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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

27SEP2025
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„Du, Heut Abend muss ich dir was erzählen…“ Manchmal schreibt mir das meine Frau tagsüber von der Arbeit aus, als WhatsApp. „Ich muss dir was erzählen…“

Und wenn wir uns dann abends sehen, dann höre ich, was ihr auf dem Herzen liegt: Mal, dass ihr 6jähriger Enkel zwei Tore beim Fußballturnier geschossen hat oder dass sie einen ganz tollen Mantel entdeckt hat und sich den für den Herbst gerne kaufen würde … „Du, ich muss dir was erzählen.“

Auch wenn es immer wieder notwendig ist, Dinge für sich zu behalten: Der Wunsch, das, was wir erleben, mit anderen Menschen zu teilen, gehört zu uns.

Ganz am Anfang der Bibel steht eine Geschichte, die diesem Bedürfnis auf den Grund geht. Es wird da berichtet, dass Gott, der Schöpfer, mit der Erschaffung eines ersten Menschen eben noch nicht fertig ist. Noch fehlt diesem Wesen etwas Entscheidendes. Und erst als Gott einen weiteren Menschen schafft, ist die Schöpfung vollkommen. Erst als Adam zu Eva und Eva zu Adam „Du“ sagt, verschwindet die Leere.

Für mich steckt in dieser alten Geschichte viel Wahrheit. Auch ich brauche ein Gegenüber. Denn wie oft stelle ich fest: es gibt Dinge, die kann ich mir selbst nicht sagen. Sowohl ein Kompliment als auch eine kritische Rückmeldung braucht ein Du.

Konkret: „Du Idiot!“ trifft in der Regel härter, als wenn ich mir sage „was bin ich nur für ein Idiot … Und bei allem Respekt vor der notwendigen Selbstfürsorge: Einen Blumenstrauß geschenkt zu bekommen, ist schöner als sich selbst einen zu kaufen.

Natürlich, immer einfach ist es mit anderen Menschen nicht. Manchmal sogar furchtbar kompliziert. Und, ja, ich habe tatsächlich auch nicht immer Lust zuzuhören, wenn mir meine Frau etwa erzählen will. Manchmal bin ich sehr mit mir selbst beschäftigt. Oder will nach einem langen Tag mit vielen Gesprächen meine Ruhe haben.

Und doch: ich bleibe dabei: Andere Menschen, zuweilen auch gerade die, über die ich mich ärgere, sind der Reichtum meines Lebens. Oder mit Worten von Hannes Wader, die mich seit langem begleiten:


Wer daran glaubt, alle Gefahren
nur auf sich selbst gestellt zu überstehn,
muss einsam werden und mit den Jahren
auch an sich selbst zugrunde gehen.

Und soll mein Denken zu etwas taugen
und sich nicht nur im Kreise drehn,
will ich versuchen, mit euren Augen
die Wirklichkeit klarer zu sehn.

Nun Freunde, lasst es mich einmal sagen:
Gut wieder hier zu sein, gut euch zu sehn
mit meinen Wünschen, mit meinen Fragen
fühl ich mich nicht allein: Gut euch zu sehn.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

25SEP2025
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Dienstagabend 20.30 Uhr. Feierabend. Pling. Mein Handy meldet sich. Nachricht von der Mesnerin: „Herr Brändle. Die Kirchentür stand heute Abend sperrangelweit offen. Ich hab sie zugemacht.“ Ich schreib zurück: Super! Vielen Dank.

Wieder pling. Prompte Antwort: „Das ist doch mein Job.“ Wieder antworte ich: Trotzdem danke.

„Das ist doch mein Job.“ An dem Satz bleib ich hängen. Ja, stimmt. Das ist ihr Job. Aber, warum dann nicht danke sagen? Heißt das, wenn jemand etwas gegen Bezahlung macht, dann ist Dank unangemessen? Das wäre ja schlimm.

Es gibt in unserem Land unendlich viele Menschen, die einen guten Job machen. Von der Ministerin bis zum Müllmann. Vom Vorstandsvorsitzenden bis zur Pflegefachkraft.

Kürzlich hab ich einer Kassiererin beim Rewe gesagt, dass ich mich darüber freue, dass sie immer so freundlich ist und auch bei langen Schlangen vor der Kasse die Ruhe bewahrt. Seither hab ich das Gefühl, lacht sie noch mehr, wenn sie mich sieht. Auch sie macht nur ihren Job. Aber sie macht ihn gut. Und ich bin mir sicher, es tut der Stimmung in unserem Land gut, wenn wir uns das ab und zu auch gegenseitig sagen.

Danke. In diesem Wort steckt nämlich eine revolutionäre Kraft. Ja, dieses Wort kann uns im wahrsten Sinn des Wortes umwälzen, umdrehen. Wenn ich danke sage, dann richte ich meinen Fokus auf das, was ist, und nicht auf das, was fehlt.

Und vielleicht ist die Dankbarkeit ein rettender Schutzwall gegen die Lawine des Negativen, die in unserem Kopf manchmal losgetreten wird.

Ein Beispiel: da sind 20 Mitarbeitende. 18 machen einen tollen Job. Zwei nicht. Die Gefahr, vor lauter Ärger über die zwei die Freude über die 18 anderen zu vergessen, ist riesig. Aber sie ist nicht unausweichlich.

Auch deshalb nehme ich mir jeden Abend vor dem Einschlafen kurz Zeit, um Danke zu sagen. Ganz still für mich denke ich dann an Menschen, die mir an dem Tag gutgetan haben und danke meinem Gott.

An dem Dienstagabend übrigens auch für die Mesnerin, die den tollen Job macht. Und oft noch Blumen aus dem eigenen Garten auf den Altar stellt.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

24SEP2025
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Es sind nur zwei Buchstaben, die gerade vielen Leuten Angst machen: K und I. KI. Künstliche Intelligenz. Laut einer aktuellen Umfrage lösen sie bei 34 % der Menschen in Deutschland Angst aus. Auch die Angst, ersetzbar zu sein und nicht mehr gebraucht zu werden. Manche Unternehmen haben es sogar schon beziffert, wie viele ihrer Aufgaben in ein paar Jahren von einer KI erledigt werden.

Wie immer sind auch im Umgang mit dieser Angst zwei Dinge wichtig: Zum einen: es hilft nicht, sie unter den Teppich zu kehren. Und zum anderen: Sie ist ein schlechter Ratgeber.

Aber was hilft dann? Möglicherweise ist gerade die Tatsache, dass KI in vielen Fällen so unfassbar perfekte und nicht angreifbare Ergebnisse liefert, ihre größte Schwäche.

Denn absolute Perfektion ist zwar einerseits faszinierend, kann auf Dauer aber auch sehr langweilig sein. Weil etwas fehlt. Die Angriffsfläche, das Berührbare.

Ich glaube, das ist unser menschlicher Mehrwert. Da machen wir den Unterschied. Als berührbare, angreifbare, und eben nicht makellose Originale. Wir mit unserem gelebten Leben, unseren Geschichten, die wirklich passiert sind, auch mit unseren Narben.

Vor einigen Wochen habe ich eine Predigt gehalten. An einer Stelle habe ich von meinen Geschwistern erzählt. Durchaus persönlich. Und da musste ich auch kurz schlucken. Konnte nicht gleich und rhetorisch perfekt weitersprechen. Weil ich berührt war. Einem Roboter wäre das wohl nicht passiert. Der hätte glatt drüber weggelesen. Nach dem Gottesdienst kam eine Frau auf mich zu und hat sich bei mir bedankt. Vor allem für diesen Moment, in dem ich von meinen Geschwistern erzählt habe. Weil das so greifbar war. Und ich habe gemerkt: Das ist es, was ich will: Greifbar werden. Auch angreifbar, und gerade so den Unterschied machen.

Und wenn wir das jeden Tag versuchen, uns zeigen, so wie wir sind, gerade auch mit den Macken, die wir haben, und den Narben, ich glaube, dann machen wir den Unterschied.

Die KI wird bleiben, definitiv, aber wir auch. Als Menschenkinder. Als Gottes-Kinder, der uns ja erstaunlicherweise eben gerade als angreifbare, unperfekte und doch wunderbare Wesen auf unsere Lebensreise geschickt hat.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

23SEP2025
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„Bleib so wie du bist!“ Den Satz hab ich letztes Jahr öfter mal zu meinem damals 19jährigen Sohn gesagt. Er ist für ein Jahr nach Brasilien aufgebrochen. Freiwilliges Soziales Jahr. Und irgendwie hab ich gedacht, das könnte ihm helfen, sich nicht zu verlieren. War lieb gemeint.

Nach ein paar Wochen hat er dann ein Foto geschickt. Ich hab ihn kaum wieder erkannt. Der gewohnte Mittelscheitel war weg. Die Haare raspelkurz und vor allem: wasserstoffblond. Darunter der Kommentar: „Hi Papa, ich brauchte mal ne Veränderung.“

Und als wir ihn jetzt nach genau einem Jahr auf dem Flughafen in Frankfurt wieder abgeholt haben, da kam tatsächlich ein anderer zurück. Nicht nur wegen der Frisur. Auch sonst. Ich habe gestaunt: Mit breiterer Brust. Selbstbewusster. Erwachsener. Und ich musste wieder an den Satz denken, den ich ihm mitgegeben hatte, damals, vor einem Jahr: Bleib so, wie du bist.

So lieb es gemeint war, aber ist das wirklich wünschenswert?

Natürlich: Ein Mensch braucht Wurzeln, die ihn tragen. Dinge, die Halt geben. Aber selbst ein Baum, der der tief verwurzelt ist in der Erde, verändert sich doch permanent durch äußere Einflüsse. Er wächst weiter, lässt Blätter fallen und bringt Neues hervor. Genau so sind auch wir dem Leben ausgesetzt und werden von ihm verändert.

Für mich heißt das: offen bleiben für neue Gedanken, anderen Menschen die Chance geben, mich in Frage zu stellen, Fehler machen und aus ihnen lernen, weiterkommen. Ich bleiben, gerade indem ich mich verändere.

Nochmal zurück zum Anfang: Kurz nach seiner Rückkehr hat mir mein Sohn bei einem Glas Wein was anvertraut: „Papa, ich glaub, da in Brasilien, da bin nicht nur ich, da ist auch mein Glaube an Gott stärker geworden. Weil, wenn man öfter allein ist und dann spürt, dass man doch nicht allein ist, das ist echt was Krasses, was Gutes…“

Das hat mich sehr berührt. Denn er hat wohl was mitgenommen, vielleicht ja auch was, was wir ihm mal mitgegeben haben. Glaube, Gottvertrauen. Und genau das ist geblieben und hat sich weiterentwickelt. Ist was Eigenes, ist seins geworden.

„Wenn man öfter allein ist und dann spürt, dass man doch nicht allein ist, das ist echt was Krasses, was Gutes…“

Wahrscheinlich braucht auch der Glaube manchmal ne Veränderung.

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22SEP2025
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Urlaub in Südfrankreich. Die Cote d’Azur macht ihrem Namen alle Ehre: Blauer Himmel, blaues Meer. 37 Grad sind tagsüber keine Seltenheit. Da tut es gut, zwischendurch auch mal kühle Orte aufzusuchen. Am Ortsrand von Vence steht die Kapelle Sainte Rosaire. Sie ist berühmt für ihre Altarfenster, die der Maler Henri Matisse gestaltet hat. Ich mag Matisse, schon lange. Aber was dann beim Betreten der Kapelle passiert ist, darauf war ich überhaupt nicht gefasst:  

Ein intensives Leuchten aus blau und gelb und grün. Ein ganz besonderes Licht. Mir lief ein leichter Schauer über den Rücken. Ein Gänsehautmoment.

Gänsehaut, weil mich die Glasfenster nicht nur als Kunstwerk fasziniert haben; nein, sie haben mich in eine Bewegung mit hineingenommen. Das Leuchten war für mich in dem Moment nicht von dieser Welt. Wunderbar.

Wie auch die Geschichte, die hinter den Glasfenstern steckt: Henri Matisse, war an Krebs erkrankt und auf Hilfe angewiesen. Hilfe, die ihm durch eine junge Krankenschwester, Monique Bourgois, zuteilwurde.

Weil es seine Erkrankung nicht mehr zugelassen hat, wie gewohnt mit Pinsel und Staffelei zu arbeiten, hat er begonnen, mit der Schere zu malen. Hat Figuren und Formen ausgeschnitten und aufgeklebt und so unzählige der für ihn später so charakteristischen Werke geschaffen. Auch die Vorlagen für die wunderbaren Glasfenster in der kleinen Kapelle St. Rosaire sind so entstanden: Blüten und Blätter in grün, blau und gelb.

Monique Bourgois ist später Nonne geworden. Und als ihr Konvent sich eine Kapelle gewünscht hat, hat Matisse sich bereit erklärt, die künstlerische Ausgestaltung zu übernehmen. Auch aus Dankbarkeit.

Bei der Einweihung der Kapelle im Jahr 1951 schrieb er: Das, was entstanden ist, das war nicht ich, es war eine Offenbarung in mir. Ich musste mich selbst aufgeben und dem, was aus mir herauswollte, freien Lauf lassen. Wunderbar.

Auch weil da ein Mensch nicht bei seiner Einschränkung stehen geblieben ist, sondern sich mit ihr weiterentwickelt hat. Und gerade so Großes entstehen konnte. Weil nicht der Frust gesiegt hat, sondern die Neugier auf das, was noch geht. Anders geht.

Vielleicht leuchten die Fenster auch deshalb so ganz besonders. Und vielleicht bekam ich ja auch deshalb eine Gänsehaut.

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29MRZ2025
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„Bei uns verloddert alles.“ Mit dieser kurzen Analyse hat ein guter Freund von mir den Zustand in unserem Land beschrieben. Auslöser für seine schonungslose Beschreibung war die Tatsache, dass meine Weihnachtskarte, die ich am 16. Dezember in einen Briefkasten der deutschen Post eingeworfen hatte, erst am 3. Januar an ihrer Zieladresse angekommen war: satte 18 Tage. Hätte ich sie zu Fuß vorbeigebracht, die Sache wäre in 3 1/2 Stunden erledigt gewesen.

„Bei uns verloddert alles.“ Zunächst stimme ich ihm innerlich zu, meinem frustrierten Freund: Wir haben eine Bahn, auf die kein Verlass mehr ist; eine Bürokratie, die im Dschungel von Verordnungen aus dem Blick zu verlieren droht, wofür sie da ist; und zu viele, die nur „wollen“ und nicht bereit sind, etwas zu geben und einzubringen.

Ja, im ersten Moment stimme ich meinem frustrierten Freund zu. Aber hilft das? Wie wäre es denn, wenn wir uns alle auf das Besinnen, wo wir herkommen?

Nach der Tragödie des 2. Weltkriegs ist es gelungen, mit dem Grundgesetz eine der tragfähigsten Verfassungen weltweit zu etablieren und ein Land neu aufzubauen, das am Boden lag. Übrigens gemeinsam mit Millionen von Geflüchteten und Vertriebenen.

Im Osten brach sich im Jahr 1989 eine friedliche Revolution Bahn - ohne Blutvergießen. Und infolgedessen sind in Erfurt und in Leipzig, in Dresden und in Halle neue und zukunftsfähige Zentren entstanden - mit wunderschönen Innenstädten übrigens, die einen Besuch wert sind. Und während im Jahr 2000 noch 497 Menschen Opfer eines polizeilich erfassten Mordes wurden, waren es im Jahr 2023 noch 299: ein Rückgang um satte 40 %. Auf das besinnen, wo wir herkommen.

Ich widerspreche meinem Freund jetzt doch: Es verloddert nicht alles. Aber es gilt, den Herausforderungen ehrlich ins Auge zu sehen und die Ärmel hochzukrempeln: für ein Land, in dem Menschen leben wollen und leben können - auch die, die anderswo kein Lebensrecht haben - so wie es die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes im Sinn hatten.

Für ein Land, in dem Menschen an die Zukunft glauben. Auch an die Zukunft dieses Planeten und deshalb unbequeme Entscheidungen treffen. Für alle und nicht nur für die eigene Bilanz.

„Gott hat uns nicht den Geist der Verzagtheit gegeben. Sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“  Auch damit nicht alles verloddert.

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27MRZ2025
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Heute wird Manuel Neuer 39 Jahre alt. Er ist definitiv einer der besten Torhüter, den der Fußball hervorgebracht hat: elfmaliger Deutscher Meister, Weltmeister zweifacher Championsleague -Sieger, Welttorhüter. Eine Legende. Noch immer steht er im Tor des FC Bayern - auch mit 39 - als Fußball-Methusalem. Den Zenit hat er überschrittenen. Aber ans Aufhören denkt er noch nicht. Warum? Weil es ihm noch immer Spaß macht, sagt er. Und weil er noch immer gebraucht wird. Das sagt er auch.

Ich glaube, da steckt noch etwas anderes dahinter: die Frage, was danach kommt und wie es ist, wenn man nicht mehr im Rampenlicht steht. Und vielleicht auch die besonders für einen Sportler bittere Erkenntnis, dass es nicht immer nur bergauf, sondern an manchen Stellen auch bergab geht. Weil das das Leben ist.

Vielleicht kann Manuel Neuer noch ein, höchstens zwei Jahre weitermachen. Aber irgendwann kommt der Abschied. So oder so, selbstbestimmt oder von außen erzwungen. 

Dazu eine eigene Erfahrung: anderer Kontext, aber auch Sport. Kürzlich war ich mit unserem Sohn beim Skifahren. Bisher ist es mir immer noch gelungen, einigermaßen mit ihm mitzuhalten. Aber das war an diesem Tag vorbei. Mein Versuch an ihm dranzubleiben, endete mit einem ziemlich schmerzhaften Sturz auf einer Eisplatte. Danach ließ ich es gezwungenermaßen langsamer angehen. Mein Sohn musste immer wieder auf mich warten. Im Nachhinein sagte mir dazu ein Freund: Sei doch froh, es wäre ja komisch, wenn du mit 58 deinem 24-jährigen Sohn davonfahren würdest. Da wäre gewaltig was schiefgelaufen.

Loslassen, sich verabschieden von manchen Selbstbildern und eigenen Ansprüchen… Immer wieder geht es darum, sich der Realität zu stellen: auf der Skipiste, im Fußballtor und beim Arzt. Unsere Vergänglichkeit ist Teil unserer Wirklichkeit. 

Ein kluger Mensch schreibt dazu in der Bibel: Alles hat seine Zeit. Wie recht er hat: Alles hat seine Zeit. Und alles geht irgendwann einmal zu Ende. Und es gehört es zu unseren Lebensaufgaben, damit umzugehen. Gar nicht so leicht, aber notwendig, um sich dann, wenn etwas zu Ende geht, für Neues zu öffnen. Oder eben für die Erkenntnis, dass man überholt wird.

Wie ich beim Skifahren. Zum Vesper haben wir uns dann übrigens spätestens immer wieder getroffen. Und angestoßen. Auf uns und dass wir miteinander unterwegs sind. Wenn auch inzwischen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit.

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26MRZ2025
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Es war zu Beginn meines Studiums: erste wissenschaftliche Hausarbeit. Im Gegensatz zu meinen Mitstudenten hatte ich mir ziemlich Zeit gelassen. Auch weil mir in diesem Sommer das Freibad näher lag als die Bibliothek. Irgendwann dann aber doch Abgabe und ein paar Wochen später das Resultat. Der Kommentar, der unter meiner Arbeit stand, traf mich ins Mark. „Genügt den Ansprüchen an eine wissenschaftliche Hausarbeit nur sehr bedingt.“ Fast alle meine Freunde hatten eine eins. Und ich eine vier. Eine Katastrophe. 

Ich war stocksauer auf Frau Dr. Annamaria Schwemer, die mir diesen akademischen Nackenschlag verpasst hatte. Aber: In der Folge lieferte ich ab. Bis zum Examen hatte ich nie mehr eine Note, die schlechter als zwei, also gut war. Deshalb bin ich Frau Dr. Schwemer im Nachhinein dankbar. Zum einen hatte sie wahrscheinlich recht in der Beurteilung meines Werkes, und zum anderen war das für mich ein entscheidender Wendepunkt: der Auslöser dafür, dass ich mein Studium ernster nahm und mich mit den Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens befasste.

Natürlich war das damals, wenn es sich auch richtig schlecht anfühlte, keine Katastrophe. Vielmehr eine Krise im besten Wortsinn. Und bei Krisen gibt es Möglichkeiten, den Schalter umzulegen, Maßnahmen zu ergreifen, die dann Wirkung zeigen. Bei einer Katastrophe dagegen sind die Dinge eigentlich gelaufen. Da liegt etwas in Trümmern – verhindern lässt sich da gar nichts mehr.

Ich denke: In einer Zeit, in der nicht nur im Blick auf das Klima viel von Katastrophen geredet wird, lohnt es sich, genau hinzuschauen. Ist noch etwas zu retten und wenn ja, wie? 

Tatsächlich glaube ich, dass viele Katastrophenszenarien eigentlich Krisen sind - mit noch offenem Ausgang. Da kann sich noch etwas ändern, da besteht noch eine Chance. Und deshalb gilt es - auf Hoffnung hin, wie es in der Bibel heißt – der Realität ins Auge sehen und Dinge anpacken, damit sich etwas verändert.

Damals bei meiner Seminararbeit hat Frau Dr. Schwemer das Problem benannt. Und ich habe verstanden, auch wenn es zunächst unangenehm war.

Im Großen wie im Kleinen braucht es Menschen, die den Mut haben, Dinge beim Namen zu nennen, auch wenn’s weh tut, und vor allem solche, die verstehen und Konsequenzen ziehen. Damit aus Krisen eben keine Katastrophen werden.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

25MRZ2025
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Spielen Sie gerne? Bei mir kommt es ehrlich gesagt sehr darauf an. Alles, was mit einem Ball zu tun hat, liebe ich: Tennis, Fußball, Volleyball. Auch Theaterspielen liegt mir. Klassische Brett- und Kartenspiele sind nicht so mein Ding. Wenn es zu sehr um Strategie geht, bin ich schnell raus…

Woran das liegt? Möglicherweise daran, dass ich zumindest als Kind nicht gut verlieren und es nicht aushalten konnte, dass die anderen cleverer gespielt haben als ich. Und weil Brettspiele bei mir oft in Tränen endeten, lösen sie noch heute schlechte Stimmung in mir aus.

Verstärkt wurde meine Abneigung noch, als ein Studienkollege mir an den Kopf warf, dass sich im Spiel der wahre Charakter eines Menschen zeigt. Zur Begründung zog er den antiken Gelehrten Ovid heran, der sagt: „Im Spiel verraten wir, wes Geistes Kind wir sind.“ Na prima.

Lange habe ich versucht, daran zu arbeiten und ein guter Spieler zu werden, sah ich doch meinen Charakter in Frage gestellt…  Ehrlich gesagt mit bescheidenem Erfolg. Besser wurde es erst, seit ich mir eingestanden habe, dass ich Brettspiele nun mal nicht mag. Dass sie an meinem Ego kratzen und ich das auch offen zugebe.

Seither bin ich lockerer, wenn das Thema aufkommt und spiel tatsächlich auch hin und wieder eine Runde mit. Ohne die Spielfiguren wütend vom Tisch zu fegen und mich danach zu schämen.

Warum ich Ihnen das erzähle? Weil ich glaube, dass es wichtig ist, eigene Schwachstellen wahrzunehmen und zunächst mal zu Ihnen zu stehen. Natürlich gilt es auch an ihnen zu arbeiten. Aber manches darf man sich auch eingestehen. Wichtig ist es dann aber, den anderen ihren Spaß zu lassen und nicht als Spielverderber aufzutreten, wenn die etwas gerne tun, was mir eher fern liegt.

Und deshalb: Vielleicht verraten wir ja eher im Umgang mit unseren Schwächen, wes Geistes Kinder wir sind. Solche, die ein immer perfektes Bild nach außen abgeben wollen oder solche, die um ihre Lücken wissen und auch über sie schmunzeln können.

Wenn bei uns ein Spieleabend ansteht, bin ich inzwischen für die Verpflegung zuständig. Das kann ich nämlich richtig gut.

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24MRZ2025
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Was machen Sie heute in 9 Monaten? Haben Sie schon Pläne? Immerhin ist heute in 9 Monaten Weihnachten. Heiligabend. Ich komme da jetzt wegen der 9 Monate drauf: 9 Monate? -  da war doch was.

Wenn wir in 9 Monaten Jesu Geburt feiern, dann müsste Maria in diesen Tagen schwanger geworden sein. Josef, ihr Verlobter, war da laut der biblischen Erzählung außen vor. Das Kind, das im Bauch von Maria heranwuchs, war nicht von ihm. Und das hat ihn gewaltig getroffen. Josef fühlte sich betrogen. Und außerdem hatte er ja auch Pläne, aber eben ganz andere.

Josephs erste Reaktion: Abhauen. „Soll die Maria doch sehen, wie sie klarkommt.“ Aber das war nur die eine Stimme in seinem Inneren. Es gab da noch eine andere: weil die Maria ihm am Herzen lag, weil da Liebe war.

Eines Nachts träumte er.  Die Bibel berichtet von einem Engel, den Josef im Traum gesehen hat. Der hat ihm die Augen geöffnet. Am nächsten Morgen war alles anders. Josef hatte nicht mehr den Zwang in sich, zu verstehen, was passiert ist. Aber er wusste, dass das mit Maria und diesem Kind sein Leben ist.

Liegt nicht darin manchmal das Geheimnis? Dass wir tatsächlich nicht alles verstehen müssen und gerade so dann leben können - und lieben? Der deutsche Dichter Rainer Maria Rilke, den ich sehr liebe, sagt: „Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest.“ Ein Fest lebt davon, dass sich die Gäste darauf einlassen, mitfeiern. 

Im Blick auf das Leben heißt das: sich auf das einlassen, was ist. Nicht ewig dem nachhecheln, wie ich's gerne gehabt hätte. Aber gerade darin dann mein Leben finden.

Lief bei Ihnen alles wie geplant? Bei mir nicht. Gar nicht. Mit so manchem Plan, den ich mit viel Verstand gemacht hatte, bin ich gegen die Wand gefahren. Aber in dem, was dann kam war ganz viel Leben und immer wieder mal ein Fest. Immer wieder Grund, einen Korken knallen zu lassen. Und anzustoßen. Auf das Leben wie es ist.

Auch der Stall von Bethlehem wurde übrigens zu einem Festsaal. Mit ganz unterschiedlichen Gästen und sogar mit Gold und Weihrauch und Myrrhe. Weil Josef sich darauf einließ.

Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest.

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