Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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13FEB2024
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„Um Gottes Willen was machst denn du da? Doch nicht mit dem Lineal“ raunzte mich unser Kunstlehrer Professor Klaus Pyzska an. Es war in der 5. Klasse. Gymnasium. 1.Stunde BK – Bildende Kunst. Ich mochte das Fach in der Grundschule nicht. Weil ich es bis heute nicht so habe mit der Genauigkeit und ich zum Leidwesen meiner in der Regel sehr genauen Grundschullehrerinnen immer über den Rand hinaus malte.

Dann, wie gesagt, Gymnasium Klasse 5. Kunst. Wir sollten ein Haus malen. Ich fing an mit vorzeichnen. Mit Bleistift und Lineal. Danach ausmalen. Und ich strengte mich so an. Diesmal sollte alles besser werden…  

Aber dann kam Professor Pyszka.  „Um Gottes Willen was machst denn du da? Doch nicht mit dem Lineal! - Komm mal mit.“ Und dann gings in sein Kabuff neben dem Zeichensaal. Ein ganz spezieller Geruch stieg dort in meine Nase. Eine Mischung aus Ölfarbe und Pfeifenrauch – ja damals rauchten Lehrer noch, auch in der Schule.

Der alte Kunstprofessor nahm einen Schwamm, verwischte alle meine schon wieder gescheiterten Versuche nicht über den Rand hinaus zu malen und begann mit einem dicken Pinsel und groben Strichen ein Haus aufs nasse Papier zu klatschen. Dann drückte er mir das halb fertige Werk in die Hand und sagte: „Jetzt du. Ohne vorzeichnen. Radiergummi und Lineal will ich nie mehr bei dir sehen. Nimm Farben, kräftige…“ Als ich fertig war mit meinem Haus klopfte er mir auf die Schulter: „Bist ne Malsau, aber mit den Farben, das kannste!“ Von da an malte ich gerne.

Leben ist wie Zeichnen ohne Radiergummi. Und unser Lebenskunstwerk ist eben kein Malen nach Zahlen. Ich weiß ziemlich genau, wo ich deutlich hinausgemalt habe über den Rand. Das gehört wohl zu mir. Es ist lange nicht alles glatt gelaufen. Es gab da Brüche, sogar Abstürze. Manchmal ging es wild zu. Aber grade so wurde mein Leben MEIN Leben. Mit den Farben, die mich ausmachen. Auch leuchtende.

Und umgekehrt: wenn ich immer alles zu 100% richtig machen und alle Erwartungen erfüllen will, bin ich bestenfalls eine graue schlechte Kopie. Und das wollte mein Gott, der Künstler, der mich geschaffen hat, ganz sicher nicht.

„Bist ne Malsau, aber mit den Farben, das kannste!“

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