SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

13MRZ2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich gehe nicht gerne in Krankenhäuser. Sogar zu Verwandten gehe ich selten. Zu selten sogar. Ich weiß das. Und ich schäme mich deshalb auch. Irgendetwas in mir will Leid und Schmerz nicht an sich ranlassen. Das ist sogar so, wenn mir jemand vom Krankenhaus erzählt. Da werde ich immer ganz still.

Vielleicht liegt es daran, dass mein Vater 9 Monate in einem Krankenhaus war, als ich 14 war. Bei unseren Besuchen habe ich auch viele kranke Kinder gesehen. Ich nehme an, dass mich das damals überfordert hat. So dass ich einfach viele Jahre bei Leid und Krankheit lieber weggeschaut habe.  

Andererseits: Mein Vater ist damals aus dem Krankenhaus gekommen. Ein Kind, das dort behandelt wurde und jahrelang auf Krücken angewiesen war, kann heute – als junger Mann – ohne Krücken gehen. Ich möchte es so beschreiben: die Monate mit den Krankenhausbesuchen haben  mich mit viel Leid konfrontiert. Durch sie habe ich aber auch ein gewisses Vertrauen ins Leben und auch in die Medizin gewonnen.

Bis heute ist das so: Obwohl ich Freunde und Verwandte nicht gerne im Krankenhaus besuche bin ich doch beruhigt, dass sie im Krankenhaus SIND - und dass ihnen jemand hilft. Besonders nachts tut mir das gut - und ich kann beruhigt schlafen. Dass das irgendwie zusammengehört hat mir – und das hat mich überrascht – die Geschichte von Jesus im Garten Gethsemane eröffnet.

Jesus weiß, dass er verraten und verhaftet werden wird. Es ist Nacht, und Jesus hat Angst. Mit drei seiner Jünger geht er in den Garten zum Beten und sagt zu ihnen: Bleibt mit mir wach und betet mit mir (Mt 24,38). Dann geht er ein paar Schritte weiter und betet dort. Und die Jünger schlafen ein. Das wiederholt sich dreimal.

Ich verstehe diese biblische Erzählung immer besser: je älter ich werde und je mehr Verwandte und Bekannte ich selbst begleiten musste bei Krankheit und auch beim Sterben. Mir wird  die Not Jesu immer deutlicher. Er hat Angst, fühlt sich allein und braucht, dass seine Jünger, seine Freunde, da sind. Es geht um das Gefühl: ich bin nicht allein. Doch das bleiben sie ihm schuldig.

Möglicherweise weil sie die Gefahr, in der sie sich befinden, unterschätzt haben. Weil Jesus bisher aus allen brenzligen Situationen herausgekommen ist. Ihr Vertrauen wurde nie enttäuscht, und immer ist es gut gegangen. Warum sollte es diesmal anders sein?

Ich habe mich in diesen Jüngern entdeckt. Und ich habe beides: Sympathie für diese seelenruhigen Schläfer. Aber auch Abneigung, dass sie dem Freund die wenigen wachen Minuten schuldig bleiben.

Was heißt das jetzt aber für den eigenen gesunden Schlaf, wenn jemand zum Beispiel im Krankenhaus liegt? Oder Corona hat? Ist Einschlafen unmoralisch?

Schlaf in der Bibel ist erstmal gut. Vielleicht kennen Sie den Spruch: Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf. Das stammt aus einem biblischen Gebet, aus Psalm 127. Und gemeint ist: Abends die Augen schließen können, gehört zum Tag dazu. Und das trotz aller Sorgen und Nöte - vielleicht sogar trotz aller Katastrophen.  Es nützt nichts, jede Sorge durch endloses Drehen und Wenden und Bedenken noch größer zu machen. Eine Lösung ergibt sich mitunter über Nacht - und wir können nichts dafür tun.

Bestimmt haben die drei Jünger, die mit Jesus im Garten waren, diesen Psalm gekannt. Vielleicht sind sie deshalb damals eingeschlafen. Mit dem guten Vertrauen auf ihren Gott, der am nächsten Morgen die Welt für Jesus ganz anders aussehen lässt. Also: Erstmal ist Schlafen natürlich nicht unmoralisch.

Allerdings haben die Jünger, als ihre Augenlider zugefallen sind, auch die Ängste übersehen, die Jesus hatte. Und das ist nicht gut. Sie haben Jesus nicht ernst genommen. In diesem Sinne verstehe ich seine Aufforderung „seid wach!“. Er hätte also auch sagen können: „Nehmt meine Ängste ernst!“, „Lasst mich nicht allein!“ „Seht mich!“

Die Angst des Mitmenschen ernst nehmen, füreinander da sein. - Und gleichzeitig ruhig schlafen. Kann man das verknüpfen?
Vielleicht ist der richtige Weg, sehenden Auges schlafen zu gehen.

Für mich heißt das: ernst nehmen, dass ein Krankenhausaufenthalt den Betroffenen Angst macht. Dass die Sorgen der Welt Angst machen. Gottvertrauen kann helfen, ist aber keine Garantie, dass einfach alles gut geht. Ich stelle deshalb mein Bedürfnis, Krankenhäuser zu meiden, hinten an. Besuchen, anrufen, fragen: „wie geht’s?“ Das ist wichtiger. Aneinander denken, zeigen, dass man da ist - und das nicht nur im Krankenhaus. Und dann abends die Augen schließen. 

Als ich mich in den Jüngern entdeckt habe, habe ich mich schon erschreckt. In einer Situation wie Jesu Jünger und Jesus damals im Garten Gethsemane finden wir uns zwar hoffentlich selten und noch lieber nie wieder. Aber wenn ich aus der Geschichte eine allgemeine Lebensregel rausziehe, dann diese: Wachet und betet heißt die Gefühle und Bedürfnisse der anderen sehen und ernst nehmen.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35046
weiterlesen...