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SWR1

   

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SWR1 3vor8

05JAN2025
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Johanna ist mein Patenkind und acht Jahre alt. Neulich waren wir zusammen in der Kirche und im Gottesdienst wurden wir aufgefordert, uns gegenseitig zu segnen. Ich habe ihr ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet und dann umgekehrt sie mir. Für mich ein besonderer Moment. Der Segen ging hin und her und Johanna und ich: wir beide mittendrin.

Gesegnet zu werden ist für mich etwas Besonderes. Vor allem, wenn mir eine Person direkt gegenübersteht, in die Augen schaut und mir mit den Fingerspitzen ein Kreuzzeichen auf die Stirn macht. In diesen Momenten wird mir bewusst: Ich bin gemeint. Mir wird gerade Gutes gesagt. Und in dieser Nähe eines anderen Menschen erahne ich, dass auch Gott mir nahe ist.

Gott segnet die Menschen – das kenne ich. Und bislang war für mich klar: der Segen geht quasi von oben nach unten, von Gott zum Menschen. Doch dass der Segen auch in die andere Richtung, also vom Menschen zu Gott gehen kann – das ist für mich ein eher ungewöhnlicher Gedanke.

Nicht für die Bibel. Da geht der Segen hin und her. Ganz bildlich wird das bei der Geschichte von Jakob, im ersten Buch der Bibel beschrieben. Jakob träumt, dass die Boten Gottes auf einer Himmelsleiter von Gott zu Jakob und von Jakob zu Gott steigen. Auf und ab. Himmel und Erde sind miteinander verbunden und Gott verspricht Jakob: „Ich bin bei dir. Ich behüte dich, wohin auch immer du gehst.“ (Gen 28,12ff.)

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die ersten Christen die Erzählung von Jakob und dem Segen, der hin- und hergeht, gekannt haben. Und auf diesem Hintergrund schreibt Paulus in einem Brief an die Menschen in Ephesus: „Gesegnet sei Gott (…).“ Und kurz darauf schreibt er weiter: „Gott hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.“ (Eph 1,3)

Ich finde das einen schönen Gedanken am Beginn dieses neuen Jahres: Gott segnet mich und diesen Segen kann ich weitergeben. An andere Menschen und eben auch an Gott. Und so teile ich mit Gott nicht nur das, was mir gerade schwer auf der Seele liegt und wo ich ihn vermisse und seinen Segen brauche. Sondern ich segne ihn auch. Also ich suche die Nähe zu ihm, danke ihm und teile mit ihm das Schöne, das es in meinem Leben gibt.

Der Segen – er geht hin und her. Eine Verbindung, die mich trägt.

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SWR1 3vor8

08DEZ2024
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Orte, an die man sich manchmal hinwünscht, heißen „Sehnsuchtsorte“. Das kann ein Sandstrand am Meer, eine Berghütte oder die gemütliche Bar in der Nachbarschaft sein. Zu einem Sehnsuchtsort gehört für mich, dass ich dort dem entfliehen kann, was mich belastet. Dort fühle ich mich aufgehoben und leicht.

In biblischen Texten ist die Stadt Jerusalem so ein Ort. Heute ist davon in katholischen Gottesdiensten zu hören. Der Abschnitt aus dem Buch des Propheten Baruch beschreibt Jerusalem als eine Frau, die ihre alten Kleider ablegen und neue anlegen soll. Ganz poetisch heißt es: „Leg ab, Jerusalem, das Kleid deiner Trauer und deines Elends, und bekleide dich mit dem Schmuck der Herrlichkeit, die Gott dir für immer verleiht! Leg den Mantel der göttlichen Gerechtigkeit an; setz dir die Krone der Herrlichkeit des Ewigen aufs Haupt! Denn Gott will deinen Glanz dem ganzen Erdkreis unter dem Himmel zeigen.“ (Bar 5,1-3)

Jerusalem als ein Sehnsuchtsort, wo einmal alles gut sein wird. Und das, obwohl die Stadt nicht nur heute, sondern auch zu biblischen Zeiten oft heftig umkämpft und sogar mehrmals zerstört wurde. Das haben auch die Menschen zur Zeit des Propheten Baruch am eigenen Leib erfahren. Und die schwere Zeit steckt ihnen noch in den Knochen. Aber – und davon spricht der Prophet Baruch – es wird anders werden. Weil Gott sie nicht vergessen hat. Er sorgt dafür, dass Jerusalem irgendwann wieder strahlen wird.

Ich glaube, wir Menschen brauchen solche Hoffnungsbilder. Nicht weil ich davon ausgehe, dass Gott alles Unglück mit einem Wisch beseitigt. Aber mir tut es gut, wenn ich von solchen Hoffnungsbildern höre – gerade jetzt im Advent. Sie erinnern mich daran, dass es unter dem, was schwer auf mir lastet, immer auch glänzt. Ein Glanz, den Gott in jeden Menschen gelegt hat. Und diesen gilt es zu suchen und freizulegen. Dann wird das Leben nicht nur an irgendeinem Sehnsuchtsort heller und schöner, sondern auch da, wo ich gerade bin.

Äußerlichkeiten, wie ein schickes Oberteil oder glänzender Schmuck, können dabei helfen. Doch noch besser gelingt das, wenn mich jemand ermutigt, mich nicht unterkriegen zu lassen, weil wir das gemeinsam schon hinbekommen. Oder wenn jemand wirklich versucht zu verstehen, wie es mir geht und mir dadurch zeigt, dass ich ihm wichtig bin. In solchen Momenten, kann ich den Glanz erahnen, mit dem Gott mich und die Menschen um mich herum ausgestattet hat.

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SWR1 3vor8

01NOV2024
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Seit gut vier Jahren gibt es auf Instagram das Projekt „eswarnichtimmereinfach“. Dort werden Geschichten von Heiligen erzählt. Aber nicht über sie, sondern aus der Perspektive der Heiligen selbst. Bekanntere Heilige, wie Nikolaus und Martin, aber auch Unbekanntere mit teilweise schrägen Lebensläufen werden so zugänglich und nahbar. Wenn ich in den Lebensgeschichten lese, gibt es meistens irgendetwas, was ich für mich herausziehen kann. Wie z.B. bei Alfred Delp, der davon überzeugt war, dass ein Mensch so viel Mensch ist, wie er liebt. Oder Hildegard von Bingen, die über sich sagt: „Ich habe gezeigt, dass es wichtiger ist, dem Herz zu folgen, als Gehorsam zu leisten.“

Bei allen Lebensgeschichten zeigt sich aber auch, warum die Macher für ihr Projekt die Überschrift „es war nicht immer einfach“ ausgesucht haben. Denn im Leben der Heiligen gibt es auch viel Schweres. Sie ringen mit sich, der Welt und Gott und sind dabei lange nicht perfekt. Oft brauchen sie eine riesige Portion Mut, um sich gegen ihr Umfeld zu stellen. Sie müssen manches aus- und durchhalten – oft richtig lang. Wie Alfred Delp, der von den Nazis inhaftiert, gefoltert und zuletzt sogar erhängt wurde. Oder eben auch Hildegard von Bingen, die von sich schreibt: „In mir sah man allzu oft nur eine kränkliche Frau.“

Doch so unterschiedlich die Lebensgeschichten der Heiligen sind: immer hat sich Gott in ihrem Leben bemerkbar gemacht. Und zwar so, dass sie verstanden haben, dass Gott da ist. Und dass sie von Gott geliebt sind, dass Sie „Geliebte Gottes“ sind.

Geliebte, genauso werden heute auch alle angesprochen, die in katholischen Gottesdiensten sind. Denn es wird ein Abschnitt aus der Bibel gelesen, in dem es heißt: „Geliebte, wir sind Kinder Gottes.“ Und: „Seht, welche Liebe uns der Vater geschenkt hat.“ (1 Joh 3, 1f.) Was für eine Zusage. Und: gar nicht so leicht zu begreifen. Eigentlich eine Nummer zu groß für mich. Doch mit der Liebe ist es vermutlich immer so. Ich kann die Liebe nicht verstehen und bis ins Letzte erfassen. Aber ich kann mich von ihr tragen lassen. Kann üben, dass ich dem, der mich liebt, vertraue.

Die Lebensgeschichten der Heiligen zeigen, was dann möglich ist. Sie hatten so ein tiefes Vertrauen in Gottes Liebe, dass es nicht nur in ihrem Leben, sondern auch für andere heller und leichter wurde. Für mich sind Heilige deshalb Menschen, durch die Gottes Liebe einen Weg in die Welt findet. Menschen, durch die diese Liebe nicht abstrakt bleibt, sondern wirklich sichtbar wird.

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SWR Kultur Lied zum Sonntag

06OKT2024
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Mein erstes Konzert, bei dem ich im Chor mitgesungen habe, war das Requiem von John Rutter. 14 Jahre war ich damals, und ein Requiem nicht unbedingt das, was andere in meinem Alter hoch und runter gehört haben. Doch die Musik hatte mich gepackt. Ich weiß noch gut, wie ich in die Klänge abgetaucht bin. Wie tröstlich ich die Musik fand und wie kraftvoll.
John Rutters Musik hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Weihnachten ist für mich ohne seine Weihnachtslieder fast nicht vorstellbar. Und ich kann kaum mehr zählen, wie oft ich im Chor das Segenslied „The Lord bless you and keep you“ gesungen habe.

Auch unser Lied zum Sonntag ist von John Rutter. Es heißt „For the beauty of the earth“ also „Für die Schönheit dieser Welt“ und passt ganz wunderbar zum heutigen Erntedankfest:

Musik 1

„Unser Herr, zu dir erheben wir unsern frohen Dank im Lied.“
Mit dieser Zeile endet jede Strophe dieses großen Lobgesangs. Den Text hat vor 160 Jahren Folliot Pierpoint geschrieben, und John Rutter hat ihn 1980 vertont. Strophe für Strophe besingen die Sängerinnen und Sänger Berg und Tal, Baum und Blumen, Sonne, Mond und Sternenlicht. Dann stehen wir Menschen im Fokus des Dankes und die Liebe, die uns untereinander verbindet. Der Liedtext zählt Brüder, Schwestern, Eltern und Kinder auf. Und er dankt für die Freunde. Für die, die hier auf der Erde sind und, so heißt es im Text, für die Freunde dort. Also für die, die bereits gestorben sind. Bei John Rutter klingt das so:

Musik 2

John Rutter hat einmal gesagt: „Als ich mit dem Komponieren begann, sagte ich mir, dass es sehr wichtig ist, den Text, den man vertonen will, nicht nur im Kopf zu verstehen, sondern ihn ins Herz zu nehmen.“ Ich finde, das hört man seiner Musik an. Sie ist ein Glaubenszeugnis. Sie kommt von Herzen und sie geht zu Herzen. Für manche mag sie dadurch ein wenig kitschig sein, doch mich trägt und umhüllt seine Musik. Gerade, wenn Schweres mein Leben zudeckt.

Und heute ermutigt sie mich, bewusst nach dem Ausschau zu halten, wofür ich dankbar bin. Und wie das Lied fange ich mit dem an, was mich umgibt: die Weite des Himmels, der herrliche Duft von Herbst, von Trauben und Laub, und die Musik aus dem Radio. Und ich bin ganz fasziniert: einmal mit dem Danken angefangen, entdecke ich viel leichter immer Neues, wofür ich danken kann.

 

Aufnahme

Titel: For the beauty of the earth.

Hymnus für vierstimmigen gemischten Chor und Klavier oder Orgel, Fassung für Chor, Flöte, Oboe und Harfe

Komponist: John Rutter

Interpret: Chamber Choir of Europe, Leitung: John Rutter

Festkonzert anlässlich der Verleihung des Preises der Europäischen Kirchenmusik 2019 an John Rutter

Übersetzung (deutsch): Karl Rathgeber

SWR Archiv-Nummer: M0572283

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SWR1 3vor8

22SEP2024
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Wer hat hier die Macht und das Sagen? Im Büro, Fußballverein oder Kirchengemeinde wird diese Frage selten offen angesprochen. Meist gärt sie eher im Verborgenen, und das tut dem Miteinander gar nicht gut. Doch das ist nichts Neues. Schon die Bibel berichtet davon. Der Abschnitt aus dem Markusevangelium ist heute in katholischen Gottesdiensten zu hören.

Die Freunde Jesu sind mit Jesus unterwegs, und während der von Tod und Auferstehung erzählt, sind sie damit beschäftigt zu klären, wer denn nun das Sagen hat. Jesus bekommt das mit, aber er macht ihnen keine Vorwürfe, sondern sagt: „Wer der Erste sein will, soll der Diener aller sein.“ (Mk 9, 35).

Was für ein starker Satz. Und wie heilsam wäre es für unsere Welt, wenn alle sich das zu Herzen nehmen würden. Alle, die Verantwortung für andere haben: Chefinnen und Politiker, Unternehmensberaterinnen und Sporttrainer. Und auch in der Familie und unter Kollegen. Wer Verantwortung für andere hat, muss auch die Verpflichtung auf sich nehmen, für die da zu sein, die ihm anvertraut sind. Und wer Chef werden will, muss sich zuerst im Dienen beweisen.

Und damit nicht genug. Wie um das Gesagte zu unterstreichen, stellt Jesus ein Kind in die Mitte, nimmt es in seine Arme und sagt: „Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf.“ (Mk 9,37).

Kind zu sein, heißt doch – ganz nüchtern betrachtet –: durchgebracht werden, bis man selbst für sich sorgen kann, machtlos und auf den Schutz anderer angewiesen sein. Allein geht es nicht. Vielmehr helfen wir Kindern dabei, erwachsen zu werden. Wir sagen ihnen, was wir toll an ihnen finden. Wir ermutigen sie, sich auszuprobieren und Talente zu entdecken. Und wir erlauben ihnen auch, Fehler zu machen und halten mit ihnen Enttäuschungen aus. Wäre es nicht wunderbar, wenn auch wir Erwachsene uns so begegnen würden? Ich glaube, diese Haltung würde uns gut zu Gesicht stehen. Denn dann ginge es weniger darum, sich selbst zu profilieren, sondern vielmehr darum, den anderen groß zu machen. Einander wie einem Kind herzlich zu begegnen und sich nicht gegenseitig die schwachen Seiten unter die Nase zu reiben.

Ich glaube, das ist der Blick, den Jesus auf uns Menschen hat. Er sieht, was in jeder und jedem von uns steckt. Und das wünscht er sich auch für uns. Dass wir einander dabei unterstützen groß zu werden. Und ich bin sicher: dann sind wir für Gott die Größten.

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SWR1 3vor8

11AUG2024
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Manchmal sind es die einfachen Dinge, die es braucht, um wieder zu Kräften zu kommen: eine Umarmung, jemand, der mich zum Lachen bringt, oder etwas, was dem Körper Kraft gibt. Ein gutes Essen zum Beispiel. Oder mal Zeit zum Ausschlafen. Das klingt nach nicht viel, aber ohne geht es nicht.

Von stärkenden Dingen ist heute auch in katholischen Gottesdiensten zu hören. In der biblischen Erzählung geht um den Propheten Elija, der eine anstrengende Zeit hinter sich hat. Mit Energie und Herzblut hat er sich in die Arbeit gestürzt und alles gegeben, um zu zeigen, dass sein Gott der Größte ist. Aber nun kann er nicht mehr. Elija ist erschöpft. Irgendwie scheint alles sinnlos, weil seine Bemühungen letztlich umsonst waren. Nur wenige konnte er von Gott überzeugen. Jetzt will er am liebsten nur noch schlafen und nicht mehr aufwachen.
Um vor allem und jedem Ruhe zu haben, geht Elija in die Wüste. Nachdem er eine Weile ganz allein unterwegs ist, legt er sich unter einen Ginsterstrauch und sagt zu Gott: „Nun ist es genug, HERR. Nimm mein Leben.“ (1 Kön 19,4) Elija ist am Ende. Er steckt mitten in einer Krise. Nichts geht mehr. Da berührt ihn ein Engel. Er stellt Elija Brot und Wasser hin und sagt: „Steh auf und iss.“ Elija macht, was der Engel sagt. Er isst und trinkt …und legt sich wieder hin. So müde ist er. Doch der Engel lässt nicht locker. Ein zweites Mal sagt er zu Elija: „Steh auf und iss.“ Langsam kommt Elija wieder zu Kräften. Er fasst neuen Mut und kann weitergehen. Vermutlich erst zaghaft, aber es geht weiter.

Ich mag die Geschichte. Denn Gott gibt Elija Zeit. Und er versorgt ihn mit dem, was er gerade braucht – ohne gleich irgendetwas von ihm zu erwarten. Oder ihm mit moralischem Zeigefinger vorzuhalten, dass er doch weitergehen, sich nicht so anstellen soll. Erst als die Kräfte wieder da sind, geht der Blick nach vorn.

Für mich heißt das: Gott richtet auf. Er sorgt für mich und stärkt. Und er tut es meist durch einen anderen Menschen. Jemand, der mich anruft, wenn ich mich eingeigelt habe, oder jemand, der zu mir sagt „Ich finde, das hast du richtig gut hingekriegt!“, wenn ich selbst nur noch an mir zweifle. Ich weiß, dass das keine Probleme löst. Schon gar nicht, wenn sich hinter der Erschöpfung eine krankhafte Depression oder ein Burn-Out verbirgt. Aber es gibt Kraft für den nächsten Schritt.

Pause machen, sich stärken lassen…und dann weitergehen. Das ist nicht nur für Elija wichtig. Sondern für alle. Und deshalb finde ich es auch eine super Urlaubsgeschichte.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

10AUG2024
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Ich bin auf einer Fortbildung. Gerade trudeln alle ein. Katrin, die wie ich eine Teilnehmerin ist, kommt auf mich zu, um mich zu begrüßen und sagt: „Hallo, du Schöne“!
Du Schöne. Ich bin überrascht, denn so werde ich selten begrüßt. Doch da ich Katrin schon eine Weile kenne, ist mir schnell klar: Bei ihr ist das keine Floskel. Katrin hat einen Blick für Schönes. Sie sucht es. Und findet es immer wieder. Heute bei mir.

Dass es sich lohnt, aufmerksam nach dem Schönen Ausschau zu halten, davon ist auch die französische Mystikerin Simone Weil überzeugt. Für sie ist schön vor allem „das, was man“ – wie sie sagt – „nicht verändern will“. Das, was einfach da ist, ich mit meinen Sinnen wahrnehmen und nicht künstlich machen kann. Weder durch eine Schönheits-OP, noch durch einen Filter, den ich auf Fotos lege, um sie zu bearbeiten. Diese reine, pure Schönheit kann überall sein. Wenn ich in einer Sommernacht eine Sternschnuppe am Himmel entdecke. Wenn ich das freudige Glucksen meiner kleinen Nichte höre. Oder im Gesicht der alten Frau, die ich vor Kurzem besucht habe. Ein Gesicht, das voller Lebensspuren ist und bei dem hinter jeder Falte eine Geschichte steckt.

Simone Weil hat das Schöne mit Gott verknüpft. Sie schreibt: „In allem, was das reine und echte Gefühl des Schönen in uns weckt, ist Gott wirklich gegenwärtig.“
Ich verstehe das so, dass alles Schöne meinen Sinn für das Unendliche wecken kann. Und dass ich, wenn ich Schönes entdecke, sensibel dafür werde, wie viel Göttliches in allen Menschen und in der ganzen Schöpfung steckt.

Leider wird das Schöne oft zugedeckt und überlagert. Wenn die Natur ausgebeutet wird. Wenn Menschen Krisen aushalten müssen. Oder auch wenn sie neidisch aufeinander sind oder sich sogar bekriegen und einander Gewalt antun.

Doch vielleicht brauchen Menschen gerade dann das Schöne. Etwas, das sie hoffen lässt. Etwas, worüber sie sich freuen können. Und wenn es auch nur für einen Moment ist. Ich denke an eine junge Geigerin, die mit einem Streichquartett im Gazastreifen Musik macht. Unterirdisch, wegen der Raketen. Oder an Friseure, die Obdachlosen die Haare schneiden. Sie sehen das Schöne der Menschen und legen es frei.

Menschen brauchen Schönes. Davon bin ich überzeugt. Und deshalb wünsche ich seit einiger Zeit lieben Menschen auf Geburtstagskarten nicht nur viel Gutes für das neue Lebensjahr, sondern auch viel Schönes.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

09AUG2024
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Meine Freundin Anna liebt es, wenn Gäste zu Besuch kommen. Die Wohnung, in der sie mit ihrem Mann und den drei Kindern lebt, ist nicht groß. Aber für Besuch ist immer Platz. Alle rutschen dann ein bisschen zusammen, das Bett wird frisch bezogen und Anna überlegt sich, was es Feines zu Essen geben könnte.

Schon nach kurzer Zeit bin ich mittendrin im Familienleben: sitze auf dem Teppich und spiele mit dem Jüngsten, lese vor oder singe mit den Mädels. Und abends, wenn die Kids im Bett sind, quatschen wir Erwachsenen. Anna holt ganz oben aus dem Schrank Schokolade und Chips raus und dann wird erzählt bis uns die Augen zufallen. Von dem, was an Schönem bei uns im Leben gerade so los ist, bis hin zu dem, was uns schwer auf dem Herzen liegt.

Annas Familienleben mit Arbeit und Kindern ist so ganz anders als mein Single-Dasein. Umso mehr genieße ich es, dass Anna ganz selbstverständlich ihr Leben mit mir teilt. Schnell bekomme ich Abstand von meinem Alltag und kann bei allem Trubel in der Wohnung innerlich zur Ruhe kommen. Vor allem aber lässt mich Anna spüren: hier bin ich wirklich willkommen. So wie ich bin. Annas Wohnung ist für mich ein Ort zum Atemholen. Ein geschützter Raum, an dem ich ausruhen und einfach sein kann.

Der Theologe und Religionsphilosoph Romano Guardini spannt den Bogen sogar noch weiter. Er sagt, in der für den Beginn des 20. Jahrhunderts typischen, leicht gestelzten Sprache: „Dies ist der Gastfreundschaft tiefster Sinn: dass ein Mensch dem anderen Rast gebe auf der großen Wanderschaft zum ewigen Zuhause. Dass er für eine Weile ihm Bleibe gebe für die Seele, Kraft, Ruhe und das Vertrauen: Wir sind Weggenossen und haben gleiche Fahrt.“

Anna ist für mich so ein Mensch, die mir auf meinem Lebensweg Rast gibt. Von ihr kann ich lernen, wie es geht, einladend zu sein. Und ich habe gemerkt: einladend sein, das geht auch außerhalb der eigenen vier Wände. Es braucht dazu weder viel Platz noch viel Zeit. Einem anderen Menschen Rast geben, bedeutet: für eine kleine Weile der anderen zuhören, zugewandt sein, Raum geben. Einander am Leben teilhaben lassen und dem anderen das Gefühl geben: Du bist wirklich willkommen! Von ganzem Herzen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

08AUG2024
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Schuhe aus. Das ist das erste, was ich mache, wenn ich nach Hause komme. Schuhe aus, damit der Dreck von der Straße nicht in die Wohnung kommt.

Doch es hat nicht nur was mit Hygiene zu tun. Wenn ich die Schuhe ausziehe, dann weiß ich sofort: jetzt bin ich zuhause. Mit den Schuhen lege ich ab, was mich bis zur Haustür getragen hat, und ich schlüpfe so auch aus einem Teil meiner beruflichen Rolle. Barfuß oder in Strümpfen bin ich leiser und auch verletzlicher. Ohne Schuhe ist kein großer Auftritt möglich. Ich bin da – so wie ich bin.

 

In der Bibel gibt es eine Stelle, in der auch jemand die Schuhe auszieht. Mitten in der Wüste, an einem brennenden Dornbusch. Mose hütet gerade Schafe und Ziegen und Gott sagt zu ihm: „Zieh deine Schuhe aus.“ Und er schiebt die Begründung gleich hinterher: „Der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden.“ (Ex 3,5)

Heiliger Boden. Für Mose ist das jede Menge heißer Sand. Vermutlich auch Steinchen und Dornen. Doch Mose lässt sich davon nicht abhalten. Er zieht die Schuhe aus und unterhält sich mit Gott. Die Steppe wird zum Ort, wo er Gott begegnet.

 

Heilige Böden – die gibt es auch heute noch im religiösen Bereich. Christliche Meditationsräume werden meist ohne Schuhe betreten, und auch muslimische Gebetshäuser und Moscheen. An diesen Orten bücke ich mich, um meine Schuhe auszuziehen. Ich mache mich klein und höre auf das, was Gott mir sagen möchte.

Heilige Böden gibt es darüber hinaus aber öfter, als man denkt. Für mich gehören dazu auch Orte, die mich aus meinem Alltag rausholen. Orte, an denen ich zur Ruhe komme, an dem mein Herz vor Freude hüpft, oder an dem ich einfach sein kann, wie ich bin. Das kann bei mir zuhause am Klavier sein. Oder draußen in der Natur – bei einem Spaziergang im Wald oder beim Radfahren über die Felder. In einer Kirche genauso wie im Urlaub am Meer. Das müssen nicht die großen Momente und spektakulären Orte sein. Entscheidend ist, dass ich für einen Moment ablege, was mich von mir selbst wegbringt, und dass ich bereit bin, mich von Gott überraschen zu lassen.

„Zieh deine Schuhe aus. Denn wo du stehst, ist heiliger Boden“.

Mich inspiriert der Satz, immer wieder aufs Neue heilige Böden zu entdecken. Im Alltag, im Urlaub. Barfuß oder mit Schuhen.

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SWR1 3vor8

30JUN2024
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Mich voll und ganz ohnmächtig fühlen – das kann ich nur schwer ertragen.
Bei kleinen Dingen geht es noch. Zum Beispiel, wenn ich im Stau stehe und es nur im „stop and go“ vorwärtsgeht. Es nervt mich, dass ich ausgebremst werde, aber ich weiß auch: Das geht vorbei. Oder wenn eine Kollegin mich auflaufen lässt oder ein anderer meint, über mich bestimmen zu müssen. Das ist kein schönes Gefühl, aber meist merke ich mit ein wenig Abstand: so ohnmächtig bin ich gar nicht. Irgendwas kann ich doch noch tun. Sei es auf Abstand gehen oder ein klärendes Gespräch suchen.
Ganz anders ist es, wenn eine Krankheit Lebenspläne durchkreuzt. Oder wenn im Alter die Kräfte nachlassen, der eigene Körper zunehmend Grenzen setzt. Es ist hart, wenn ich erlebe, dass ich nichts für einen geliebten Menschen oder mich tun kann und der Situation hilflos ausgeliefert bin.
Und damit nicht genug: Mit einem Blick in die Welt, gibt es noch mehr, was mich ohnmächtig macht: die Klimakatastrophe, die vielen Kriege in der Welt. Da wird das Ohnmachtsgefühl manchmal bei mir riesengroß. Und es fühlt sich verdammt mies an, dass so vieles nicht in meiner Hand liegt.

In katholischen Gottesdiensten ist heute eine Stelle aus der Bibel zu hören, in der es um zwei Menschen geht, die sich auch ohnmächtig gefühlt haben. Der eine ist Jairus, Vater einer 12-jährigen Tochter, die im Sterben liegt. Die andere, eine Frau – ihr Name ist nicht bekannt –, die eine langwierige, vielleicht sogar chronische Krankheit hat. Bei vielen Ärzten ist sie gewesen, all ihr Geld hat sie in ihre Gesundheit gesteckt. Nichts hat geholfen.

Jairus und die Frau sind an dem Punkt, an dem sie sich absolut machtlos fühlen. Doch so ohnmächtig sie auch scheinen, sie erstarren nicht. Statt zu resignieren, wenden sie sich an Jesus. Sie muten ihm ihre Ohnmacht zu und sagen vielleicht so etwas wie: Ich bin am Ende. Kannst Du, Jesus, noch was machen? Ich kann es nicht mehr.
Ich finde beachtlich, wie die beiden mit ihrer Ohnmacht umgehen. Sie verdrängen sie nicht, sondern sie sind sich bewusst, dass sie nichts mehr machen können. Und trotz all der Krisen, in denen sie stecken, bauen sie darauf, dass es weitergehen wird. Auch wenn sie noch keine Idee haben, wie das funktionieren soll.
Dieses Vertrauen wünsche ich mir auch. Weil es Kräfte freisetzt, die es zum Leben braucht. Weil es spüren lässt: Ich muss mit meiner Ohnmacht nicht alleine bleiben, ich kann mich anderen anvertrauen. Und: es ist möglich, sich ohnmächtig zu fühlen und zugleich die Hoffnung nicht aufzugeben.

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