Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR1

 

Autor*in

 

Archiv

SWR1 3vor8

29MAI2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Ich bin keiner von euch und keiner von uns.“[1] Mit diesen Worten hat sich der Dichter Hans Magnus Enzensberger in einem frühen Gedicht dagegen gewehrt, vereinnahmt zu werden, weder von den anderen noch von den seinen. Allen Ansprüchen an sich setzt er ein selbstbewusstes „Ich bin“ entgegen: „Ich bin keiner von euch und keiner von uns“.
Um solcher Sätze willen bewundere ich ihn.

Er ist mir eingefallen, als ich an die biblische Szene dachte, die uns heute in den evangelischen Gottesdiensten vor Augen gestellt wird (Joh 4, 19-25). Jesus lässt sich hier nämlich auch nicht vereinnahmen.

Der Weg nach Hause führt ihn durch Samarien, um das jeder fromme Jude eigentlich einen großen Bogen macht. Das Verhältnis zwischen Juden und Samaritanern ist angespannt. Aber Jesus macht keinen großen Bogen, sondern läuft am helllichten Tag mitten durch das Dorf zum Brunnen. Ich bin keiner von euch und keiner von uns; ich bin ein Mensch, der Durst hat. Jesus muss etwas trinken. Er hat aber keine Kelle dabei, um Wasser zu schöpfen.

Eine Samaritanerin kommt vorbei und Jesus spricht sie an. Überraschend schnell entspinnt sich ein tiefes interreligiöses Gespräch zwischen den beiden. Niemand hätte das so schön planen können. Der Samaritanerin aber bleibt am Ende ein wesentlicher Unterschied zwischen ihnen wichtig: Wir beten Gott auf dem Berg Garizim an, sagt sie, ihr im Tempel in Jerusalem. Das stimmt. Da ist es wieder, das ihr und das wir. Ihr betet dort, wir beten hier.

Jesus aber ist keiner von euch und keiner von uns. Auch deshalb ist er von einer Sehnsucht beseelt, die glaube ich, viele Menschen heute teilen: Es kommt die Zeit und ist schon da, antwortet Jesus, in der es nicht mehr wichtig sein wird, an welchen Orten oder nach welchen Riten wir beten. Wichtig wird sein, dass wir auf Gottes Weise beten, dass wir ihm entsprechen, und nicht euch oder uns. Und Gottes Weise ist Geist und Wahrheit.

Ja, sagt die Samaritanerin, so wird das sein, aber erst, wenn am Ende der Messias kommt. Ich bin der Messias, sagt Jesus, und wir zwei sprechen doch heute hier am Brunnen spürbar im Geist und in der Wahrheit. Also kommt die Zeit und ist schon da.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Feiertag!

[1] Aus dem Gedicht „Schaum“, in: Hans Magnus Enzensberger, Gedichte 1950 – 2020

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37721
weiterlesen...

SWR1 3vor8

25DEZ2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Alle Jahre wieder treffe ich mich heute Abend mit meiner Familie und meinen Geschwistern zum Familienfestessen. Dieses Jahr ist mir das besonders wichtig. Heute Abend möchte spüren, dass wir zusammengehören. Vielleicht geht Ihnen das ähnlich.

Mir ist mein kleiner Bruder in den Sinn gekommen, der vor Jahren sehr um dieses Gefühl der Zugehörigkeit gekämpft hat. Er ist der jüngste von uns fünf Geschwistern und ein wirklicher Nachzügler. Wir Älteren waren schon außer Haus, als er in die KiTa kam. Alle seine Freunde dort hatten Geschwister, die auch Kinder waren und mit denen sie als Familie zusammengewohnt haben. Für meinen Bruder war das ganz anders: Wir, seine Brüder und Schwestern, kamen eigentlich nur zu Besuch. Das scheint ihn in seiner Seele sehr beschäftigt zu haben.

Wie gehörte er denn zu uns? Gehörte er überhaupt richtig dazu?

Als wir damals zum Weihnachtsfest alle mal wieder zu Hause zusammen waren, hatte er eine Antwort für sich gefunden. Mit seiner hohen Kinderstimme verkündete er: „Ihr seid schon immer meine Geschwister gewesen, auch als ich noch nicht geboren war.“

Immer habe ich diese geniale Lösung bewundert, die er in seiner Not gefunden hatte. Was für ein schöner Gedanke! Er hat schon immer dazugehört, war schon immer da, lange bevor er tatsächlich auf die Welt gekommen ist.

Auch für Jesus gibt es diese Vorstellung, dass er schon immer da war. Sie steht in der Bibel und wird heute am Morgen nach Heiligabend in den Festgottesdiensten gefeiert.

Wie jeder Mensch ist Jesus an einem bestimmten Tag geboren, aber die an ihn glauben, haben früh gesagt: Er hat schon vor seiner irdischen Geburt immer existiert. Er ist schon immer Gottes Sohn und immer schon in der Welt gewesen, und wir sind verbunden in ihm.

Dieses Gefühl, in ihm verbunden zu sein ist sehr kostbar. Es macht stark. Gerade jetzt, wo unser globales Dorf auseinander zu driften und in furchtbaren Konflikten zu zersplittern droht.

Da setzt Weihnachten zu einer Gegenbewegung an. Das Fest sammelt. Erst richtet es unsere Aufmerksamkeit auf die kleine Notunterkunft in Bethlehem, in der Jesus zur Welt gekommen ist. Und von da aus weiter auf die ganze Welt, in der Menschen sagen: Wir sind in Christus verbunden, ganz egal wo, und über alle Zeiten hinweg.  

Hoffentlich erleben wir uns heute so und hoffentlich können wir es morgen wirksam zeigen.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben einen frohen ersten Feiertag!

Kol 2,3.6-10

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36550
weiterlesen...

SWR1 3vor8

13NOV2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Jesus hat auf sehr große Fragen gerne mit einer Geschichte aus dem Alltag reagiert. Einmal wurde er zum Beispiel gefragt, ob es sich überhaupt noch lohnen würde, zu beten. Und zwar von  Menschen, die viel und regelmäßig beteten. Es passiere ja nichts. Es ändere sich nichts. Das frage ich mich selbst auch zwischen der Tageszeitung am Morgen und den Nachrichten am Abend: Nur noch Gewalt und Zerstörung. Was soll ich da beten? Was soll ich da noch beten?

Das ist das Thema heute in den evangelischen Gottesdiensten. Jesus erzählt dazu folgende Geschichte: Einer armen Witwe wird Unrecht angetan. Sie zieht vor Gericht. Schaffe mir Recht, fordert sie vom Richter. Den aber lässt ihre Not kalt. Ihr Fall interessiert ihn nicht. Er legt ihn zu den Akten. Vielleicht erledigt er sich da ja von selbst.

Aber die Witwe lässt sich nicht abwimmeln. Beharrlich fordert sie immer wieder, und zwar laut: Schaffe mir Recht! Lange hält der Richter das aus, aber dann wird es ihm doch lästig, mit jedem Tag mehr. Schließlich lenkt er ein, denn er will diese Nervensäge loswerden.

Die Witwe flößt mir Respekt ein. Hartnäckig kämpft sie gegen den Richter und gegen ihre Verzweiflung an. Sie krallt sich regelrecht am Richter fest, der ihr diesen völlig unnötigen Kampf aufgezwungen hat. Was, wenn die Witwe nicht so gekämpft hätte? Sie steht ja stellvertretend für so viele andere, denen dafür allmählich die Kraft ausgeht.

Gehen mir die Kräfte aus? Sind sie denn schon am Ende? Die Witwe hat eisern durchgehalten. Wenn ich an sie denke, dann will ich auch nicht aufgeben, Gott anzugehen wie sie den Richter.

Jesus vergleicht Gott tatsächlich mit dem sturen und faulen Richter. Uber den kann man sich ärgern – eben weil er faul und bequem ist. Spät, sehr spät hat er seine Blockade aufgegeben, und das auch noch aus falschen Gründen, aber er hat dann eben doch getan, was von ihm in seiner Funktion zu erwarten war. Er hat Recht gesprochen.

Jesus sagt in seiner Geschichte: Wenn man mit bloßer Beharrlichkeit sogar bei diesem schlechten Richter etwas erreichen kann, dann kann man das bei Gott erst recht. Lohnt es sich zu beten? Ja, antwortet Jesus klar. Ja, es lohnt sich, dranzubleiben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36514
weiterlesen...

SWR1 3vor8

28AUG2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Eigentlich ist König David ein guter Herrscher. Und doch verliert er das Maß – denkt, er würde über den Dingen stehen. Die Macht ist ihm zu Kopf gestiegen. Davon erzählt eine biblische Geschichte, die heute im Mittelpunkt vieler evangelischer Gottesdienste steht.

Als König David sich in die Frau eines seiner Soldaten verliebt, sorgt er dafür, dass dieser an vorderster Front eingesetzt im Kampf ums Leben kommt. Jetzt hat er freie Bahn, um dessen Witwe in seinen Harem zu holen. Es soll wie ein Tod auf dem Schlachtfeld aussehen, ist aber Mord. König David weiß das natürlich. Aber er ist schließlich der König.

Er will so handeln, er kann es auch, also tut er es. Für ihn ist die Sache damit erledigt. Nicht aber für den Propheten Nathan, dem sie zu Ohren gekommen ist. Raffiniert fordert Nathan unter vier Augen König David auf, Recht zu sprechen. Es geht um folgenden Fall: Ein reicher Mann hat einem armen Mann dessen einziges Schaf weggenommen, um es einem Gast als Braten zu servieren. Der Arme hat sein Schaf geliebt wie ein Kind. Aber der Reiche hat es einfach nicht über sich gebracht, eines von seinen eigenen Tieren zu nehmen.

David fordert sofort die Höchststrafe für den reichen Mann. Du bist dieser Mann, antwortet Nathan kühl. Da knickt David ein. Von ihm selbst ist die Rede gewesen und er erkennt sich auch wieder. Ja, er hat seine Macht missbraucht. Andere sterben daran.

Ich bin nicht in einer Position wie König David. Meine Macht und Möglichkeiten reichen nicht sehr weit. Trotzdem hält auch mir diese Geschichte den Spiegel vor: Will ich manches machen, nur weil ich es kann? Weil es im Bereich meiner Möglichkeiten liegt?

Wie rücksichtslos kann ich werden, wenn es dabei um meine Interessen geht? Für die Bibel ist das Missbrauch meiner Möglichkeiten. Dass andere dabei zu Schaden kommen, macht die Schuld schwer.

Nach der Unterredung mit Nathan bereut David zutiefst. Er kann nichts ungeschehen machen, will aber in Zukunft nicht mehr auf Kosten anderer leben. Er verinnerlicht die moralischen Ansprüche, die an ihn gestellt werden - und die er selbst ja auch teilt. Seine äußere Macht schrumpft dabei, seine innere Gewalt über sich wächst.

Das wünsche ich mir auch für mich und für Sie.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36098
weiterlesen...

SWR1 3vor8

Generationengerechtigkeit

Im April vor einem Jahr haben Klimaschützer einen großen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht gefeiert. Es sind vor allem junge Leute gewesen, die Beschwerde dagegen eingelegt haben, dass die Aufgabe der Emissionsminderung in ihre Zukunft vertagt wird. Jetzt wird CO2 verbraucht, wirksam dagegen angehen soll aber erst die nächste Generation. Das ist ungerecht.

Dem hat das BVG stattgegeben und Nachbesserungen am Klimaschutzgesetz verlangt. Bis zum Jahr 2030 darf nur noch eine begrenzte Menge CO2 verbraucht werden, sonst bleibt den Menschen morgen kein Spielraum mehr. Das ist doch logisch, oder? Und doch musste es von mutigen jungen Leuten vor Gericht eingeklagt werden.

Die Erfahrung, dass Kinder an falschen Entscheidungen und der Lebensweise ihrer Eltern schwer tragen, ist uralt. Sie ist im ersten Teil der Bibel sogar Sprichwort geworden:

Die Väter haben saure Trauben gegessen, den Kindern aber sind die Zähne stumpf geworden. (Hes 18,2)

Heute wird in den evangelischen Gottesdiensten dieses bittere Sprichwort bedacht.

Unsere Generation hat immer weiter fossile Energien ins Wirtschaftswachstum gesteckt. Von diesen sauren Trauben konnten wir die Finger nicht lassen. Unseren Kindern werden die Zähne stumpf.

Sie werden mit Überschwemmungen, Waldbränden, Artensterben und Flüchtlingswellen leben müssen.   

In der Bibel erhebt der Prophet Hesekiel Einspruch: Dass die einen ausbaden, was die anderen angerichtet haben, ist nicht akzeptabel! Nach Gottes Willen soll jeder Mensch selbst verantwortlich sein für sein Tun und auch die Folgen dafür tragen. Das bedeutet, dass Eltern ihr Leben und Handeln prüfen, es wenn nötig ändern, und wenn sie Schaden verursacht haben, sich in einem umfassenden Sinn ehrlich um Entschädigung bemühen.

Aber auch ihre Kinder sind gefordert: sie müssen entscheiden, wie sie mit dem Erbe ihrer Vorfahren umgehen. Denn auch sie selbst werden Eltern, die keine sauren Trauben essen wollen, die ihren Kindern den Appetit am Leben verderben.

Ich glaube, dass so ein verhängnisvoller Generationenzusammenhang nur gemeinsam unterbrochen werden kann. Deshalb hoffe ich sehr, dass Eltern und Kinder an einem Tisch bleiben. Wir brauchen einander dringend, um Ideen zu entwickeln, was jeder und jede jetzt konkret tun kann, um in den Augen der Enkel zu bestehen.

Jeder ist für sein Tun und Handeln verantwortlich und auch haftbar. Manchmal braucht es dazu eine wirksame Erinnerung, sei es aus der Bibel oder vom Bundesverfassungsgericht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35727
weiterlesen...

SWR1 3vor8

Heute ist Himmelfahrt, ein arbeitsfreier Tag für viele. Manche machen ein verlängertes Wochenende daraus, ich auch. Die Tage sind wunderbar lang. Auch uns Christen treibt es aus dem Häuschen, und viele von uns feiern den Himmelfahrts-Gottesdienst unter freiem Himmel, gerne mit den Katholiken zusammen. Im Glaubensbekenntnis heißt es so: Jesus Christus ist auferstanden von den Toten und aufgefahren in den Himmel. Aller Erdenschwere endgültig enthoben, lebt und regiert er im Himmel.

Lange Tage unter offenem Himmel – da scheint es erstmal merkwürdig, dass im Mittelpunkt vieler Gottesdienste ein Traum im Mittelpunkt steht, ein Alptraum noch dazu. Es ist finstere Nacht, als der Prophet Daniel wehrlos von gewaltigen, geflügelten Raubtieren träumt: Von monströsen Viechern, die aus dem aufgewühlten Meer steigen. Das schlimmste Ungeheuer hat eiserne Zähne, und zermalmt alles, was um es ist, und was übriggeblieben ist, trampelt es nieder.

Am nächsten Morgen schreibt Daniel seinen Alptraum auf. Er nimmt ihn ernst. In den bedrohlichen Tiergestalten erkennt er die Brutalität der Mächtigen in seinem Land wieder.

Auch mich verfolgen Nachrichten und Bilder des Tages bis in die Nacht. Der Krieg, der entsetzliche Folgen hat für Abermillionen Menschen auf dieser Erde; die Pandemie, die fast abgehakt scheint, die brüchige Stimme der Expertin, die dem naiv fragenden Reporter den jüngsten Weltklimabericht erläutert. Schreckliche Monster unserer Zeit.

Dann sehne ich mich nach Frieden und Zukunft und Gerechtigkeit.

Auch Daniel sehnt sich nach Frieden. Und in der nächsten Nacht träumt er von einem göttlichen Gerichtshof, in dem das furchtbare Tier angeklagt, verurteilt und schließlich hingerichtet wird. Seine Macht ist zerstört. Und im Traum sieht er einen Menschen, der aus den Wolken des Himmels kommt, und dem Gott alle Macht überträgt. Dieser Herrscher wird seine Macht dafür einsetzen, dass alle Menschen dieser Erde in Frieden leben.

Das ist auch meine verzweifelte Hoffnung, wenn ich morgens den neuen Tag beginne und Radio höre. Tod und Zerstörung werden sich nie durchsetzen, nicht im Himmel und nicht auf Erden. Alle Großreiche sind über kurz oder lang untergegangen. An Himmelfahrt gehe ich deshalb hinaus ins Freie, unter den weiten Himmel. Der Tag erinnert daran, dass Jesus Christus alle Gewalt im Himmel und auf Erden in seinen Händen hält, und niemand sonst. Das klingt naiv, ja. Hoffnung ist vielleicht immer etwas naiv. Ich weiß, dass der Ausgang der dramatischen Lage, in der unsere Welt sich befindet, beängstigend offen ist. Gleichzeitig liebe ich das sanfte Bild von Jesu Himmelfahrt. Es ist eine Widerrede gegen Zerstörung und Gewalt. Himmelfahrt ist ein Zeichen der Hoffnung, und das hilft mir bei der Entscheidung, wo ich selbst mich verorten will.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35473
weiterlesen...

SWR1 3vor8

20FEB2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Die Schöpfungsgeschichte erzähle ich gern im Religionsunterricht in der zweiten Klasse, die Erschaffung der Welt in sieben Tagen. Gott spricht – und es geschieht. Gott spricht und schafft so eine wunderbar geordnete Welt, indem er Licht und Finsternis trennt, Wasser und Land, Himmel und Erde.

Ein Schüler traut der Sache nicht so recht. „Gott spricht und es geschieht?“. Er lehnt sich zurück, verschränkt die Arme und fragt: „Und warum hört man dann heute nichts mehr von ihm?“

Das ist jetzt ein paar Jahre her, und ich weiß nicht mehr, was ich geantwortet habe. Seine scharfe Frage aber wirkt in mir nach bis heute, denn er hat ja recht: Gottes Wort kann man nicht hören wie aus dem Radio. Auch die Bibel laut vorzulesen bewirkt nicht unmittelbar viel – jedenfalls nichts so Spektakuläres wie in der Schöpfungsgeschichte. Wie kann man Gottes Wort heute hören?

In der Bibel steht ein Satz dazu, der meinem Schüler wahrscheinlich gefallen hätte. Heute ist er in den evangelischen Gottesdiensten zu hören. Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert (Hebr 4,12-13). Gottes Wort ist schärfer als ein zweischneidiges Schwert, wahrlich kein Kinderspielzeug.

Gottes Wort ist natürlich nicht gewalttätig wie ein echtes Schwert, und doch geht es durch und durch, bis ans Herz eines Menschen. Hier, am offenen Herzen hat Gott ein Wort mitzureden.

Mein Herz klopft schneller, wenn mir etwas durch und durch geht. Wenn mir durch ein Wort, eine Geste, nicht selten durch ein Kunstwerk oder eben auch durch eine skeptische Schülerfrage Entscheidendes über das Leben aufgeht. Ich spüre mein Herz schlagen, ich fühle einen Druck im Magen, wenn ich begreife, dass Gott etwas von mir erwartet: Meine Stimme gegen Gewalt. Meinen Einsatz für Menschen, die schwächer sind, als ich. Gott lässt sich hören, wenn etwas in mir Gefühle auslöst und mich konsequenter handeln lässt.

Heute ist mein Schüler ein junger Erwachsener, und ich würde ihn auf der Straße nicht erkennen. Aber gerne würde ich ihm endlich antworten: Das, was Dein Herz unmittelbar berührt, dich tiefenscharf Licht und Finsternis in dieser komplexen Welt unterscheiden lehrt, ist Gottes Wort. Bleibe offen dafür, denn dann kannst Du ihn gar nicht überhören.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34885
weiterlesen...

SWR1 3vor8

22AUG2021
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich habe zwei Jahre in der Slowakei gelebt. Slowakisch habe ich dabei nicht flüssig sprechen gelernt, aber um durch den Alltag zu kommen, hat es gereicht. Heute bedaure ich das, gleichzeitig ist es mir damals aber gut gegangen in meinem Nichtverstehen. Ich fuhr Bus und Bahn eingehüllt in Gespräche, die ich nicht verstand. Dabei habe ich mich durchaus verbunden gefühlt mit den Menschen um mich herum.

Ich muss nicht alles verstehen und tue es zuhause ja auch nicht. Auch hier sprechen wir in verschiedenen Sprachen, verwenden verschiedene Gesten und lachen aus verschiedenen Gründen.

Aber das gute Gefühl in mir schwindet, anderen Menschen nahe und füreinander erreichbar zu sein. Es verstört mich, wie ungehemmt Leute verunglimpft werden. Menschen verstummen, weil es keinen Zweck zu haben scheint, miteinander zu reden. Erreichen wir einander noch?

Heute wird in den evangelischen Kirchen eine Wundergeschichte aus der Bibel erzählt (Mk 7, 31-37), die mich da hoffnungsvoll stimmt.

Menschen bringen einen Mann zu Jesus, der taub ist. Er hört nicht, rufen sie. Er spricht so undeutlich, dass wir ihn nicht verstehen! Hilf ihm. Jesus nimmt den Mann beiseite. Schon diese vertrauliche Geste berührt mich. Jesus wendet sich seinem Patienten zu. Er behandelt ihn in kleinen Schritten ohne Worte. Er legt ihm erst die Finger in die Ohren und berührt dann die Zunge. Dann atmet Jesus mit einem tiefen Seufzer den ganzen Kummer des gehörlosen Mannes aus, der mit niemandem sprechen kann. Und dann sagt Jesus in seiner Muttersprache Effata!, „Tu dich auf!“

Und das Wunder geschieht: Der Mann kann hören, was andere sagen und sich selbst verständlich mitteilen. Zum ersten Mal hören seine Leute ihn deutlich sprechen, und auch ihnen gehen die Ohren darüber auf.

Der Mann hat Vertrauen gefasst und Nähe und Berührung zugelassen. Das möchte ich mir auch vornehmen, spürbare Nähe zuzulassen, nicht immer, aber manchmal, damit Berührung möglich ist. Und tief durchatmen, seufzen. Ich möchte weniger Worte machen, bis sich das eine zauberhafte einstellt, das Verstehen eröffnet.

Ich war zwei Jahre in der Slowakei, habe viel gesehen und manches gedeutet. Verstanden habe ich erst spät. Dafür musste ich näherkommen, berührt und ins Vertrauen gezogen werden. Und das Wunder hat sich eingestellt: Obwohl wir so verschieden leben, verstehen wir uns dennoch wunderbar.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33780
weiterlesen...

SWR1 3vor8

16MAI2021
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Mein verordnetes Homeoffice ist eine recht einsame Schreibtischarbeit. Manchmal komme ich nicht recht voran. Alles staut sich in meinem Kopf und widersetzt sich störrisch meiner Mühe. Wenn ich so feststecke, dann unterbreche ich. Ich gehe raus vor die Tür, auch wenn´s regnet. Bewegung! Und tatsächlich, kaum gehe ich ein paar Schritte, kommen auch die Gedanken wieder in Fluss. Der Stau löst sich.

Einen Stau auflösen – in der Bibel ist das die Wirkung vom Geist Gottes! Die Geistkraft fließt - wie ein Strom, der das Land fruchtbar macht.
Jesus selbst hat diesen Vergleich gezogen, als er an einem großen Erntedankfest teilgenommen hat. In einer feierlichen Prozession wurde Quellwasser in den Tempel heraufgetragen und am Altar ausgeschüttet. Die Menschen haben so Gott für die Ernte gedankt und um Wasser gebeten, um Regen von oben und um Quellwasser aus der Tiefe.

Als er das sah, hat Jesus gerufen: Wen dürstet, der komme zu mir und trinke. Wer an mich glaubt (…), von dem werden Ströme lebendigen Wassers fließen. (Joh 7,37f.)

Was für ein seltsames, sinnliches und gar nicht wirklich vorstellbares Bild von einem, aus dem „Ströme lebendigen Wassers“ fließen! Dieses Bild von Jesus wird heute in den evangelischen Gottesdiensten betrachtet. Wen dürstet, der komme zu mir und trinke. Ja, ich habe Durst.

Jeden Sonntag lese ich laut den Psalm, das Evangelium und den Predigttext, egal ob ich zum Gottesdienst gehe oder nicht. Für mich ist das wichtig. Ich brauche das. Lebendiges Wasser! Es ist nicht viel, ein kleines Rinnsal, aber es nährt zuverlässig mein karges Land.

Immer löst es etwas in mir aus. Mal bin ich überrascht und getröstet, mal auch befremdet und überfordert. Heute zugegeben eher Letzteres. Wie soll das gehen?

„Wer Durst hat, der komme zu mir und trinke.“ Alle Welt dürstet. Es brennt an allen Ecken und Enden. Die Erde ist erschöpft. Meine Gedanken erstarren wieder.

Wie gut da dieses seltsame Bild heute! Jesus verspricht einen unerschöpflichen Fluss des Geistes Gottes, der von ihm ausgeht. Menschen tragen ihn weiter und vermehren ihn sogar. Ein unendlicher Flow. Unverfügbar. Er löst das Starre, setzt in Bewegung, bringt in Beziehung und auf ganz neue Gedanken. Das spüre ich und darauf hoffe ich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33132
weiterlesen...

SWR1 3vor8

04APR2021
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Jad Vaschem

Vor Jahren war ich in Jad Vaschem in Jerusalem. Das ist die internationale Gedenk- und Dokumentationsstätte, die an die nationalsozialistische Judenvernichtung erinnert. In dem zugehörigen Museum stand ich vor einem großen Schubladenschrank.
In jeder Lade wurde die Geschichte eines Menschen dokumentiert, der seiner Vernichtung entkommen ist. Kleine Habseligkeiten und knappe Texte erzählten von einem engen Versteck, einem doppelten Boden, einem abenteuerlichen Fluchtweg, auch von verborgenen Helfern und wunderbaren Zufällen. Jede Lade stand für das Wunder, dass ein Mensch mit letzter Kraft entkommen ist und die sichere Seite erreicht hat.

Die Rettung am Schilfmeer

Heute, an Ostersonntag, wird in den evangelischen Kirchen ein biblischer Abschnitt in den Mittelpunkt gestellt, der die Rettung Israels in größter Not erzählt (2. Mose 14). Ist das eine Ostergeschichte? Ostern feiern wir doch die Auferstehung von Jesus Christus!

In der Predigt wird aber zunächst daran erinnert, wie die Israeliten auf ihrer Flucht aus der ägyptischen Sklaverei in eine Sackgasse geraten sind. Mit dem Meer vor Augen und den Verfolgern im Rücken gab es kein Vor und kein Zurück. Die Menschen sind verzweifelt. Da hat Mose in der Kraft Gottes das Meer geteilt, so heißt es, und das Volk sicher und sogar trockenen Fußes auf die andere Seite gebracht. Die Verzweifelten waren gerettet.

Ja, ich finde, das ist eine Ostergeschichte. Gott rettet aus dem sicheren Tod, weil er zu seinem Wort steht. Zur Erinnerung daran feiern die Juden bis heute das Pessachfest. Und die christlichen Kirchen stimmen heute mit ein. Ich finde es wichtig, die Erinnerung an das Schilfmeerwunder immer wieder aufzufrischen, denn die Gefahr ist vorbei, aber nicht vorüber. Nach den Ägyptern kamen neue Schreckensherrschaften, erst die Assyrer und dann die Babylonier, und viele, viele weitere. Auch heute verzweifeln Menschen unter der Übermacht furchtbarer Schrecken und sehen keinen Ausweg. Ihre Not berührt Gott.

Ostern

Er tut Wunder, denn ohne Wunder geht ist nicht. Die Rettung der Israeliten am Schilfmeer und die Aufweckung von Jesus sind für mich solche Wunder. Niemand konnte mit ihnen rechnen. Sie sind die Ausnahme. Am Schilfmeer ist es gelungen, trockenen Fußes das Meer zu durchqueren. An Ostern ist es gelungen, das Grab aufzubrechen. Und jede Lade in Jad Vaschem bezeugt, wie es gelungen ist, den Mördern zu entrinnen. So schlägt Gott der Tyrannei ein Schnippchen, die keine Ausnahmen kennt. Wenn das einmal gelungen ist, wird es auch wieder gelingen. Das muss erinnert und groß gefeiert werden! Gepriesen sei die Ausnahme, der Spalt im Meer, die Habseligkeiten in den Schubladen in Jad Vaschem, gepriesen sei Gott, der aus dem Tod errettet!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32793
weiterlesen...