Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR4

 

Autor*in

 

Archiv

SWR4 Abendgedanken

22NOV2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Heute Abend muss ich mal zwei richtig platte Stammtischparolen zitieren. Ich höre sie leider immer wieder: auf dem Schulhof oder abends auf dem Dorffest. Schlimme Sätze wie: „Die Juden kontrollieren die Welt.“ und „Schwule sind doch alle krank.“ Wenn jemand so was sagt, will ich das nicht so stehen lassen. Aber meistens bin ich nicht besonders schlagfertig.

Jetzt hab ich genau passend dazu eine App für mein Handy gefunden. Sie heißt „Konterbunt“. Ja, richtig gehört: „konterbunt“ – vorne mit einem „o“. Diese Wortschöpfung aus „kontern“ und „bunt“ ist genial, denn es geht darum dagegen zu halten, wenn jemand was Diskriminierendes sagt. Denn jeder hat das Recht zu glauben, was er oder sie will und zu lieben, wen man will. Und niemand darf wegen seiner Herkunft diskriminiert werden oder weil er eine andere Hautfarbe oder eine Behinderung hat. Das macht unsere Gesellschaft bunt und ist sehr bereichernd.

„Konterbunt“ liefert Argumente für die Hosentasche. Und wenn ich zum Beispiel meine Tochter vom Tanzen abhole und im Auto warte, kann ich mit der App mal eben schnell trainieren, was eine gute Antwort auf solche Parolen ist. Die App schlägt mir verschiedene Sätze vor und ich suche die Antwort aus, die am besten passt. Zum Beispiel kann ich auf die üble Parole „Schwule sind doch alle krank.“ antworten: „Wie würde es dir gehen, wenn jemand deine Gefühle als Krankheit beschreibt?“ Ich bin realistisch: Mein Gegenüber wird bestimmt nicht gleich überzeugt sein, nur weil ich einen guten Konter bringe. Aber vielleicht denkt er oder sie nach dem Gespräch nochmal drüber nach. Und alle drumherum merken, dass man sich solche Sätze nicht einfach anhören muss, sondern was dazu sagen kann.

Hinzustehen und Haltung zu zeigen, wenn jemand Parolen schwingt, das hat Jesus auch wunderbar vorgemacht. Er hat sich konsequent auf die Seite derer gestellt, die in der Gesellschaft verachtet wurden. Und ich finde, dass „Konterbunt“ Jesus-mäßig aufgebaut ist. Die App trainiert einen nämlich genau in die Richtung: dass ich den anderen nicht bloßstelle und nicht provoziere. Denn – so sagt die App – wer eskaliert, verliert. Wenn ich aber trotzdem dagegen halte und wir es schaffen, im Gespräch zu bleiben, dann gibt es vielleicht die Chance, dass mein Gegenüber seine Meinung ändert.

Es ist wichtig, diejenigen zu unterstützen, die diskriminiert werden. Und dass wir miteinander reden. Für ein gutes Gesprächsklima braucht es ganz viele, die die richtigen Worte finden. Es ist klasse, wenn „Konterbunt“ dabei hilft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41049
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

21NOV2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Spinnen, Hunde, Höhen – das sind die Top 3 der Dinge, vor denen sich meine Schülerinnen und Schüler fürchten. Wir sprechen im Religionsunterricht über „Angst“ und haben erstmal eine Umfrage gemacht. Mit den Top-3 Antworten hab ich schon gerechnet, aber meine Sechstklässler haben auch Sachen aufgeschrieben, bei denen ich schlucken musste:

„Angst vor der Schule“ oder „Angst davor, dass meine Eltern sterben“. Puh… Heftig, welche Ängste meine elfjährigen Schüler schon begleiten.

Dann beginnen wir und überlegen zusammen, welche guten und welche schlechten Seiten Angst hat. Bei den schlechten kommt schnell was zusammen: Luisa meldet sich: „Angst macht einsam, wenn man sich was nicht traut.“ Und Tom ergänzt: „Angst spürt man im ganzen Körper – man wird starr, oder zittert und hat ein blödes Gefühl im Bauch.“ Beim Positiven überlegen meine Schüler länger. Nach einer Weile meint Maxym: „Wenn ich Angst habe irgendwo runterzufallen, passe ich viel besser auf und mir passiert nichts.“ Von anderen kommt: „Angst kann auch Spaß machen – wenn man sich in der Geisterbahn gruselt.“ Oder „Es fühlt sich toll an, wenn ich meine Angst überwinde und mich etwas traue.“

Und schließlich sammeln wir Rezepte, was man gegen Ängste machen kann. Mit einer Ärztin oder Therapeutin sprechen. Oder sich informieren: Denn wenn ich mich richtig gut mit Spinnen auskenne, finde ich sie vielleicht irgendwann nicht mehr schlimm, sondern voll interessant. Niemand muss seine Ängste unterdrücken oder wegschieben. Manche Ängste bleiben Lebensbegleiter. Aber wenn ich merke, dass sie mich zu sehr einschränken, dann darf ich auch Hilfe annehmen.

So überlege ich mit meinen Schülerinnen und Schülern, und dann kommt die Frage von Tom: „Und was hilft, wenn ich Angst habe, dass meine Eltern sterben?“ Da wird es ruhig im Klassenzimmer, aber allmählich können wir auch darüber reden. Jemand schlägt vor, mit den Eltern oder Freunden über diese Angst zu sprechen. Was für eine wunderbare Idee. Immer wenn ich mit jemandem darüber rede, was mich belastet, merke ich, dass ich mit meiner Angst nicht alleine bin. Im besten Fall merke ich, dass es andere gibt, denen ich mich anvertrauen und auf die mich verlassen kann.

Am Ende der Stunde schnauft Tom einmal tief durch. Er war derjenige, der mit seiner Frage das Gespräch erst so richtig ins Rollen gebracht hat. Jetzt wirkt er erleichtert. Seine Angst ist sicher noch nicht weg, aber wir haben ihr gemeinsam ein bisschen den Schrecken genommen. Denn: Über Ängste sprechen hilft. Immer.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41048
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

20NOV2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Bitte anklopfen, sonst werdet ihr zu Schnitzel!“ Das hat meine Tochter auf einen Zettel gekritzelt und an ihre Zimmertür gehängt. Wir sind vor ein paar Wochen umgezogen, seitdem hat sie ein eigenes Zimmer. Und sie legt großen Wert darauf, dass niemand ungefragt reinplatzt. Das ist ihr gutes Recht. Dafür steht sie ein. Und das finde ich – auch wenn’s manchmal anstrengend ist – richtig gut. Es ärgert mich zwar auch irgendwie, dass sie uns droht. Aber gleichzeitig bin ich auch glücklich, dass sie so selbstbewusst sein kann. Und dass sie weiß, was ihre Rechte sind, auch als Kind.

Genau heute vor 35 Jahren haben die Vereinten Nationen die Kinderrechtskonvention verabschiedet. Dort sind die sog. „Kinderrechte“ festgelegt. Zum Beispiel das Recht jedes Kindes auf gewaltfreie Erziehung, das Recht, eine Schule zu besuchen und das Recht auf Freizeit, also zu spielen, sich zu erholen und kreativ zu sein. Knapp zweihundert Staaten haben die Konvention unterzeichnet und sich verpflichtet, die Kinderrechte politisch zu berücksichtigen.

Das klingt gut, aber die Realität sieht meistens anders aus. Denn vielen Kindern in der Welt geht es schlecht: 250 Millionen von ihnen, vor allem Mädchen, gehen nicht in die Schule und ganz viele von ihnen müssen arbeiten und werden dabei ausgebeutet. Und auch bei uns in Deutschland ist nicht alles in Butter: Viele Kinder sind arm oder Kindergärten und Schulen sind total unterfinanziert, so dass Unterricht in maroden Gebäuden stattfindet oder gleich ganz ausfällt.

Weil das mit den Kinderrechten so wichtig ist, gibt es nicht nur offiziell den „Internationalen Tag der Kinderrechte“ heute, sondern auch in gut sechs Wochen eine riesige Aktion. Dieses Jahr setzen sich nämlich auch die Sternsinger besonders für Kinderrechte ein. Sie sammeln Spenden für Projekte auf der ganzen Welt, die Kindern helfen, deren Rechte eben nicht geachtet werden.

Meine Tochter wird auch wieder mitmachen. Das passt gut zu ihr. Denn sie kann sich super in andere Kinder hineinversetzen und merkt sofort, wenn es irgendwo nicht gerecht zugeht. Wenn sie bei den Sternsingern genauso energisch dabei ist, wie sie das Recht auf ihr Kinderzimmerreich einfordert, wird das im Januar eine gute Sache.

Und was dabei auch noch ein starker Nebeneffekt ist: Sie sieht, dass sie nicht machtlos ist, sondern dass sie was bewegen kann. Dass es sich lohnt, wenn sie aufsteht und sich für andere stark macht. Auch in Sachen Kinderrechte.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41047
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

19NOV2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich war im ersten Moment erschrocken. Und sofort hatte ich diesen Satz im Kopf: „Das gehört sich doch nicht.“ Ein Lied über Laster und Prostitution beim Warten auf den Papst. Die katholische Kirche ist doch in ihrer Lehre über Sexualität eindeutig. Und selbst wenn die Jugendlichen das nicht so genau wissen, es muss ihnen doch klar sein, dass dieses Lied hier kurz vor dem Vatikan so gar nicht passt. Das denke ich zumindest. Aber offenbar stolpere nur ich über den Stilbruch. Ein paar Minuten später singen sie was ganz Anderes und als wir dann auf dem Petersplatz sind, hören sie aufmerksam dem Papst zu.

An diesem Nachmittag in Rom hab ich mal wieder gelernt, was es heißt, katholisch zu sein. Also dass das, was die Jugendlichen machen, eben auch katholisch ist. Auch wenn manche Kirchenleute rote Ohren kriegen. Die Ministranten, die bei der Wallfahrt dabei waren, sind die Zukunft unserer Kirche. Und sie gehen erfrischend unverkrampft an die Themen ran und fühlen sich wunderbar wohl dabei.

Und ganz allgemein sind Verkrampfungen nichts Gutes. Sie machen eng und schränken ein. Natürlich ist es wichtig, auf Grenzen zu achten und anständig miteinander umzugehen. Aber je nach Situation tut es gut, auch mal locker zu bleiben und das Ganze mit einem Augenzwinkern zu nehmen. Denn das wirkt Wunder: Meine Jugendlichen in Rom haben mit ihrem Humor die heftige Hitze überstanden. Sollen sie dabei doch singen, was sie wollen. Und auch mir geht es besser, wenn ich gelassener bin und manches nicht zu eng sehe. So lassen sich sogar Schranken im Kopf abbauen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41046
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

18NOV2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Manchmal muss man sich so richtig ins Zeug legen und sich dabei auch noch voll einsauen. Das hab ich beim Pizzabacken gelernt. Wenn wir backen, übernimmt meistens unsere Küchenmaschine die klebrige Arbeit. Alle Zutaten rein, anschalten und warten, bis der Teig fertig ist. Aber neulich habe ich einen besonders fluffigen Pizzateig gemacht. Im Rezept stand ausdrücklich, dass man die Zutaten von Hand vermengen soll und dann den Teig eine halbe Ewigkeit kneten, falten und auf die Arbeitsfläche hauen. Richtig viel Arbeit und eine ordentliche Sauerei. Und wie ich da schnaufend und mit klebrigen Händen in der Küche stehe, denke ich an einen Vergleich, den Jesus gezogen hat. Da kommt auch ein Teig vor.

Bei dem Vergleich erklärt Jesus: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter drei Scheffel Mehl mengte, bis er ganz durchsäuert war.“

Da fühl ich mich in meiner Pizza-Backstube direkt angesprochen. Denn das mit dem Himmelreich fängt ganz unscheinbar an. So wie bei meinem Teig. Wenn ich nach der Ruhezeit das Küchentuch lupfe, bin ich immer gespannt und freu mich, wenn er so richtig an Volumen zugelegt hat. Und Jesus erzählt da nicht nur von ein bisschen Teig, sondern von einer riesigen Menge. Drei Scheffel Mehl, das sind mehr als 22 Kilo! Für diese riesige Menge reicht ein kleines bisschen Sauerteig aus. Aber neben dem Sauerteig braucht es auch die Frau, die die da in der Backstube richtig ackert. Bei 22 Kilo Mehl muss sie viel kneten.

Es braucht also beides: Gottes Wirken – unscheinbar wie die Bakterien und Hefen im Sauerteig – und jemanden, der sich so richtig ins Zeug legt. Gott zaubert das Himmelreich nicht einfach her, also seine neue Welt, wo es allen gut geht. Sondern Himmelreich entsteht, wenn ich loslege und mich voll reingebe. Dass ich helfe, wenn jemand Unterstützung braucht. Jemanden besuche oder anrufe, der einsam oder krank ist. Wenn ich da nicht schweige, wo andere ungerecht behandelt werden. Das ist anstrengend und kostet Mühe, aber so wird das Himmelreich Stück für Stück Realität.

Ich hab an dem Abend unsere Küche wieder sauber gekriegt. Die Pizza war lecker und das Abendessen hat uns nicht nur satt gemacht, sondern es war auch sonst schön, dass wir beieinandersaßen und Zeit hatten. Bei der Frau in der Bibel stelle ich mir vor, dass sie aus ihren 22 Kilo Mehl jede Menge Brot gebacken hat. Und dass sie das dann verteilt hat, so dass richtig viele davon satt wurden – wie im Himmelreich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41045
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

05JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Schwimmbadpommes sind für mich einfach die besten Pommes, am liebsten eine große Portion mit ordentlich Ketchup und Mayo. Ich esse Pommes eigentlich immer gern. Aber im Freibad schmecken sie ganz besonders gut. Vielleicht ist es dieser besondere Mix aus frischer Luft, Sonnencremeduft und Chlor, der Schwimmbadpommes so unwiderstehlich macht. Oder vielleicht lechzt mein Körper nach Kalorien, die er nach einem langen Tag mit Schwimmen und Rutschen dringend braucht.

Diese Kombination aus einem bestimmten Ort und einer Sache, die für mich dort besonders gut oder intensiv ist, kenne ich auch in anderen Zusammenhängen. Zum Telefonieren gehe ich zum Beispiel am liebsten nach draußen. Ich laufe meistens eine ganz bestimmte Route, auf der ich nicht so vielen Leuten begegne. Unterwegs freu ich mich an den Feldern und dem schönen Ausblick. Und ich merke, dass ich dort draußen auf meinem Weg freier sprechen kann. Und ich kann meinem Gegenüber auch besser zuhören.

Ort und Stimmung sind auch für mein Glaubensleben wichtig: Ich gehe nämlich ganz klassisch zum Beten gern in eine Kirche. Ich glaube schon, dass Gott mich jeden Tag begleitet und bei mir ist. Und dass ich deshalb auch überall beten kann. Im Bett, im Auto oder am Schreibtisch. Aber so ganz in Ruhe kann ich beten, wenn ich dafür in eine Kirche gehe. Ich rieche das Wachs der Kerzen, die andere Leute vor mir angezündet haben. Vielleicht schwebt auch noch ein Hauch von Weihrauch durch das Kirchenschiff. Die Sonne bricht sich in den bunten Fenstern. Vielleicht spielt sogar jemand Orgel. Ich suche mir einen Platz irgendwo in den Kirchenbänken. Und dann setze ich mich einfach und fahre innerlich runter. Und auch hier ist es wieder meine Umgebung, die mich das Ganze intensiver erleben lässt. Es ist die besondere Mischung aus Düften, Licht und Einrichtung, die dafür sorgt, dass ich in Kirchen schnell ins Gebet finde und das Gefühl habe, dass Gott mir hier besonders nahe ist. Natürlich klappt das nicht immer und es gibt Tage, da spüre ich nichts von Gottes Nähe. Aber Ort und Atmosphäre helfen mir oft beim Runterkommen und Kraft tanken.

Ich bin froh, dass ich immer wieder spüre, was mir guttut: in einer Kirche, beim Telefonieren oder im Schwimmbad. Dass ich weiß, wie ich am besten mit Gott zur Ruhe komme. Wie ich aufmerksam zuhören und selbst erzählen kann. Oder an welchem Ort die Pommes unvergleichlich lecker sind.

Benjamin Vogel aus Freiburg von der katholischen Kirche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40217
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

04JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Mein Bruder ist Förster und sieht den Wald mit ganz anderen Augen als ich. Wenn ich im Wald bin, höre ich die Vögel zwitschern, sehe wie das Licht durch die Baumkronen bricht und finde das einfach idyllisch. Doch mein Bruder sieht überall um sich herum Entscheidungen, die Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte zurückliegen. Denn im Wald ist vieles gestaltet und ganz bewusst gelenkt worden. So haben die Vor- und Vorvorgänger meines Bruders einmal entschieden, welche Baumarten es geben soll oder wo im Bestand etwas gefällt wurde, damit bestimmte Pflanzen besser wachsen konnten. Mein Bruder weiß haargenau: Im Wald dauert es oft viele Jahrzehnte, bis man sieht, ob eine Entscheidung weise und richtig war oder ob sie in die falsche Richtung geführt hat.

Ich bin beeindruckt, dass auch mein Bruder solche Entscheidungen trifft, von denen er wahrscheinlich selbst nicht mehr erleben wird, ob der Plan dahinter einmal aufgeht oder nicht. Zwei Dinge helfen ihm dabei: Er macht sich ein gründliches Bild der Lage, bevor er dann sorgfältig nach bestem Wissen und Gewissen entscheidet. Und außerdem vertraut er darauf, dass seine Kollegen vor ihm das damals auch so gemacht haben. Und dass seine Förster-Nachfolger einmal verstehen werden, welches Ziel er mit seiner Arbeit im Wald hatte. Und dass sie das in guter Weise weiterführen oder anpassen, wenn etwas Unvorhergesehenes dazwischen kommt.

Von der Art, wie mein Bruder im Wald Entscheidungen trifft, kann ich viel lernen, zum Beispiel für die Kindererziehung: Auch hier tut es gut, wenn Erwachsene sorgfältig entscheiden, weitsichtig sind und viel Geduld mitbringen. Denn es dauert oft Jahrzehnte, bis man sieht, wie sich entwickelt, was man gesät hat. Und wenn die Kinder später groß sind, will ich ihnen vertrauen und sie loslassen können. Vertrauen, dass meine Kinder später als Erwachsene selbst überlegt handeln und ihr Leben gelingen wird. Da kann es gut sein, dass ich vielleicht nicht verstehe, warum sie etwas tun. Aber ich kann darauf zählen, dass sie dafür gute Gründe haben und dass sie aus der Situation das Beste machen wollen.

Das wünsche ich mir: Dass ich es ab und zu schaffe, in Ruhe und sorgfältig zu entscheiden und dass ich dann auch mit Vertrauen in Richtung Zukunft loslasse. So wie mein Bruder als Förster im Wald.

Benjamin Vogel aus Freiburg von der katholischen Kirche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40216
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

03JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Da ist er, der Gipfel! Meine Familie und ich sind ziemlich außer Puste. Gleichzeitig sind alle stolz, dass wir am Ziel unserer Bergtour angekommen sind. Doch bevor wir die Aussicht von hier oben genießen und es die wohlverdiente Vesperpause gibt, stellen wir uns alle ums Gipfelkreuz und machen ein Selfie fürs Familienalbum. Wir haben zwar schon eine Menge solcher Fotos, aber wir sammeln trotzdem gerne weiter. Denn Gipfelkreuze sind immer etwas Besonderes, auch wenn es so viele davon gibt. Allein in den West- und Ostalpen zieren rund 4.000 davon die Berggipfel.

Gipfelkreuze markieren einen höchsten Punkt, aber nicht nur das. Sie zeigen an, dass man es nach langer Wanderung endlich geschafft hat. Sie gehören zum Bergpanorama einfach dazu, so wie Kühe oder Almhütten. Die ersten Gipfelkreuze wurden schon im Mittelalter aufgestellt. Im 20. Jahrhundert gab es dann eine richtige Blütezeit: Denn nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten viele Gemeinden Gipfelkreuze, um der Gefallenen zu gedenken oder als Dank dafür, dass Männer wieder nach Hause zurückgekehrt sind. Und so gibt es heute in manchen Regionen kaum einen Berg ohne Kreuz.

Ich schaue mir unser Familienselfie nochmal an und sehe, wie wir alle ziemlich geschafft und gleichzeitig glücklich aussehen. Und hinter uns das Gipfelkreuz. Es zeigt erstmal, dass wir gemeinsam eine anstrengende Herausforderung gemeistert haben. Außerdem ist es als Kreuz ein Zeichen für meinen Glauben und meine Beziehung zu Gott. Und dann bin ich auch beeindruckt davon, dass es Menschen gab, denen es offenbar wichtig war, dass hier ein Kreuz steht. Die dafür gespendet haben oder selbst Material hier raufgebracht und mitgebaut haben. Bergkreuze faszinieren mich einfach, weil in ihnen so viel steckt.

Kein Wunder also, dass ich auf dem Foto mit dem Gipfelkreuz so strahle. Und dazu kommt noch was anderes, was ich jedes Mal erlebe, wenn ich auf einem Gipfel stehe. Ich fühle mich erhaben und werde gleichzeitig demütig, weil ich im Vergleich zu diesem riesigen Berg so klein bin. Oben auf dem Gipfel ist es ruhiger, ich fühle mich dem Himmel ein Stück näher und ich bekomme eine neue Perspektive. Sie lässt mich anders auf meinen Alltag blicken und ich erkenne, dass es noch so viel mehr gibt, als die Probleme oder Sorgen, die sich so oft in den Vordergrund schieben.

Diese Gedanken nehme ich gerne vom Berg oben mit runter für den Rückweg ins Tal. Und unser Familienfoto vor dem Gipfelkreuz erinnert mich daran.

Benjamin Vogel aus Freiburg von der katholischen Kirche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40215
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

02JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Heute, genau um Mitternacht, ist Halbzeit. Dann ist die erste Hälfte des Jahres vorbei und die zweite bricht an. 2024 ist ein Schaltjahr, also sind heute Nacht 183 Tage vergangen und genauso viele kommen noch. Jahresrückblicke kenne ich aus dem Dezember. Doch mitten im Sommer hat so ein Blick zur Halbzeit auch was für sich. Dann kann ich auf die erste Jahreshälfte zurückblicken, und gleichzeitig kann ich überlegen, was das zweite Halbjahr noch bereithalten mag.

Der große Experte in Sachen Rückblick ist für mich Ignatius von Loyola. Er hat im 16. Jahrhundert in Südeuropa gelebt und ist der Gründer des Jesuiten-Ordens. Ignatius hat jeden Abend auf seinen Tag zurückgeschaut. Das war ein wichtiger Teil seiner Spiritualität. Schon vor 500 Jahren war das eine echte Achtsamkeitsübung und noch heute beten viele Menschen nach seinem Vorbild das sogenannte „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“.

Dieser Rückblick geht so: Zuerst werde ich still und bitte Gott darum, dass ich offen bin, damit ich nüchtern und ehrlich auf mein Leben schauen kann. Dann gehe ich meinen Tag Stunde für Stunde durch. Ich erinnere mich daran, wo ich war, wen ich getroffen und was ich gemacht habe. Wie war das für mich? Eher befreiend und leicht oder hat es runtergezogen? Das, was ich jetzt empfinde, gebe ich Gott. Das, was mich belastet, kann ich so vielleicht besser loslassen. Und für das Gute kann ich dankbar sein.

Dann schaue ich auf den kommenden Tag. Wovor habe ich Angst? Und worauf freue mich ich schon so lange? Was sind die nächsten Schritte? Ich bitte Gott, dass er segnet, was kommt und um Kraft, wenn es für mich mühsam und schwer wird.

Das tut abends gut und ordnet, was an Erlebnissen und Gedanken in mir ist. Und heute – genau in der Mitte dieses Jahres – schaue ich weiter zurück und lasse den Blick über die letzten Monate schweifen. Was hab ich dieses Jahr schon erlebt und geschafft? Was war einfach wunderbar?  Was belastet mich noch? Was sind Meilensteile und was ist noch offen? Und ich schaue nach vorn. Was die nächsten sechs Monate wohl kommt? Manches kann ich schon erahnen, doch bestimmt wird mich auch Vieles kräftig überraschen.

Heute Abend bete ich passend zur Mitte des Jahres so: Gott, bitte segne mein Jahr. Alles, was in der ersten Hälfte schon war, und auch die zweite Jahreshälfte. Segne die Menschen, die mir begegnen. Begleite mich, wenn ich enttäuscht werde, wenn ich mich über etwas freue und bei allen anderen Abenteuern. Amen.

Benjamin Vogel aus Freiburg von der katholischen Kirche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40214
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

01JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ist das Bad geputzt? Habe ich überall staubgesaugt? Und haben wir genug von den hübschen Tellern?

Das geht mir durch den Kopf, wenn wir Besuch bekommen. Denn ich will, dass es unsere Gäste schön haben. Dass sich alle wohlfühlen. Und zum Essen oder Trinken soll es ja auch was Besonderes sein. Sind eigentlich schon Getränke kaltgestellt?

So helikoptere ich durch die Wohnung, bis der Besuch endlich da ist. Ich muss zugeben: Als Gastgeber bin ich ganz schön angespannt.

In der Bibel gibt es eine Gastgeberin, die ähnlich tickt wie ich. Die Frau heißt Martha und ihr gibt Jesus einen Ratschlag, der es für angespannte Gastgeber in sich hat.

Die Episode geht so: Jesus besucht Martha und ihre Schwester Maria. Die beiden wohnen zusammen. Maria setzt sich zu Jesus und hört ihm zu. Ganz anders Martha. Sie wirbelt durchs Haus und ist völlig davon eingenommen, dem hohen Besuch einen würdigen Empfang zu bereiten. Alles muss stimmen. Doch dann ist sie irgendwann genervt davon, dass ihre Schwester Maria ihr nicht hilft. Prompt sucht Martha Unterstützung bei Jesus. Nach dem Motto: „Das findest du doch auch nicht ok, dass meine Schwester nichts tut. Sag doch mal was.“ Aber Jesus bleibt cool und meint: „Martha, Martha, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.“

Na super – da erhofft sich Martha Unterstützung und will bestätigt werden für das, was sie alles hinkriegt. So liebevoll, fleißig und voller Mühe. Und dann kommt Jesus mit so einem Spruch. Der hätte mich an Marthas Stelle völlig auf die Palme gebracht. Doch ich ahne, worauf Jesus vermutlich hinaus will: Maria ist ganz bei ihrem Besuch. Das ist wohl das, was Jesus „notwendig“ nennt. Maria steht nicht dauernd auf oder überlegt, was noch zu tun ist. Sie kostet die Zeit mit ihrem Gast aus.

Davon kann ich mir als angespannter Gastgeber eine Scheibe abschneiden. Natürlich hab ich mir beim Backen Mühe gegeben und der Kuchen ist lecker geworden. Aber jetzt ist es wichtig, dass ich mir Zeit nehme, ihn zusammen mit meinen Gästen zu genießen.

Ganz beim Anderen sein: Das ist das „Notwendige“, „der gute Teil“, den Maria gewählt hat. Und der umtriebigen Gastgeberin Martha, und auch mir, tut es sicher gut, wenn ich es schaffe, irgendwann mit dem Wirbeln aufzuhören. Und wenn ich schlicht und einfach „da bin“.

Benjamin Vogel aus Freiburg von der katholischen Kirche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40213
weiterlesen...