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SWR1 Begegnungen

21APR2024
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Tobias Breer, Marathonpater copyright: Tobias Breer

Caroline Haro-Gnändinger trifft Pater Tobias Breer, Marathonläufer und Seelsorger

 

Und mit dem sportbegeisterten Ordensmann Tobias Breer. Ich spreche mit ihm, weil er dieses Jahr bei einem Marathon in der Antarktis mitgemacht hat, als einziger Deutscher. Das heißt: Viele Kilometer und das bei großer Kälte. Er ist auf einer der südlichen Shetlandinseln gelaufen und wegen Unwettern sogar nachts:

Wir hatten -18 Grad gehabt. Das war jetzt nicht so dramatisch. Wir haben natürlich Mundschutz gehabt, sodass die kalte Luft nicht direkt in die Lunge kommt, und, ja gut, der ganze Bart war alles voll mit Eis und so weiter.

Der Bart voll mit Eis – da friert‘s mich schon beim Zuhören. Es haben Leute aus der ganzen Welt mitgemacht. Am Ende hat Tobias Breer einen Halbmarathon geschafft, also etwa 21 Kilometer, in weniger als drei Stunden. Einer der ersten Plätze ist es nicht, aber für ihn zählt, dass er es überhaupt durchgezogen hat. Gequält haben ihn dabei leider Knieschmerzen:

Dann war es eigentlich die letzten Kilometer nicht mehr so eine große Freude zu laufen, sondern ich musste da schon sehr kämpfen. Also, ich musste mich dann selber wieder überreden: Komm, du musst weitermachen, weitermachen. Dann ruft man sich die Bilder vor, dass man dann die Medaille bekommt und wofür ich eigentlich laufe - für die Kinder und für die bedürftigen Kinder. Und wenn man die strahlenden Kinderaugen sieht.

Denn Tobias Breer läuft fast immer für einen guten Zweck. In der Antarktis hat er mehr als 20.000 Euro zusammen bekommen und eine Förderschule konnte damit Sport-Rollstühle für die Schülerinnen und Schüler kaufen. Schon viele solcher Spendenläufe hat er hinter sich: fast 200 Marathons und etliche Halbmarathons. Trotzdem bleibt Kinderarmut ein strukturelles Problem, das sieht er auch. Er will aber in kleinen Schritten etwas verbessern und behält einen langen Atem.

Ich kann nicht die Welt retten letztendlich. Aber wo ich helfen kann, das tut meiner Seele besonders gut. Für mich ist es einfach gut, für die Seele, für den Geist, für den Körper und dass ich dann, wenn ich laufe, meine Sponsoren habe, die dann ein neues Projekt, Kinderprojekt, mit unterstützen oder mitfinanzieren.

Damit ermöglicht er Kindern aus ärmeren Familien, Sport im Verein zu machen, Fußball oder Schwimmen zum Beispiel. Oder dass Kinder mit Behinderung ein Therapiepferd bekommen oder Kinder in der Ukraine in Schutzzentren Spielräume. Das finde ich toll! Er verknüpft also konkrete Nächstenliebe mit seinem Hobby. Er läuft immer wieder los, weil er weiß, wofür.

Da habe ich immer diese gelben kleinen Aufkleber, mit einem kurzen Satz oder nur drei, vier oder vier Wörter ist vielleicht noch besser. Und die klebe ich immer bei mir im Badezimmer, wo ich dann morgens und abends reinschaue. Das heißt, ich werde immer wieder an diese Ziele erinnert.

Und das Laufen selbst spornt ihn natürlich auch an. Deshalb schnürt er seit fast 20 Jahren seine Sportschuhe.

Laufen ist für mich mehr als Sport, pure Leidenschaft, pure Meditation, etwas, das Körper, Seele und Geist immer wieder in Einklang bringt.

Das kann ich nachvollziehen, mir geht es zum Beispiel bei längeren Fahrradtouren so. Es fühlt sich gut an, sich zu bewegen, draußen zu sein und neue Gegenden zu entdecken. Und manchmal bringt mich das in Gedanken auch zu Gott. Pater Tobias Breer hat als Seelsorger übrigens viele unterschiedliche Aufgaben und ihm hilft, dass jeder Tag mit Ruhe anfängt.

Der Tag beginnt morgens bei mir immer mit einer persönlichen Meditation. Also ich kann auch ruhig sitzen. Es ist nicht so, dass ich immer in Bewegung bin.

Danach betet er gemeinsam mit den anderen Ordensleuten. 19 Mönche im Orden der sogenannten Prämonstratenser leben zusammen in der Abtei in Duisburg – er mag die Gemeinschaft:

Ich habe noch sechs Geschwister damals zu Hause war schon eine große Familie und ich muss da Menschen um mich haben und bin auch ganz gerne aber alleine. Ich laufe auch gerne alleine, aber dann bin ich auch froh, wenn ich mal wieder nach Hause komme und da sitzt der eine oder andere Pater noch im Wohnzimmer oder wie auch immer und kann mit ihm noch sprechen.

In seinem Büro, wo er Trauergespräche führt oder Gottesdienste vorbereitet, hängen an der Wand Medaillen und Urkunden. Mehrere Schuhe stehen bereit und am Kleiderständer hängen Laufshirts.  Er nennt es auch sein kleines Sportstudio. Fast jeden Tag startet er von dort aus eine kleine Runde:

Ich ziehe gerne farbenfrohe Kleidung an und dann gehe ich vor die Tür und schalte meine Uhr ein auf GPS und dann starte ich und dann laufe ich. Ich weiß: Heute muss ich zum Beispiel zehn Kilometer laufen. Es geht an einem Kanal vorbei, in Oberhausen. So eine wunderschöne Strecke. Und jetzt gerade, wo der Frühling beginnt, genieße ich natürlich die ersten warmen Sonnenstrahlen.

Er ist schon viele Marathons, Ultra- und Halbmarathons gelaufen, zum Beispiel in Oman in der Wüste und in Großstädten wie Paris und Tokio. Dabei sammelt er Spenden für Kinder in Togo oder in Syrien oder bei sich in der Umgebung. Durchs Laufen Not zu lindern, bedeutet ihm nämlich auch, als Christ zu handeln. Und es verbindet ihn manchmal mit Gott. Mal kommen ihm Ideen für die nächste Predigt, mal staunt er über die Natur.

Es war ein wunderschöner Lauf an der Wupper entlang und ich sah dann die ersten Tiere, Kälber, auf der Wiese. Und das berührt mein Herz, weil hier in der Stadt in Duisburg sieht man diese Tiere kaum und das ist einfach ein tolles Gefühl. Und das ist auch eine Begegnung mit Gott letztendlich, weil Gott hat alles erschaffen.

Dem Schöpfer in all seinen Geschöpfen begegnen – für Tobias Breer eine Art, Gott dankbar und nahe zu sein. Einmal wollten Jugendliche vor ihrer Firmung mit ihm das Laufen starten – und zwar direkt nach dem Gottesdienst. Für Pater Tobias Breer auch Seelsorge:

Gemeinsam unterwegs zu sein, nicht in einem Raum zu sitzen, in einem Kreis, wo dann mittendrin irgendwo eine Kerze steht und eine Blume, wie man es kennt. Das ist auch sehr schön und mag ich auch sehr gerne, aber nicht so oft, sondern ich bin immer draußen unterwegs. Da sehe ich auch ganz viele Blumen. Und während des Laufens kommen halt diese tollen Gespräche dann auch zusammen.

Gespräche über Gott und die Welt und das, was junge Menschen bewegt. Läuft also bei Pater Tobias Breer! Und auch mich spornt die Begegnung an, beweglich zu bleiben, sportlich und im Glauben.

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SWR1 Begegnungen

11FEB2024
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Shay Cullen Copyright: Weltpartner

Caroline Haro-Gnändinger trifft: Shay Cullen, Ordensmann und Menschenrechtsaktivist. Er lebt auf den Philippinen in der Nähe von Manila.

Wir sprechen miteinander, weil er gemeinsam mit Filipinos die Organisation PREDA gegründet hat. Viele Kinder haben durch PREDA aus der Armut und Ausbeutung herausgefunden und können jetzt selbstbestimmt leben. Als Erwachsene kommen einige regelmäßig zu einem Ehemaligentreffen:

Es ist ein toller Festtag, wenn sich Ehemalige hier zum Wiedersehen versammeln. Die verheiratet und groß geworden sind. Das ist ein sehr fröhlicher Tag, wenn ich alle diese Kinder sehe, die jetzt ein erfolgreiches, glückliches Leben haben.

Er und sein Team haben tausende Kinder von der Straße und aus der Zwangsprostitution geholt – seit inzwischen 50 Jahren. Shay Cullen erinnert sich, wie er ganz am Anfang aus Irland auf die Philippinen kam:

Ich kam 1969 auf die Philippinen, voller Idealismus, die Welt zu verändern. Klar, deshalb bin ich Missionar geworden.

In der Stadt Olongapo hat er gleich am Anfang gesehen, was Kinder miterleben mussten. Im Umfeld eines damaligen US-Militärstützpunkts. Dort haben Soldaten Kinder missbraucht, aber auch in Familien gab es Gewalt. Und ein riesiges Problem war und ist Sextourismus.

Ich habe herausgefunden, welche schrecklichen Verbrechen an den Kindern verübt wurden. Sie wurden Opfer von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung. Und das schon im Alter von sechs, sieben, acht Jahren.

Es ist schwer, so etwas zu hören. Denn mich erinnert das sofort auch an den Missbrauch in der Kirche. Wo das Leben vieler Kinder zerstört wurde. Mich macht das wütend und auch Shay Cullen. Er erzählt, dass die Kirchengemeinde in Olongapo damals beim Sextourismus auch weggeschaut hat. Für ihn unfassbar:

Sie haben es einfach akzeptiert, so: Naja, das ist halt so. Aber ich habe mich gefragt: Warum erheben wir nicht die Stimme wie ein Prophet und unternehmen etwas gegen diese Situation? Ich habe niemanden dort gesehen, der etwas Bedeutendes dagegen getan hätte.

Shay Cullen kann nicht wegschauen - er bekommt mit, wie verzweifelt die Kinder sind, dass sie Krankheiten bekommen und drogenabhängig werden. Und will gerade als Christ etwas tun:

Sonntags zur Kirche zu gehen und davon zu träumen, in den Himmel zu kommen, das ist nicht christlich. Sorry, wissen Sie, das ist tot. Wir wollen einen lebendigen Glauben, in dem Menschen Gutes tun, die Wahrheit verbreiten, den Kranken und den Missbrauchten helfen und die Unschuldigen schützen.

Auch ich frage mich immer wieder, was es heißt, zu glauben. Für mich gehören, wie auch für Shay Cullen, Gottesdienste und Gebete dazu. Aber auch zu handeln. Nicht nur, wenn es um Familie und Freunde geht. Aber wer ist mein Nächster konkret? Dass Shay Cullen für Menschen in Not in seiner Umgebung nicht lockergelassen hat und wirklich etwas verändern konnte, macht mir Mut. Übrigens unterstützen auch viele Ehrenamtliche aus Kirchengemeinden hier bei uns im Südwesten seine Organisation PREDA. Daher kenne auch ich seine Arbeit. Und sie berührt mich auch, weil ich Halb-Filipina bin. Für die Kinder dort hat sein Team viel erreicht.

Es ist Teamarbeit, wir sind bei all dem nicht allein. Wir haben ein sehr gutes philippinisches Team und arbeiten alle zusammen und das macht mir Mut.

Sie sind etwa 50 Leute, kooperieren mit der UNO und weiteren Kinderschutzorganisationen oder auch der Polizei. Um Kinder aus der Prostitution zu holen, aus Gefängnissen und von der Straße. Die können in der Nähe der Hauptstadt Manila ein Dach über dem Kopf bekommen, zur Schule gehen und erhalten eine ganz bestimmte Therapie, bei der sie herausschreien können, was sie erlebt haben. PREDA hat außerdem Kinderschutzgesetze im Land erkämpft und unterstützt Kinder vor Gericht:

Wir bringen ihnen Gerechtigkeit, Freiheit und ein neues Leben. Und dass sie Fälle vor Gericht gewinnen - Verurteilungen ihrer Missbrauchstäter und Menschenhändler! Und das hilft, mehr Opfer zu verhindern. Unser Traum ist natürlich, dass Kinder nirgends mehr missbraucht werden und wir wollen warnen.

Warnen, denn die Sextouristen kommen auch aus Deutschland. Das ist schrecklich. Trotz vieler Hindernisse und auch Drohungen hat Shay Cullen den Mut nicht verloren. Er kämpft gegen Armut, damit Kinder gar nicht erst in schlimme Situationen rutschen. Ich glaube, entscheidend ist, dass sein Team immer wieder an die Öffentlichkeit gegangen ist und sich ein gutes Netzwerk von Unterstützern aufgebaut hat.

Glauben zu haben heißt, ganz davon überzeugt zu sein, dass das Gute und die Wahrheit und die Gerechtigkeit das Böse besiegen. Jesus hat ganz klar gemacht, dass wir Gutes tun müssen und für die Rechte jedes Menschen kämpfen und uns für Kinder stark machen sollen. Eines Tages, so glauben wir, werden wir hoffentlich das Schlechte überwinden, genau das ist der Glaube.

Und jeder kann etwas bewegen, findet er: sich für Geflüchtete einsetzen oder sich um einsame Nachbarn kümmern. Und so konsumieren, dass die Produzenten weltweit von ihrem Einkommen leben können. PREDA will als nächstes anstoßen, dass ein Gericht entsteht, speziell für Straftaten an Kindern, damit Täter schneller bestraft werden.

Die Richter sind ziemlich unorganisiert und sehr langsam. Und wir versuchen, das zu ändern. Wir setzen uns gerade für ein Kindergericht ein. Wir haben oft Konzepte für Politiker entwickelt und damit hatten wir schon oft Erfolg und jetzt geht’s eben um ein Kindergericht, wo nur Fälle von Kindern verhandelt werden sollen.

Shay Cullen ist inzwischen 80 und er hat ein Team mit Nachfolgern aufgebaut. Ich finde, es ist wichtig, dass sein Lebenswerk und dieser große Einsatz für Kinder in Not weitergehen.

                

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SWR1 Begegnungen

12NOV2023
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Frère Alois Foto: Marija Pokuklar

Caroline Haro-Gnändinger trifft Frère Alois, Prior der christlichen Ordensgemeinschaft von Taizé in Frankreich

Wir sprechen miteinander, weil er in ein paar Wochen aufhören wird als Prior, also als Leiter der Ordensgemeinschaft von Taizé im französischen Burgund. Dorthin kommen Protestanten, Katholiken, Orthodoxe oder auch Anglikaner und die Lieder von Taizé werden in vielen Kirchengemeinden gesungen. Ich will wissen, wie Bruder Alois, auf Französisch Frère Alois, zurückschaut und was für ihn persönlich und für den Orden jetzt ansteht. In das kleine französische Dorf zieht es seit den 1960er-Jahren viele tausende - vor allem junge - Leute aus aller Welt. Das freut ihn:

Inzwischen kommen manchmal die Enkelkinder von Omas und Opas, die als Jugendliche in Taizé waren. Also, das bleibt schon sehr erstaunlich und dafür bin ich am meisten dankbar.

Auch ich war als Jugendliche mehrmals dort. Mit einer Gruppe meiner Kirchengemeinde. Normalerweise ist man eine Woche dort, übernachtet im Zelt, das Essen wird aus riesigen Töpfen ausgegeben und jeder hilft mit. Eigentlich sehr schlicht, und in Zeiten von Reizüberflutung vielleicht gerade deshalb auch so anziehend für Jugendliche aus aller Welt und aus verschiedenen Milieus. Sie beten dort dreimal am Tag gemeinsam und tauschen sich über die Bibel und ihr Leben aus. Und auch die langen Minuten von Stille im Gottesdienst – ich kann es nicht genau beschreiben - aber das hat sich nach Glück angefühlt.

Immer wieder sagen Jugendliche am Ende einer Woche, dass die Stille das Wichtigste war und das ist ja eigentlich erstaunlich. Heute läuft man von der Stille weg, flieht die Stille.

Vielen fällt es in Taizé leicht, sich mit dem christlichen Glauben zu beschäftigen - so ging es auch mir: Woran glaube ich eigentlich genau? Und was heißt es im Alltag für mich, gläubig zu sein? Frère Alois erzählt, dass bei einigen auch Sorgen wegen Kriegen und Klimawandel hochkommen. In Taizé tanken viele Kraft für den Alltag.

Alle können kommen, eine Zeit lang hier sein und selbst sehen, was sie für sich entdecken, selbst auf die innere Stimme hören und selbst einen Weg finden. Also wir wollen nicht vorgeben, was getan werden soll, sondern das muss von den Menschen kommen.

Diese Offenheit hat auch Frère Alois damals angezogen. Mit 16 Jahren ist er aus Stuttgart zum ersten Mal hergekommen. Er ist etwas später eingetreten und mit 24 Jahren wurde er schon als späterer Prior ausgewählt. Von Gründer Frère Roger persönlich.

Das war eine ganz große Überraschung, als er zum ersten Mal mit mir darüber sprach, als ich sehr jung war. Und dann haben wir ganz selten nur darüber gesprochen. Er hat mir niemals gesagt, was ich einmal tun soll oder wie das weitergehen soll. Er hat ein ganz großes Vertrauen gezeigt, dass wir Wege finden werden.

Mit 51 Jahren, nachdem der vorige Prior Frère Roger tragisch gestorben war, hat er dann die Leitung übernommen. Und die anderen Brüder haben ihn sehr unterstützt, sagt er. Heute sind es insgesamt 90 Männer, katholisch, anglikanisch oder evangelisch. Manche von ihnen leben in kleinen Gemeinschaften in anderen Ländern.

Als ich Frère Alois frage, ob er als Baden-Württemberger, wenn er im Dezember mit seinem Amt als Prior aufhört, häufiger zu Besuch kommt, zu seinen Geschwistern zum Beispiel, sagt er mir:

Ich habe mich entschieden, und die Brüder waren damit einverstanden, dass ich nach Kuba gehe. Wir werden dort mit drei Brüdern zusammenleben. Also von Kuba kann ich dann nicht so oft nach Stuttgart kommen, wie ich es gerne tun würde.

Also ein ganz neuer Schritt für ihn mit 69 Jahren. Er war bisher nur einmal auf Kuba, weiß von politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten dort, aber auch von der Lebensfreude und dem Glauben der Menschen und der Musik. Und die Sprache Spanisch kann er sicherlich schon, oder?

Nein, ich muss das lernen, stellen Sie sich vor, ich muss Spanisch lernen, es ist wirklich ein Neuanfang für mich, in ganz vielen Bereichen.

Mindestens ein Jahr lang wird er dort sein, auch um dem neuen Prior in Taizé genügend Freiheit zu geben. Aber eins steht auf jeden Fall an, nämlich eine neue Struktur, um allen Brüdern mehr Mitsprache bei Entscheidungen zu geben, sagt er. Und es wird weiterhin darum gehen, Transparenz und Prävention in Sachen sexuellem Missbrauch zu schaffen, denn auch in Taizé gab es in der Vergangenheit sexualisierte Gewalt:

Es ist notwendig, wegen der Menschen, die Opfer waren und sind, denn diese Leiden vergehen ja nicht. Also um diesen betroffenen Menschen gerecht zu werden, wollen wir alles versuchen, dass Taizé in Zukunft ein sicherer Ort ist.

Die Zukunft beschäftigt ihn überhaupt. Er ist mir aus Rom zugeschaltet, wo er bei einer großen Versammlung dabei ist. Bei der Weltsynode, wo es um die Zukunft der katholischen Kirche geht. Er glaubt, dass Kirchen offen sein müssen für verschiedene Formen den Glauben auszudrücken. Und dass eine gute Gemeinschaft wichtig ist.

Dass wir kleine Gemeinschaften schaffen in unseren Kirchengemeinden. Und diese kleinen Gemeinschaften können zusammen überlegen: Was bedeutet für uns Christsein?

So etwas konnte ich zum Beispiel in einer kleinen Gruppe in einer Karlsruher Kirchengemeinde erleben. Frère Alois sagt mir, dass ihn das Teilen von Schönem und Schwierigem sehr erfüllt, in seiner Gemeinschaft unter den Brüdern, aber auch wenn Besucher in Taizé sich an ihn wenden:

Auch wenn wir da keine Antworten geben können. Aber ich mache da immer wieder die Erfahrung, dass dieses Sich-mitteilen-können schon einen neuen Horizont öffnen kann.

Es ist schön, von seiner Offenheit und seinen guten Erfahrungen mit den vielen Menschen zu hören, die wöchentlich nach Taizé kommen. Auch mich haben die guten Erlebnisse dort mit Gott, Musik und Menschen aus aller Welt geprägt und ich habe sie in meinen Alltag mit nach Hause genommen.

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SWR1 Begegnungen

30JUL2023
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Andreas Groll Foto: Stadtdekanat Stuttgart

Caroline Haro-Gnändinger trifft Andreas Groll, Leiter der ökumenischen Notfallseelsorge Stuttgart

 

 

Wir treffen uns, weil er in seiner Familie etwas erlebt, was mich hellhörig macht. Seine Mutter, Marie José, hat schon relativ früh Demenz bekommen. Die Krankheit betrifft fast zwei Millionen Menschen in Deutschland, Tendenz steigend. Und bei jedem sieht sie etwas anders aus. Ich will mit ihm darüber sprechen, wie er damit umgeht. Aber fangen wir vorne an: Wie das Ganze damals begonnen hat, das kann er nicht vergessen:

Es hat so angefangen, dass die Mama auf einmal nicht mehr so genau wusste, wie man die Waschmaschine bedient oder wie man die Salatsoße mischt. In dieser Zeit waren sie im Entwicklungsdienst in Haiti und mein Bruder war auch dabei, der hat gemerkt, da stimmt was nicht.

Damals ist Marie José Groll erst Ende 60, sie arbeitet mit ihrem Mann und dem Bruder von Andreas Groll weit weg, eben in der Karibik auf der Insel Haiti in einem Hilfsprojekt. Als es schlimmer wird, zieht sie für ein halbes Jahr zu Andreas Groll und seiner Familie nach Stuttgart und sie wird lange untersucht. Am Ende bekommt sie die Diagnose Alzheimer – eine Form von Demenz.

Meine Mama ist auch katholische Theologin, war Lehrerin, eine ganz intelligente Frau, hat auch ein großes Netzwerk gehabt. Es war für sie eine schlimme Situation, das zu realisieren, dass sie dement wird. Dann hat sie richtige Depressionen bekommen und hat viel geweint. Irgendwann mal hat sie es aber dann angenommen, beziehungsweise hat es nicht mehr gemerkt, irgendwann vergisst man das ja dann.

Die Depressionen vergehen. Aber das Erinnern, das Sprechen und das Gleichgewichtsgefühl lassen auch immer mehr nach. Ich frage mich: Wie kommt man damit klar, dass jemand, der einem sehr nah steht, die eigene Mutter, vieles nicht mehr kann, viel vergisst und Raum und Zeit anders wahrnimmt. Für Marie José Grolls Familie ist es erstmal schwer. Wenn sie etwas verwechselt, dann will es oft jemand richtigstellen:

Mein Papa war am Anfang total ungeduldig mit der Mama, hat gesagt:  Nein das stimmt nicht, da war nichts, da waren wir nicht oder das hast du doch gerade schon gesagt oder gemacht.  Und das frustriert diese Menschen, wenn sie immer wieder damit konfrontiert werden.

Andreas Groll, seine Frau und sein Vater besuchen einen Kurs für Angehörige. Und lernen, dass es Menschen mit Demenz besser geht, wenn man sich auf ihre Wahrnehmung einlässt. Und nicht widerspricht. Das bringt sie weniger durcheinander. Und es geht im Kurs auch darum, welche Phasen von Demenz es gibt:

Also, die Krankheit schreitet fort, dadurch werden die Regionen im Hirn nicht mehr so funktionsfähig und irgendwann mal auch die Motorik.

Inzwischen ist Marie José Groll 82, sie lebt wieder in der Heimat im Landkreis Calw. Sie kann nicht mehr laufen und sich nicht mehr äußern, aber Andreas Groll findet, es ist irgendwie trotzdem ein guter Kontakt da:

Wie sie früher war, das ist nicht ja mehr da. Was geblieben ist, ist: Dass sie doch irgendwie so uns das Gefühl gibt, dass es ihr gut geht in der Situation wie sie ist, dass sie ja auch noch auf ihre Art teil hat am Familienleben.

Für Andreas Groll ist es so, wie es ist. Sagt er mir. Klingt irgendwie versöhnt, finde ich. Was ist sein Rezept dafür? Er erzählt mir erstmal, dass sein Vater das meiste übernimmt:

Das ist seine ganze Lebensaufgabe, die Mama zu pflegen, für sie da zu sein, sie anzuziehen, zu waschen, da wird alles, sogar der Salat gehäckselt mit dem Mixer.

Außerdem helfen der Pflegedienst und Betreuerinnen aus dem Bekanntenkreis und auch die ganze Familie: Andreas Groll und seine Frau wohnen nicht weit weg und auch seine vier Geschwister schauen, dass sie dem Vater unter die Arme greifen:

Wenn er mal woanders hin will, zu Freunden oder Bekannten oder jemanden anders, dass man die Mama nicht allein lässt, wir sind dann so die Brücke, bis er wieder nach Hause kommt.

Ein gutes und weites Netzwerk hilft, das höre ich bei Andreas Groll heraus. Er macht sich aber natürlich auch Sorgen. Er leitet die ökumenische Notfallseelsorge in Stuttgart und bei einem Einsatz musste er zum Beispiel in die Wohnung einer dementen Frau. Für sie da sein, als deren Mann plötzlich verstorben war:

Also ich war selber noch nie so betroffen in einem Einsatz wie da, weil da gleich der Film ablief, mein Gott, wenn es jetzt bei uns so wäre, Mama würde ganz allein im Bett liegen, keiner würde es merken oder erst später.

Ich habe davor einen großen Respekt. Er und seine Kollegen kommen sicherlich immer wieder in Situationen, die auch an ihnen selbst nagen. Wenn Rettungskräfte Menschen reanimieren oder Passanten Unfälle miterleben mussten:

Dann bleiben wir dort und halten diese Situation für die Menschen aus, dass sie irgendwann mal einen Hoffnungsschimmer bekommen, dass es trotzdem mit dem Leben weitergeht.

Ein Hoffnungsschimmer für ihn im Fall seiner Eltern ist es, dass sich sein Vater rechtzeitig meldet, wenn es ihm nicht gut geht. Und was ihm überhaupt auch hilft, ist sein Glaube:

Wir haben schon viele schwere Situationen durchgelebt und auch mit der Hilfe Gottes können wir hoffen, dass es irgendwie trotzdem weitergeht.

Das spürt er zum Beispiel, wenn er das, was ihn beschäftigt, in einem Gebet ansprechen kann. Dem katholischen Diakon Andreas Groll ist dabei auch der Gottesdienst am Sonntag wichtig, besonders der Moment, in dem er das Brot, den Leib Christi teilt und empfängt.

Wenn ich also einen Knoten auf der Brust habe und ich stehe am Altar, spätestens nach der Wandlung, merke ich so richtig, wie dieser Knoten von der Brust sich löst und ich meine ganzen Sorgen in den Kelch oder in die Hostienschale legen kann und ich dem Herrgott sage: Jetzt musst du es tragen, ich kann es nicht mehr.

Das kann ich gut verstehen. Wenn ich in einer Kirche eine Kerze anzünde oder im Gottesdienst den Friedensgruß von anderen um mich herum höre, dann geht es mir auch manchmal so. Es macht die Situation leichter – nicht immer, manchmal nur für eine Weile. Die Situation bleibt schwer, aber ich glaube, Gott hält sie mit mir aus.

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