Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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22JUL2023
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„Nächste Woche zieht meine Bezugsklientin aus.“ Im Gesicht meiner Freundin sehe ich eine große Freude, aber auch die Träne in ihrem Auge ist nicht zu übersehen.

Meine Freundin arbeitet in einer Wohngruppe. Hier leben vor allem Mütter und manchmal auch Väter mit ihren Kindern. Alleine schaffen sie den Alltag nicht. Oft haben die Frauen und Männer Schlimmes in ihrem Leben erlebt.

Wenn es zu Hause dann nicht mehr geht, vermittelt sie das Jugendamt in eine der Wohngruppen. Vor Ort lernen sie vor allem Struktur. Wie gestalte ich meinen Alltag. Wie ernähre ich mein Kind gesund. Es gibt geregelte Essenszeiten, die Bewohnerinnen und Bewohner kochen gemeinsam.

Jeder lebt in seinem eigenen Zimmer mit Badezimmer. Für diese Räume sind sie alleine verantwortlich. Das Wohnzimmer und die Küche nutzen sie gemeinsam. Für diese Räume gibt es einen Putzplan. Wenn es gut läuft, lernen die Bewohnerinnen und Bewohner mit den Betreuerinnen und Betreuern, wo ihre eigenen Ressourcen liegen.

Das ist echt nicht einfach, denke ich jedes Mal, wenn meine Freundin von ihrer Arbeit erzählt. Und gleichzeitig ist sie goldrichtig an diesem Ort. Sie macht ihre Arbeit mit Hingabe, vermittelt Klarheit und Struktur und traut den Bewohnerinnen und Bewohnern gleichzeitig ganz viel zu.

Sie habe ich vor Augen, wenn ich daran denke, wie Jesus sich bei seinen Freundinnen und Freunden vorstellt: „Ich bin der gute Hirte und kenne die meinen und die meinen kennen mich.“

Ein guter Hirte kennt seine Herde. Er weiß, wie viele es sind, was die Einzelnen brauchen, welche Stärken und welche Macken sie haben. Und die Herde vertraut ihrem Hirten. Sie wissen sich geschützt und aufgehoben. Und sie können sich in der Herde ausprobieren, ihren Ort und ihre Rolle finden, weil der Hirte sie im liebevollen Blick hat.

So wie die Bezugsklientin meiner Freundin. Sie ist bereit, aus der Wohngruppe auszuziehen. Sie hat es gelernt, Verantwortung zu übernehmen für sich und ihr Kind.
Und zugleich weiß sie: Sie kann sich jederzeit melden, wenn sie Unterstützung braucht. Wie gut, dass es diese Begleitung gibt.

Annette Bassler für Anja Behrens, Kaiserslautern, evangelische Kirche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38039
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