krankenhäuser zu meiden, hinten an. Besuchen, anrufen, fragen: „wie geht’s?“ Das ist wichtiger. Aneinander denken, zeigen, dass man da ist - und das nicht nur im Krankenhaus. Und dann abends die Augen schließen. 

Als ich mich in den Jüngern entdeckt habe, habe ich mich schon erschreckt. In einer Situation wie Jesu Jünger und Jesus damals im Garten Gethsemane finden wir uns zwar hoffentlich selten und noch lieber nie wieder. Aber wenn ich aus der Geschichte eine allgemeine Lebensregel rausziehe, dann diese: Wachet und betet heißt die Gefühle und Bedürfnisse der anderen sehen und ernst nehmen.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche.

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