SWR1 Begegnungen

Caroline Haro-Gnändinger trifft: Sarah Tischer.
Sie lebt in Freudenstadt-Igelsberg im Schwarzwald und dafür hat sie sich ganz bewusst entschieden. Davor hat sie lange in Großstädten gelebt, zuletzt in der Schweiz in Zürich. Und sie hat als Wirtschaftswissenschaftlerin im Bereich Versicherungen gearbeitet.
Ich wollte immer Karriere machen als Frau, auch in der Wirtschaftswelt und so nach dem Motto: Ich kann das auch und das war mein Treiber. Also es war auch nicht Geld oder Lebensstil oder so oder auch nicht Sicherheit, sondern wirklich dieses: Ich wollte vorankommen, das war mein Ziel.
Vorangekommen, das ist sie auch. Aber nach ein paar Jahren hat sie gemerkt, dass der Rahmen an sich für sie nicht passt. Mit Mitte 20 kündigt sie damals – und zwar ohne einen genauen Plan für danach zu haben.
Es war wirklich nur diese Sinnkrise, aber die war letztendlich einfach so groß, wo ich dann gemerkt habe, es macht keinen Sinn. Ich will nicht Geld hin und her schieben und nichts Sinnvolles machen und mich daran selbst bereichern, dass ich irgendwie da so ein bisschen mitwurschtle.
Wo bin ich am richtigen Platz? – diese Frage kenne ich auch. Wo kann ich dahinterstehen? Klar, nicht immer haben wir die Wahl, manchmal zählt auch einfach, Geld verdienen zu können. Sarah Tischer hat damals jedenfalls keinen Partner oder Kinder und sie hat ein kleines finanzielles Polster. Das hat es ihr leichter gemacht. Außerdem fängt sie gerne etwas Neues an:
Ich interessiere mich für wahnsinnig viele Dinge und bin auch sehr begeisterungsfähig und habe auch schon immer gern Neues angefangen und mich da so komplett reingestürzt.
Aber ihr fällt damals das Entscheiden schwer. Sie überlegt, Yogalehrerin zu werden, ein Restaurant zu eröffnen oder vielleicht doch ein Haus mit Gästezimmern zu kaufen.
Dann kamen aber schon wieder von allen Seiten ganz viele Vorschläge für mich und ich hatte wieder dieses Gefühl wie nach dem Abi, wo auch alle gesagt haben, du hast alle Möglichkeiten, dann dachte ich: Jetzt bin ich mit Mitte 20 schon wieder da und alle sagen: Ja, du hast alle Möglichkeiten. Und die bringen dir doch gar nichts, weil ich mich für eine Sache entscheiden muss.
Und beim Entscheiden hilft ihr unter anderem, pilgern zu gehen – sie läuft los, zwei Monate auf dem Jakobsweg. Von Frankreich nach Spanien, nach Santiago de Compostela. Es ist ein Weg, den Christen schon vor Jahrhunderten gelaufen sind. Eigentlich hat Sarah Tischer mit Glauben nicht viel zu tun, sie zweifelt. Aber sie hat sich in den Pilgerrucksack eine kleine Bibel gelegt.
Ich habe mich da sehr drauf eingelassen. Als ich auf den Weg bin, in so einer Sinnkrise will ich mich auch mit Religion beschäftigen und mit größeren Themen, weil im Alltag hat man einfach immer so viele Sachen um die Ohren. Und auf dem Weg ist man auf dem Weg und hat banale Sorgen mit: Wo esse ich? Wo schlafe ich? Und viel mehr ist da nicht.
Verstehe ich gut, auch mir tun ein paar Tage ganz woanders nur für Fragen rund um meinen Glauben sehr gut. Übrigens ist sie im Winter gestartet! Im Februar.
Ich habe das auch irgendwie gesucht, das Abenteuer und bin dann auch wirklich losgelaufen, obwohl gesagt wurde, da liegt dann schon zum Teil irgendwie kniehoch Schnee und so und dann war ich da war mir da irgendwann auch nicht mehr sicher, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Ja, also so ein bisschen Abenteuer gehört dann auch dazu.
Unterwegs trifft sie andere Pilger und Herbergsbesitzerinnen und die inspirieren sie. Was den Beruf angeht, und auch den Glauben an Gott.
Ich spreche mit Sarah Tischer – sie ist aus Überlingen am Bodensee und lebt heute mit Mann und Kind in Freudenstadt-Igelsberg. Nach dem Studium hatte sie Daten von Versicherungsunternehmen ausgewertet. Heute führt sie ihr eigenes Gästehaus im Schwarzwald – sie organisiert alles von den Finanzen, bis zu Frühstück und Renovierungen:
Was ich jetzt auch merke: Immer, wenn man was wirklich mit Leidenschaft macht und auch sein Eigenes macht, das merken die Leute.
Was hat ihr dabei geholfen sich für diesen Beruf zu entscheiden?
Sie erzählt mir, dass sie auf ihr Inneres gehört hat. Und dabei haben ihr auch gute Freunde geholfen. Auf dem Jakobs-Pilgerweg hat sie sich außerdem mit Herbergsbesitzerinnen darüber ausgetauscht, wie das so ist, eine Herberge zu betreiben. Sarah Tischers Alltag ist heute deutlich anders als damals im Versicherungsunternehmen:
Die Gastronomiebranche, wo ich jetzt arbeite, ist natürlich auch ein hartes Pflaster. Also man verdient da nicht so viel Geld. Das habe ich davor um Welten einfacher verdient. Das ist viel anstrengender, aber nichtsdestotrotz sehr viel sinnerfüllter, mein ganzes Leben.
Es kann sicherlich nicht jeder so plötzlich etwas ganz Neues anfangen. Aber etwas finden, wo ich im Alltag mit dem ganzen Herz dahinterstehen kann, finde auch ich sehr wichtig. In Igelsberg mag Sarah Tischer übrigens auch die Gemeinschaft. Und sie hat eine evangelische Kirchengemeinde gefunden, in der sie sich wohl fühlt. Ein monatliches Treffen von Frauen mag sie besonders, sie schauen sich biblische Texte genauer an, singen und sitzen zusammen:
Die beiden lieben Frauen, die das organisieren, die bereiten auch immer Programm vor. Und die machen das alles so liebevoll. Und dann durchaus auch noch den Austausch über Glaubensthemen. Und dann ist da noch so viel schöne Gemeinschaft und dann geht man immer relativ beglückt wieder. Deswegen geh ich da gerne hin.
Für sie etwas Neues. Sie ist nach dem Schulabschluss aus der katholischen Kirche ausgetreten. Die Predigten haben sie oft nicht angesprochen und sie stört zum Beispiel, dass Frauen da keine Priesterinnen werden können. Inzwischen ist sie in der evangelischen Kirche, aber der Institution Kirche steht sie schon auch noch kritisch gegenüber. Was sie überraschend gut fand: Beim Pilgern auf dem Jakobsweg ist sie einem katholischen Pfarrer begegnet:
Ich fand es einfach der Wahnsinn, dass ich dem begegnet bin. So diese Fragen, die mir so ewig schon auf der Seele gebrannt sind, konnte ich einfach da alles fragen. Also sehr zugänglich. Wir saßen auch einmal in der Bar und er hat ein Fußballspiel angeschaut und ich habe ihn während dessen Sachen gefragt. Also das war für mich eine sehr prägende Erfahrung.
Sie hat mit ihm diskutiert und ein paar Antworten für sich gefunden. Aber es bleiben auch Zweifel:
Gerade in Bezug auf Krankheiten so: Warum trifft es die einen, dass sie so schwer krank werden oder so früh sterben und die anderen nicht?
Diese Fragen lassen sie nicht los. Trotzdem ist ihr der Glaube wichtig und sie fühlt sich im Alltag verbunden mit Gott:
Ich merke schon, dass ich oft anfange zu beten, wenn ich wirklich ein Problem habe oder in einer blöden Situation bin. Und sonst würde ich sagen, dass ich nicht ganz regelmäßig bete, aber schon oft morgens oder abends so auch gerne Sachen aufzähle, für die ich dankbar bin.
Und da gibt es so vieles. In solchen Momenten erlebt sie Gott:
Wenn man so ganz viel Schönheit erlebt, man hat mal Vogelgezwitscher und der Sonnenaufgang und der Himmel wird so rot und so, also es sind für mich oft diese Momente, auch an der Natur, wo das so sehr präsent wird.
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Caroline Haro-Gnändinger trifft die Autorin Susanne Niemeyer.
Sie schreibt kurze Geschichten auch für Adventskalender. Sie erzählt mir, wie sie sich für den Kalender in diesem Jahr eine Szene vorgestellt hat mit den Eltern von Jesus in der Bibel, Maria und Josef: Wie hat sich das wohl angefühlt – so in einem Stall im Stroh? Ganz ohne jede Krippenromantik:
Und natürlich: Maria ist schwanger. Das ist alles nicht das Tollste. Es ist zugig, es piekst, es gibt Spinnen. Ach, es ist alles nicht so, wie es geplant war.
Nicht gemütlich also. Und das passt für sie generell zu dem, was vor 2000 Jahren passiert sein soll. Dass Gott als kleines Kind auf die Welt gekommen ist. In einem Stall, ohne richtige Unterkunft.
Niemand ist da, der einen, der einen reinlässt. Alles ist belegt, also auch, dass es heute auch eine dramatische Vorstellung und dann bleibt nichts übrig, als irgendein Stall zu nehmen und es ist garantiert kalt. Es stinkt garantiert. Es ist trostlos. Und dann, glaube ich, gibt es Trost, weil Menschen kommen, also weil die Hirten kommen und weil die Könige kommen, weil Leute da sind. Ich glaube, das bringt die Wärme da rein.
So eine Wärme von anderen – das braucht es auch heute, findet sie. Und sie erzählt mir, was ihr Wärme gibt. Nämlich die sogenannte Wohnzimmerkirche – gibt’s mehrmals im Jahr in Hamburg, wo sie lebt, auch im Advent:
Da machen wir die Kirche zum Wohnzimmer. Also wir haben Sofas und Stehlampen, und wir singen zusammen, wir reden ganz viel zusammen, wir essen zusammen. Und da habe ich wirklich das Gefühl von okay, hier ist Gemeinschaft, wir gehen wieder auseinander, aber ein bisschen verwandelt. immer eine sehr innige, intensive Stimmung mit ersten Weihnachtsliedern, aber auch mit Pop Liedern. Also wenn man auf einmal „Fix You“ singt im Kerzenschein, dann ist es sehr, sehr besonders.
„Fix You“, ein Lied von der Band Coldplay. Ich mag’s sehr, aber hab‘ ich das richtig verstanden: Für sie ist es ein Adventslied?
Weil es darum geht, was Zerbrochenes zu reparieren, klingt zu technisch, aber zu heilen, zusammenzuflicken. Vielleicht deshalb finde ich, ist es auf jeden Fall ein Advents Song. Er hat was Gebrochenes und ich finde, darum geht es bei Adventsliedern, dass es dunkel ist, aber irgendwo gibt es kleine Lücken, durch die das Licht durchkommt.
Gott ist also gerade auch da, wo es im übertragenen Sinn dunkel und kaputt ist. Und will es ganz machen. Wenn es jetzt im Winter auch draußen dunkel ist, wird ihr das besonders klar:
Ich finde es so eine geheimnisvolle Jahreszeit. Also nach wie vor finde ich, dass ich glaube, dieses Kindheitsmoment von: Es wird irgendwas kommen und es gibt Überraschungen und es ist alles ein bisschen mit Neugier getränkt. Ich glaube, das habe ich immer noch in meiner Seele.
Ich treffe Autorin Susanne Niemeyer. Bei ihr steht jetzt im Advent ein Adventskalender mit kleinen Überraschungen von ihrem Freund. Und sie stellt sich schon eine Weihnachtskrippe ins Fenster.
Das ist für mich sehr besonders, weil ich nicht mit Krippen aufgewachsen bin und damit eigentlich auch nicht viel anfangen kann. Aber jetzt habe ich eine ganz schlichte Krippe, in der es vor allem Tiere gibt. Die Tiere strahlen Wärme aus. Und da haben es Maria, Josef und das Baby gut. Und diese Krippe stelle ich tatsächlich auf, die ist nicht angemalt, die ist ganz modern. Die steht auf einer weißen Fensterbank mit ein paar Kerzen. Und wenn ich diese Kerzen anzünde und ein bisschen so die Schattenspiele sehe - das, finde ich, ist ein guter Ankerpunkt für mich.
Sie nimmt sich immer wieder vor, ganz früh morgens eine Weile lang da zu sitzen, mit Kerzenschein und Stille. Und manchmal klappt es. Wenn sie auf die Krippe schaut und an die Notunterkunft denkt von Josef, Maria und Jesus, fragt sie sich auch, was ihr eigentlich Heimat gibt.
Ein großer Teil von Heimat, von dem Gefühl von: Okay, hier darf ich sein, hier kann ich sein, habe ich einen Ankerpunkt, sind Menschen. Ich glaube, wir brauchen Verbündete. Und ich glaube wirklich, in dieser Zeit brauchen die noch viel mehr. Also Menschen um uns herum, bei denen wir wissen, die meinen es gut mit uns, mit denen können wir reden, mit denen können wir auch streiten. In allem Respekt. Und die zuhören, mit einem lachen und einfach da sind.
Susanne Niemeyer begleitet übrigens viele Menschen jetzt im Advent, über ihre Texte. Die stehen in Adventskalendern und Büchern, sind ungewöhnlich und überraschen auch mich. Meinen Alltag und was ich so glaube, mal von einer ganz anderen Seite anzuschauen, darum geht‘s.
Mir hilft es, mir vorzustellen, wie es wäre, wenn Gott jetzt hier säße, wenn er jetzt der dritte oder vierte in der Runde wäre, was es verändern würde und das versuche ich mir vorzustellen, wo auch immer ich bin.
Ja, was würde es denn ändern? In ihren Texten spenden Menschen dann einander Trost. Bekommen Mut und schließen Frieden. Und sie nutzen ihren freien Willen. Susanne Niemeyer schreibt zum Beispiel über Maria. Ein Engel sagt ihr ja, laut Bibel, dass sie Gottes Sohn zur Welt bringen soll. Ob das so einfach für die junge Frau war?
Man muss sich ja klar machen, in welcher Zeit diese Geschichten aufgeschrieben worden sind. Das ist ja in einer zutiefst patriarchalen Gesellschaft geschrieben. Und ganz oft wird ein Gottesbild transportiert von einem Herrn, der einfach bestimmt. Und das ist nicht mein Bild von Gott. Ich glaube so ist Gott nicht.
Sie findet: Gott respektiert den freien Willen der Menschen. Deshalb lässt sie in ihrer Geschichte Maria und Gott miteinander diskutieren. Gott bestimmt nicht einfach, dass Maria schwanger wird, sondern am Ende sagt sie ganz bewusst Ja dazu. Susanne Niemeyer schaut bei biblischen Texten einfach genau hin. Ihr bedeutet sehr viel, was an Weihnachten passiert ist:
Da geht es nicht um die starken Männer. Es geht nicht darum, den anderen zu zeigen, wer der Größte ist, sondern es geht tatsächlich um den Kleinsten oder die kleinste Person. Und wie was ganz Kleines groß werden kann und was ganz Zartes auch, und dass es um Mitgefühl und Vertrauen geht und um Miteinander.
Sich das wieder mehr klar machen, das möchte auch ich, besonders jetzt im Advent.
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Caroline Haro-Gnändinger trifft: Michael Albrecht aus dem Rems-Murr-Kreis.
Er hat sich einen Künstlernamen zugelegt: Tommy. Und als Tommy ist er Zauberer. Dabei geht’s ihm um Sinnestäuschungen, aber auch um Sinnfragen und die stellt er aus seinem christlichen Glauben heraus. Das macht mich neugierig. Denn mich faszinieren Zaubertricks - und ich bin gläubige Christin. Tommy erzählt, wie er bei einem Jugendtreff vom CVJM, dem Christlichen Verein Junger Menschen, mit dem Zaubern angefangen hat:
Da war ich noch Jugendreferent und wir hatten ein offenes Jugendcafé, in dem tatsächlich, glaube ich, ein Jugendlicher war, der nicht vorbestraft war. Es waren wirklich schwere Jungs, die da waren. Aber wenn man da so einen kleinen Münztrick oder irgendwas mit Karten gemacht hat, dann standen die alle außen rum und wollten das noch mal sehen. Also da habe ich gemerkt, Zauberkunst zieht einfach unheimlich Aufmerksamkeit.
So erlebe ich es auch, als ich ihn besuche - bei einer Show für Ehrenamtliche in einem Kirchengemeindehaus. Er verwandelt ein Messer in eine Gabel oder befreit sich von Handschellen. Zwischendrin erzählt er dem Publikum auch davon, was er mit Gott verbindet. Dass der Glaube an Gott ihm ein Gefühl von Freiheit gibt.
Eigentlich geht es mir darum, dass die Leute lachen und staunen und vor allem staunen über die Botschaft, die ich ihnen erzähle. Also die ist ja nicht von mir, sondern aus der Bibel, weil ich finde, diese Botschaft ist es wert, dass man sie erzählt und dass auch Leute drüber staunen und auch fröhlich sind dabei. Wenn die Leute lachen können und hinterher sagen, das bleibt mir im Kopf, dann finde ich es gelungen.
In seiner Show zeigt er einen kleinen Spiegel – den scheint er mit Nägeln zu durchstechen, aber am Ende ist der Spiegel ganz.
Ich habe einen Spiegel dabei, in den ich auch reinschaue, den ich den Leuten vor‘s Gesicht halte und sage: Was siehst du? Die ganzen Verletzungen, alles, was du schon erlebt hast und so. Was siehst du eigentlich, wenn du in den Spiegel guckst? Und dann die Frage: Was sieht Gott, wenn er dich anschaut?
Tommy glaubt: Gott sieht mit Liebe auf jeden. Mich berührt das deshalb, weil er mir erzählt, dass es für ihn zuerst nicht so eindeutig war. Mit Gott konnte er als Jugendlicher wenig anfangen, hatte große Versagensängste und seine Kindheit war schwierig. Über seine Schwester kommt er damals zu einer Jugendgruppe einer Kirchengemeinde:
Dann bin ich in diesem Jugendkreis gelandet. Und habe plötzlich dort Leute kennengelernt, die mich angenommen haben, wie ich bin, die mir ein Zuhause gegeben haben, das ich vorher nirgends hatte, weder in der Schule noch wirklich zu Hause. Und ich habe relativ schnell so ein Gefühl davon bekommen, dass das nicht einfach nur nette Menschen sind, sondern dass die an einen Gott glauben, der anders ist, als ich immer dachte. Nämlich ein Gott, der eine Beziehung will.
Das sehe ich auch so. Und für mich als Christin ist Gott jemand, der ein gutes Leben will – für mich und für alle Menschen. Ein Leben in Fülle, so heißt es in der Bibel. Dafür muss ich auch aktiv werden. Tommy hat da Vorbilder:
Also Mutter Teresa zum Beispiel finde ich unheimlich spannend, wie jemand so sich aufopfern kann für arme Menschen. Das inspiriert mich. Da denke ich: Mensch, würde ich nie schaffen. Da bin ich wahrscheinlich viel zu egoistisch dafür.
Klar, wer würde das schon schaffen, sich so für kranke und sterbende Menschen einzusetzen. Aber wie er finde ich: Vorbilder können mir helfen, Menschlichkeit in meinen Alltag zu bringen.
Ich treffe Michael Albrecht mit dem Künstlernamen Tommy bei einer seiner Zaubershows in einer evangelischen Kirchengemeinde. Immer wieder staunen die Zuschauer: Das Seil war doch eben noch durchgeschnitten, warum ist es jetzt ganz? Wie konnte aus der Seifenblase eine glänzende Glaskugel werden? Und ich frage mich – kann Tommy eigentlich noch staunen?
Mein Blick auf die Welt hat sich auch dadurch, dass ich an Gott glaube, sehr verändert. Dass ich irgendwann gemerkt habe: Warum muss ich denn groß nach Wundern suchen? Es reicht doch, wenn ich mir diese Welt angucke. Diese ganzen Mechanismen auch in Physik und Biologie und so, wie das alles funktioniert. Sogar an den schlimmsten Orten in der Wüste und in der Antarktis und so gibt es irgendwo Leben. Also überall trifft man auf Leben.
Da wo Leben möglich ist, sich wieder Türen auftun, da ist Gott auch, so stelle ich‘s mir auch vor. Und ansonsten: Wo erlebt Tommy Gott noch? Im Auto, wenn er Musik hört, bei der es auch um Glauben geht:
Das ist so eine total abwechslungsreiche und groovige Musik und trotzdem unheimlich tiefgehende Texte. So was baut mich unheimlich auf.
Tommy erzählt mir davon, dass er Gott immer wieder auch in schwierigen Situationen erlebt hat, zum Beispiel im Krankenhaus.
Also es war zum Beispiel so, dass meine Eltern relativ kurz hintereinander gestorben sind, beide an Krebs. Als mein Vater im Krankenhaus war, in diesem Sterbebett dann lag, haben meine Frau und ich die Gitarre mitgebracht, wir haben gesagt, wir wollen einfach noch ein paar Lieder für ihn singen. In dem Moment, als wir da gesungen haben, habe ich plötzlich so sehr Gottes Gegenwart in diesem Krankenzimmer gespürt.
Ein intensives Erlebnis. Ich frage mich: Kennt er eigentlich auch Zweifel?
Bevor mein Vater gestorben ist, war ich tatsächlich ein bisschen im Zweifel. Liebt Gott mich noch, weil ich habe oft gebetet dafür, dass mein Vater wieder gesund wird und es hat halt nicht geklappt. Und ich habe mich gefragt: Ist er noch da? Also hört er mich noch? Interessiert es ihn, was ich bete?
Ich finde, wer zweifelt, nimmt seinen Glauben auch ernst. Und ihm ist es ernst, trotz Zweifel glaubt er: Gott ist da und interessiert sich. Und das erlebt Tommy auch durch andere Menschen. Deshalb betet er bis heute sehr oft.
Ich weiß noch: Meine Mutter hat mal gesagt, sie will nicht so viel bitten, weil Gott was Besseres zu tun hat. Und das glaube ich nicht. Ich glaube, Gott ist so groß, dass er sich wirklich um all unsere Kleinigkeiten kümmert. Er wird die natürlich nicht alle erfüllen, aber ich glaube, wenn es um eine Beziehung geht, dann geht es auch darum, alles miteinander zu teilen. Und das ist das, was ich dann auch mache.
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Caroline Haro-Gnändinger trifft: Helga Klär, Seelsorgerin von „Kirche im Nationalpark Schwarzwald“
Wir treffen uns in Kappelrodeck in der Ortenau - mit Blick auf Wald und Weinhänge. Ganz in der Nähe ist der Nationalpark Schwarzwald. Dort kann man viel entdecken, findet sie: die Natur, sich selbst und Gott. Deshalb ist sie mit Besuchergruppen auch mal ganz früh morgens unterwegs:
Wir treffen uns noch im Dunkeln und dann laufen wir ohne Taschenlampe auf dem Teerweg hoch. Und haben dann halt die herrliche Aussicht, erstmal in die Rheinebene mit den vielen Lichtern. Dann wenden wir uns nach Osten hin, wo dann diese Bergketten sind vom Schwarzwald und Schwäbische Alb, oft auch noch so Nebelschwaden noch dazwischen. Und da geht dann wie so in einem großen Panorama die Sonne auf.
Diese kleine Wanderung beginnt beim Mummelsee an der Schwarzwaldhochstraße und Ziel ist der Berg Hornisgrinde.
Es gibt kurz vor Sonnenaufgang so ein Gedanke oder Morgengebet. Nach dem Sonnenaufgang gibt es dann noch mal einen Lobpreis oder einen Psalm und ein kurzes Gebet, das dazu passt, das gibt dem ganzen noch mal einen Tiefgang. Die Leute sind sehr berührt danach.
Auch ich fühle mich als Christin Gott oft dann nahe, wenn ich draußen bin – an Flüssen oder in stillen Wäldern. Helga Klär denkt dann zum Beispiel daran, dass Gott das Leben überhaupt möglich gemacht hat und damit auch Pflanzen, Tiere und Berge:
Man hat ja da den Ausblick über die Rheinebene bis zu den Vogesen. Ich weiß ja auch so ein bisschen um die Geschichte, warum der Rheingraben da ist, wie viel Jahrhunderte, Jahrtausende, Billionen da drinstecken. Und ich bin ja nur ein kleiner Ausschnitt in dieser riesigen Weltgeschichte, sage ich jetzt mal.
Wenn so ein Ausblick sie beeindruckt, geht ihr das so. Aber auch wenn sie einfach losläuft – durch den „wilden Bergwald“, wie sie ihn nennt, oder zu ihrem versteckten Lieblingssee. Da fühlt sie sich wohler als in einem Meditationsraum.
Ich wollt immer auch so stundenlang sitzen können und meditieren und habe irgendwann für mich gemerkt: Mich macht es so zappelig, aber sobald ich zehn Minuten gehe, werde ich ruhig. Das Gehen ist für mich eine große, tiefe Meditation.
Wir kommen im Gespräch auch von der Schöpfung zum Schöpfer. Wie stellt sie sich Gott vor? Zuerst antwortet sie ganz klassisch: Gott Vater, Jesus und der Heilige Geist. Aber in letzter Zeit beschäftigt sie auch die Vorstellung von Gott als Mutter wie es auch in der Bibel im Alten Testament vorkommt. In manchen katholischen Kirchengemeinden taucht das in Gebeten schon auf, aber Helga Klär wünscht sich das noch öfter:
Also gerade dieses Lebensspendende. Wenn ich dann rausgehe, überall ist es grün und alles wächst und da perlen die Bäche und so… Gott wirklich mal mit die Ewige, die Heilbringende, Lebensspendende anzusprechen, diese weibliche Seite zu beleuchten, das ist das, was mich grad inspiriert und auch meinen Glauben.
Ihr ist es wichtig, die Augen offen zu halten, für Gott und für Schönes und Ungewöhnliches in der Natur. Das ist leicht im Nationalpark, wo es Moore oder auch Wasserfälle gibt. Ich glaube, das funktioniert aber überall – auch auf Feldwegen oder in grünen Innenhöfen in Städten. Helga Klär und ihre Kollegen bieten auch kleine Pilgertouren durch den Wald an und Seelsorgespräche und offene Ohren rund um die Kapellen auf dem Gelände. Sie erinnert sich noch gut an eine spontane Besucherin in der Kapelle am Mummelsee:
Da ging eben einmal eine junge Frau mit Hund und einem zwei Meter langen aufgeblasenen Badekrokodil in die Kapelle und ich weiß noch, dass wir uns so angeguckt haben: Hund und auch so riesiges Krokodil… Und als sie dann rauskam, hat sie so Tränen im Gesicht gehabt und wir haben sie dann angesprochen. Und dann hat sie gesagt: Mein Vater ist vor zwei Tagen gestorben.
Trauer um einen lieben Menschen – das beschäftigt so manche Besucher. Deshalb macht das Seelsorgeteam mit ihnen auch Wanderungen, dabei sind auch ausgebildete Trauer-Begleiterinnen und -begleiter. Gerade die Landschaft im Nationalpark ist da passend, findet Helga Klär:
Überall liegt Totholz kreuz und quer, Moos wächst darüber, aber dazwischen viele kleine Bäumle und es ist überall grün. Das singt noch irgendwas. Ich sehe hier Tod und Leben, gleichzeitig ist es da.
Für sie ist es ein Zeichen von Hoffnung, auch von christlicher Hoffnung. So etwas in der Natur zu erleben, ist möglich, weil in einem Teil des Nationalparks nicht mehr eingegriffen, quasi nicht mehr aufgeräumt, wird. Stück für Stück immer weniger.
Einfach auf 10.000 Hektar, das ist Mindestgröße, wird nicht mehr eingegriffen, sondern der Mensch schaut zu. Und das Anliegen ist: Eine Ethik der Zurückhaltung zu leben. Und ich finde, es hat ganz viel mit dem, was wir mit Bewahrung der Schöpfung auch meinen, der Artenvielfalt den Raum zu geben.
Nicht jeder ist damit glücklich, das weiß sie auch. In den zehn Jahren des Nationalparks haben Anwohner das Vorhaben immer wieder kritisiert. Für Helga Klär zählt die Haltung zur Natur. Und damit zurück zu den umgestürzten Bäumen und dass da auch immer wieder Pilze, Moos und neue Pflanzen wachsen. Das passt eigentlich zu vielen Lebenslagen.
Mir geht es auch so: Es ist ja immer irgendwas, was gerade eher zurückgeht, sei es Interessen, sei es Hobbies, ob beruflich oder irgendwas. Und es ist immer irgendwas, und sei es noch so klein, was mich plötzlich neu interessiert oder was da wieder wächst.
Auch für sie selbst wird sich bald etwas verändern. Es dauert nicht mehr lang, bis sie in Ruhestand geht. Sie fragt sich immer mal wieder: Wie wird es dann sein – ohne den Arbeitsalltag in der Kirchengemeinde und im Nationalpark? Ihr hat es geholfen, mit diesem Gedanken los ins Grüne zu laufen.
Wo ich sonst immer links auf dem Teerweg gehe und das alles halt ganz geordnet ist und rechts der Weg - war eigentlich auch sicher, aber er war halt wild und es war eine schöne Nähe zum Bach, sodass ich für mich so gesehen habe: Okay, es gibt immer noch mal einen anderen Weg, obwohl du jetzt schon, was weiß ich, hundertmal den anderen gegangen bist.
Helga Klär lässt sich von Gottes Schöpfung immer wieder inspirieren. Und das mache ich selbst auch gern – bei geistlichen Auszeiten mit Wandern oder auch bei kleinen Spaziergängen in der Mittagspause. Oder so wie heute am Sonntag.
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Caroline Haro-Gnändinger trifft Schwester Bettina Berens, Ordensfrau und Ex-Fußballerin
Sie hat früher in der deutschen Frauen-Nationalmannschaft gespielt. Wir treffen uns kurz bevor der Nervenkitzel zur Europameisterschaft anfängt. Sie erzählt mir davon, wie es bei ihr mit dem Fußball angefangen hat - in ihrer Kindheit auf dem Bauernhof in der Nähe von Bitburg in der Eifel:
Wie jeder Bauernhof hatten wir ein Scheunentor. Also ich habe immer wieder die ganze Nachbarschaft tyrannisiert, weil es immer bum, bum, bum, bum machte, weil ich dann stundenlang gegen dieses Tor geschossen habe.
Damals entdeckt ihr Sportlehrer ihr Talent und dann kickt sie regelmäßig im Verein. In den 1980ern und 90ern spielt sie erst links außen, dann im Mittelfeld beim Verein TuS Ahrbach. Mit ihm steigt sie in die Bundesliga auf. Und einmal spielt sie in der Frauen-Nationalelf – 1992, ein Länderspiel gegen Italien.
Man steht da so plötzlich in einer Reihe, die man eigentlich sonst immer nur im Fernsehen sieht. Wenn Spieler bei der Nationalhymne dann da stehen. Also das ist schon ein Gänsehautmoment.
Bettina Berens macht den Sport damals wie ein Ehrenamt, neben ihrem Vollzeit-Bürojob. Sie liebt es, muss dann aber mit 28 wegen Problemen an ihrem Sprunggelenk aufhören. Eine große Umstellung:
Wohin mit der Leidenschaft, wo die Leidenschaft wieder spüren, dieses Sich-Freuen und dieses Daraufhinarbeiten. Heimat, teilweise Heimat.
Sie sucht eine ganze Weile lang. Eine ehemalige Schulfreundin von ihr ist inzwischen Nonne geworden. Über sie kommt Bettina Berens wieder mehr in Kontakt mit dem Glauben an Gott. In ihrer eigenen Familie hatte sie den Glauben eher streng erlebt:
Meine Mutter hat viele Schicksalsschläge gehabt und die hat durch ihren Glauben ihr Leben irgendwo bewältigen können. Der Glaube war ihr ein wichtiger Halt und manchmal ging das für uns etwas in Extreme.
Über ihre Schulfreundin bekommt Bettina Berens also nochmal ein neues Bild von Gott und vom Glauben.
Meine Freundin hat mir dann immer mal wieder Bibelverse geschickt und ich merkte: Da tut sich was in mir und sie spricht da auch was in mir an, was mir wichtig ist.
Ihr Vater war vor ihrer Geburt verunglückt und hat ihr oft gefehlt. Sie glaubt, dass sie auch deshalb fasziniert ist von den Geschichten über Jesus und seinen Vater im Himmel. Ein Satz einer Ordensgründerin spricht sie besonders an: „Gott ist mein Vater und ich bin sein Kind.“ Sie tritt in diesen Orden ein. Ihr ist die Verbindung zu Gott sehr wichtig:
Sein tiefstes Verlangen ist, dass es uns gut geht, dass wir glücklich sind, dass wir unser Leben leben, dass wir unser Leben gestalten, dass wir blühen, dass wir uns nicht verstecken. Ihr seid das Salz der Erde, dass wir die Würze sind für diese Welt.
So hat es Jesus in der Bibel gesagt. Salz der Erde zu sein, dieses Bild gibt ihr im Alltag oft neue Kraft. Gestalten, anpacken - so erlebe ich Schwester Bettina und das finde ich als Christin wichtig. Das Leben in der Ordensgemeinschaft ist für sie aber nicht immer so leicht. Die ehemalige Fußballerin und heutige Ordensfrau Bettina Berens arbeitet in einer Pfarrei in Mönchengladbach und besucht regelmäßig ihre Heimat in der Eifel. Davor war sie viele Jahre lang als Seelsorgerin in verschiedenen Ländern der Welt, eine lange Zeit auch in den Niederlanden:
Wenn ich von Holland so in die Eifel gefahren bin, und ich sehe dann diese Weite und dieses Hügelige, dann geht erst mal mein Herz auf. Also ich habe mich dann noch mal ganz neu in meine Heimat verliebt.
Immer wieder setzt sich Schwester Bettina besonders für Kinder ein – sie spielt mit ihnen zum Beispiel Fußball. Damit sie ihre Taktik trainieren und Selbstbewusstsein tanken können. Und das macht natürlich auch ihr großen Spaß:
Egal wie schwierig es auch manchmal drumherum ist oder wenn was eben mal nicht passt, sobald der Ball da ist, kommen diese guten Gefühle auch.
Es erinnert sie an ihre Zeit in der Frauenbundesliga in den 1990er-Jahren. An das Training, Wettkampf, Teamgeist. Und Teamgeist spürt sie auch in einem Kinder- und Jugendzentrum, wo sie sich um die Kinder kümmert.
Wir haben 20 Kulturen, verschiedene Religionen, die spielen zusammen, da funktioniert Interreligiosität. Von daher ist für mich auch immer die Einrichtung ein Ort, der mir auch Hoffnung macht auf die Zukunft.
Sie begleitet außerdem Kinder, wenn diese Angehörige verloren haben und trauern. Und das liegt sicherlich auch an ihrer eigenen Geschichte: Sie weiß noch, wie es war, ohne Vater aufzuwachsen und wie wichtig dann Bezugspersonen für sie waren, auch ihre Großeltern, Tanten und Onkel – und sie möchte auch so eine Bezugsperson für andere sein:
Kinder sind halt noch von Erwachsenen wirklich abhängig und ich finde immer noch, dass Kinder oft übersehen werden.
Und überhaupt mag es Schwester Bettina nicht, wenn Menschen übersehen werden. Sie hat Herzblut in eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung gesteckt und dann war sie an einem Ort im Einsatz, den man sonst gar nicht zu sehen bekommt, im Frauengefängnis. Sie möchte etwas weitergeben:
Die Botschaft einfach, die Gott uns gibt, ist: Du bist geliebt. Ich glaube, dass viele Menschen einfach sich nicht geliebt fühlen und viele Menschen einsam sind, aber da ist einer, der uns bedingungslos annimmt und der uns liebt.
Es ist gar nicht so leicht, das immer wieder anzunehmen und dann auch konkret an die Mitmenschen weiterzugeben. Das weiß sie auch. Allein, wenn sie an das Vergeben aus dem Gebet Vaterunser denkt:
Wie schwer tun wir uns oft mit Vergebung? Dann auch wirklich in die Demut zu kommen und zu sagen: Okay, lieber Gott, ich probier‘s, aber ich tu mich mit diesem Menschen schwer.
Bettina Berens als Ex-Fußballerin freut sich übrigens auch auf die Kraft der anstehenden Fußball-Europameisterschaft. Sie wünscht sich viele neue gute Begegnungen:
Dass dieses Fest auch noch mal ermöglicht, dass wir zusammenstehen und das Schöne von Deutschland und den Menschen zeigen. Auch mit den vielen verschiedenen Kulturen, die wir haben, dieses Fest begehen.
Diese Haltung von Schwester Bettina, immer wieder nach dem zu suchen, was einen wirklich begeistert und was Menschen verbindet, motiviert mich als Christin, danach auch in meinem Leben zu suchen.
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Caroline Haro-Gnändinger trifft Pater Tobias Breer, Marathonläufer und Seelsorger
Und mit dem sportbegeisterten Ordensmann Tobias Breer. Ich spreche mit ihm, weil er dieses Jahr bei einem Marathon in der Antarktis mitgemacht hat, als einziger Deutscher. Das heißt: Viele Kilometer und das bei großer Kälte. Er ist auf einer der südlichen Shetlandinseln gelaufen und wegen Unwettern sogar nachts:
Wir hatten -18 Grad gehabt. Das war jetzt nicht so dramatisch. Wir haben natürlich Mundschutz gehabt, sodass die kalte Luft nicht direkt in die Lunge kommt, und, ja gut, der ganze Bart war alles voll mit Eis und so weiter.
Der Bart voll mit Eis – da friert‘s mich schon beim Zuhören. Es haben Leute aus der ganzen Welt mitgemacht. Am Ende hat Tobias Breer einen Halbmarathon geschafft, also etwa 21 Kilometer, in weniger als drei Stunden. Einer der ersten Plätze ist es nicht, aber für ihn zählt, dass er es überhaupt durchgezogen hat. Gequält haben ihn dabei leider Knieschmerzen:
Dann war es eigentlich die letzten Kilometer nicht mehr so eine große Freude zu laufen, sondern ich musste da schon sehr kämpfen. Also, ich musste mich dann selber wieder überreden: Komm, du musst weitermachen, weitermachen. Dann ruft man sich die Bilder vor, dass man dann die Medaille bekommt und wofür ich eigentlich laufe - für die Kinder und für die bedürftigen Kinder. Und wenn man die strahlenden Kinderaugen sieht.
Denn Tobias Breer läuft fast immer für einen guten Zweck. In der Antarktis hat er mehr als 20.000 Euro zusammen bekommen und eine Förderschule konnte damit Sport-Rollstühle für die Schülerinnen und Schüler kaufen. Schon viele solcher Spendenläufe hat er hinter sich: fast 200 Marathons und etliche Halbmarathons. Trotzdem bleibt Kinderarmut ein strukturelles Problem, das sieht er auch. Er will aber in kleinen Schritten etwas verbessern und behält einen langen Atem.
Ich kann nicht die Welt retten letztendlich. Aber wo ich helfen kann, das tut meiner Seele besonders gut. Für mich ist es einfach gut, für die Seele, für den Geist, für den Körper und dass ich dann, wenn ich laufe, meine Sponsoren habe, die dann ein neues Projekt, Kinderprojekt, mit unterstützen oder mitfinanzieren.
Damit ermöglicht er Kindern aus ärmeren Familien, Sport im Verein zu machen, Fußball oder Schwimmen zum Beispiel. Oder dass Kinder mit Behinderung ein Therapiepferd bekommen oder Kinder in der Ukraine in Schutzzentren Spielräume. Das finde ich toll! Er verknüpft also konkrete Nächstenliebe mit seinem Hobby. Er läuft immer wieder los, weil er weiß, wofür.
Da habe ich immer diese gelben kleinen Aufkleber, mit einem kurzen Satz oder nur drei, vier oder vier Wörter ist vielleicht noch besser. Und die klebe ich immer bei mir im Badezimmer, wo ich dann morgens und abends reinschaue. Das heißt, ich werde immer wieder an diese Ziele erinnert.
Und das Laufen selbst spornt ihn natürlich auch an. Deshalb schnürt er seit fast 20 Jahren seine Sportschuhe.
Laufen ist für mich mehr als Sport, pure Leidenschaft, pure Meditation, etwas, das Körper, Seele und Geist immer wieder in Einklang bringt.
Das kann ich nachvollziehen, mir geht es zum Beispiel bei längeren Fahrradtouren so. Es fühlt sich gut an, sich zu bewegen, draußen zu sein und neue Gegenden zu entdecken. Und manchmal bringt mich das in Gedanken auch zu Gott. Pater Tobias Breer hat als Seelsorger übrigens viele unterschiedliche Aufgaben und ihm hilft, dass jeder Tag mit Ruhe anfängt.
Der Tag beginnt morgens bei mir immer mit einer persönlichen Meditation. Also ich kann auch ruhig sitzen. Es ist nicht so, dass ich immer in Bewegung bin.
Danach betet er gemeinsam mit den anderen Ordensleuten. 19 Mönche im Orden der sogenannten Prämonstratenser leben zusammen in der Abtei in Duisburg – er mag die Gemeinschaft:
Ich habe noch sechs Geschwister damals zu Hause war schon eine große Familie und ich muss da Menschen um mich haben und bin auch ganz gerne aber alleine. Ich laufe auch gerne alleine, aber dann bin ich auch froh, wenn ich mal wieder nach Hause komme und da sitzt der eine oder andere Pater noch im Wohnzimmer oder wie auch immer und kann mit ihm noch sprechen.
In seinem Büro, wo er Trauergespräche führt oder Gottesdienste vorbereitet, hängen an der Wand Medaillen und Urkunden. Mehrere Schuhe stehen bereit und am Kleiderständer hängen Laufshirts. Er nennt es auch sein kleines Sportstudio. Fast jeden Tag startet er von dort aus eine kleine Runde:
Ich ziehe gerne farbenfrohe Kleidung an und dann gehe ich vor die Tür und schalte meine Uhr ein auf GPS und dann starte ich und dann laufe ich. Ich weiß: Heute muss ich zum Beispiel zehn Kilometer laufen. Es geht an einem Kanal vorbei, in Oberhausen. So eine wunderschöne Strecke. Und jetzt gerade, wo der Frühling beginnt, genieße ich natürlich die ersten warmen Sonnenstrahlen.
Er ist schon viele Marathons, Ultra- und Halbmarathons gelaufen, zum Beispiel in Oman in der Wüste und in Großstädten wie Paris und Tokio. Dabei sammelt er Spenden für Kinder in Togo oder in Syrien oder bei sich in der Umgebung. Durchs Laufen Not zu lindern, bedeutet ihm nämlich auch, als Christ zu handeln. Und es verbindet ihn manchmal mit Gott. Mal kommen ihm Ideen für die nächste Predigt, mal staunt er über die Natur.
Es war ein wunderschöner Lauf an der Wupper entlang und ich sah dann die ersten Tiere, Kälber, auf der Wiese. Und das berührt mein Herz, weil hier in der Stadt in Duisburg sieht man diese Tiere kaum und das ist einfach ein tolles Gefühl. Und das ist auch eine Begegnung mit Gott letztendlich, weil Gott hat alles erschaffen.
Dem Schöpfer in all seinen Geschöpfen begegnen – für Tobias Breer eine Art, Gott dankbar und nahe zu sein. Einmal wollten Jugendliche vor ihrer Firmung mit ihm das Laufen starten – und zwar direkt nach dem Gottesdienst. Für Pater Tobias Breer auch Seelsorge:
Gemeinsam unterwegs zu sein, nicht in einem Raum zu sitzen, in einem Kreis, wo dann mittendrin irgendwo eine Kerze steht und eine Blume, wie man es kennt. Das ist auch sehr schön und mag ich auch sehr gerne, aber nicht so oft, sondern ich bin immer draußen unterwegs. Da sehe ich auch ganz viele Blumen. Und während des Laufens kommen halt diese tollen Gespräche dann auch zusammen.
Gespräche über Gott und die Welt und das, was junge Menschen bewegt. Läuft also bei Pater Tobias Breer! Und auch mich spornt die Begegnung an, beweglich zu bleiben, sportlich und im Glauben.
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Caroline Haro-Gnändinger trifft: Shay Cullen, Ordensmann und Menschenrechtsaktivist. Er lebt auf den Philippinen in der Nähe von Manila.
Wir sprechen miteinander, weil er gemeinsam mit Filipinos die Organisation PREDA gegründet hat. Viele Kinder haben durch PREDA aus der Armut und Ausbeutung herausgefunden und können jetzt selbstbestimmt leben. Als Erwachsene kommen einige regelmäßig zu einem Ehemaligentreffen:
Es ist ein toller Festtag, wenn sich Ehemalige hier zum Wiedersehen versammeln. Die verheiratet und groß geworden sind. Das ist ein sehr fröhlicher Tag, wenn ich alle diese Kinder sehe, die jetzt ein erfolgreiches, glückliches Leben haben.
Er und sein Team haben tausende Kinder von der Straße und aus der Zwangsprostitution geholt – seit inzwischen 50 Jahren. Shay Cullen erinnert sich, wie er ganz am Anfang aus Irland auf die Philippinen kam:
Ich kam 1969 auf die Philippinen, voller Idealismus, die Welt zu verändern. Klar, deshalb bin ich Missionar geworden.
In der Stadt Olongapo hat er gleich am Anfang gesehen, was Kinder miterleben mussten. Im Umfeld eines damaligen US-Militärstützpunkts. Dort haben Soldaten Kinder missbraucht, aber auch in Familien gab es Gewalt. Und ein riesiges Problem war und ist Sextourismus.
Ich habe herausgefunden, welche schrecklichen Verbrechen an den Kindern verübt wurden. Sie wurden Opfer von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung. Und das schon im Alter von sechs, sieben, acht Jahren.
Es ist schwer, so etwas zu hören. Denn mich erinnert das sofort auch an den Missbrauch in der Kirche. Wo das Leben vieler Kinder zerstört wurde. Mich macht das wütend und auch Shay Cullen. Er erzählt, dass die Kirchengemeinde in Olongapo damals beim Sextourismus auch weggeschaut hat. Für ihn unfassbar:
Sie haben es einfach akzeptiert, so: Naja, das ist halt so. Aber ich habe mich gefragt: Warum erheben wir nicht die Stimme wie ein Prophet und unternehmen etwas gegen diese Situation? Ich habe niemanden dort gesehen, der etwas Bedeutendes dagegen getan hätte.
Shay Cullen kann nicht wegschauen - er bekommt mit, wie verzweifelt die Kinder sind, dass sie Krankheiten bekommen und drogenabhängig werden. Und will gerade als Christ etwas tun:
Sonntags zur Kirche zu gehen und davon zu träumen, in den Himmel zu kommen, das ist nicht christlich. Sorry, wissen Sie, das ist tot. Wir wollen einen lebendigen Glauben, in dem Menschen Gutes tun, die Wahrheit verbreiten, den Kranken und den Missbrauchten helfen und die Unschuldigen schützen.
Auch ich frage mich immer wieder, was es heißt, zu glauben. Für mich gehören, wie auch für Shay Cullen, Gottesdienste und Gebete dazu. Aber auch zu handeln. Nicht nur, wenn es um Familie und Freunde geht. Aber wer ist mein Nächster konkret? Dass Shay Cullen für Menschen in Not in seiner Umgebung nicht lockergelassen hat und wirklich etwas verändern konnte, macht mir Mut. Übrigens unterstützen auch viele Ehrenamtliche aus Kirchengemeinden hier bei uns im Südwesten seine Organisation PREDA. Daher kenne auch ich seine Arbeit. Und sie berührt mich auch, weil ich Halb-Filipina bin. Für die Kinder dort hat sein Team viel erreicht.
Es ist Teamarbeit, wir sind bei all dem nicht allein. Wir haben ein sehr gutes philippinisches Team und arbeiten alle zusammen und das macht mir Mut.
Sie sind etwa 50 Leute, kooperieren mit der UNO und weiteren Kinderschutzorganisationen oder auch der Polizei. Um Kinder aus der Prostitution zu holen, aus Gefängnissen und von der Straße. Die können in der Nähe der Hauptstadt Manila ein Dach über dem Kopf bekommen, zur Schule gehen und erhalten eine ganz bestimmte Therapie, bei der sie herausschreien können, was sie erlebt haben. PREDA hat außerdem Kinderschutzgesetze im Land erkämpft und unterstützt Kinder vor Gericht:
Wir bringen ihnen Gerechtigkeit, Freiheit und ein neues Leben. Und dass sie Fälle vor Gericht gewinnen - Verurteilungen ihrer Missbrauchstäter und Menschenhändler! Und das hilft, mehr Opfer zu verhindern. Unser Traum ist natürlich, dass Kinder nirgends mehr missbraucht werden und wir wollen warnen.
Warnen, denn die Sextouristen kommen auch aus Deutschland. Das ist schrecklich. Trotz vieler Hindernisse und auch Drohungen hat Shay Cullen den Mut nicht verloren. Er kämpft gegen Armut, damit Kinder gar nicht erst in schlimme Situationen rutschen. Ich glaube, entscheidend ist, dass sein Team immer wieder an die Öffentlichkeit gegangen ist und sich ein gutes Netzwerk von Unterstützern aufgebaut hat.
Glauben zu haben heißt, ganz davon überzeugt zu sein, dass das Gute und die Wahrheit und die Gerechtigkeit das Böse besiegen. Jesus hat ganz klar gemacht, dass wir Gutes tun müssen und für die Rechte jedes Menschen kämpfen und uns für Kinder stark machen sollen. Eines Tages, so glauben wir, werden wir hoffentlich das Schlechte überwinden, genau das ist der Glaube.
Und jeder kann etwas bewegen, findet er: sich für Geflüchtete einsetzen oder sich um einsame Nachbarn kümmern. Und so konsumieren, dass die Produzenten weltweit von ihrem Einkommen leben können. PREDA will als nächstes anstoßen, dass ein Gericht entsteht, speziell für Straftaten an Kindern, damit Täter schneller bestraft werden.
Die Richter sind ziemlich unorganisiert und sehr langsam. Und wir versuchen, das zu ändern. Wir setzen uns gerade für ein Kindergericht ein. Wir haben oft Konzepte für Politiker entwickelt und damit hatten wir schon oft Erfolg und jetzt geht’s eben um ein Kindergericht, wo nur Fälle von Kindern verhandelt werden sollen.
Shay Cullen ist inzwischen 80 und er hat ein Team mit Nachfolgern aufgebaut. Ich finde, es ist wichtig, dass sein Lebenswerk und dieser große Einsatz für Kinder in Not weitergehen.
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SWR1 Begegnungen


Caroline Haro-Gnändinger trifft Frère Alois, Prior der christlichen Ordensgemeinschaft von Taizé in Frankreich
Wir sprechen miteinander, weil er in ein paar Wochen aufhören wird als Prior, also als Leiter der Ordensgemeinschaft von Taizé im französischen Burgund. Dorthin kommen Protestanten, Katholiken, Orthodoxe oder auch Anglikaner und die Lieder von Taizé werden in vielen Kirchengemeinden gesungen. Ich will wissen, wie Bruder Alois, auf Französisch Frère Alois, zurückschaut und was für ihn persönlich und für den Orden jetzt ansteht. In das kleine französische Dorf zieht es seit den 1960er-Jahren viele tausende - vor allem junge - Leute aus aller Welt. Das freut ihn:
Inzwischen kommen manchmal die Enkelkinder von Omas und Opas, die als Jugendliche in Taizé waren. Also, das bleibt schon sehr erstaunlich und dafür bin ich am meisten dankbar.
Auch ich war als Jugendliche mehrmals dort. Mit einer Gruppe meiner Kirchengemeinde. Normalerweise ist man eine Woche dort, übernachtet im Zelt, das Essen wird aus riesigen Töpfen ausgegeben und jeder hilft mit. Eigentlich sehr schlicht, und in Zeiten von Reizüberflutung vielleicht gerade deshalb auch so anziehend für Jugendliche aus aller Welt und aus verschiedenen Milieus. Sie beten dort dreimal am Tag gemeinsam und tauschen sich über die Bibel und ihr Leben aus. Und auch die langen Minuten von Stille im Gottesdienst – ich kann es nicht genau beschreiben - aber das hat sich nach Glück angefühlt.
Immer wieder sagen Jugendliche am Ende einer Woche, dass die Stille das Wichtigste war und das ist ja eigentlich erstaunlich. Heute läuft man von der Stille weg, flieht die Stille.
Vielen fällt es in Taizé leicht, sich mit dem christlichen Glauben zu beschäftigen - so ging es auch mir: Woran glaube ich eigentlich genau? Und was heißt es im Alltag für mich, gläubig zu sein? Frère Alois erzählt, dass bei einigen auch Sorgen wegen Kriegen und Klimawandel hochkommen. In Taizé tanken viele Kraft für den Alltag.
Alle können kommen, eine Zeit lang hier sein und selbst sehen, was sie für sich entdecken, selbst auf die innere Stimme hören und selbst einen Weg finden. Also wir wollen nicht vorgeben, was getan werden soll, sondern das muss von den Menschen kommen.
Diese Offenheit hat auch Frère Alois damals angezogen. Mit 16 Jahren ist er aus Stuttgart zum ersten Mal hergekommen. Er ist etwas später eingetreten und mit 24 Jahren wurde er schon als späterer Prior ausgewählt. Von Gründer Frère Roger persönlich.
Das war eine ganz große Überraschung, als er zum ersten Mal mit mir darüber sprach, als ich sehr jung war. Und dann haben wir ganz selten nur darüber gesprochen. Er hat mir niemals gesagt, was ich einmal tun soll oder wie das weitergehen soll. Er hat ein ganz großes Vertrauen gezeigt, dass wir Wege finden werden.
Mit 51 Jahren, nachdem der vorige Prior Frère Roger tragisch gestorben war, hat er dann die Leitung übernommen. Und die anderen Brüder haben ihn sehr unterstützt, sagt er. Heute sind es insgesamt 90 Männer, katholisch, anglikanisch oder evangelisch. Manche von ihnen leben in kleinen Gemeinschaften in anderen Ländern.
Als ich Frère Alois frage, ob er als Baden-Württemberger, wenn er im Dezember mit seinem Amt als Prior aufhört, häufiger zu Besuch kommt, zu seinen Geschwistern zum Beispiel, sagt er mir:
Ich habe mich entschieden, und die Brüder waren damit einverstanden, dass ich nach Kuba gehe. Wir werden dort mit drei Brüdern zusammenleben. Also von Kuba kann ich dann nicht so oft nach Stuttgart kommen, wie ich es gerne tun würde.
Also ein ganz neuer Schritt für ihn mit 69 Jahren. Er war bisher nur einmal auf Kuba, weiß von politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten dort, aber auch von der Lebensfreude und dem Glauben der Menschen und der Musik. Und die Sprache Spanisch kann er sicherlich schon, oder?
Nein, ich muss das lernen, stellen Sie sich vor, ich muss Spanisch lernen, es ist wirklich ein Neuanfang für mich, in ganz vielen Bereichen.
Mindestens ein Jahr lang wird er dort sein, auch um dem neuen Prior in Taizé genügend Freiheit zu geben. Aber eins steht auf jeden Fall an, nämlich eine neue Struktur, um allen Brüdern mehr Mitsprache bei Entscheidungen zu geben, sagt er. Und es wird weiterhin darum gehen, Transparenz und Prävention in Sachen sexuellem Missbrauch zu schaffen, denn auch in Taizé gab es in der Vergangenheit sexualisierte Gewalt:
Es ist notwendig, wegen der Menschen, die Opfer waren und sind, denn diese Leiden vergehen ja nicht. Also um diesen betroffenen Menschen gerecht zu werden, wollen wir alles versuchen, dass Taizé in Zukunft ein sicherer Ort ist.
Die Zukunft beschäftigt ihn überhaupt. Er ist mir aus Rom zugeschaltet, wo er bei einer großen Versammlung dabei ist. Bei der Weltsynode, wo es um die Zukunft der katholischen Kirche geht. Er glaubt, dass Kirchen offen sein müssen für verschiedene Formen den Glauben auszudrücken. Und dass eine gute Gemeinschaft wichtig ist.
Dass wir kleine Gemeinschaften schaffen in unseren Kirchengemeinden. Und diese kleinen Gemeinschaften können zusammen überlegen: Was bedeutet für uns Christsein?
So etwas konnte ich zum Beispiel in einer kleinen Gruppe in einer Karlsruher Kirchengemeinde erleben. Frère Alois sagt mir, dass ihn das Teilen von Schönem und Schwierigem sehr erfüllt, in seiner Gemeinschaft unter den Brüdern, aber auch wenn Besucher in Taizé sich an ihn wenden:
Auch wenn wir da keine Antworten geben können. Aber ich mache da immer wieder die Erfahrung, dass dieses Sich-mitteilen-können schon einen neuen Horizont öffnen kann.
Es ist schön, von seiner Offenheit und seinen guten Erfahrungen mit den vielen Menschen zu hören, die wöchentlich nach Taizé kommen. Auch mich haben die guten Erlebnisse dort mit Gott, Musik und Menschen aus aller Welt geprägt und ich habe sie in meinen Alltag mit nach Hause genommen.
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Caroline Haro-Gnändinger trifft Andreas Groll, Leiter der ökumenischen Notfallseelsorge Stuttgart
Wir treffen uns, weil er in seiner Familie etwas erlebt, was mich hellhörig macht. Seine Mutter, Marie José, hat schon relativ früh Demenz bekommen. Die Krankheit betrifft fast zwei Millionen Menschen in Deutschland, Tendenz steigend. Und bei jedem sieht sie etwas anders aus. Ich will mit ihm darüber sprechen, wie er damit umgeht. Aber fangen wir vorne an: Wie das Ganze damals begonnen hat, das kann er nicht vergessen:
Es hat so angefangen, dass die Mama auf einmal nicht mehr so genau wusste, wie man die Waschmaschine bedient oder wie man die Salatsoße mischt. In dieser Zeit waren sie im Entwicklungsdienst in Haiti und mein Bruder war auch dabei, der hat gemerkt, da stimmt was nicht.
Damals ist Marie José Groll erst Ende 60, sie arbeitet mit ihrem Mann und dem Bruder von Andreas Groll weit weg, eben in der Karibik auf der Insel Haiti in einem Hilfsprojekt. Als es schlimmer wird, zieht sie für ein halbes Jahr zu Andreas Groll und seiner Familie nach Stuttgart und sie wird lange untersucht. Am Ende bekommt sie die Diagnose Alzheimer – eine Form von Demenz.
Meine Mama ist auch katholische Theologin, war Lehrerin, eine ganz intelligente Frau, hat auch ein großes Netzwerk gehabt. Es war für sie eine schlimme Situation, das zu realisieren, dass sie dement wird. Dann hat sie richtige Depressionen bekommen und hat viel geweint. Irgendwann mal hat sie es aber dann angenommen, beziehungsweise hat es nicht mehr gemerkt, irgendwann vergisst man das ja dann.
Die Depressionen vergehen. Aber das Erinnern, das Sprechen und das Gleichgewichtsgefühl lassen auch immer mehr nach. Ich frage mich: Wie kommt man damit klar, dass jemand, der einem sehr nah steht, die eigene Mutter, vieles nicht mehr kann, viel vergisst und Raum und Zeit anders wahrnimmt. Für Marie José Grolls Familie ist es erstmal schwer. Wenn sie etwas verwechselt, dann will es oft jemand richtigstellen:
Mein Papa war am Anfang total ungeduldig mit der Mama, hat gesagt: Nein das stimmt nicht, da war nichts, da waren wir nicht oder das hast du doch gerade schon gesagt oder gemacht. Und das frustriert diese Menschen, wenn sie immer wieder damit konfrontiert werden.
Andreas Groll, seine Frau und sein Vater besuchen einen Kurs für Angehörige. Und lernen, dass es Menschen mit Demenz besser geht, wenn man sich auf ihre Wahrnehmung einlässt. Und nicht widerspricht. Das bringt sie weniger durcheinander. Und es geht im Kurs auch darum, welche Phasen von Demenz es gibt:
Also, die Krankheit schreitet fort, dadurch werden die Regionen im Hirn nicht mehr so funktionsfähig und irgendwann mal auch die Motorik.
Inzwischen ist Marie José Groll 82, sie lebt wieder in der Heimat im Landkreis Calw. Sie kann nicht mehr laufen und sich nicht mehr äußern, aber Andreas Groll findet, es ist irgendwie trotzdem ein guter Kontakt da:
Wie sie früher war, das ist nicht ja mehr da. Was geblieben ist, ist: Dass sie doch irgendwie so uns das Gefühl gibt, dass es ihr gut geht in der Situation wie sie ist, dass sie ja auch noch auf ihre Art teil hat am Familienleben.
Für Andreas Groll ist es so, wie es ist. Sagt er mir. Klingt irgendwie versöhnt, finde ich. Was ist sein Rezept dafür? Er erzählt mir erstmal, dass sein Vater das meiste übernimmt:
Das ist seine ganze Lebensaufgabe, die Mama zu pflegen, für sie da zu sein, sie anzuziehen, zu waschen, da wird alles, sogar der Salat gehäckselt mit dem Mixer.
Außerdem helfen der Pflegedienst und Betreuerinnen aus dem Bekanntenkreis und auch die ganze Familie: Andreas Groll und seine Frau wohnen nicht weit weg und auch seine vier Geschwister schauen, dass sie dem Vater unter die Arme greifen:
Wenn er mal woanders hin will, zu Freunden oder Bekannten oder jemanden anders, dass man die Mama nicht allein lässt, wir sind dann so die Brücke, bis er wieder nach Hause kommt.
Ein gutes und weites Netzwerk hilft, das höre ich bei Andreas Groll heraus. Er macht sich aber natürlich auch Sorgen. Er leitet die ökumenische Notfallseelsorge in Stuttgart und bei einem Einsatz musste er zum Beispiel in die Wohnung einer dementen Frau. Für sie da sein, als deren Mann plötzlich verstorben war:
Also ich war selber noch nie so betroffen in einem Einsatz wie da, weil da gleich der Film ablief, mein Gott, wenn es jetzt bei uns so wäre, Mama würde ganz allein im Bett liegen, keiner würde es merken oder erst später.
Ich habe davor einen großen Respekt. Er und seine Kollegen kommen sicherlich immer wieder in Situationen, die auch an ihnen selbst nagen. Wenn Rettungskräfte Menschen reanimieren oder Passanten Unfälle miterleben mussten:
Dann bleiben wir dort und halten diese Situation für die Menschen aus, dass sie irgendwann mal einen Hoffnungsschimmer bekommen, dass es trotzdem mit dem Leben weitergeht.
Ein Hoffnungsschimmer für ihn im Fall seiner Eltern ist es, dass sich sein Vater rechtzeitig meldet, wenn es ihm nicht gut geht. Und was ihm überhaupt auch hilft, ist sein Glaube:
Wir haben schon viele schwere Situationen durchgelebt und auch mit der Hilfe Gottes können wir hoffen, dass es irgendwie trotzdem weitergeht.
Das spürt er zum Beispiel, wenn er das, was ihn beschäftigt, in einem Gebet ansprechen kann. Dem katholischen Diakon Andreas Groll ist dabei auch der Gottesdienst am Sonntag wichtig, besonders der Moment, in dem er das Brot, den Leib Christi teilt und empfängt.
Wenn ich also einen Knoten auf der Brust habe und ich stehe am Altar, spätestens nach der Wandlung, merke ich so richtig, wie dieser Knoten von der Brust sich löst und ich meine ganzen Sorgen in den Kelch oder in die Hostienschale legen kann und ich dem Herrgott sage: Jetzt musst du es tragen, ich kann es nicht mehr.
Das kann ich gut verstehen. Wenn ich in einer Kirche eine Kerze anzünde oder im Gottesdienst den Friedensgruß von anderen um mich herum höre, dann geht es mir auch manchmal so. Es macht die Situation leichter – nicht immer, manchmal nur für eine Weile. Die Situation bleibt schwer, aber ich glaube, Gott hält sie mit mir aus.
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