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SWR1 3vor8

29MRZ2024
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Lichtkreuz von Ludger Hinse Copyright: Kath. Stadtkirche Heidelberg / Gülay Keskin

Ich habe etwas bei mir festgestellt, dass mich nachdenklich gemacht hat: Der sterbende Jesus am Kreuz – diese Darstellung habe ich schon so oft gesehen, dass sie mich gar nicht mehr aufrüttelt oder provoziert.

Aber das geht nicht nur mir so. Dass der Anblick des Kreuzes für viele völlig normal geworden ist, hat auch der Künstler Ludger Hinse beobachtet. In einem Interview hat er mal gesagt: „Diese ganzen Leidenskreuze, die tausend, zehntausendfach überall hängen, die erregen ja gar nichts mehr… es kommt darauf an, dass ein Kreuz Aufsehen erregt.“

Die Kreuze von Ludger Hinse sehen deshalb ganz anders aus. Eines seiner Kunstwerke hängt seit ein paar Jahren auch in der Jesuitenkirche in Heidelberg und es fasziniert mich immer wieder, wenn ich es anschaue. Es ist ein Kreuz ganz aus Glas, und je nach Einfall des Lichtes ist es manchmal fast durchsichtig und kaum zu erkennen. Und dann ist es wieder ganz präsent und zaubert in unterschiedlichen Farben buntes Licht in den Kirchenraum: mal blau-grün, mal pink-violett. Und weil der Luftzug es sanft bewegt und es dadurch immer wieder anders aussieht, meint man fast, dass das Kreuz selbst lebendig ist.

Ludger Hinse knüpft mit seinen Lichtkreuzen an die Kreuzdarstellungen der Romanik an. Diese waren Heils- und Segenszeichen, und deshalb wurde Christus nicht leidend und mit hängendem Kopf dargestellt, sondern als Lebender: aufrecht und wie ein Sieger über den Tod. Im Lauf der Jahrhunderte hat sich das verändert und Jesus am Kreuz – so beschreibt es Ludger Hinse – „fiel in sich zusammen. Immer mehr Leid, immer mehr Leid“, sagt er. Doch für ihn ist klar: „Wir brauchen Jesus als einen, der segnet. Und das ist eben Licht und nicht Elend und Neid und Not. (…) Wir brauchen Zeichen, an denen wir uns entwickeln können, an denen wir auf-gehen, auf-steigen können.“

                                                                     

Der Blick auf Hinses Lichtkreuz ist für mich mit seiner Leichtigkeit und seinen sanften Farben ein wunderbares Zeichen für das Leben. Und das tut mir in diesem Jahr gut. Gerade weil mir der Tod von Menschen in den letzten Wochen nahegegangen ist. Und auch, weil das Leid an vielen Orten in der Welt so riesig und schrecklich ist. Ich möchte all das nicht ausblenden oder verdrängen. Gerade heute, am Karfreitag, ist es gut, dass ich wieder aufgefordert bin, ganz bewusst auf den sterbenden Jesus am Kreuz zu schauen und mich daran zu erinnern, dass Gott dem Leid nicht ausweicht, sondern mitleidet. Doch das ist eben nicht alles. Denn die Stärke des christlichen Kreuzes ist es, dass es nicht nur Zeichen des Leidens, sondern letztlich ein Hoffnungszeichen ist, ein Zeichen für das Leben.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

06MRZ2024
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Manchmal reicht es einfach nicht.

Zu wenig Kraft für all die To-do-Listen, die auf meinem Schreibtisch liegen. Zu wenig Hoffnung für all die Krankheitsmeldungen und Todesnachrichten um mich herum. Zu wenig stärkende Worte, um andere zu ermutigen. Zu wenig Zuversicht, dass es gut werden wird. Manchmal reicht es einfach nicht.

Das Gefühl hatte vermutlich auch die Frau, von der eine Geschichte aus der Bibel erzählt. Ihr Mann ist gestorben. Und nun sollen ihre beiden Söhne als Sklaven arbeiten, um die Schulden, die sich angesammelt haben, zu begleichen. Die Frau hat das Gefühl: Es reicht nicht. Die Lebensgrundlage ist weg, und nun soll ihr mit den Söhnen auch noch die Zukunft genommen werden.

Laut schreiend sucht sie bei dem Propheten Elischa Hilfe. Und er fragt sie: „Sag mir, was hast Du im Haus?“ (2 Kön 4,2) Ich stelle mir vor, wie die Frau Elischa erst einmal verdutzt anschaut. Was soll sie schon im Haus haben? Alles, was irgendwie einen Wert besitzt, hätte sie längst genutzt, um ihre Schulden zu begleichen. Doch dann fällt ihr ein: Ein Krug Öl gehört ihr noch. Elischa sagt zu der Frau: „Geh und erbitte Dir von allen Deinen Nachbarn leere Gefäße, aber nicht zu wenige! Dann geh heim, verschließ die Tür hinter Dir (…), gieß Öl in alle diese Gefäße und stell die gefüllten beiseite!“

Ein seltsamer Rat findet die Frau. Aber trotzdem macht sie sich auf und bittet ihre Nachbarinnen um leere Gefäße. Zuhause füllt sie aus ihrem verbliebenen Ölkrug ein Gefäß nach dem anderen. Und das Öl hört nicht auf zu fließen. Es ist mehr da, als in alle ausgeliehenen Gefäße passt. Es ist sogar so viel, dass sie einen Teil verkaufen und damit die Schulden begleichen kann. „Und vom Übrigen“, so sagt der Prophet zu ihr, „wirst Du mit Deinen Söhnen überleben können.“

„Sag mir, was hast Du im Haus?“ – Die Frage des Propheten Elischa möchte ich mir merken. Und in Zeiten, in denen ich denke, dass es zu wenig ist, was ich habe, möchte ich wie die Frau auf die Suche gehen: Was ist noch da? Was habe ich an Ressourcen? Immer ist doch noch irgendetwas da – die Erinnerung an das, was mir bereits gelungen ist. Oder ich lese ein paar liebevolle Worte in alten Geburtstagskarten. Vielleicht kann ich auch aus mir heraus gehen, nach draußen, andere bitten, mir zu helfen. Und hoffentlich kann dann aus dem Wenigen für mich und für andere mehr werden: mehr Kraft, mehr Hoffnung und mehr Zuversicht.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05MRZ2024
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Vermutlich gehört es in die Kategorie Nerdwissen, also zu den Dingen, die außer ein paar Spezialisten nur wenige Menschen interessieren. Aber mich hat es nicht mehr losgelassen, und ich muss Ihnen davon erzählen.

Das Wort „Arche“ – also der große schwimmende Kasten von Noah, der seine Familie und die vielen Tiere gerettet hat – heißt im Hebräischen „tevah“.

Genau dieses Wort „tevah“ kommt auch bei der Geschichte von Mose vor. Da ist es das Schilfkästchen, in dem Mose gerettet wird. Man könnte sagen: Beide Kästen sind safe spaces, also Schutzräume gegen das Wasser. Kästen, die Leben retten.

Und spätestens jetzt kommt das Nerdwissen: Seltsamerweise heißt „tevah“ im Hebräischen nicht nur Kasten, sondern auch „Wort“. Also ein Begriff, der beides meint: Kasten und Wort. Das heißt doch: Nicht nur ein aus Brettern gebauter Kasten oder ein Schilfkästchen, sondern auch Worte können tragen. Können mich halten, wenn Alltagsstürme über mich hinwegbrausen. Wenn die Wellen des Lebens riesengroß und bedrohlich werden, und das Wasser mir bis zum Hals steht.

Ich habe mich auf die Suche nach solchen Halte- oder Trage-Worten gemacht.

Als Theologin sind mir zuerst biblische Verse eingefallen. Sätze, von denen ich weiß, dass sie auch anderen Menschen viel bedeuten. Wie: „Fürchte dich nicht. Ich bin bei dir.“ Oder die Segensworte „Der HERR segne und behüte dich…“. Auch alte Gebete können wie Kästen sein, in die ich hineinschlüpfen kann und die mich bergen. Wie das „Vater unser“ oder der Psalm 23, den viele Menschen in der Schule auswendig gelernt haben: „Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir fehlen…“.

Und auch Liedzeilen gehören dazu. Dietrich Bonhoeffers Zeilen „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ berühren mich jedes Mal, wenn ich sie singe. Aber auch die Sportfreunde Stiller gehören dazu, wenn es in ihrem Song heißt: „Ich wollte dir nur mal eben sagen, dass du das Größte für mich bist.“

Bibelworte und Gebete, Liedzeilen, Gedichte und Buchtitel… welch ein Schatz, dass es all diese Worte gibt. Und nicht zu unterschätzen, all die Worte, die nur mir gelten. Die andere mir ganz persönlich gesagt oder in Mails und Briefen geschrieben haben. Lob für gute Arbeit, Dank für gemeinsame Zeiten und zärtliche Worte voller Liebe und Zuneigung.

Worte können wie Kästen sein, die mich davor bewahren unterzugehen, und die mich eine Zeit lang halten und mich über die Wellen des Lebens tragen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04MRZ2024
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Gott als Müllmann oder als Eisglätter. Von diesen beiden ungewöhnlichen Bildern habe ich gehört, und ich finde sie richtig gut.

Über das erste Bild habe ich bei der Autorin Susanne Niemeyer gelesen. Sie schreibt: „Bei der Müllabfuhr zu sein, ist ja eigentlich kein schöner Beruf. Man räumt den Dreck anderer Leute weg, und meistens stinkt es. (…) Eine unappetitliche Sache, alles in allem.“ Doch „einer muss es ja machen, denn wenn es keiner täte, dann bliebe ja unser ganzer Müll auf der Erde, und es stänke zum Himmel.“ Und dann stellt Susanne Niemeyer sich vor, wie es wäre, wenn Gott riefe: „Bring den Müll runter, nur her mit dem ganzen Dreck, dem Frust, dem Abfall, allem, was stinkt und was auf deiner Seele liegt und sie schwer macht. Ich kümmere mich darum.“

Gott – der Dreckwegmacher in oranger Jacke. Ich mag das Bild. Und ich habe auch schon erfahren, wie gut es tut, wenn ich Gott all meinen Müll hinlegen kann. Wenn ich am Abend nach einem Tag, an dem gefühlt alles schiefgelaufen ist, zu Gott bete: „Heute hab ich mich oft geärgert – über mich. Über andere. Räume weg, was den Tag so schwer gemacht hat, sodass morgen Platz für Neues ist, und hilf mir, mich nur dann zu ärgern, wenn es sich lohnt.“

Vom anderen Bild für Gott hat mir eine Kollegin erzählt. Sie liebt das Eiskunstlaufen. Sie sagt: Gott ist wie der Fahrer einer Zamboni, einer Eisbearbeitungsmaschine. So eine, die beim Eiskunstlauf oder Eishockey die Eisfläche wieder glatt macht. Wenn eine Zamboni über die Eisfläche fährt, wird erst die oberste Schicht abgekratzt und dann kommt ein wenig warmes Wasser auf die Eisfläche. Durch die Wärme taut das darunterliegende Eis etwas an, sodass die neue Eisschicht fest mit dem alten Eis zusammenfriert. Auf der glänzenden Eisfläche sind neue Wege möglich. Keine Gefahr mehr, in die Spurrillen der anderen zu geraten. Und letztlich hinzufallen, weil sie für mich nicht taugen. Und auch meine eigenen Kratzspuren werden durch das warme Wasser geglättet.

Müllabfuhr und Zamboni – zwei ungewöhnliche Gottesbilder. Und wie jedes andere Gottesbild begrenzt. Keines trifft allein und 100-prozentig zu. Aber die Bilder helfen mir, nicht müde zu werden, über Gott nachzudenken. Und deshalb gefallen mir die beiden Vorstellungen, dass Gott mir aus dem Müllauto zuwinkt oder dass er auf der Eisfläche in einer Zamboni für mich hin- und herfährt.

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Anstöße sonn- und feiertags

03MRZ2024
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Mein Kollege Andreas hat mal wieder gezeigt, dass es auch anders geht.
Mitten in Heidelberg, auf einem belebten Platz, steht ein laut fluchender Mann. Vermutlich ist er obdachlos, auf jeden Fall sieht er mitgenommen und wenig gepflegt aus. Doch nicht nur deshalb wollen viele Leute lieber schnell an ihm vorbei. Mit den übelsten Schimpfwörtern beleidigt er alle um sich herum. Am besten schnell weitergehen – ich jedenfalls habe mich nicht getraut, diesen Mann anzusprechen. Doch Andreas, mein Kollege, macht etwas völlig Anderes. Er geht auf den Mann zu und fragt: „Warum schreist Du so? Was ärgert Dich?“ Die Antwort überrascht mich, denn der Mann sagt: „Niemand achtet auf mich und gibt mir ein bisschen Kleingeld. Mir fehlen doch nur 50 Cent.“ Andreas kramt in seinen Taschen. Er findet noch ein 50-Cent-Stück, gibt es dem Mann, wünscht einen schönen Tag und geht weiter. Laute Schimpfwörter waren dann erstmal nicht mehr auf dem Platz zu hören.

Ich bin sprachlos. So einfach kann es gehen. Andreas hat nicht spekuliert, was mit dem Mann los ist. Statt einen großen Bogen um ihn zu machen, geht er auf ihn zu. Fragt nach. Und das verändert alles.

Jesus hat das ähnlich gemacht. Auch er hat nicht einfach irgendwas vermutet, sondern hat die Menschen, die zu ihm gekommen sind, gefragt: „Was willst Du, dass ich Dir tue?“ Und er ist auch denen nicht aus dem Weg gegangen, die – so heißt es in der Sprache der Bibel – von einem unreinen Geist oder von Dämonen besessen sind. Diese unreinen Geister zerren die Menschen hin und her. Vielleicht sind es Ängste, die einen von innen auffressen. Oder Mächte, die übermächtig geworden sind. Doch egal, wie man sie nennt – all diese Gedanken, die Besitz ergreifen und viel zu groß werden, – sie schaden den Menschen. Und sie isolieren sie. Wer besessen ist, wird anderen fremd und wird ausgrenzt. Jesus lässt sich davon nicht aufhalten. Er will, dass alle Menschen gut und ohne Angst miteinander leben können.

Wahrnehmen und ansprechen, nachfragen statt vermuten – das will ich mir merken. Nicht nur für extreme Situationen, wie bei meinem Kollegen Andreas. Sondern auch, wenn jemand mürrisch und sogar beleidigend ist. Wenn jemand etwas tut, was ich nicht verstehe. Anstatt mich angegriffen zu fühlen, schaffe ich es vielleicht nachzufragen. Und wer weiß – vielleicht endet das Gespräch dann nicht in lautem Geschrei, sondern mit einem freundlichen Wort.

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SWR1 3vor8

18FEB2024
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Eine Woche mit mir allein. Ohne Handy, Internet und Bücher. Das mache ich jedes Jahr ein Mal. Schön und herausfordernd zugleich. Schön, weil es gut tut, mal aus dem Alltag rauszukommen. Alles hinter mir zu lassen und durchzuatmen. Zeit nur für mich und für Gott. Aber es kann auch ganz schön hart sein – weil mich dann nichts mehr von mir selbst ablenkt. Ich werde mit dem konfrontiert, was unter der Oberfläche liegt. Auch mit dem Dunklen, mit meinen Fragen, Zweifeln und Ängsten, die ich sonst lieber zugedeckt lasse. Innerlich geht es in dieser Zeit also keineswegs ruhig zu.

Das eigene Leben anschauen und ganz auf sich selbst gestellt sein – das kann hart sein. Diese Erfahrung hat auch Jesus gemacht. Die Bibel berichtet, dass Jesus 40 Tage in der Wüste ist. Eine Zeit, in der es ordentlich zur Sache geht. Vom Satan und wilden Tieren ist die Rede. Aber auch von Engeln. In katholischen Gottesdiensten klingt das heute so: „In jener Zeit trieb der Geist Jesus in die Wüste. Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.“ (Mk 1, 12f.)

Der Satan – er steht bildlich für das Böse. Für Gedanken und Phantasien, die mich ausdauernd belagern, und die mich wegbringen möchten von einem Leben, das mir und anderen gut tut. Zum Beispiel, wenn ich mich mit anderen vergleiche und der Neid Platz bekommt. Das schafft erst in mir Unfrieden - und dann auch im Miteinander mit anderen.

Und wenn ich an mir selbst zweifle oder einsam bin, dann fühlen sich diese Gedanken manchmal an wie wilde Tiere, die über mich herfallen und laut brüllen. Wie Raubtiere tigern die Gedanken dann durch den Kopf und machen mich unruhig.

Dass auch Jesus davon nicht verschont geblieben ist, beruhigt mich. Er kennt das Böse und weiß, dass es gelingen kann, sich dagegen zu stellen. Und mit den wilden Tieren hat er gelernt zu leben. Sie müssen gar nicht verschwinden, aber ich kann sie kennenlernen und zähmen. Wenn ich mir klar mache, dass ich immer mal wieder Anerkennung oder auch körperliche Nähe brauche, dann können mich diese Bedürfnisse begleiten ohne übermächtig zu werden.

Im März habe ich wieder eine stille Woche geplant. Was dieses Jahr zum Vorschein kommen wird, kann ich heute nur ahnen. Aber aus den letzten Jahren weiß ich, dass die Tage mir gut tun, um so manches Chaos im Kopf zu sortieren. Und hoffentlich geht es mir so wie Jesus in der Wüste: er hatte nicht nur die Einsamkeit und die wilden Tiere an seiner Seite, sondern auch die Engel Gottes.

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SWR1 3vor8

07JAN2024
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Für mich ist es jedes Mal ein bewegender Moment. Ich stehe als Seelsorgerin am Grab eines Menschen. Gerade wurde die Urne oder der Sarg in die Erde gelassen, und dann nehme ich Weihwasser und spreche die alten Gebetsworte: „Im Wasser und im Heiligen Geist wurdest Du getauft. Der Herr vollende an dir, was er in der Taufe begonnen hat.“

Für mich ist das zutiefst tröstlich. Denn diese Worte bedeuten: Durch die Taufe ist ein Mensch so eng mit Gott verbunden, dass selbst der Tod diese Verbindung nicht zerstören kann. Und sogar noch mehr, dass Gott das Leben vollendet. Dass er alles, was im Leben dieses Menschen kostbar gewesen ist, aufnimmt, und das, was unfertig oder zerbrochen war, ergänzt und heilt.

 

Wenn heute in katholischen Gottesdiensten das Fest „Taufe des Herrn“ gefeiert wird, dann ist die biblische Erzählung von Jesus zu hören, in der er im Jordan getauft wird. Eine Stelle voller Symbolkraft. Jesus kommt zu Johannes dem Täufer und steigt ins Wasser. Vielleicht sogar an eine der tiefsten Stellen im Jordan. Dahin, wo es schlammig ist, wo man stecken bleiben, ausrutschen oder gar untergehen kann. Ein Ort, der symbolisch für das stehen kann, was mich manchmal runterzieht, ein Ort der Ängste und Sorgen. Vielleicht auch ein Ort, der für die Momente steht, in denen ich mit anderen nicht umsichtig umgegangen bin oder in denen ich nachlässig mit meinem Körper war. Momente, in denen ich danach gemerkt habe: so kann es nicht weitergehen. Zu viel dies, zu wenig das.

 

Genau dorthin geht Jesus. Und dort, am tiefsten Punkt, da begegnet mir Gott mit seiner Liebe. In der Bibel heißt es, dass sich der Himmel öffnet und „eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“ (Mk 7,11)

Eine göttliche Liebeserklärung. Und sie verändert Jesus: Danach beginnt er, öffentlich aufzutreten, und die Menschen spüren etwas von diesem himmlischen Liebesband.

In diese Verbindung zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Jesus, sind Menschen mit hineingenommen - vor allem durch die Taufe, aber auch wenn sie eine Sehnsucht nach dieser Verbindung spüren. Eine Verbindung, die Kraft zum Leben und auch zum Sterben gibt.

Für mich sagt Gott zu jedem Menschen: Du, Mensch, bist gut. So wie Du bist. Du bist meiner Liebe wert. Es gibt Dinge, die Dein Leben gefährden. Die dich runterziehen in die Tiefe. Aber ich bin bei Dir. Und auch am tiefsten Punkt Deines Lebens, im Tod, da führe ich Dich zum Leben.

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SWR1 3vor8

17DEZ2023
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Ein Augusttag vor fast 300 Jahren. Der Komponist Georg Friedrich Händel ist krank. Und er steckt mitten in seiner schwersten Schaffenskrise. Er weiß nicht, ob er jemals wieder Musik schreiben wird. Müde und trostlos beginnt er in dem Manuskript zu lesen, das ihm sein Freund Charles für ein neues Stück zugesandt hat. Doch das, was er da liest, fesselt ihn auf Anhieb. Er ist sich sicher: Ich bin gemeint. Diese Worte sind nur für mich. Da steht: Tröste dich mein Volk, spricht dein Gott! Vernehmt die Stimme Johannes des Täufers in der Wüste. Bereitet unserem Gott den Weg.

Händel verschlingt die biblischen Worte vom Trost und von Johannes dem Täufer. Wie in einem Rausch komponiert er in nur drei Wochen eines seiner bekanntesten Werke: den Messias. Als die Menschen später die Musik hören, sind sie tief berührt von der Kraft der tröstenden Musik. Bis heute.

Auch ich lechze nach Worten und Klängen, die mich trösten. Kriege – an so vielen Orten auf unserer Welt –, hasserfüllte Menschen, die brutal morden, Hitzewellen und Überschwemmungen. Und dazu das, was ich in meinem Umfeld mitbekomme: ein Kind, das kurz vor der Geburt im Bauch der Mutter stirbt, eine Krankheit, bei der die Ärzte nicht wissen, wie sie sie in den Griff bekommen können.

Da ist so Vieles, was das Herz bedrückt und was mich ohnmächtig und ratlos zurücklässt. Wie sehr brauche ich in solchen Zeiten Trost, der mich stärkt und meine Seele wieder aufrichtet.

Händel hat den Trost in alten biblischen Worten gefunden. Und in der Figur von Johannes dem Täufer. Von ihm ist heute, am dritten Adventssonntag, in katholischen Gottesdiensten die Rede.

Johannes ist zuversichtlich, dass Gott kommt. Darauf weist er sein ganzes Leben lang hin. Er selbst sieht sich als Wegbereiter Gottes und sagt: „Ebnet den Weg für den Herrn“ (Joh 1,23). Johannes ist überzeugt, dass sich alles zum Guten wendet, wenn Gott kommt. Dass alles Leid, alles, was uns jetzt Sorgen macht, ein Ende haben wird. Dass da einer kommt, der Heil und Leben bringt.

Auch wenn Menschen nach wie vor einander Schlimmes antun, auch wenn es weiterhin Schicksalsschläge und Naturkatastrophen gibt, so tröstlich sind für mich adventliche Gestalten, wie Johannes der Täufer. Und auch Klänge, wie die von Händels Messias. Beide lösen die Probleme nicht, aber sie richten mich innerlich auf und wärmen mein Herz. So dass ich wieder hoffen kann.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

16DEZ2023
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Wenn alles glatt läuft, spricht bald niemand mehr drüber. Aber wenn etwas mal daneben geht, dann erzählt man sich noch Jahre später davon. So wie beim 60sten Geburtstag meiner Mutter. Mit der Familie waren wir wandern und saßen abends in einer Gaststätte. Zur Feier des Tages wollten wir vor dem Essen anstoßen. Doch statt des Aperitifs „Kir Royal“, einem Glas Sekt mit Johannisbeerlikör, haben wir einen Eisbecher „Kir Royal“ bekommen. Nunja… den Hauptgang haben wir anschließend kaum geschafft, aber der Stimmung hat das nicht geschadet. Bis heute lässt uns der Eisbecher zum Aperitif über den schönen Tag schmunzeln. Nicht perfekt, aber nachhaltig in der Erinnerung.

So kann es einem vielleicht auch mit Weihnachten gehen.

Wenn ich mir die Weihnachtsgeschichte anschaue, ist auch damals nicht alles perfekt gelaufen. Maria und Josef sind zu spät dran und müssen in einem Stall übernachten, Sterndeuter suchen verzweifelt den richtigen Weg, und die ersten Gäste sind Hirten, die mit dem Geruch von Schafen direkt von der Arbeit kommen. Die Weihnachtsgeschichte ist voll von Unperfektem. Und doch war es genug. Maria, Josef, die Hirten und die Sterndeuter – sie alle haben gespürt: es ist etwas Besonderes passiert. Etwas, das ihr Herz erfüllt hat, und wovon sie nachher noch lange erzählt haben. Momente, in denen Gott auf einmal ganz nah war.

Daran will ich denken, wenn dem Weihnachtsbaum hier und da ein paar Zweige fehlen, wenn die Wohnung nicht auf Hochglanz geputzt ist und wenn ich es erst zwischen den Jahren schaffe, die Weihnachtspost zu schreiben. Und auch ein Streit darf mal sein. Weihnachten wird es, auch wenn nicht alles sauber oder nicht alles liebevoll, eben nicht alles perfekt ist. Dann nämlich, wenn ich mit einer Freundin ein intensives Gespräch über schwere Dinge führe und auf einmal im Raum etwas von der Botschaft der Engel spürbar wird: „Fürchte dich nicht“. Oder wenn mein Patenkind sich nicht nur die wohlgeformten Weihnachtsplätzchen, sondern auch die Missratenen in den Mund schiebt und dabei über das ganze Gesicht strahlt.

Entscheidend ist, gerade auch in den unperfekten Momenten, mein Herz zu öffnen. So, dass Begegnung möglich ist. Mit anderen und dadurch auch mit Gott.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

15DEZ2023
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Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Löwe und Lamm. Der Löwe stark und imposant. Das Lamm sanft und verletzlich. In der freien Wildbahn sind die beiden Feinde.

Umso absurder ist das, was der niederländische Priester Henri Nouwen rät, der unser Innerstes mit einem Löwen und einem Lamm vergleicht. Er sagt: „Lass deinen Löwen bei deinem Lamm liegen.“

Der Löwe steht bei Nouwen für das Eigenständige in uns. Mein Löwe meldet sich, wenn ich merke: hier möchte ich Position beziehen. Möchte ich mich selbstbewusst einbringen, Dinge entscheiden und vorangehen. Als Lamm dagegen bezeichnet Nouwen den Teil in uns Menschen, der Beistand und Zuneigung braucht. Ich kann etwas von dem Lamm in mir spüren, wenn ich mir wünsche, dass jemand für mich da ist, der für mich sorgt. Mir den Rücken stärkt, wenn meine Kraft nicht reicht.

Ich kenne beide Seiten in mir. Meine Löwen- und meine Lamm-Seiten. Nicht immer liegen die beiden friedlich nebeneinander. Es kommt schon vor, dass einer den anderen ordentlich zur Seite schiebt, fast verdrängt. Ich möchte zum Beispiel in einem Streit unbedingt meine Position behaupten – mein Löwe brüllt. Aber gleichzeitig gibt es eine Seite in mir, die will von Streit gar nichts wissen. Und dann ringen die beiden in mir.

Nouwen sagt dazu: „Gibst du nur auf deinen Löwen Acht, wirst du dich überfordern und bald erschöpft sein. Und siehst du nur auf dein Lamm, wirst du bald deinem Bedürfnis, anderen zu gefallen und zu imponieren, zum Opfer fallen. Die Kunst (…) besteht darin, beiden uneingeschränkt Rechnung zu tragen: deinem Löwen und deinem Lamm.“

Mir hat das Bild vom Löwen und dem Lamm geholfen. Es macht mir klar, dass es beides braucht und nicht das eine besser als das andere ist. Beides braucht Platz und will geübt werden: in einer Freundschaft genauso, wie im Beruf. Wenn ich meine Meinung und meine Bedürfnisse immer nur zurückhalte, um mich im Kollegenkreis zu integrieren und bloß nicht negativ aufzufallen, dann wird mich das innerlich genauso unruhig und unzufrieden machen, wie wenn ich meine, dass ich immer zielstrebig voranpreschen muss und es ohne mich nicht geht.

Für Nouwen liegt der Schlüssel darin, Löwe oder Lamm nicht kleinzuhalten, sondern für beide zu sorgen. Und dann – davon ist Nouwen überzeugt – beginnt der Frieden sich auszubreiten. Erst in mir und dann auch um mich herum.

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