Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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14FEB2024
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Ich möchte Ihnen von Kira erzählen. Kira ist Witwe. 48 Jahre ist sie alt. Ihr Mann ist vor ziemlich genau 1 Jahr gestorben. Freunde und Verwandte haben sie unterstützt, so gut es geht. Aber einen Satz, den kann Kira nicht mehr hören: „Du musst jetzt nach vorne schauen.!“ „Es war doch noch so viel offen, wir hatten doch noch so viel vor. Ach hätt ich doch…“ Nach vorne schauen, das will sie gar nicht, selbst wenn sie es könnte. Kira ist wie erstarrt.

Wie erstarrt. Das war auch Frau Lot von der die Bibel erzählt. Frau Lot hatte gemeinsam mit ihrem Mann nach langem Suchen in der Stadt Sodom eine Heimat gefunden. Doch die muss sie Hals über Kopf verlassen. Sodom steht vor der Zerstörung. Trotz der Warnung eines Engels auf der Flucht nicht zurückzuschauen, dreht sie sich um und sieht die in Flammen stehende Stadt.  Das lässt sie erstarren, zur Salzsäule.

Die klassische Deutung der Geschichte lautet in etwa so: Wer die Vergangenheit nicht loslässt, ist nicht offen für die Zukunft und erstarrt deshalb. Aber trifft das die Wirklichkeit? Ich glaube, es ist an der Zeit, dass Frau Lot rehabilitiert wird.

Ich verstehe, dass sie zurückschaut. Vielleicht geht ihr alles viel zu schnell. Vielleicht denkt sie an die vielen, die sterben müssen in den Flammen, auch Menschen, die sie kennt. Frau Lot ist eine, der das Leid anderer und ihr eigenes nicht gleich sind. Das Salz ihrer Tränen ist es, das sie innerlich erstarren lässt. Deshalb lässt sie mich nicht los. Weil sie hingeschaut hat und nicht weg. Allerdings war das, was sie sah, zu viel.

Ja, manchmal ist es zu viel. Auch heute. Im Blick auf das Weltgeschehen oder so manch persönliche Tragik. Nicht nur Kira, von der ich anfangs erzählt habe, weiß davon ihr trauriges Lied zu singen. Zu viel. Die Gefahr zu erstarren ist dann da.

Was hilft? Mir hilft es, an ein „Dahinter“ zu glauben. Manchmal trotzig daran festhalten, dass das, was ist, nicht alles ist.  Und darauf vertrauen, dass es Menschen gibt, die gerade dann da sind.

In der biblischen Erzählung hat Lot seine Frau einfach stehen lassen. Wie wäre es gewesen, wenn er sie in den Arm genommen hätte, die Erstarrte? Wenn sie miteinander geweint hätten, um das, was war? Und miteinander geschwiegen und ausgehalten hätten? Weil Lieben manchmal Aushalten heißt. Sogar die Erstarrung. Und für den anderen daran glauben, dass sie sich irgendwann löst.

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