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SWR4 Abendgedanken

13OKT2023
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Das Vater Unser ist für mich das Schweizer Taschenmesser unter den Gebeten. Denn es ist etwas Besonderes, passt in ganz verschiedenen Situationen und praktisch finde ich es auch. So wie mein geliebtes Taschenmesser.

Besonders ist das Vater Unser, weil es direkt von Jesus stammen soll. Die Bibel erzählt im Matthäusevangelium, dass Jesus einmal gefragt wurde, wie man beten soll. Seine Antwort war das Vater Unser. Es ist das Gebet, das im Christentum wohl häufigsten gesprochen wird. In allen Teilen der Welt und jeden Tag aufs Neue. Und so verbinde ich mich beim Beten mit Menschen überall und über die Zeiten hinweg, sogar bis zu Jesus zurück. Das ist ein besonderes Gefühl.

Das Vater Unser ist außerdem vielseitig: Es hat seinen festen Platz im Gottesdienst in der Kirche. Aber auch auf dem Ferienlager rund ums Lagerfeuer wird die Stimmung nochmal deutlich feierlicher, wenn die Kinder und Jugendlichen aufstehen, sich die Hände reichen und das Vater Unser beten. Als Betreuer hab ich das oft erlebt: Man spürt, dass wir eine Gemeinschaft sind.

Auch wenn ich allein bete, weiß ich die Vielseitigkeit meines Lieblingsgebets zu schätzen. Sei es am Sterbebett meiner Oma oder wenn ich zu einer langen Reise aufbreche. Das Vater Unser passt für mich. Und je nachdem, was mich beschäftigt, haben die Bitten des Vater Unser unterschiedliche Bedeutung für mich. Das „Vergib uns unsere Schuld“ kommt mir anders über die Lippen, wenn ich mit jemandem zerstritten bin. Und das „Erlöse uns von dem Bösen“ bete ich angesichts der vielen Kriege auf der Welt heute viel inniger als noch vor ein paar Jahren.

Und praktisch finde ich das Vater Unser, weil ich es wie mein Taschenmesser immer dabei habe. Es begleitet mich auf meinem Lebensweg. Und ich weiß, dass es vielen so geht. Das Gebet ein ganzes Leben lang immer wieder zu sprechen, prägt sich tief ein. Wenn ich es mit Demenzkranken bete, hellen sich die Gesichtszüge auf und der Text ist oft kein Problem. Und wenn mir in einer bestimmten Situation die Worte fehlen, dann ist das Vater Unser so vertraut, dass es Halt geben kann.

Ich hoffe, dass ich das Vater Unser nie verlieren werde, genauso wie mein gutes, altes Taschenmesser. Denn das gilt für beide: Sie sind vielseitig, praktisch und etwas Besonderes.

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SWR4 Abendgedanken

12OKT2023
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„Na, wie war mein Tag?“ – das frage ich mich seit ein paar Wochen immer am Abend. Ich hab ein neues Ritual und damit halte ich einen kleinen Rückblick auf meinen Tag. Dabei helfen mir sechs Karten zum Thema „Alles hat seine Zeit“. Dieser Satz stammt aus dem Buch Kohelet aus der Bibel und auf meinen Karten stehen Fragen wie diese hier: War der Tag heute eher einer zum Klagen oder zum Tanzen? Wurde heute etwas in mir geheilt oder gab es neue Wunden? Und dann sitze ich da und führe mir nochmal vor Augen, was alles war: Wen ich getroffen habe, was ich geschafft hab und was liegen geblieben ist. Was gelungen oder was schiefgegangen ist.

Mein Tagesabschluss dauert oft nur fünf Minuten und er tut mir richtig gut. Weil in der Hektik am Tag vieles untergeht, hilft er mir dabei, abends nochmal genauer hinzuschauen. Ich erinnere mich zum Beispiel an meine Nachbarin. Ihr geht es gerade nicht gut, weil sie Stress mit ihrer Familie hat. Davon hat sie mir neulich erzählt, aber ich war in dem Moment irgendwie mit mir selbst beschäftigt und hab ihr gar nicht richtig zugehört. Sowas wird mir dann abends bewusst. Und ich kann ich mir vornehmen beim nächsten Mal ein besserer Zuhörer zu sein. Oder ich entdecke richtige kleine Schätze in meinem Tag, etwa wenn ich an meine beiden Töchter denke. Wie stark und genial ist es, dass sich die Kleine nur kurz nach dem Schwimmkurs schon traut, vom Dreimeterbrett zu springen. Oder wie selbstständig die Große ist, wenn sie sich nach der Schule allein was Ordentliches zum Mittagessen kocht. Durch mein Abendritual werde ich achtsamer und dankbar dafür, wer und was mein Leben ausmacht und was alles in ihm steckt.

Und auch wenn ich manchmal mit der Bilanz eines Tages nicht zufrieden bin, hilft mir mein Ritual, mit den Ereignissen abzuschließen. Im Gebet bringe ich all das vor Gott. Was ich erledigen konnte und was mich gefreut hat, genauso wie das, was noch unausgegoren ist oder wo ich Mist gebaut habe. Ich bitte Gott um seinen Segen für den Tag so bunt oder stressig wie er eben war. Ich bitte um eine gute Nacht, nicht nur für mich. Und dafür, dass ich den nächsten Tag mit allen Facetten und Überraschungen gut annehmen kann. Mit allem Schwierigen, das zum Klagen ist und auch mit allem, das mich innerlich tanzen lässt.

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SWR4 Abendgedanken

11OKT2023
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Die stabile Seitenlage. Die hab ich neulich beim Erste Hilfe Kurs wieder gelernt. Und dazu hat die Trainerin eine Geschichte über ein ganz besonderes Gesicht erzählt. Und zwar über das Gesicht der Puppe, an denen wir die Wiederbelebung geübt haben. Diese Puppen tragen alle die Gesichtszüge einer unbekannten jungen Frau. Sie war Ende des 19. Jahrhunderts in der Seine in Paris ertrunken. Der Arzt, der ihren Leichnam untersucht hat, war von ihrem Aussehen so angetan, dass er eine Totenmaske, also einen Abdruck ihres Gesichts, gemacht hat.

Ich finde das schaurig, dass jemand das Gesicht einer fremden Toten kopiert. Aber die Geschichte geht ja noch weiter: Etwa 60 Jahre später haben zwei Ärzte Puppen zum Üben der Herz-Lungen-Wiederbelebung entwickelt und entschieden, diesen Puppen das Gesicht der unbekannten jungen Frau zu geben. Das ist es bis heute. Aus einer ursprünglichen Totenmaske wurde eine „Lebensmaske“. Ein Gesicht, an dem man lernt, Leben zu retten.

Tod und Leben können sich so nahe kommen. Das hab ich ganz persönlich letztes Jahr im Sommer erlebt. Da ist überraschend mein Vater gestorben und nur ein paar Tage später ist meine Nichte zur Welt gekommen. In mir haben sich beide Gefühle überlagert: die Trauer, dass mein Vater nicht mehr da ist und mir unendlich fehlt. Und gleichzeitig die Freude über die neue Erdenbürgerin. Dadurch war mein Schmerz nicht weg, aber ich hab in mir eine Weite gespürt und obwohl ich auch so traurig war, eine neue Perspektive bekommen.

Für mich ist das ein wichtiger Teil der christlichen Botschaft: Tod und Trauer werden nicht weggelächelt oder ignoriert. Sie sind Teil unseres Lebens und solche schweren Erfahrungen prägen und beschäftigen einen oft jahrelang. Und gleichzeitig glaube ich, dass da mehr ist. Dass es viele Gründe gibt, sich zu freuen, zu hoffen und zu lachen. Darin steckt so viel Leben. Auch für Jesus waren beide Seiten wichtig: Er war für die da, die traurig waren. Und er war gern in Gesellschaft und ist mit einem tiefen Vertrauen auf Gott durchs Leben gegangen. Und seinen Freunden hat er am Ende sogar leibhaftig zu verstehen gegeben: Der Tod ist nicht das Ende, sondern ein Teil des Lebens. Und das letzte Wort hat das Leben.

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SWR4 Abendgedanken

10OKT2023
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Wissen Sie, was ein Atomsemiotiker macht? Atomsemiotiker überlegen, wie man zukünftigen Generationen mitteilen kann, dass in Atom-Endlagern etwas Gefährliches liegt und dass man dort auf keinen Fall bohren oder graben soll. Auch wenn die ganze Problematik rund um mögliche Atom-Endlager bei uns noch nicht ausdiskutiert ist, irgendwann soll der radioaktive Abfall unter der Erde versiegelt werden. Und dann dauert es mehrere 100.000 Jahre, bis er nicht mehr schädlich ist.

die Forscherinnen und Forscher ist das knifflig: Das ist so eine große Zeitspanne, dass man sich das gar nicht vorstellen kann. Vor nur 10.000 Jahren waren wir noch in der Steinzeit und gerade 5.000 Jahre ist es her, dass die Schrift erfunden wurde. Sprache und Zeichen verändern sich und um sie zu verstehen, braucht man den passenden Kontext. Was muss auf einem Schild stehen, damit man eine Warnung auch in ferner Zukunft lesen kann? Und aus welchem Material kann man das herstellen? Eine brauchbare Antwort hat die Atomsemiotik bisher nicht gefunden, aber die Suche geht weiter.

Solche Gedankenspiele zeigen, dass unsere Entscheidungen Konsequenzen haben – und zwar langfristig. Was wir heute tun, hat Auswirkungen für viele kommende Generationen. Auch bei der Frage nach dem Atommüll.

Und als Christ betrifft mich das nochmal auf einer anderen Ebene. Denn ich glaube, dass Gott uns Menschen diese Schöpfung anvertraut hat. Wenn in der Bibel steht, dass der Mensch die Erde bearbeiten und hüten soll, dann ist das für mich viel mehr als eine alte Geschichte. Ich entdecke darin den Auftrag, dass ich das eben ganz konkret mache: die Erde bearbeiten und hüten. Und auch wenn ich gern Auto fahre, versuche ich mich mehr aufs Fahrrad zu schwingen oder mein Gemüse bei der Bäuerin in der Nähe zu kaufen. Ich weiß, dass ich die riesigen Herausforderungen durch den Klimawandel oder eben auch den Atommüll nicht allein lösen kann. Aber zum einen bin ich nicht allein, und immer mehr Menschen werden sensibel für das Thema. Und zum andern glaube ich, dass ich zumindest ein Bisschen was bewirken kann, damit meine Kinder und deren Kinder, und deren Kinder und so weiter – damit sie eine Lebensgrundlage haben und sich an der Schöpfung freuen können. Und genau dafür arbeiten ja auch die Atomsemiotiker. Sie im ganz großen Stil und richtig knifflig; und ich im Kleinen. Und bei mir ist das ja zum Glück gar nicht so schwer.

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SWR4 Abendgedanken

09OKT2023
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Als Religionslehrer gehe ich gerne raus mit meiner Klasse. Vor allem dann, wenn am Ende einer Schulstunde noch ein bisschen Zeit übrig ist. Dann nehme ich immer ein paar Jonglierbälle mit. Ich kann überhaupt nicht jonglieren, aber gemeinsam klappt‘s. Die Jungs und Mädchen stellen sich im Kreis auf und dann fängt eine an. Zum Beispiel Marie. Marie ruft laut „Robin“ und wirft dann gleich den Ball zu ihm. Dann ruft Robin „Karla“ und so fliegt der Ball weiter bis ihn alle einmal hatten. Bei der nächsten Runde werfen sie ihn wieder in derselben Reihenfolge. Irgendwann geb ich noch einen zweiten oder dritten Ball dazu und manchmal auch einen in umgekehrter Richtung. Das Spiel heißt „Gruppenjonglage“, macht richtig Spaß und die Kinder lernen auch was Wertvolles dabei.

Nämlich dass es darauf ankommt, dass ich aufmerksam für die anderen bin. Dass wir einander beim Namen nennen, gut zuhören und Blickkontakt herstellen. Dass wir uns konzentrieren und aufeinander einstellen. Man kann so einen Ball vorsichtig und gezielt werfen – dann kann der andere ihn gut fangen. Oder man kann mit viel zu viel Schmackes schleudern, dann hat der Fänger keine Chance und die ganze Gruppe kommt durcheinander. Und wenn mal ein Ball runterfällt: Fängt dann eine einen Streit an oder schaffen wir es, darüber zu lachen und neu anzufangen?

Was bei der Gruppenjonglage gelingen kann, lässt sich auch prima auf Gesellschaft oder Kirche übertragen. Wenn es da so ähnlich zugeht, dann freut mich das. Vermutlich, weil es mich an das erinnert, was Jesus vor zwei Jahrtausenden schon vorgelebt hat: Wir sind eine Gemeinschaft, in der es auf jede und jeden ankommt. Und wenn unser Miteinander in Balance sein soll, ist es wichtig, dass wir gut aufeinander schauen und uns nicht mit Gewalt Dinge zumuten oder an den Kopf werfen. Es ist schöner, wenn ich mit dem, was der andere mir sagt oder gibt, auch umgehen kann. Nur so kann ich es auch annehmen.

Und genau wie bei der Gruppenjonglage: Es funktioniert alles viel besser, wenn wir mit offenen Augen miteinander umgehen und möglichst niemand aus dem Blickfeld gerät. Dann fühlen sich Menschen gesehen. Und wenn was schief geht: Ich muss nicht gleich den Verantwortlichen kritisieren und nur noch seinen Fehler sehen, schon gar nicht, wenn er aus Versehen passiert ist. Besser über Missgeschicke zusammen lachen und es dann mit neuem Schwung nochmal probieren. Wo das im Alltag gelingt, geht es herzlicher zu und wir können eine ganze Menge Bälle gleichzeitig jonglieren.

Benjamin Vogel aus Freiburg von der katholischen Kirche.

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SWR4 Abendgedanken

06JAN2023
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Das Ende ist nah. Das Ende von Weihnachten. Für die evangelische Kirche endet heute die Weihnachtszeit, für die Katholiken am kommenden Sonntag. Und auch bei mir zu Hause schmücken wir in den nächsten Tagen den Christbaum ab. Und dann wandern Maria, Josef und die Heiligen Drei Könige zusammen mit den anderen Krippenfiguren wieder in den Keller. Das Fest ist äußerlich vorbei. Im Herzen mag ich aber noch länger Weihnachten feiern.

Weihnachten bedeutet für jeden was anderes. Für manche ist es das Familienfest schlechthin. Man hat Zeit füreinander, macht es sich schön. Andere fühlen sich an Weihnachten besonders einsam. Und für viele bedeutet Weihnachten einfach Arbeit, weil sie Ärztin, Pfleger oder Busfahrerin sind.

Die Weihnachtstage sind für alle eine besondere Zeit, selbst wenn man arbeitet. Es sind Ferien und Feiertage und viele Menschen haben Urlaub. Es ist weniger los. Das fällt mir immer zwischen Weihnachten und Neujahr auf, wenn weniger Autos fahren und man Nachbarn beim Spazieren trifft. Diese Woche war schon wieder mehr Trubel und auch daran merke ich, dass die Weihnachtszeit zu Ende geht und langsam wieder der Alltag anklopft.

Doch Weihnachten ist mehr als eine Pause für unsere Gesellschaft. In der Weihnachtsbotschaft steckt so viel Kraft: Gott wird Mensch. Er erlebt am eigenen Leib, wie es sich anfühlt, zu träumen, Bauchweh zu haben, vor Glück zu lachen, geliebt oder ausgestoßen zu sein und schließlich auch, wie es ist zu sterben. Das ist kein ferner, anonymer Gott, sondern einer, der in ganz einfachen Verhältnissen auf die Welt kommt.

Das alles steckt im Weihnachtsfest. Und klar, wenn ich in den Nachrichten von Krieg und Katastrophen höre, dann kommen mir Zweifel, wie ich das mit diesem liebenden, menschgewordenen Gott zusammendenken kann. Kümmert der sich wirklich? Ich kann verstehen, wenn jemand das nicht oder nicht mehr glauben kann. Ich selbst weiß es ja auch nicht, aber ich spüre gerade an Weihnachten, dass ich dieser Botschaft trauen will. Dass ich mich danach sehne, dass es so ist. Und ich erlebe immer wieder, dass schon diese Hoffnung mir Kraft für mein Leben gibt. Weil ich dann manches nicht mehr so schwarz sehe oder meine Sorgen irgendwo abladen kann. Und auch wenn die Weihnachtszeit nun endet, will ich mir diese Hoffnung im neuen Jahr lange bewahren.

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SWR4 Abendgedanken

05JAN2023
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Wer braucht schon Superman? Die wahren Helden sind gerade auf unseren Straßen unterwegs. Sie tragen Kronen und edle Gewänder. Sie haben einen Stern dabei, gehen von Tür zu Tür und zaubern ein Lächeln auf viele Gesichter. Und sie tun dabei viel Gutes. Das sind die Sternsinger.

Jedes Jahr machen tausende Kinder bei der Sternsingeraktion mit und schlüpfen in die Rolle der Heiligen Drei Könige. Die Bibel erzählt davon, wie die Könige zur Krippe gekommen sind. Die Sternsinger erzählen von der Weihnachtsbotschaft und segnen die Wohnungen und Häuser. An jede Tür schreiben sie C+M+B – die Abkürzung für „Christus manisionem benedicat“. Das ist lateinisch und bedeutet übersetzt: „Christus segne dieses Haus“. Und die Sternsinger sammeln Spenden für Kinder in Not. Es ist die weltweit größte Aktion, in der sich Kinder für andere Kinder einsetzen.

Gemeinsam durch die Straßen zu ziehen und Gutes zu tun macht eine Menge Spaß. Das ist wichtig, denn manchmal ist es auch ganz schön anstrengend, wenn es draußen nass und kalt ist. Aber die Sternsinger wissen, dass sich ihr Einsatz lohnt. Dass sie mit dem gesammelten Geld Projekte unterstützen, die Kindern und Jugendlichen überall auf der Welt ganz konkret helfen. Die ALIT Organisation in Indonesien ist ein Beispiel für so ein Projekt. ALIT unterstützt Kinder, die Gewalt erleben. Sie haben dort einen sicheren Ort, an dem sie sich wohlfühlen, und jemanden finden, dem sie sich anvertrauen können. Und sie lernen viel über Kinderrechte. Denn jedes Kind hat das Recht auf alles, was es zum Leben braucht. Zum Beispiel genug zu Essen und Trinken oder eine Schulbildung. Es gibt auch ein Recht auf Mitbestimmung oder eben auf Schutz vor Ausbeutung und Gewalt. ALIT arbeitet nicht nur mit Kindern, sondern setzt sich auch dafür ein, dass Erwachsene verstehen, dass es ihre Aufgabe ist, Kinder zu schützen.

Das alles ist nur möglich durch die Spenden, die die Sternsinger in diesen Tagen sammeln. Sie machen das ehrenamtlich in ihren Ferien. Und auch wenn am Abend die Füße müde und die Hände kalt sind, hört man Lachen und schaut in viele stolze Kinderaugen. Es ist toll, was die Sternsinger bewegen. Und deshalb sind sie für mich richtige Heldinnen und Helden.

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SWR4 Abendgedanken

04JAN2023
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Welche Kraft ein Lächeln hat, spüre ich jeden Tag, wenn ich mit dem Auto in unsere Straße reinfahre. Seit ein paar Wochen hängt da so eine elektrische Tafel, die anzeigt, mit welchem Tempo man unterwegs ist. Bin ich zu schnell, blinkt die Tafel rot. Ich bremse und fühle mich ertappt. Fahre ich langsam genug, leuchtet mir ein grüner Smiley entgegen. Obwohl ich weiß, dass es nur eine Maschine ist, die mich da anlächelt, löst das trotzdem ein gutes Gefühl bei mir aus. Ich freu mich ein bisschen und lächle dann manchmal auch. Und ich fahre inzwischen meistens mit der richtigen Geschwindigkeit. Das System funktioniert also. Und es zeigt mir: Ein Lächeln kann etwas bewirken – sogar ein elektronisches Lächeln.

Und das ist nicht nur im Straßenverkehr so. Neulich beim Frühstück hat meine Tochter was Spannendes aus dem Kindergarten erzählt und dabei ein bisschen zu heftig mit den Armen gewedelt. Der Inhalt ihrer vollen Müslischüssel ist über den Tisch, ihre Hose und den Teppich gelaufen. Eine Riesensauerei. Ich bin froh, dass ich es geschafft hab, nicht gleich loszuschimpfen, wie mir das sonst oft passiert. Ich konnte lächeln – so ein „Das passiert halt – Lächeln“ und das Ganze war in Nullkommanichts entschärft.

Die Kraft des Lächelns zeigt sich auch, wenn man verliebt ist, und die oder der andere einem ein Lächeln schenkt. Da passiert etwas im Körper. Das löst eine richtige Gefühlskaskade aus. Es kribbelt und einem wird heiß und kalt zugleich. Von einer Sekunde auf die andere. Ein tolles Gefühl. Und das alles durch ein einziges Lächeln.

Es gibt aber auch Lächeln, das weh tut. Wenn ich meiner Kollegin etwas Persönliches erzähle und sie das mit einem falschen Lächeln einfach abtut. Oder wenn ein Abiturient belächelt wird, der sich für einen pflegerischen Beruf interessiert. Und es gibt Tage, an denen mir einfach nicht nach Lächeln zumute ist.

Es ist dann etwas Besonderes, wenn ich nach solchen Tagen doch immer wieder ein Lächeln finde. Wenn meine Kinder mir einen Streich spielen und sich freuen, wenn es klappt. Oder wenn ich sehe, dass eine Schülerin richtig zu strahlen beginnt, weil sie was Tolles geschafft hat. In solchen Momenten wandern dann auch meine Mundwinkel nach oben und ich spüre, wie gut mir tut, wenn ich lächle.

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SWR4 Abendgedanken

03JAN2023
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Ich liebe Lagerfeuer, gerade auch jetzt im Winter. Das Geräusch von knisterndem Holz und die Wärme, die mich durchströmt. Der typische Rauchgeruch, der mir noch am Tag danach in den Kleidern steckt. Und vielleicht gibt es sogar Stockbrot und man isst zusammen. Denn am meisten mag ich die Atmosphäre, die entsteht, wenn man gemeinsam ums Feuer sitzt. Das hat so was Ursprüngliches und ist für mich immer was Besonderes. Man redet anders, wenn man zusammen draußen ist. So persönliche Gespräche wie am Lagerfeuer hab ich sonst nie. Und ich finde es auch fantastisch, dass man problemlos eine Weile stumm dasitzen und den Flammen zuschauen kann und jeder seinen eigenen Gedanken nachgeht.

Weil ich so ein Lagerfeuer-Fan bin, spricht mich auch eine Geschichte mit Jesus ganz besonders an, die sich am Feuer abspielt. Da wird erzählt, dass die Jünger die ganze Nacht lang fischen, aber nichts fangen. Dann schickt sie Jesus nochmal los. Und als sie dann mit einem übervollen Netz zurückkommen, gibt es von Jesus keine lange Predigt. Keine Ansprache, dass man den Mut nicht aufgeben und es einfach nochmal probieren soll. Nein, als sie ankommen, brennt schon das Feuer. Es ist alles vorbereitet. Es gibt geröstetes Brot und gegrillten Fisch. Alle setzen sich und essen miteinander. Es ist für die damalige Zeit eine ganz alltägliche Szene und doch muss die Stimmung besonders gewesen sein.

Für mich ist das ein Bild, wie Kirche und Gemeinde in meinen Augen sein sollten: wie eine Lagerfeuergemeinschaft mit Jesus. Kirche nicht als kalte und bürokratische Organisation, die sie oft ist. Nicht als Institution, wo es darum geht, Macht zu haben und diese Macht missbraucht wird. Das fühlt sich für mich nicht nach Jesus an. Ich glaube, Kirche sollte vielmehr eine Gemeinschaft sein, wo Menschen zusammenkommen und Zeit miteinander verbringen. So wie am Lagerfeuer. Ein Ort, wo alle willkommen sind und an dem man die Seele wärmen kann. Wo man sich davon erzählt und miteinander teilt, was einen freut oder was einem Sorgen bereitet. Wo man lacht, einander tröstet oder auch miteinander schweigt. Das wäre eine Gemeinschaft, bei der ich gern dabei wäre und ich glaube sogar, dass sich auch Jesus bestimmt bei einer solchen Lagerfeuerkirche dazusetzen und mitgrillen würde.

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SWR4 Abendgedanken

02JAN2023
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Das neue Jahr ist erst zwei Tage alt und dauert noch 363 weitere. Das klingt nach viel, aber was ist schon ein Jahr gegen das längste Orgelkonzert der Welt? Es hat vor etwa 20 Jahren begonnen und soll noch 617 Jahre, 8 Monate und 3 Tage dauern. Wenn alles gut geht, ist es erst im Jahr 2640 zu Ende.

Das Ganze ist ein faszinierendes Projekt: Das Stück, das aufgeführt wird, hat der Amerikaner John Cage komponiert. Er hat oben über die Noten geschrieben, dass man so langsam wie möglich spielen soll, „as slow as possible“. 1998 haben Musikwissenschaftler diskutiert, was das heißt. Und daraufhin haben musikbegeisterte Menschen dieses Projekt in einer Kirche in Halberstadt in Sachsen-Anhalt gestartet. Weil das Stück so langsam gespielt wird, ändert sich der Klang nur alle paar Monate. Oft vergehen sogar Jahre zwischen zwei Klangwechseln. Die Orgel wurde extra für dieses Musikstück gebaut, denn keine Organistin könnte tagelang dasitzen und eine Taste drücken. So sorgen kleine Sandsäcke dafür, dass die Töne rund um die Uhr erklingen. Das scheint ein ziemlich langweiliges Konzert zu sein und zieht doch tausende Besucher an.

Mich fasziniert vor allem die zeitliche Dimension des Konzerts, es ist ja auf sage und schreibe sechshundert Jahre angelegt. Wenn ich darüber nachdenke: Vor 600 Jahren waren wir im ausgehenden Mittelalter. Falls das Experiment in Halberstadt glückt: Wie wird das Leben der Menschen im Jahr 2640 sein? Ich hinterfrage mein eigenes Verhältnis zur Zeit, denn das Musikstück ist das krasse Gegenteil von Schnelllebigkeit und Termindruck. Man kann das Gefühl bekommen, dass die Zeit dort in der Kirche von Halberstadt still steht.

Ein bisschen geht es mir auch so, wenn ich eine alte Burgruine oder Kirche besichtige. Ich bekomme eine Ahnung davon, was es heißt, Teil von etwas Größerem zu sein. Ich denke an diejenigen, die vor mir gelebt haben und an die Generationen, die nach mir kommen. Und mir begegnet Gott in diesem Gefühl. Weil ich glaube, dass Gott der Anfang und das Ziel von allem ist. Solche Orte, an denen mir diese Dimension von Zeit bewusst wird, haben etwas Heiliges. Sie schenken eine Ahnung von der Ewigkeit.

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