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SWR4 Abendgedanken BW

Geschenke haben es in sich. Geschenke sind oft verbunden mit einer bestimmten Absicht, und  mit einer Geschichte. Die Konzertkarten, die mir eine Bekannte geschenkt hat, sind verbunden mit der Geschichte einer langen Fahrt mit vielen Hindernissen. Die Reisetasche von der Jugendgruppe erinnert an die zahlreichen gemeinsamen Unternehmungen, die wir in vielen Jahren miteinander gemacht haben.
Geschenke sind oft verbunden mit einer Geschichte. Zu den eindrücklichsten Geschichten, die die Bibel erzählt, gehört die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland oder den heiligen drei Königen, wie sie auch genannt werden. Ihre Geschenke sind Gold , Weihrauch und Myrrhe. Diese Gaben sind so etwas wie die ersten Weihnachtsgeschenke geworden, die seither immer zum Fest gehören. Die Gaben der Weisen sind Königsgeschenke, und die Geschichte weist darauf hin, das hier im Stall in Bethlehem nicht nur ein Mensch wie viele  andere in die Welt gekommen ist. Sondern dass Gott hier seinen Vertrauten, seinen Sohn in die Welt gesandt hat, der für alle, auch für die fremden Könige aus dem Osten Hilfe und Zukunftshoffnung bringen sollte. „Gott schenkt uns seinen Sohn," so beschreibt  es das Lied „Lobt Gott, ihr Christen alle gleich..." Dieses besondere Geschenk Gottes an die Menschen ist Jesus.  esus, der sich für die Armen und Kranken einsetzt und ihnen hilft, damit sie wieder Hoffnung haben, oder für Menschen da ist, die von ihrer Schuld befreit werden wollen.  In der Bibel heißt es immer wieder: das größte Geschenk Gottes ist die Liebe.
Eine Geschichte, die dieses besondere Geschenk der Liebe beschreibt, ist das Beispiel, das Jesus von dem Samariter erzählt. Er war auf einer einsamen Wüstenstraße unterwegs und sah einen Menschen, der dort schwerverletzt am Straßenrand lag, weil Räuber ihn halbtot geschlagen hatten. Der Samariter zog nicht schnell weiter wie vor ihm schon andere Passanten. Vielmehr leistete er Hilfe und kümmerte sich intensiv um die weitere Versorgung des Verletzten. So , sagt Jesus, zeigt sich die Liebe Gottes, die sich umsetzt in der Liebe und Fürsorge für andere. Ich habe ein volles Konto an Liebe, die Gott mir zuwendet. Darum kann ich von dieser Liebe und Fürsorge weitergeben, ohne dass ich dabei  ärmer werde.

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SWR4 Abendgedanken BW

Du bist nicht allein. In meiner Zeitung habe ich gelesen: Dies ist der zur Zeit wichtigste Satz. Der Satz hat eine doppelte Bedeutung. Auf der einen Seite leben viele Menschen so, als ob sie allein auf der Welt wären. Allein mit ihren Interessen und ihren Zielen, die sie für sich durchsetzen wollen. Kinder wachsen in Familien auf, allein, und alles dreht sich um sie. Darum bestimmen sie den Tageslauf der Eltern und Großeltern, und alle Planungen werden nach ihren Bedürfnissen ausgerichtet. Hier ist es - so stand es in der Zeitung - wichtig, dass Erwachsene und Kinder wieder stärker erkennen, dass sie in soziale Gemeinschaften gehören, in denen einer auf den anderen Rücksicht nimmt. Du bist nicht allein. Der Satz erinnert daran, dass andere die gleichen Rechte und Freiheiten haben wie ich und sie auch ausleben und gestalten wollen. Nur so kann eine Gemeinschaft gesund leben und stabil bleiben, wenn alle wissen: du bist nicht allein.
Aber noch in anderer Beziehung ist der Satz wichtig. Du bist nicht allein mit deinen Hoffnungen und Erwartungen, mit deiner Enttäuschung und mit deinem Schmerz. Sicher fühlt man sich immer wieder allein gelassen und einsam. Aber es gehört geradezu zu den Eckpfeilern des christlichen Glaubens und jeder Gemeinschaft, die sich auf diesen Glauben beruft, Menschen nicht allein zu lassen. Ich bin davon überzeugt, dass mich Gott nicht allein lässt, sondern mich begleitet durch die Höhen und Tiefen meines Alltags. Die Menschen um mich herum lassen mich das spüren. Und das gilt  auch für die, die sich einsam und allein fühlen.  Auch sie sollen spüren, dass jemand für sie da ist.  Vielleicht kann ja manchmal sogar ich das sein.
Schon ganz am Anfang unserer Bibel, in der Schöpfungserzählung, heißt es: es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Das ist eine Grunderfahrung: wir brauchen andere Menschen, wir brauchen solche, die uns zuhören, die uns begleiten, an die wir uns wenden können und die uns erfahren lassen: du bist nicht allein.
Davon lebe ich, dass ich die doppelte Richtung dieses Satzes nicht vergesse. Dass in meinem Beruf und bei meiner Arbeit, in meiner Familie und unter meinen Freunden das Zusammenleben nur gelingen kann, wenn ich Rücksicht auf andere nehme und sie nicht vergesse. Und dass ich in glücklichen und unglücklichen Tagen erfahre, dass andere mit mir gehen und mich begleiten.

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SWR4 Abendgedanken BW

Gerade ist es mir gelungen, beim Einkaufen ein Schnäppchen einzufangen, da vergeht mir die Freude darüber schon wieder. Denn mein Kollege hat das gleiche erworben, aber noch viel günstiger. Sie kennen das vielleicht: Wenn man anfängt zu vergleichen, beginnt das Glück zu schwinden. Mit dem Vergleichen fängt die Unzufriedenheit an. Denn plötzlich beginnt der Gedanke an mir zu nagen, dass ich nicht genug abbekommen habe von dem, was das Leben bereit hält. Ein Gedicht beschreibt meine Situation so:

„Es wohnen drei in meinem Haus:
das Ich, das Mich, das Mein.
Und will von draußen wer herein,
so stoßen Ich und Mich und Mein
ihn grob zur Tür hinaus."

Dieser Vers von Mascha Kaleko zeigt an, warum ich neidisch bin. Alles dreht sich um mich, andere kommen höchstens als Konkurrenten in den Blick.
In biblischen Erzählungen begegnet uns diese Situation auch. Jesus erzählt einmal, wie sich Arbeiter, die den ganzen Tag in der Sonnenhitze im Weinberg gearbeitet haben, darüber beschweren , dass sie am Abend den gleichen Lohn bekommen wie andere, die erst am Spätnachmittag dazu gekommen sind. Natürlich haben sie Grund, auf die anderen neidisch zu sein. Neid entsteht immer dort, wo man das Gefühl hat, anderen gegenüber ungerecht behandelt zu werden, und das passiert oft.
Jesus meint aber, dass vor Gott niemand Grund hat, auf andere neidisch zu sein. Denn jeder bekommt zum Leben, was er braucht. Dabei sind die Begabungen ganz verschieden: der eine ist ein Supersportler, und der andere hat besonders geschickte Finger, wenn etwas zu reparieren ist. Die eine hat eine Engelsgeduld mit schwierigen Menschen, und die andere findet auch in auswegsloser Lage immer wieder ein hilfreiches und aufmunterndes Wort. Jeder Mensch ist anders und unterschiedlich. Aber jeder hat von Gott die Gaben, die zum Leben wichtig sind. Das kann mir helfen, wenn der Neid mich unzufrieden machen will.
Und wenn ich die Begabungen, die Gott mir gegeben hat, für mich und für andere einsetze, dann wird es hell um mich herum, wie es Mascha Kaleko im 2. Vers ihres Gedichts beschreibt:

„Stockfinster ist es in dem Haus,
trüb flackert Kerzenschein,
Herr, lass dein Sonnenlicht herein!
Dann geht dem Ich, dem Mich, dem Mein das fahle Flämmchen aus."

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SWR4 Abendgedanken BW

Nächstenliebe heißt, den anderen klarer sehen und besser verstehen. Kinder können das oft besser als wir Erwachsene. Sie helfen uns damit zu einem klaren Blick auf die Menschen um uns herum. Das zeigt besonders schön folgende Geschichte:
Der kleine Benjamin hat schon die Türklinke in der Hand, als der Vater ihn abfängt mit der Frage: „Wohin?" „Ich geh raus," sagt Benjamin. „Raus, und mit wem?" fragt der Vater. Als Benjamin zögert, fährt der Vater fort: „Ich weiß schon wohin. Um es dir klar zu sagen: Ich will nicht, dass du mit diesem Josef herumziehst."  Und auf die Frage Benjamins, warum der Vater das nicht will, fährt dieser fort: „ Du weißt selber, dass dieser Josef behindert und etwas zurückgeblieben ist, von dem kannst du nichts lernen."  Darauf wehrt sich Benjamin: „Der Josef ist in Ordnung, und ich will ja auch gar nichts von ihm lernen." „Man sollte aber von jedem etwas lernen können, mit dem man umgeht,"  meint der Vater. „Ja, ich lerne von ihm, Schiffchen aus Papier falten."  „Das konntest du schon mit vier Jahren," erwidert der Vater. „Aber ich habe es wieder vergessen", entgegnet Benjamin, „außerdem sieht der Josef mehr als ich."  Auf die erstaunte Frage des Vaters, was das denn nun wieder sei, fährt Benjamin fort: „ Er sieht besonders schöne Steine und Blätter, er weiß, wo die Katzen sind, und sie kommen, wenn er sie ruft." Dann sagt der Vater: „Pass auf, es ist im Leben wichtig, dass man sich immer nach oben orientiert, das heißt, das man sich Freunde sucht, von denen man etwas lernen kann, weil sie vielleicht ein bisschen klüger sind als man selbst."  Benjamin bleibt lange still. „Aber," sagt er schließlich, „wenn du meinst, dass der Josef dümmer ist als ich, dann ist es doch gerade gut für den Josef, dass er mich hat, nicht wahr?"
Mich hat diese Geschichte sehr betroffen gemacht. Denn sie lehrt mich, dass es nicht nur wichtig ist, jemanden zu brauchen, um besser zu werden und weiterzukommen. Sondern dass ich gebraucht werde, dass andere von mir etwas erwarten können, das ist wichtig. Dieser veränderte Blickpunkt - das ist mit der Nächstenliebe gemeint: deutlicher erkennen und besser verstehen, wo ich gebraucht werde und was ich für andere tun kann. Dabei wird man nicht ärmer, sondern reicher. Kinder wie Benjamin wissen das.

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SWR4 Abendgedanken BW

Viele Menschen beten. Gebetet wird öffentlich und privat im stillen Kämmerlein. Mit vorgeprägten Texten oder einfach so, wie es mir einfällt; für mich oder für andere; laut oder leise; gesprochen oder gesungen. Christen beten und Muslimen, ja auch viele, die ihres Glaubens gar nicht mehr so sicher sind. Aber das Beten ist so vielfältig, dass man oft gar nicht mehr sagen kann, was mit dem Gebet eigentlich gemeint ist. Einmal ist es nur ein Stoßseufzer, dann kann es ein „danke" sein, das aus tiefstem Herzen kommt; vielleicht ist es auch einmal ein Psalm oder ein Liedvers, mit dem ich bete.
Meine eigene Erfahrung ist: Wer betet, gibt ab. Wie ein Paketbote seine Fracht dort abgibt, wohin sie adressiert ist und damit auch die Verantwortung abgibt. Wer betet, gibt von seinen Sorgen und Befürchtungen, von seinen Hoffnungen und seiner Unruhe ab. Sie gehören jetzt nicht mehr mir allein. Ich wende mich an Gott und übergebe ihm die Mitverantwortung dafür. Wer betet, gibt ab von dem, was ihn beschäftigt, was ihn umtreibt und seine Gedanken bestimmt. Wer betet, überschreitet damit auch seine Grenzen: er geht aus dem eigenen Lebenskreis und Erleben und dem eigenen Alltag hinaus und stellt sich hinein in den Entscheidungsbereich Gottes. Er wird keineswegs all unsere Wünsche erfüllen, aber er nimmt nun Teil an meinem Leben. Beim Beten abgeben, was einen bedrückt: mir tut das gut.
Ich meine, man kann das auch lernen. Wer beten will, kann sich orientieren an dem Satz: Beten ist Reden mit Gott. Wie kann man mit Gott sprechen? Das Muster und Vorbild für jedes Gebet ist das Vaterunser. Es ist ein Modell, das die meisten kennen und das man einfach übernehmen kann. Im Vaterunser sind alle wichtigen Elemente enthalten, die zum Reden mit Gott gehören. Hier kann man Gott anreden als jemanden, dem man vertrauen kann. Auch was zwischen Menschen und in den verschiedenen Lebensgemeinschaften schwierig und wichtig ist, wird in diesem Gebet angesprochen: Vergib uns unsere Schuld, heißt es und: erlöse uns von dem Bösen. Für alles, was zum täglichen Brot gehört, darf man beten. Und dass die Welt so wird, wie Gott sie haben will. Das sind Beispiele aus dem Vater Unser.
Ich glaube, es gibt keine falschen Gebete, ich muss mein Gebet auch nicht vorzensieren, sondern ich darf alles ausdrücken, was mich bewegt. Das kann ich im Vertrauen darauf tun, dass Gott mich kennt und mein Gebet so beantwortet, wie es gut für mich ist.

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SWR4 Abendgedanken BW

Zweimal hat sich mein Freund mit seiner Frau die Vorstellung der Passionsspiele letztes Jahr in Oberammergau angeschaut. Trotz der hohen Preise, der Kälte und der Länge der Vorstellungen war er nicht davon abzubringen. Vor allem habe ihn beeindruckt, wie überzeugend die leidenden Personen ihren Zustand dargestellt haben. Der Christus, der zitternd und bebend am Kreuz hängt, kein Held, seine Freunde, die mitleiden und  jammern. Das ist wirklich das Leben, sagte mein Freund, wenn man schreien und reden muss, um nicht  gleichgültig zu werden gegen das Leid, das einen zu zerstören droht.
In seinem Beruf erlebt er es ganz anders. Mein Freund ist in der Werbung tätig. Was da angeboten wird, ist schick und von strahlendem Lächeln begleitet. Bei der Werbung ist alles machbar und schmerzfrei. Bittere Niederlagen und Leiden werden ausgeblendet. Dazu gehört,  dass man nicht darüber redet, wenn der Nachbar Krebs hat oder in der Familie gegenüber die Arbeitslosigkeit eingezogen ist. Wer nichts zu lachen hat, gilt als Versager. Deshalb hält man es für wichtig durchzuhalten, tapfer zu sein und nichts von dem eigenen Schmerz und Kummer preiszugeben.
Ganz anders der Christus, wie man ihn bei den Passionsspielen in Oberammergau erleben kann, sagt mein Freund. Der ist mit seinem Zittern  und Beben ganz nahe bei den Menschen. Genauso hat Jesus Christus nach den Erzählungen in der Bibel sein Schicksal tatsächlich durchlebt Und das bringt ihn mir ganz nah: in Glück und Freude, in Erschrecken und Entsetzen, in Wut und Zorn über die eigenen Schwächen und darüber, dass ich nicht so  funktionieren kann wie die erfolgreichen Werbefiguren. Ich lerne am Beispiel Jesu, dass das alles um ganzen Leben gehört: allein zu sein mit seinem Kummer und seinen Sorgen oder sie mit anderen zu teilen. Nicht nur tapfer sein zu wollen und zu funktionieren, sondern auch vor anderen meine Wut und meinen Schmerz auszudrücken. Es ist manchmal  nötig zu schreien, zu reden über das Leiden, damit man nicht gleichgültig wird gegenüber Schmerz und Leid. Jesus hat das auch getan.
Wenn ich in einer Gesellschaft  lebe, in der alles funktionieren muss und in der ich danach bewertet werde, dann muss ich ersticken. Denn zum menschlichen Leben gehören Gefühle und die Energie, sich nicht nur nach vorgegebenen Normen zu richten. Gerade wer auch Schwächen zeigt, ist ein ganzer Mensch. An Jesus Christus kann man das sehen. In Oberammergau bei den Passionsspielen, auf vielen Gemälden großer Künstler. Und die Bibel erzählt davon.

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SWR4 Abendgedanken BW

„Wie geht's ?" so fängt am einfachsten eine Unterhaltung an. Eine ehrliche Antwort wird aber meistens gar nicht erwartet. Oder wenn die Antwort lautet: „Mir geht's nicht gut!", dann wird sie nichts ernst genommen.
Das ist wie bei den zwei Raben, die auf einer Stromleitung sitzen. Sie schweigen sich an. Sagt der eine zum anderen: „Frag mich mal, wie es mir geht." Schweigen. Und wieder: „Frag mich doch bitte, wie es mir geht." Nichts. Keine Reaktion. Ein drittes Mal: „Nun frag mich doch endlich, wie es mir geht." Da  bewegt sich der zweite Rabe und erkundigt sich: „Na, wie gehts dir denn?" Der erste antwortet: „Ach, frag mich nicht."
Dieser Witz hat einen ernsten Kern. Er zeigt, wie viele Fragen in diesem Gesprächsanfang stecken. Meint es ein anderer wirklich ernst, wenn er mich nach meinem Ergehen fragt? Und will ich das wirklich ehrlich hören, wenn ich einen anderen frage, wie es ihm geht? Das könnte mich ja auf einmal viel Zeit und Mitfühlen kosten und ich müsste mir vielleicht vieles anhören, was ich nicht will. Dabei will ich doch den anderen ernst nehmen, weil ich auch von anderen  erwarte, dass sie mich ernst nehmen.
Zunächst ist es ja ganz leicht, mit anderen in Kontakt zu kommen mit der Frage: Wie geht's? Aber dann merke ich, dass dahinter jeder weitere Schritt mühsam werden kann. Denn wenn sich jemand öffnet und zu erzählen beginnt, dann muss ich Zeit und Interesse einsetzen. Aber gerade damit beginnt Vertrauen, gerade damit beginnt eine Verbindung, in der man sich liebevoll umeinander bemüht und darum, andere kennenzulernen  und sie zu verstehen. Etwa wenn ein wildfremder Mensch, der mich nicht kennt, sich an der Bar oder im Zug seinen Kummer von der Seele redet, dann ist dies ein besonderes Zeichen von Zutrauen.
Ich glaube, man kann lernen, hinter der Frage, wie es geht, zu merken, dass mir der andere etwas mitteilen will, was ihm wichtig ist. Da führt der harmlose Türöffner zu einem längeren Gespräch, bei dem ich ein wachsames Gefühl und ein offenes Ohr brauche. „Wie geht's?" das ist ein harmloser Türöffner. Kann ich weitergehen oder belasse ich es bei einer ebenso harmlosen Antwort? Diese Entscheidung muss ich jedesmal treffen, wenn mich einer so fragt. Sie fällt mir leichter, wenn ich den Menschen kenne, der mich fragt. Wenn ich ihm vertrauen kann und er mich kennt. Dann wird er weiter fragen oder sich zurückhalten, weil er mich kennt.
Solche Menschen brauche ich, so wie ich mich auch vertrauensvoll im Beten an Gott wenden kann, um ihm mein Herz auszuschütten. Weil ich weiß, dass ich ernst genommen werde und er mir zuhört.

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SWR4 Abendgedanken BW

Viele junge Menschen wollen nicht zugeben, dass sie staunen, wenn sie ein besonderes Erlebnis haben. Denn normalerweise ist es für Jugendliche selbstverständlich, dass sie cool sind, dass sie ihre Gefühle nicht zeigen und sich darum auch nicht erlauben zu staunen. Vor allem wenn andere dabei sind, die das schnell lächerlich machen können. Staunen ist nicht „in", dafür ist man aufgeklärt. Denn dass ich staune bedeutet, dass ich zugebe: das hätte ich nicht erwartet, das überrascht mich, damit hätte ich nie gerechnet. Und damit stelle ich mich selbst ein Stück in Frage. Wer will schon riskieren ausgelacht zu werden, weil er mit starrem Blick und offenem Mund dasteht und staunt!
Ganz anders hat das Albert Einstein gesehen. Der hat gesagt: Wer nicht staunen kann, der ist schon tot. Er hat daran erinnert, dass die Wissenschaft und die Philosophie da anfangen, wo Menschen erstaunt und betroffen waren von dem, was sie gesehen , aber nicht begriffen haben.  Staunen gehört dazu, wenn wir etwas erleben oder etwas fühlen wollen, darum brauchen wir es auch nicht zu unterdrücken. Es ist doch bewegend , wenn man zum ersten Mal ein neugeborenes Kind im Arm hat. Da will ich nichts weiter als es zu schützen vor Gefahren und ihm  helfen und so etwas von Sinn meines Lebens zu erfahren. Darum finde ich es schade, wenn man dem Staunen im Leben keinen Raum mehr gibt. Wer das Staunen unterdrückt, der lebt gewissermaßen mit angezogener Handbremse.
Vor allem die Dichter haben mit ihren Liedern und wunderbaren Versen dem Ausdruck verliehen, was sie in Staunen versetzt hat. Einer von ihnen war Paul Gerhardt, der vor 350 Jahren gelebt hat und dessen Lieder heute noch gesungen werden. In seinem Weihnachtslied  „Ich steh an deiner Krippen hier"  beschreibt er, wie er selbst dem Kind begegnen möchte und ihm alles schenken will, was er hat. Die Geburt des Kindes wird beschrieben als eine Sonne, die die Nacht vertreibt, als Licht und Leben nach einer langen Todesnacht, als Hoffnung, die das Leben hell macht. Und dann kann er nur noch voller Staunen antworten:
Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen, und weil ich nun nicht weiter kann, bleib ich anbetend stehen.
O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel in weites Meer,
dass ich dich möchte fassen."

So hat das Staunen ein Ziel: mich dazu zu bringen, Gott zu loben  für die Gaben und Erfahrungen, die mich zum Staunen bringen, und   mir auf keinen Fall das Staunen nehmen zu lassen.

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SWR4 Abendgedanken BW

Alle Menschen machen Fehler. Das darf nicht sein, sagt der Busfahrer, das kann nicht sein, sagt der Chirurg. Und doch ist es so, wenn man ehrlich ist. Darum ist es auch so schwer es zuzugeben. Es kostet oft viel Kraft und Energie, vor sich selbst und erst recht vor anderen zuzugeben, dass man einen Fehler gemacht hat.
Als vor wenigen Monaten in der Uniklinik Mainz drei neugeborene Babies innerhalb weniger Tage in der Abteilung für Frühgeborene gestorben sind, hatte man die Ursache dafür schnell gefunden: verunreinigte Babynahrung. Das Erstaunliche war, dass der Chef der Klinik erklärte: wir haben einen Fehler gemacht. Damit hat er für sich und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Verantwortung übernommen. Dann stellte sich bei der Untersuchung heraus, dass schon vorher und außerhalb der Klinik die Verunreinigung geschehen und also das Personal der Klinik ohne Schuld war. Das war für alle Mitarbeitenden wie eine riesige Befreiung. Sie waren vorher bereit, zu ihrer Verantwortung zu stehen, und sie hatten jetzt in besonderer Weise das Vertrauen aller Betroffenen wieder gewonnen. Auch war durch diese Ereignisse das Team in der Klinik wieder neu zusammengewachsen. „Dass wir uns der gemeinsamen Verantwortung stellten, hat uns zusammengeschweißt, dass wir durch das Ergebnis entlastet und ohne Verschulden waren, hat unsere Gemeinschaft erst recht gefördert," so der Klinikchef.
Fehler zugeben ist schwer. Vor mir selber mag ich das ja noch hinbekommen, wenn ich ehrlich bin, aber anderen gegenüber? Jede Autoversicherung rät einem, erst einmal jede Schuld abzustreiten. Ist das wirklich ein Weg, der weiterführt?  Ich glaube nicht.
 „Ich will zu meinem Vater gehen und sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße." So ist es in der biblischen Erzählung zu lesen von dem Sohn, der sich von seinem Vater sein Erbe auszahlen lässt  und dann seine Freiheit über die Maßen genießt. Bis alles verprasst ist und er im tiefsten Elend landet. Da begreift er: Es war ein Fehler, sein Leben so zu vergeuden und  das Vertrauen des Vaters zu missbrauchen. Dass er diesen Fehler einsieht, ist das Eine. Entscheidend aber ist das andere. Er geht hin und tritt vor seinen Vater. Er wiederholt die Worte, mit denen er seine  Fehler zugibt und sie bekennt. Das hilft ihm, das befreit ihn, das öffnet einen neuen Weg in die Zukunft. Sein Vater gibt ihm auch tatsächlich eine neue Chance.
Jesus hat diese Geschichte erzählt um zu zeigen, wie sich Gott uns gegenüber verhält, wenn wir eigene Schuld erkennen und bekennen. Das Beispiel aus der Mainzer Klink zeigt, dass das auch anderen Menschen gegenüber gilt: Schuld und Vergebung zugeben kann Menschen wieder zusammenbringen. Nur so befreie ich mich von der Vergangenheit, von Schuld und den Fehlern, die ich mache. Das ist schwer, aber es ist auch sehr hilfreich.

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SWR4 Abendgedanken BW

Der Weg in die Tage und Monate des neuen Jahres gleicht für mich der Einfahrt in einen Tunnel. Dabei erinnere ich mich an das besondere Ereignis im Oktober des letzten Jahres, als die  beiden Bautrupps aus Italien und der Schweiz in der Mitte des Gotthard - Basis - Tunnels zusammengetroffen sind. Ein solcher Tunnel ist nicht nur ein Wunderwerk der Technik, er ist ein besonderes Symbol.
Hier werden wirklich Grenzen abgebaut, sodass die Verbindungen zwischen Fremden enger werden können.   Menschen, die bisher erst hohe Berge überwinden mussten, können nun leichter zusammen kommen. Zugleich werden auch die Anstrengungen und Mühen deutlich, die es kostet, sich zu treffen. Dabei ist es ganz wichtig,  von beiden Seiten, nicht nur von der einen Seite aus, sich auf den Weg zu machen. Ein solcher Tunnel ist auch ein Symbol dafür, dass die Wege zueinander nicht einfach sind. Da muss man in die Tiefe. Es ist ein langer Weg ins Dunkel, nur künstlich und spärlich beleuchtet, bis endlich wieder Licht auftaucht.
Ich kenne dieses Gefühl aus eigener Erfahrung, das man auf der langen Fahrt durch einen Tunnel hat: es ist eine leichte Beklemmung und der Wunsch, möglichst bald aus dem Dunkel wieder ans Licht zu kommen, begleitet von der Frage: wie mag es drüben aussehen? Wie gut ist es dann, wenn ich nicht allein bin , wenn ich Menschen treffe, die mich verstehen und mit denen ich reden kann. Oder wenn ich mit Menschen unterwegs sind, die mehr Erfahrung haben und die wissen, dass die Dunkelheit bald zu Ende ist. Wie ein Tunnel ist für manchen die Situation des täglichen Lebens: Kummer und Heimweh, der Wunsch nach Gesundheit und friedlichen Tagen im neuen Jahr begleiten ihn. Wie komme ich aus diesem Dunkel, aus diesem Tunnel heraus?, so fragt sich mancher.
Der Dichter Jochen Klepper hat zusammen mit seiner jüdischen Frau während der Nazizeit die bedrohliche Situation des Dunkels erlebt und bis zu ihrem gemeinsamen Tod erlitten. Er hat ein Adventslied gedichtet, das von der Nacht erzählt und von dem Licht, das im Dunkel leise aufleuchtet und auf das Kind in der Krippe hinweist. Das Licht, das in die Nacht leuchtet, ist Gott selber, der in einem Kind erschienen ist. Das Lied ermutigt alle, die im Dunkel wohnen und im Dunkel wandern: Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und Schuld, doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld, beglänzt von  seinem Lichte hält uns kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam uns die Rettung her.

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