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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP
Heute ist Frühlingsbeginn der Wetterfrösche. Endlich. Dieses Jahr konnte ich es kaum erwarten. Die dunklen Tage waren lang, haben mich gefangen genommen.
So auch an diesem regnerischen Tag, es ist fast schon wieder dunkel. Ich schwinge mich auf mein Rad, ziehe Handschuhe und Mütze an und radele los. Mein Ziel ist das Krankenhaus am anderen Ende der Stadt. Ich bin spät dran. Groß liegt das Krankenhaus vor mir. Ich stelle mein Fahrrad auf dem einen Platz am Fahrradständer, der noch frei ist und gehe durch die Drehtür nach drinnen. Die Anmeldung ist nicht besetzt und ich weiß nicht wohin; ich habe meine Bekannte gar nicht gefragt, wo sie denn liegt. So irre ich ein wenig hilflos durch das große Klinikum und wäre am liebsten wieder umgekehrt, als mein Handy klingelt. Ich höre ihre Stimme, sie fragt mich, wo ich denn bleibe und sie nennt mir Stockwerk, Station und Zimmernummer. Vor dem Fahrstuhl muss ich noch mal eine gefühlte Ewigkeit warten. Das passt genau zu diesem grauen Tag. Schließlich kommt der Fahrstuhl, doch schon nach einem Stockwerk bleibt er wieder stehen. Ein Vater tritt mit seiner Tochter an der Hand in den Fahrstuhl. Die Tür ist noch nicht richtig zu, da platzt es aus dem kleinen Mädchen heraus: „Ich habe gerade meinen Baby-Bruder besucht. Er ist ganz klein und ganz neu.“ Ihr kleiner Körper bebt vor Freude und ihre Augen leuchten. Und auf einmal wird es heller in dem Fahrstuhl und in mir drin. Das Leben hat mich getroffen, ganz unerwartet. „Das ist ja toll“, sagte ich, „Wie heißt er denn?“ „Er hat noch keinen Namen, er ist ganz neu, mein Bruder“, sagt sie und lacht. Dann steige ich aus.
Manchmal hat das neue Leben noch keinen Namen, aber es ist da und zeigt sich und zieht andere mit hinein. Manchmal wird es schon mitten im Winter Frühling. Ich sehe die Schneeglöckchen und die Traubenhyazinthen in meinem Vorgarten, zarte neue Lebenszeichen. Und ich höre die Blaumeisen vor meinem Fenster um die Wette singen. Wir brauchen die Zeichen des neuen Lebens so dringend. Ich mache das Fenster weit auf.
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In meinem Leben hat es eine Zeit gegeben, da habe ich mich wie in einem schwankenden Boot gefühlt. Von einem auf den anderen Tag stand ich alleine mit meinen drei Kindern da. Der Boden hat nicht mehr getragen, er ist zu einem aufgewühlten Meer geworden. Und obwohl ich mich bisher eigentlich auch schon ganz gut mit den Stürmen in meinem Leben auskannte, ist es mir schwergefallen mich über Wasser zu halten. Oft hat mich damals mein Vertrauen getragen, dass Gott mein schwankendes Boot oben hält. Ich habe auch erlebt, dass Menschen sich zu mir gesetzt haben ins Boot und mit ausgehalten haben. Doch manchmal hat nichts mehr getragen. Ich bin versunken im dunklen, kalten Strudel. Und habe geschrien, laut und verzweifelt. Heute, im Rückblick, kann ich sagen: Ich bin ich nicht untergegangen. Gott sei Dank!
Genau so ist es auch Petrus ergangen, einem Freund von Jesus. Nach einem langen Tag rudert er mit seinen anderen Freunden über den See. Sie sind glücklich. Denn sie haben tiefe Gemeinschaft erlebt mit vielen anderen. Auf einmal kommt ein Sturm auf. Auch wenn sie alle erfahrene Seeleute sind, bekommen sie es mit der Angst zu tun. Sie rudern und versuchen verzweifelt das Boot über Wasser zu halten, als sie in der Ferne jemanden auf sich zukommen sehen. Sie schreien laut. Sie denken, dass Ihnen ein Geist entgegenkommt. Doch da hören sie die Stimme von Jesus: „Ich bin es, fürchtet euch nicht!“ Petrus vertraut. Er schaut nur noch auf Jesus und spürt eine große Kraft. Er bittet: „Jesus, lass mich zu dir kommen!“ Und als Jesus ihn ruft, klettert Petrus aus dem Boot und geht zu ihm über das Wasser. Doch mittendrin bekommt er Angst, fragt sich „Was mache ich hier?“ Er schreit um Hilfe und versinkt. In dem Moment packt ihn Jesus und zieht ihn wieder nach oben. Tropfnass liegt er im Boot, erleichtert und beschämt zugleich. Aber vor allem gerettet.
Versinken ist schrecklich und um Hilfe schreien manchmal auch. Aber Petrus hat es geholfen und mir auch. Wir haben uns getraut, das zu zeigen: Wir brauchen Hilfe, wir sind angewiesen, auf andere Menschen und auf Gott.
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Heute hau’n wir auf die Pauke, so klingt es landauf landab im Karneval. Es wird geschunkelt und gelacht, gesungen und getanzt. Und heute zur Weiberfasnacht sind es vor allem die Frauen.
Frauen schlagen die Pauke, sie singen und tanzen. In Mainz und Köln, in Bonn und Düsseldorf und an anderen Orten übernehmen sie ab 11.11 Uhr symbolisch das Regiment im Karneval und in der Stadt. Es ist ein buntes Treiben, da tanzen Hexen mit Königinnen, Matrosinnen mit Piratinnen.
Der Ursprung des Weiberfaschings reicht zurück ins Mittelalter. Zu dieser Zeit waren die Frauen in weiten Bereichen des Lebens den Männern untergeordnet. Doch für einen Tag übernahmen die Frauen die Macht. Sie zogen ins Stadthaus, sie verkleideten sich, entzogen sich der männlichen Macht und feierten die Freiheit, wenigstens für einen Tag. Ihren Männern überließen sie den Haushalt und die Kinder.
Nach und nach haben sich die Bräuche entwickelt und verändert, doch immer ging es auch darum ein Zeichen zu setzen: Wir Frauen sind da! Wir bringen uns ein, regieren mit, gestalten. Heute können Frauen hier in Deutschland frei leben, in Stadt und Land Leitungsverantwortung übernehmen, dem Grundgesetz sei Dank.
Und so machen sie an Weiberfasnacht bis heute auch feiernd auf die Ungerechtigkeit aufmerksam, die sie trotz Gleichheit bis heute erleben: Frauen werden schlechter bezahlt, Frauen arbeiten öfter in Teilzeit und übernehmen den Großteil der unbezahlten Hausarbeit, Frauen sind häufiger von Altersarmut betroffen und Opfer von häuslicher Gewalt.
Also schlagt auf die Pauke, Frauen und fordert und feiert die Freiheit!
Ich denke an Mirjam aus der Bibel. Sie ist die Schwester von Mose, der das Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten geführt hat. Nach der Befreiung singt sie und lacht, sie schlägt die Pauke und tanzt mit all den anderen Frauen. Weil sie frei sind nach Jahrzehnten der Knechtschaft. Mirjam schlägt die Pauke und lobt Gott, der frei macht.
Ja, heute hau’n wir auf die Pauke und feiern die Freiheit.
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Im vergangenen Jahr standen zwei gute Freudinnen am 4. Dezember vor meiner Haustür. Die eine hatte einen Korb mit Kuchen und Plätzchen und einer Kerze dabei. Die andere hielt ein paar kahle Kirschbaumzweige im Arm.
Ich habe mich selten so über die kahlen Zweige gefreut wie im vergangenen Jahr. Es war für mich eine kahle Zeit. Mir lagen einige Themen schwer auf der Seele und manchmal ist es mir in dieser Zeit schwergefallen, die Hoffnung nicht zu verlieren. Und jetzt stand die Hoffnung mit meinen Freundinnen gewissermaßen vor der Tür.
Heute ist wieder der 4. Dezember. Es ist Barbaratag. Und jedes Jahr denke ich an diesem Tag an die Geschichte der Heiligen Barbara: Der Legende nach lebte sie im 3. Jahrhundert in der heutigen Türkei. Ihr Vater war sehr wohlhabend und ihm lag die Bildung seiner Tochter sehr am Herzen. Dadurch kam Barbara auch mit dem Christentum in Kontakt und sie ließ sich taufen. Das gefiel ihrem Vater gar nicht und außerdem wollte er sie verheiraten. Aber Barbara wollte nicht heiraten, sondern weiter lernen und sich noch mehr in ihren Glauben vertiefen. Darüber war ihr Vater so zornig, dass er sie in einen Turm einsperrte. Auf dem Weg in den Turm verfing sich ein kahler Zweig eines Kirschbaumes in ihrem Gewand. Im Turm stellte Barbara den Zweig in eine Vase. Trotz der Todesdrohungen ihres Vaters blieb sie bei ihrem Glauben und weigerte sich weiterhin zu heiraten. Am Tag ihrer Hinrichtung erblühte der kahle Kirschzweig in voller Pracht.
Seitdem schneiden am 4. Dezember viele Menschen Zweige von den kahlen Obstbäumen und stellen sie in eine Vase, damit sie an Weihnachten blühen. Sie erinnern nicht nur an die wirklich traurig-grausame Geschichte der heiligen Barbara. Sie erinnern vor allem daran, dass der Glaube uns in kahlen und bedrohten Zeiten des Lebens Kraft schenken kann. Und schon heute kündigen uns die kahlen Zweige die Geburt Jesu an und sein Versprechen, dass uns das Leben blüht durch alle kahlen Zeiten hindurch.
Im vergangenen Jahr hatte mein Zweig nur zwei kleine, ganz zarte Blüten zu Weihnachten aber gerade diese winzigen, zaghaften Blüten haben mich an Gottes Versprechen erinnert und meine Hoffnung blühen lassen
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Ich stehe in der Schlange vor der Kasse der Albertina in Wien. Mein Vater und ich wollen uns hier im Museum die Chagall Ausstellung anschauen. An der Kasse angekommen, zeige ich den Behindertenausweis meines Vaters. Die Frau an der Kasse lächelt mich an und sagt: „Ihr Vater darf unsere Ausstellung kostenfrei besuchen und Sie, als Begleitperson, bekommen den Eintritt vergünstigt.“ Dann zeigt sie uns auch noch eine Abkürzung, damit mein Vater nicht so lange in der Schlange stehen muss.
Meine Geschwister und ich verbringen gerade gemeinsam mit meinen Eltern ein paar Tage in Wien. Und an vielen Orten machen wir die Erfahrung, wie freundlich und zuvorkommend Menschen mit einer Behinderung hier behandelt werden. Meinem Vater ist es fast ein wenig unangenehm, er möchte gar nicht bevorzugt werden und auch nicht viel Aufhebens um seine Person machen. „Ich kann doch nur nicht lange stehen und das Treppensteigen macht mir Mühe“, sagt er. Es fällt ihm schwer sich und den anderen einzugestehen, dass es langsamer geht als früher, dass er mehr Zeit und Halt braucht für sichere Schritte. Wenn ich seinen Behindertenausweis vorzeige, dann spüre ich seine Sorge, dass man ihn weniger ernst nehmen könnte, wenn seine Behinderung öffentlich wird. Ich möchte ihn auf keinen Fall beschämen. Denn seine Angst, dass ein Mensch mit einer Behinderung von anderen abgewertet wird, ist berechtigt.
Heute am 3. Dezember ist der Internationale Tag für Menschen mit Behinderungen. Vor 31 Jahren haben ihn die Vereinten Nationen ins Leben gerufen. Es geht darum aufmerksam zu machen, vor welchen Herausforderungen Menschen mit Behinderung im Alltag stehen. Und es geht um noch viel mehr. Wie gelingt es uns als Gemeinschaft Menschen nicht auf ihre Behinderung zu reduzieren und sie so kleinzumachen.
Für mich geht es da auch um eine Grundaussage meines Glaubens. Ich glaube, dass wir als Menschen eine Gemeinschaft der Heiligen sind. Und Heilige sind wir in unserer ganzen Vielfalt, als Menschen mit und ohne Behinderung und weit darüber hinaus.
Als wir das Museum verlassen, um die anderen wiederzutreffen, sehe ich, dass die Ampel grün ist. Und, wie es meine Art ist, will ich losrennen. Im gleichen Moment denke ich an meinen Vater, der ja neben mir läuft und gemeinsam gehen wir in seinem Tempo weiter und warten auf die nächste Grün-Phase.
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„Drei heilige Momente erlebe ich in diesen Gottesdiensten.“ Mit leuchtenden Augen erzählt eine junge Kollegin aus Thüringen von ihrer Erfahrung mit einer neuen Art Gottesdienst zu feiern. Ich bin zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus ganz Deutschland in Erfurt zu einer Konferenz. Es geht um den Gottesdienst.
Die junge Kollegin erzählt, wie sie mit wenigen anderen in einem großen ländlichen Gebiet versuchen, auch weiter mit den Menschen in den Dörfern Gottesdienste zu feiern. Und es geht nicht um besondere Gottesdienste mit Band oder einer besonderen Aktion. Sie erzählt von einer schlichten Form, so wie man es kennt vom Sonntagmorgen in unseren Kirchen und doch ist ein entscheidender Teil anders. Sie feiern den Gottesdienst miteinander an einem Tisch.
„Wir haben gespürt: Da gibt es die Sehnsucht, sich zu begegnen und nicht vereinzelt in der Kirchenbank zu sitzen. Ich ziehe meinen Talar nicht an und es gibt keine Orgelmusik, aber dafür ganz viel Zeit zum Singen und Beten“, erzählt die junge Kollegin. „Und jemand liest eine Geschichte aus der Bibel vor. Aber statt einer Predigt gebe ich nur einen kurzen Impuls und dann dürfen die Menschen am Tisch ihre Gedanken dazu erzählen. Das ist mein erster heiliger Moment. Denn die Menschen erzählen aus ihrem Leben und von ihrem Glauben. Und ich habe noch nie so viele verschiedene Glaubensgeschichten gehört wie an diesem Tisch.“ Sie hält kurz inne, um dann weiterzusprechen. „Mein zweiter heiliger Moment sind die Gebete. Wir sammeln, für wen und für was wir heute beten wollen. Und dann beten wir, dass Oma Inge wieder gesund wird, dass es doch schneien möge zu Weihnachten, dass der Krieg aufhört in Nahost, in der Ukraine.“
„Am Ende des Gottesdienstes kommt mein dritter heiliger Moment“, erzählt die Kollegin weiter: „Wenn wir uns gegenseitig mitteilen, was in der letzten Zeit bei uns so los war und da wird mal gelacht und manchmal fließen Tränen. Mit dem Segen gehen wird dann über zu Kaffee und Kuchen oder zu Suppe und Saft.“
Ich wünsche Ihnen und mir heute solche heiligen Momente, wo wir voller Vertrauen unsere Geschichten miteinander teilen. Wo wir uns zeigen, mit unserer Freude und unserem Schmerz.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41133SWR1 Anstöße sonn- und feiertags
Endlich Advent. An meinem Adventskranz brennt die erste Kerze. Es ist ein Kranz aus Metall. 4 dicke rote Kerzen stehen auf den Haltern, Zweige und einige Sterne liegen in der Metallschale. Ich hab mich so gefreut, als ich den Kranz von meinem Kleiderschrank heruntergeholt, auf den Tisch gestellt und neu bestückt habe. In diesem Jahr sehne ich mich sehr nach dem Licht. Es war ein dunkler November in der Welt und an manchen Tagen auch in mir drin. Aber ab heute brennt ein Licht. Und jeden Morgen spreche ich an diesem Licht mit Gott. Ich bitte Gott, dass dieses Licht leuchtet an den dunklen Orten und Hoffnung schenkt. Ich nenne Namen und nenne Orte und dann werde ich still. Das gibt mir Kraft für meinen Tag.
Es ist für mich ein heiliger Moment in der Adventszeit. Das Licht anzünden, still werden und für andere und die Welt beten. In diesen Momenten kann ich spüren, was wirklich wichtig ist im Leben. Jesus hat es einmal so gesagt: Liebe Gott, liebe dich selbst und liebe die Anderen.
Ich habe meine Familie und Freundinnen und Freunde nach ihren heiligen Momenten in der Adventszeit gefragt. Und ich habe schöne Antworten bekommen: Freundinnen zum Kaffee einladen, mit meiner kranken Mutter am Adventskranz sitzen, gemeinsam mit meiner Freundin Musik im Altenheim machen und beschenkt werden von der Freude der Bewohnerinnen und Bewohner, im Chor Adventslieder singen, Zeit mit der Familie verbringen, still sein und hören, jeden Abend Tagebuch schreiben, zurückblicken und das alte Jahr verabschieden, um dann neu aufbrechen zu können.
Einige haben dazu gesagt: Ich weiß nicht, ob das wirklich heilige Momente sind. Aber für alle gehören diese Momente unbedingt in die Adventszeit.
Mich machen die Antworten glücklich. Denn sie zeigen mir, dass der Advent eine besondere Zeit ist, in der Menschen besonders aufmerksam sind dafür, was wirklich wichtig ist im Leben: Liebe - zu Gott, zu sich selbst und zu den Menschen. Und all das sind heilige Momente.
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Ich schließe mein Fahrrad am Bahnhof an und laufe fröhlich Richtung Bahnsteig. Ich bin unterwegs zu meiner Schwester und habe mich extra schick gemacht: mit meinen nagelneuen orangenen Sneakern. Sogar ein wenig geschminkt habe ich mich, das ist echt besonders. Meine Schwester hat mir zum Geburtstag ein Essen geschenkt und ich freue mich auf den gemeinsamen Abend.
Der Regionalexpress nach Mannheim hat heute ca. 10 Minuten Verspätung, ertönt die Stimme aus dem Lautsprecher als ich auf dem Gleis ankomme. Ich rege mich fast gar nicht auf. Ich fahre sehr viel Bahn - was sind da schon 10 Minuten. Allerdings muss ich unterwegs umsteigen – und mit 10 Minuten Verspätung könnte das knapp werden. Jetzt bin ich doch leicht nervös und schaue auf mein Handy auf die Bahn-App. Aber auch die kann sich nicht entscheiden, ob ich den Anschluss nun kriege oder nicht. So laufe hin und her und denke nur noch daran, wie blöd das doch alles wieder ist mit der Bahn. Und ärgere mich gleichzeitig über mich selbst, dass ich mich nicht gelassen und entspannt weiter auf den Abend freue. Ich versuche wieder ruhig zu werden und bitte Gott um die nötige Gelassenheit. Klappt aber nicht.
Als der Zug schließlich kommt, wird es leider auch nicht besser. Ich bleibe nahe an der Tür stehen, um gleich losstürzen zu können, wenn ich umsteigen muss. Ich versuche tief ein- und auszuatmen und denke: „Ach, Gott, bitte, wo bleibt denn meine Gelassenheit?“ Aus dem Augenwinkel beobachte ich, wie eine Mutter ebenfalls auf Ihr Handy und die Bahn-App starrt. Genau wie ich ist sie total nervös und macht sich startklar, um den Anschluss zu erreichen. Da streicht ihr ihr Sohn liebevoll über den Arm. Er könnte 8 Jahre alt sein. „Mama“, sagt er. „Mach dir keine Sorgen. Ich renne gleich los auf Gleis 5 und versuche den Zug für dich aufzuhalten. Du kommst dann nach, so schnell wie du eben kannst. Und wenn ich den Zug nicht aufhalten kann, dann findest du mich auf Gleis 5 und wir nehmen den nächsten Zug.“ Ich lächle und kann mich wieder freuen. „Danke, Gott“, denke ich. Ja, Gott hat manchmal lustige Arten Gebete zu hören.
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„Eine Freundin und ich, wir stehen Schlange vor dem Straßburger Münster. Wir wollen rauf auf den Turm, haben wir beschlossen, wegen der tollen Aussicht. Acht Euro kostet der Turm pro Person. Und ich denke: Schon komisch, für einen so beschwerlichen Weg auch noch Geld zu bezahlen. Ich habe nämlich ziemlich Höhenangst. Warum also tue ich mir das an? Meine Freundin neben mir guckt auch nicht wirklich begeistert. Ich weiß: ihr graut vor den 330 Stufen.
Wieder rücken wir etwas näher ran ans Tickethäuschen und wir zahlen jede unsere acht Euro. Die beschwerlichen Wege im Laufe eines Lebens kosten ja immer ganz schön viel. Sie kosten Kraft und Tränen. Sie rauben den Atem und machen schon mal ganz schön Angst. Ich kenne Zeiten aus meinem Leben, da wäre ich am liebsten stehengeblieben, weil mir der Weg so schwer war. In solchen Momenten zweifle ich schon mal, dass mein Leben ein gutes Ziel hat in Gott, weil ich ja nicht mal den nächsten Schritt sehe.
Hier im Turm können wir nicht stehenbleiben. Hinter uns sind viele andere, die auch nach oben wollen. Und außerdem wollen wir ja zum Ziel. Und so gehen wir Schritt für Schritt weiter hoch. Mir machen die offenen Wegabschnitte ziemlich zu schaffen, weil ich jetzt so deutlich sehe, wie hoch ich schon bin. Und dann wird es von oben hell. Nur noch wenige Stufen und wir sind im Freien. 66 m hoch. Der Wind weht uns um die Nase. Und wir staunen und freuen uns: Was für ein wunderbarer Blick über Straßburg. Die Plattform ist sehr groß, ich kann hier gut sein, denn ich muss nicht direkt an die Mauer treten und lasse meinen Blick in die Ferne schweifen. Ich sehe die Vogesen und die vielen anderen Kirchtürme der Stadt und ganz in der Nähe eine liebevoll eingerichtete Dachterrasse. Ich sehe das alles, weil ich weitergegangen bin, Schritt für Schritt.
Ich hoffe, ich kann dieses wunderbare Gefühl in meinem Herzen bewahren: dass ich es geschafft habe, rauf auf den Turm. Und wie wunderschön es dort oben gewesen ist. Und dass sich die Mühe, die acht Euro und sogar meine Angst vor dem Aufstieg gelohnt haben. Genau wie der Weg durch die schweren Tage meines Lebens. Ich vertraue darauf, dass es noch die eine oder andere Plattform geben wird - mit einer grandiosen Aussicht.
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Vor kurzem habe ich an einer Ruderregatta teilgenommen. Jedes Jahr richtet die Rudergesellschaft Speyer ein Rennen für Betriebe aus. Man braucht 10 Leute zum Rudern, auf jeder Seite sitzen 5. Eine Mitarbeiterin hatte uns als Landeskirche angemeldet. Für uns als Kirche ist es die erste Regatta, da mussten wir natürlich erst einmal trainieren. Also hat sich unsere bunte Truppe vom Oberkirchenrat bis zum Hausmeister zwei Wochen vor dem Rennen an einem Abend zum Training am Altrhein getroffen. Zunächst haben wir alle auf dem Trockenen gerudert. An einer Rudermaschine, um ein Gefühl für die Bewegung zu bekommen. Schon da hatten wir viel Spaß. Dann ging es aufs Wasser. Ein junger Mann aus dem Ruderclub hat uns mit dem großen Boot vertraut gemacht. Er hat sich ganz hinten ins Bott gesetzt und den beiden Schlagmännern geholfen gut im Takt zu bleiben. Und eins und eins und eins. Das hat schon ziemlich gut geklappt. Mit dem Blick auf die beiden Taktgeber rudern wir in eine Richtung. Es kommt auf jeden einzelnen an. Nur in Gemeinschaft kommen wir ans Ziel, halten wir die Richtung und rudern wir nicht im Kreis. Es war ein warmer Abend und auf dem Wasser haben uns auch die Mücken in Ruhe gelassen. Und eins und eins und eins – wir haben uns an diesem Abend ganz neu miteinander verbunden gefühlt. In Sportklamotten mit einem klaren Ziel fiel uns das leichter als sonst im Büro. Da rennen wir oft eher aneinander vorbei.
Dann ist der Renntag da. Ich halte mein Ruder fest umklammert. Die Engelsflügel, die wir heute alle tragen, sind schon ganz nass. Unsere Heiligenscheine verrutschen, aber wir motivieren uns gegenseitig. Und wir geben alles. Egal, dass unterwegs mal der eine oder die andere aus dem Takt kommt.
Wir hatten ein gemeinsames Ziel. Ankommen. Unser Ergebnis ist ausbaufähig. Wir sind 3. geworden von hinten. Aber nächstes Jahr wollen wir wieder mitrudern. Denn wir haben hier so deutlich gespürt, was uns für den Arbeitsalltag helfen kann: Jede und jeder ist wichtig und nur gemeinsam kommen wir ans Ziel. Darauf kommt es an.
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