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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
„Bei uns verloddert alles.“ Mit dieser kurzen Analyse hat ein guter Freund von mir den Zustand in unserem Land beschrieben. Auslöser für seine schonungslose Beschreibung war die Tatsache, dass meine Weihnachtskarte, die ich am 16. Dezember in einen Briefkasten der deutschen Post eingeworfen hatte, erst am 3. Januar an ihrer Zieladresse angekommen war: satte 18 Tage. Hätte ich sie zu Fuß vorbeigebracht, die Sache wäre in 3 1/2 Stunden erledigt gewesen.
„Bei uns verloddert alles.“ Zunächst stimme ich ihm innerlich zu, meinem frustrierten Freund: Wir haben eine Bahn, auf die kein Verlass mehr ist; eine Bürokratie, die im Dschungel von Verordnungen aus dem Blick zu verlieren droht, wofür sie da ist; und zu viele, die nur „wollen“ und nicht bereit sind, etwas zu geben und einzubringen.
Ja, im ersten Moment stimme ich meinem frustrierten Freund zu. Aber hilft das? Wie wäre es denn, wenn wir uns alle auf das Besinnen, wo wir herkommen?
Nach der Tragödie des 2. Weltkriegs ist es gelungen, mit dem Grundgesetz eine der tragfähigsten Verfassungen weltweit zu etablieren und ein Land neu aufzubauen, das am Boden lag. Übrigens gemeinsam mit Millionen von Geflüchteten und Vertriebenen.
Im Osten brach sich im Jahr 1989 eine friedliche Revolution Bahn - ohne Blutvergießen. Und infolgedessen sind in Erfurt und in Leipzig, in Dresden und in Halle neue und zukunftsfähige Zentren entstanden - mit wunderschönen Innenstädten übrigens, die einen Besuch wert sind. Und während im Jahr 2000 noch 497 Menschen Opfer eines polizeilich erfassten Mordes wurden, waren es im Jahr 2023 noch 299: ein Rückgang um satte 40 %. Auf das besinnen, wo wir herkommen.
Ich widerspreche meinem Freund jetzt doch: Es verloddert nicht alles. Aber es gilt, den Herausforderungen ehrlich ins Auge zu sehen und die Ärmel hochzukrempeln: für ein Land, in dem Menschen leben wollen und leben können - auch die, die anderswo kein Lebensrecht haben - so wie es die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes im Sinn hatten.
Für ein Land, in dem Menschen an die Zukunft glauben. Auch an die Zukunft dieses Planeten und deshalb unbequeme Entscheidungen treffen. Für alle und nicht nur für die eigene Bilanz.
„Gott hat uns nicht den Geist der Verzagtheit gegeben. Sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Auch damit nicht alles verloddert.
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Heute wird Manuel Neuer 39 Jahre alt. Er ist definitiv einer der besten Torhüter, den der Fußball hervorgebracht hat: elfmaliger Deutscher Meister, Weltmeister zweifacher Championsleague -Sieger, Welttorhüter. Eine Legende. Noch immer steht er im Tor des FC Bayern - auch mit 39 - als Fußball-Methusalem. Den Zenit hat er überschrittenen. Aber ans Aufhören denkt er noch nicht. Warum? Weil es ihm noch immer Spaß macht, sagt er. Und weil er noch immer gebraucht wird. Das sagt er auch.
Ich glaube, da steckt noch etwas anderes dahinter: die Frage, was danach kommt und wie es ist, wenn man nicht mehr im Rampenlicht steht. Und vielleicht auch die besonders für einen Sportler bittere Erkenntnis, dass es nicht immer nur bergauf, sondern an manchen Stellen auch bergab geht. Weil das das Leben ist.
Vielleicht kann Manuel Neuer noch ein, höchstens zwei Jahre weitermachen. Aber irgendwann kommt der Abschied. So oder so, selbstbestimmt oder von außen erzwungen.
Dazu eine eigene Erfahrung: anderer Kontext, aber auch Sport. Kürzlich war ich mit unserem Sohn beim Skifahren. Bisher ist es mir immer noch gelungen, einigermaßen mit ihm mitzuhalten. Aber das war an diesem Tag vorbei. Mein Versuch an ihm dranzubleiben, endete mit einem ziemlich schmerzhaften Sturz auf einer Eisplatte. Danach ließ ich es gezwungenermaßen langsamer angehen. Mein Sohn musste immer wieder auf mich warten. Im Nachhinein sagte mir dazu ein Freund: Sei doch froh, es wäre ja komisch, wenn du mit 58 deinem 24-jährigen Sohn davonfahren würdest. Da wäre gewaltig was schiefgelaufen.
Loslassen, sich verabschieden von manchen Selbstbildern und eigenen Ansprüchen… Immer wieder geht es darum, sich der Realität zu stellen: auf der Skipiste, im Fußballtor und beim Arzt. Unsere Vergänglichkeit ist Teil unserer Wirklichkeit.
Ein kluger Mensch schreibt dazu in der Bibel: Alles hat seine Zeit. Wie recht er hat: Alles hat seine Zeit. Und alles geht irgendwann einmal zu Ende. Und es gehört es zu unseren Lebensaufgaben, damit umzugehen. Gar nicht so leicht, aber notwendig, um sich dann, wenn etwas zu Ende geht, für Neues zu öffnen. Oder eben für die Erkenntnis, dass man überholt wird.
Wie ich beim Skifahren. Zum Vesper haben wir uns dann übrigens spätestens immer wieder getroffen. Und angestoßen. Auf uns und dass wir miteinander unterwegs sind. Wenn auch inzwischen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit.
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Es war zu Beginn meines Studiums: erste wissenschaftliche Hausarbeit. Im Gegensatz zu meinen Mitstudenten hatte ich mir ziemlich Zeit gelassen. Auch weil mir in diesem Sommer das Freibad näher lag als die Bibliothek. Irgendwann dann aber doch Abgabe und ein paar Wochen später das Resultat. Der Kommentar, der unter meiner Arbeit stand, traf mich ins Mark. „Genügt den Ansprüchen an eine wissenschaftliche Hausarbeit nur sehr bedingt.“ Fast alle meine Freunde hatten eine eins. Und ich eine vier. Eine Katastrophe.
Ich war stocksauer auf Frau Dr. Annamaria Schwemer, die mir diesen akademischen Nackenschlag verpasst hatte. Aber: In der Folge lieferte ich ab. Bis zum Examen hatte ich nie mehr eine Note, die schlechter als zwei, also gut war. Deshalb bin ich Frau Dr. Schwemer im Nachhinein dankbar. Zum einen hatte sie wahrscheinlich recht in der Beurteilung meines Werkes, und zum anderen war das für mich ein entscheidender Wendepunkt: der Auslöser dafür, dass ich mein Studium ernster nahm und mich mit den Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens befasste.
Natürlich war das damals, wenn es sich auch richtig schlecht anfühlte, keine Katastrophe. Vielmehr eine Krise im besten Wortsinn. Und bei Krisen gibt es Möglichkeiten, den Schalter umzulegen, Maßnahmen zu ergreifen, die dann Wirkung zeigen. Bei einer Katastrophe dagegen sind die Dinge eigentlich gelaufen. Da liegt etwas in Trümmern – verhindern lässt sich da gar nichts mehr.
Ich denke: In einer Zeit, in der nicht nur im Blick auf das Klima viel von Katastrophen geredet wird, lohnt es sich, genau hinzuschauen. Ist noch etwas zu retten und wenn ja, wie?
Tatsächlich glaube ich, dass viele Katastrophenszenarien eigentlich Krisen sind - mit noch offenem Ausgang. Da kann sich noch etwas ändern, da besteht noch eine Chance. Und deshalb gilt es - auf Hoffnung hin, wie es in der Bibel heißt – der Realität ins Auge sehen und Dinge anpacken, damit sich etwas verändert.
Damals bei meiner Seminararbeit hat Frau Dr. Schwemer das Problem benannt. Und ich habe verstanden, auch wenn es zunächst unangenehm war.
Im Großen wie im Kleinen braucht es Menschen, die den Mut haben, Dinge beim Namen zu nennen, auch wenn’s weh tut, und vor allem solche, die verstehen und Konsequenzen ziehen. Damit aus Krisen eben keine Katastrophen werden.
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Spielen Sie gerne? Bei mir kommt es ehrlich gesagt sehr darauf an. Alles, was mit einem Ball zu tun hat, liebe ich: Tennis, Fußball, Volleyball. Auch Theaterspielen liegt mir. Klassische Brett- und Kartenspiele sind nicht so mein Ding. Wenn es zu sehr um Strategie geht, bin ich schnell raus…
Woran das liegt? Möglicherweise daran, dass ich zumindest als Kind nicht gut verlieren und es nicht aushalten konnte, dass die anderen cleverer gespielt haben als ich. Und weil Brettspiele bei mir oft in Tränen endeten, lösen sie noch heute schlechte Stimmung in mir aus.
Verstärkt wurde meine Abneigung noch, als ein Studienkollege mir an den Kopf warf, dass sich im Spiel der wahre Charakter eines Menschen zeigt. Zur Begründung zog er den antiken Gelehrten Ovid heran, der sagt: „Im Spiel verraten wir, wes Geistes Kind wir sind.“ Na prima.
Lange habe ich versucht, daran zu arbeiten und ein guter Spieler zu werden, sah ich doch meinen Charakter in Frage gestellt… Ehrlich gesagt mit bescheidenem Erfolg. Besser wurde es erst, seit ich mir eingestanden habe, dass ich Brettspiele nun mal nicht mag. Dass sie an meinem Ego kratzen und ich das auch offen zugebe.
Seither bin ich lockerer, wenn das Thema aufkommt und spiel tatsächlich auch hin und wieder eine Runde mit. Ohne die Spielfiguren wütend vom Tisch zu fegen und mich danach zu schämen.
Warum ich Ihnen das erzähle? Weil ich glaube, dass es wichtig ist, eigene Schwachstellen wahrzunehmen und zunächst mal zu Ihnen zu stehen. Natürlich gilt es auch an ihnen zu arbeiten. Aber manches darf man sich auch eingestehen. Wichtig ist es dann aber, den anderen ihren Spaß zu lassen und nicht als Spielverderber aufzutreten, wenn die etwas gerne tun, was mir eher fern liegt.
Und deshalb: Vielleicht verraten wir ja eher im Umgang mit unseren Schwächen, wes Geistes Kinder wir sind. Solche, die ein immer perfektes Bild nach außen abgeben wollen oder solche, die um ihre Lücken wissen und auch über sie schmunzeln können.
Wenn bei uns ein Spieleabend ansteht, bin ich inzwischen für die Verpflegung zuständig. Das kann ich nämlich richtig gut.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41846Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Was machen Sie heute in 9 Monaten? Haben Sie schon Pläne? Immerhin ist heute in 9 Monaten Weihnachten. Heiligabend. Ich komme da jetzt wegen der 9 Monate drauf: 9 Monate? - da war doch was.
Wenn wir in 9 Monaten Jesu Geburt feiern, dann müsste Maria in diesen Tagen schwanger geworden sein. Josef, ihr Verlobter, war da laut der biblischen Erzählung außen vor. Das Kind, das im Bauch von Maria heranwuchs, war nicht von ihm. Und das hat ihn gewaltig getroffen. Josef fühlte sich betrogen. Und außerdem hatte er ja auch Pläne, aber eben ganz andere.
Josephs erste Reaktion: Abhauen. „Soll die Maria doch sehen, wie sie klarkommt.“ Aber das war nur die eine Stimme in seinem Inneren. Es gab da noch eine andere: weil die Maria ihm am Herzen lag, weil da Liebe war.
Eines Nachts träumte er. Die Bibel berichtet von einem Engel, den Josef im Traum gesehen hat. Der hat ihm die Augen geöffnet. Am nächsten Morgen war alles anders. Josef hatte nicht mehr den Zwang in sich, zu verstehen, was passiert ist. Aber er wusste, dass das mit Maria und diesem Kind sein Leben ist.
Liegt nicht darin manchmal das Geheimnis? Dass wir tatsächlich nicht alles verstehen müssen und gerade so dann leben können - und lieben? Der deutsche Dichter Rainer Maria Rilke, den ich sehr liebe, sagt: „Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest.“ Ein Fest lebt davon, dass sich die Gäste darauf einlassen, mitfeiern.
Im Blick auf das Leben heißt das: sich auf das einlassen, was ist. Nicht ewig dem nachhecheln, wie ich's gerne gehabt hätte. Aber gerade darin dann mein Leben finden.
Lief bei Ihnen alles wie geplant? Bei mir nicht. Gar nicht. Mit so manchem Plan, den ich mit viel Verstand gemacht hatte, bin ich gegen die Wand gefahren. Aber in dem, was dann kam war ganz viel Leben und immer wieder mal ein Fest. Immer wieder Grund, einen Korken knallen zu lassen. Und anzustoßen. Auf das Leben wie es ist.
Auch der Stall von Bethlehem wurde übrigens zu einem Festsaal. Mit ganz unterschiedlichen Gästen und sogar mit Gold und Weihrauch und Myrrhe. Weil Josef sich darauf einließ.
Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41845SWR1 Anstöße sonn- und feiertags
Es war im Jahr 1995. Ich hatte gerade mein 1. Theologisches Examen bestanden. Jetzt stand die praktische Ausbildungsphase für einen angehenden Pfarrer an: meine Zeit als „Vikar“. Dafür hatte die Kirchenleitung für mich eine Stelle in Rottweil vorgesehen. Vor Beginn meiner Tätigkeit sollte ich mich meinem zukünftigen Lehrmeister vorstellen.
Mit der Bahn machte ich mich auf den Weg, von Tübingen nach Rottweil. Pfarrer Dilger hatte mir am Telefon zugesagt, mich am Bahnsteig abzuholen. „Wir werden uns dann schon erkennen…“ sagte er. Mein äußeres Erscheinungsbild unterschied sich fundamental vom heutigen: lange Haare, Ring im Ohr, Schlabberpulli, schwarze Lederhose. Er sollte mich ja schließlich so kennenlernen, wie ich bin.
Der Zug fuhr ein und ich stieg aus. Gleich fiel mir ein großgewachsener, etwas steif wirkender älterer Herr auf: heller Popeline Mantel, die Haare mindestens so grau wie meine heute. „Hoffentlich isch‘s der net.“schoss es mir durch den Kopf. „Hoffentlich ist es der nicht. - Aber natürlich war er es.
Das Kennenlerngespräch verlief etwas zäh. So auch die ersten Monate nach meinem Dienstbeginn. Meine erste Predigt in der altehrwürdigen barocken Kirche von Rottweil kommentierte er knapp: „Muss noch üben…“ Das saß.
Meinen Elan habe ich mir trotzdem nicht nehmen lassen: Habe in der Schule und im Konfirmandenunterricht, in der Jugendarbeit und bei Seniorennachmittagen „geübt“, vieles aber auch so angepackt, wie ich es für richtig hielt.
Im Lauf der Zeit ist Vertrauen zwischen uns gewachsen. Ich entdeckte den Humor meines Ausbildungspfarrers und er meinen ernsten Willen, etwas zu bewegen. Vollends brach das Eis, als ich anlässlich seines 60. Geburtstags eine kabarettistische Einlage zum Besten gab. Sein herzliches Lachen an diesem Abend habe ich heute noch vor Augen. Unsere Zusammenarbeit war von da an von Wertschätzung und gegenseitigem Respekt geprägt. Ich habe viel gelernt bei ihm. Dinge von denen ich bis heute profitiere. Zeitmanagement und Großzügigkeit. Klarheit in den Ansagen und auch Freiheit im Umgang mit manchen Vorgaben.
Besonders gerne erinnere mich an eines unserer letzten Ausbildungsgespräche. Ganz offen sprachen wir da auch über unsere erste Begegnung auf dem Bahnhof in Rottweil: Ich erzählte ihm, was mir damals durch den Kopf schoss: „Hoffentlich isch‘s der net.“ „Weisch was“, antwortete Wilhelm Dilger darauf lächelnd, „als ich dich sah, da dachte ich genau dasselbe. Hoffentlich isch‘ s der net.“
Doch wir waren es. Beide. Und es war gut so. Gott sei Dank.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41844Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Stellen Sie sich mal folgende Schlagzeile in unseren Tagen vor.
Straffälliger mit Migrationshintergrund wird in hohes Ministeramt berufen –
Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Hasskommentare auf Social-Media sie nach sich ziehen würde. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde die Frage gestellt, ob solche Posten nicht mehr mit unbescholtenen Fachleuten deutscher Herkunft besetzt werden können.
In einer Geschichte aus der Bibel, die vor ungefähr 3000 Jahren spielt, war das wahrscheinlich auch so. Sie handelt von einem jungen Mann namens Josef. Josef ist von seinen Brüdern aus Rache als Sklave nach Ägypten verkauft worden. Er ist jetzt ein Ausländer ohne Rechte und landet dann auch noch wegen eines ihm angedichteten Sexualdelikts im Gefängnis. Dort bleibt er aber nicht lange, denn er tut sich nicht nur durch gute Führung, sondern auch durch offenkundige Weisheit hervor. Der Pharao, der König von Ägypten, wird auf ihn aufmerksam, und nachdem Josef dem Regierungschef auch desen dunklen Träume erklären kann – in ihnen hatte sich eine Hungernot angedeutet - , legt er ihm ein äußerst schlüssiges Haushaltskonzept vor. Daraufhin wird Josef kurzerhand zum Superminister ernannt. Mit seinen Vorschlägen geht Ägypten gut aufgestellt in bevorstehende Krisenzeiten. Josef setzt durch, was ganz sicher auch damals nicht besonders populär war: In wirtschaftlichen Blütezeiten wird ein Teil des Bruttoinlandsprodukts für Phasen der Rezession zurückgelegt. In der Bibel hört sich das so an: „Sorge in den 7 guten Jahren dafür, dass für Nahrung gesorgt sei in den 7 Jahren des Hungers…
Der Pharao hat die Freiheit und die Weisheit, seine Personalentscheidungen nicht nach Herkunft oder Lebenslauf, sondern nach Kompetenz und Persönlichkeit zu treffen.
Respekt! Solche Entscheidungen wünsche ich mir auch heute. Es braucht Verantwortungsträger, die Menschen aufgrund ihrer Kompetenz eine Chance geben, auch wenn sie, wie Josef, einen scheinbaren Makel in ihrem Lebenslauf haben.
Dass es das gibt und immer wieder gab, ist unbestritten. Aber es gibt eben auch das Andere. Ja, ich kenne Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft oder Ihrer Vorgeschichte gar keine Chance bekommen haben.
Und noch schlimmer: dass Menschen aufgrund ihrer Religion und Herkunft 86 Jahre nach der Reichspogromnacht wieder vermehrt Angst um ihr Leben haben müssen, ist schlicht beschämend.
Die Volkswirtschaft in Ägypten hat aufgrund von Josefs Weisheit überlebt. Weil er eine Chance bekam. Ich glaube, nur als Chancengeberland haben wir auf Dauer eine Zukunft. Die sollten wir nicht leichtfertig verspielen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40917Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Frisch zurück aus dem Urlaub wartet eine Flut von E-Mails in meinem Postfach Eine Nachricht sticht mir beim Überfliegen sofort ins Auge: Harmonium. Anders als die anderen öffne ich diese sofort.
Ein Verwandter schreibt mir, dass er wegen eines bevorstehenden Umzugs keinen Platz mehr für das bei ihm stehende altehrwürdige Instrument aus dem Familienbesitz hat und fragt, ob ich oder meine Geschwister vielleicht Interesse hätten. .
Harmonium.
Sofort treten Bilder vor mein inneres Auge. Das Wohnzimmer meiner Großmutter. In einer Nische das Harmonium, ein inzwischen mindestens 150 Jahre altes Instrument. Eine Art Heimorgel mit einem kunstvoll gestalteten Gehäuse aus Eichenholz. Darüber eine Holztafel. Dort steht in großen, geschwungenen Buchstaben: „Werfet euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat.“
Und auf einmal höre ich die altgewordene, zarte Stimme der Urgroßmutter, die zum etwas müden Klang des Harmoniums singt: „Breit aus die Flügel beide, o Jesu, meine Freude.“ Oder auch: „Wenn dein Aug’ ob meinem wacht, wenn dein Trost mir frommt, weiß ich, dass auf gute Nacht guter Morgen folgt.“
Für sie war das Harmonium viel mehr als ein Instrument. Das Harmonium und die davor stehende Bank, das war ein Zufluchtsort. Dann, wenn das Leben schwer wurde, manchmal zu schwer in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, weil sieben hungrige Mäuler zu stopfen waren und kein Vater mehr da , der Geld nach Hause brachte.
Dann, wenn das Herz voller Trauer war, weil das Leben zweier Söhne viel zu früh zu Ende ging und die Hoffnung immer kleiner wurde, dass der geliebte Ehemann und Schwiegersohn doch noch aus dem Krieg zurückkehrt.
Dann, wenn es eigentlich nichts mehr zu sagen und kaum mehr etwas zu hoffen gab, dann war da das Harmonium und die Melodien, die ihren Weg aus ihm heraus fanden. Dann war da der Blick auf diese Tafel:
„Werfet euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat.“
Auch wegen all dem muss das Harmonium jetzt einen neuen Platz finden. Weil es noch heute davon erzählt, dass es Hoffnung gibt, wenn alles verloren scheint, und Melodien, die tragen, wo alle Worte versagen.
Weil wir Hoffnungsinstrumente brauchen, auf denen Lieder vom Leben gespielt und gesungen werden angesichts von Verzweiflung und dem Gefühl nicht mehr weiter zu wissen.
„Werfet euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat.“
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Als ich nach einem langen Tag hungrig nach Hause komme und die Tür öffne, steigt mir ein wunderbarer Duft in die Nase: Gefüllte Paprika! Herrlich!
Seit Kindertagen liebe ich diesen Geruch und dieses Gericht. Und als ich am Herd in den Bräter schaue, da strahlen sie mich an, die bunten Schoten. Tiefrot, gelb, orange und grün.
Und die Füllung aus Reis, Hackfleisch, Zwiebeln, Knoblauch und Petersilie… Das Ganze scharf angebraten. Wunderbar. Ich könnte mich reinlegen.
Wenn jetzt als Beilage noch der schwäbische Kartoffelsalat serviert wird …
Schwäbischer Kartoffelsalat?
Ja, Sie haben richtig gehört. Schwäbischer Kartoffelsalat zu gefüllter Paprika. Was sich zumindest mal verwegen anhört, ist in unserer Familie ganz normal. Und dazu gibt es eine Geschichte:
Als bei meinen Großeltern ins relativ neu gebaute Häusle nach dem Krieg eine Familie einquartiert wurde, die aus Bessarabien ins Schwabenland fliehen musste, war man zunächst mehr als skeptisch. "Flichtleng ins oigene Haus ond no au no glei so viel. Acht Leit en drei Zemmer."
Doch mit der Zeit näherte man sich an. Meine Großeltern und die Hausleute aus Bessarabien. Irgendwann war so viel Vertrauen da, dass auch zusammen gekocht wurde. Die Neckarschwäbin zeigte der Donauschwäbin, wie sie den weltbesten Kartoffelsalat macht, und die Donauschwäbin der Neckarschwäbin, worin das Geheimnis ihrer Paprika liegt und wie es gelingt, im ganzen Haus einen so wunderbaren süßlich-scharfen Duft zu verbreiten.
Und dann wurde gemeinsam gegessen. Gefüllte Paprika mit Kartoffelsalat. Um den Tisch herum in der großen Küche saßen zwölf Menschen. Und man aß und trank und erzählte sich vom Leben. Und weil es so gut schmeckte, saß man lange und erzählte viel.
So kam es, dass dieses Gericht bis heute einen festen Platz in der Rezeptsammlung unserer Familie hat.
Und wenn ich heute, mindestens 70 Jahre nach der Entstehung dieser Tradition, zu meiner Mutter komme und mir etwas zu Essen wünschen darf, dann wünsche ich mir gefüllte Paprika mit Kartoffelsalat. Weil dieses Gericht nach Heimat riecht und auch so schmeckt.
Heimat ist nicht nur ein geographischer Begriff. Sie entsteht auch da, wo sich Menschen öffnen und etwas voneinander zeigen. Wie die beiden Hausfrauen.
Und sowieso: Essen und Trinken hält nicht nur Leib und Seele zusammen, sondern verbindet auch Menschen miteinander.
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Alles war so gut vorbereitet für den Sommerurlaub. Die Koffer gepackt, die Urlaubsliteratur ausgewählt, alle Buchungsunterlagen bereit.
Der Wecker klingelt um 4 Uhr morgens. Um 6:10 Uhr geht der Flieger ab Stuttgart nach Rom. So der Plan. Ich freue mich riesig. Es war viel los in diesem Jahr. Nach Dusche und Kaffee trage ich die Koffer ins Auto. Dann der Griff an die rechte hintere Hosentasche. Mein Geldbeutel. Wo ist der?
Zunächst bleibe ich noch ganz ruhig. Der muss an der Garderobe liegen. Leider Fehlanzeige. Nachttisch, Jackentaschen, Rucksack, Auto – ich werde hektisch. Der gut gemeinte Hinweis meiner Frau, ich solle jetzt doch mal ganz in Ruhe überlegen, wann und vor allem wo ich ihn zum letzten Mal in Händen hatte, ist nur wenig hilfreich. Es ist jetzt 5:05 Uhr, und mir wird immer klarer, dass das Flugzeug nicht warten wird, weil ich meinen Geldbeutel nicht finde.
Bitte, bitte, lieber Gott, das darf doch jetzt einfach nicht wahr sein. Mir fällt ein, dass ich ja noch einen Reisepass habe. Wenigstens das. Und meine Frau ja auch eine Kreditkarte. Um 5:15 Uhr treffen wir die Entscheidung, dass ich ohne Geldbeutel den Urlaub antrete.
Eigentlich ein No-go. Zumal für mich, der ich so gerne alles im Griff habe.
Während der Fahrt zum Flughafen, wo wir gerade noch rechtzeitig ankommen, sitze ich schweigend und kopfschüttelnd im Auto.
Nach dem Start der Maschine löst sich langsam die Anspannung. Ich bin froh, dass wir im Flugzeug sitzen und ich nicht immer noch wie ein Irrer durchs Pfarrhaus rase.
Dass ich im Urlaub, selbst wenn ich mir eine Kugel Eis kaufen möchte, meine Frau fragen muss, tut mir – der ich mich sonst immer für alles zuständig fühle – ganz gut.
Was ich seit diesem Morgen im Sommer 2024 weiß: Wenn es weitergehen soll, muss man zuweilen ziemlich unvorstellbare Entscheidungen treffen. Wie ohne Geldbeutel samt höchst wichtigen Inhalten in den Urlaub zu fliegen. Und ich weiß seither auch dass ich zur Not auch ohne all die scheinbar lebensnotwendigen Dinge klarkomme. Vorausgesetzt, es ist einer da der bereit ist, mir zu helfen.
Denn es wurde trotzdem ein wunderbarer Urlaub, auch dank meiner Frau und ihrer Kreditkarte.
"Suchet, so werdet ihr finden," sagt Jesus. Und: "Bittet, so wird euch gegeben." Das sagt er auch. Dass wir immer das finden, was wir zunächst suchen, das sagt er nicht. Und auch nicht, dass er uns immer das gibt, worum wir bitten. Die Bitten meiner Stoßgebete, die ich halb flehend, halb fluchend zwischen 4 und 5 Uhr morgens durchs Pfarrhaus gefaucht habe, wurden nicht erfüllt. Und doch hat er mich gehört. Ganz sicher. .
Mein Geldbeutel, der lag übrigens die ganze Zeit auf meinem Schreibtisch. Ich hatte ihn einfach übersehen.
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