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SWR1

   

SWR2 / SWR Kultur

 

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SWR1 3vor8

30JUN2024
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Mich voll und ganz ohnmächtig fühlen – das kann ich nur schwer ertragen.
Bei kleinen Dingen geht es noch. Zum Beispiel, wenn ich im Stau stehe und es nur im „stop and go“ vorwärtsgeht. Es nervt mich, dass ich ausgebremst werde, aber ich weiß auch: Das geht vorbei. Oder wenn eine Kollegin mich auflaufen lässt oder ein anderer meint, über mich bestimmen zu müssen. Das ist kein schönes Gefühl, aber meist merke ich mit ein wenig Abstand: so ohnmächtig bin ich gar nicht. Irgendwas kann ich doch noch tun. Sei es auf Abstand gehen oder ein klärendes Gespräch suchen.
Ganz anders ist es, wenn eine Krankheit Lebenspläne durchkreuzt. Oder wenn im Alter die Kräfte nachlassen, der eigene Körper zunehmend Grenzen setzt. Es ist hart, wenn ich erlebe, dass ich nichts für einen geliebten Menschen oder mich tun kann und der Situation hilflos ausgeliefert bin.
Und damit nicht genug: Mit einem Blick in die Welt, gibt es noch mehr, was mich ohnmächtig macht: die Klimakatastrophe, die vielen Kriege in der Welt. Da wird das Ohnmachtsgefühl manchmal bei mir riesengroß. Und es fühlt sich verdammt mies an, dass so vieles nicht in meiner Hand liegt.

In katholischen Gottesdiensten ist heute eine Stelle aus der Bibel zu hören, in der es um zwei Menschen geht, die sich auch ohnmächtig gefühlt haben. Der eine ist Jairus, Vater einer 12-jährigen Tochter, die im Sterben liegt. Die andere, eine Frau – ihr Name ist nicht bekannt –, die eine langwierige, vielleicht sogar chronische Krankheit hat. Bei vielen Ärzten ist sie gewesen, all ihr Geld hat sie in ihre Gesundheit gesteckt. Nichts hat geholfen.

Jairus und die Frau sind an dem Punkt, an dem sie sich absolut machtlos fühlen. Doch so ohnmächtig sie auch scheinen, sie erstarren nicht. Statt zu resignieren, wenden sie sich an Jesus. Sie muten ihm ihre Ohnmacht zu und sagen vielleicht so etwas wie: Ich bin am Ende. Kannst Du, Jesus, noch was machen? Ich kann es nicht mehr.
Ich finde beachtlich, wie die beiden mit ihrer Ohnmacht umgehen. Sie verdrängen sie nicht, sondern sie sind sich bewusst, dass sie nichts mehr machen können. Und trotz all der Krisen, in denen sie stecken, bauen sie darauf, dass es weitergehen wird. Auch wenn sie noch keine Idee haben, wie das funktionieren soll.
Dieses Vertrauen wünsche ich mir auch. Weil es Kräfte freisetzt, die es zum Leben braucht. Weil es spüren lässt: Ich muss mit meiner Ohnmacht nicht alleine bleiben, ich kann mich anderen anvertrauen. Und: es ist möglich, sich ohnmächtig zu fühlen und zugleich die Hoffnung nicht aufzugeben.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

11JUN2024
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Ikonen auf Munitionskisten copyright: Judith Schmitt-Helfferich

Was für ein Gegensatz. Ich bin in einer Ausstellung und schaue auf Ikonen, auf Bilder von Heiligen, die in der orthodoxen Kirche verehrt werden. Doch statt wie üblich, sind die Ikonen nicht auf einen kostbaren, aufwendig vorbereiteten Untergrund gemalt, sondern auf Munitionskisten aus der Ukraine. Die Bretter sind abgerissen oder gesplittert. Und teilweise befinden sich an den Seiten noch Scharniere. Und da ist er, dieser Gegensatz, den ich kaum zusammenbringe: Auf der einen Seite die Ikonen, die auf das Göttliche hinweisen und für das Leben stehen. Und auf der anderen Seite das Holz der Munitionskisten aus dem Kriegsgebiet. Ein Krieg, in dem schon so viele Menschen getötet wurden. Wohl auch mit dem Inhalt dieser Kisten. Waffen, mit denen die Ukraine sich verteidigt, die aber immer Leid und Tod bringen.

Die beiden Künstler der Ikonen heißen Sonia Atlantova und Oleksandr Klymenko. Sie sind ein Paar und wohnen in Kiew. Bereits seit zehn Jahren, seit der Krieg im Donbas begonnen hat, fertigen sie Ikonen auf den Holzdeckeln von Munitionskisten.

Die Idee dazu hatte Oleksandr. Er war selbst an der Front. Dort, mitten im Kriegsgebiet, hatte er die Idee, aus dem Kriegsmüll Kunst zu machen. Kisten, die eigentlich den Tod bringen, in lebensbejahende Kunst zu verwandeln. Mit Asche, Kreide und Tonscherben, also den Materialien, die er vor Ort gefunden hat, hat er begonnen. Wohl auch, um sich und den Soldaten um ihn herum, Mut zu machen und ein Hoffnungszeichen zu setzen. Dass die Gewalt und der Tod nicht alles sind. Dass – so unvorstellbar es gerade ist – Frieden und Versöhnung möglich sind.

Für Sonia und Oleksandr ist klar: es geht bei ihrer Arbeit in keiner Weise darum, den Krieg zu verherrlichen und Waffen für heilig zu erklären. Vielmehr verarbeiten sie durch ihre Kunst das alltägliche Leben mitten im Krieg. Die beiden sagen: „Mit den Ikonen drücken wir unseren Glauben aus, dass alles gut werden wird. Ohne diese Zuversicht könnten wir gar nicht arbeiten.“ Und nicht zuletzt helfen sie durch ihre Kunst auch ganz konkret. Denn mit den Spenden aus den Ausstellungen und dem, was durch den Verkauf der Ikonen zusammenkommt, finanzieren die beiden ein mobiles Krankenhaus in der Ukraine.

„Leben auf den Tod malen“ – so ist die Ikonenausstellung überschrieben. Im Kleinen könnte das geschehen, wenn in einem Streit ein versöhnliches Wort fällt oder wenn in einer Debatte wirklich zugehört wird und Kompromisse möglich sind. Und im Großen hält der Titel der Ausstellung in mir die Hoffnung wach, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

10JUN2024
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Die Heuschrecken haben alles gefressen. Nichts ist mehr da. Wo vorher noch Weizen und Gerste stand, sind jetzt nur noch abgenagte Stängel zu sehen. Die Ernte ist weg und damit auch die Lebensgrundlage. In kürzester Zeit sind die Heuschrecken in großen Schwärmen aufgetaucht. Niemand wusste, wo sie herkamen. Und niemand konnte etwas gegen sie tun.

Heuschreckenplagen – das gibt es immer wieder und auch die Bibel berichtet davon. Und auch in meinem Leben kenne ich solche „Heuschreckenzeiten“[1]. Wenn plötzlich alles Lebendige weg ist. Wenn die Lebensenergie aufgebraucht ist und die Zukunft trostlos aussieht.

Wenn ich viel Kraft in ein Projekt investiert habe und dann feststelle, dass es sich nicht gelohnt hat. Andere meine Mühen nicht würdigen. Das fühlt sich an, wie ein Kahlschlag der Heuschrecken. Oder wenn beim Arzt klar wird: das ist etwas Ernstes. Krebs oder eine andere schlimme Krankheit. Wenn Menschen mit einer chronischen Krankheit leben lernen müssen. Zu den Zeiten, die die Heuschrecken gefressen haben, gehören für mich auch die Momente, in denen ich das Gefühl habe: „es hat sich nichts getan“. Zum Beispiel, wenn ich in meinem Umfeld die Enttäuschung mitbekomme, dass das Kind zu früh und tot zur Welt kommt. Der Kinderwunsch unerfüllt bleibt.

In der biblischen Heuschreckenzeit spricht Joël, ein Prophet, im Namen Gottes ein Versprechen aus. Er sagt: „Ich werde euch die Jahre erstatten, die die Heuschrecken (…) gefressen haben.“ (Joël 2,25 Elberfelder Übersetzung)

Was für eine Verheißung: „Ich erstatte euch die Jahre.“ Das heißt doch: Es bleibt nicht, wie es jetzt ist. Da kommen wieder andere, bessere Zeiten, die die jetzigen aufwiegen.

Solch ein Satz hat Kraft. Und ist mehr als eine Vertröstung auf irgendwann. Die schwere Gegenwart hat nicht das letzte Wort, es gibt eine Perspektive. Und dann kann ich vielleicht bei aller Traurigkeit darüber, wie es gerade ist, sehen, was auch noch an Gutem da ist. Und mag es noch so klein sein. So ein Satz, so eine Verheißung fordert mich auf, noch einmal anders hinzuschauen. Und sie kann mir auch ein wenig Abstand verschaffen, so dass kreative Lösungsideen wieder Platz haben. Oder mir zumindest ein wenig Mut machen, dass die geplatzten Chancen, mein Pech und meine schlechten Erfahrungen zwar da sind und zu meinem Leben gehören, aber die Zukunft anders werden kann. Sei es in diesem Leben oder auch nach dem Tod.

[1] Vgl.: Christina Brudereck, Trotzkraft, Text 134

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

09JUN2024
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Sie sind schon besonders, diese sechs: Benedikt, Kyrill und Methodius, Katharina, Birgitta und Edith – drei Männer und drei Frauen, die als Schutzpatroninnen und Patrone für Europa ausgesucht wurden. Sie zeigen mir, worauf es in Europa auch heute noch ankommt.

Der älteste in der Runde ist Benedikt von Nursia. Ein Mönch, der im 6. Jahrhundert in Italien gelebt hat. Man könnte sagen, er hat das Klosterleben erfunden und dadurch die Wissenschaft und die Kultur in ganz Europa gefördert und geprägt. Und sein Motto „Ora et labora“, „bete und arbeite“ erinnert mich daran, mich nicht im Druck von „immer mehr“ und „immer besser“ zu verlieren, sondern auf eine gute Balance von Arbeit und Spiritualität zu achten.

Kyrill und Methodius haben im 9. Jahrhundert gelebt. Als Missionare waren sie im Osten Europas unterwegs. Doch sie haben den Slawen nicht einfach ihren Glauben übergestülpt. Sie hatten Respekt davor, wie vielfältig und verschieden die Kulturen sind. Und das ist auch heute, mehr als 1000 Jahre später, noch aktuell.

Nun zu den drei Frauen in der Runde.

Katharina von Siena war eine mutige Frau, die keine Skrupel gekannt hat, sich mit den Mächtigen ihrer Welt anzulegen. Mit einer Gruppe Gleichgesinnter ist sie im 14. Jahrhundert quer durch Europa unterwegs. Immer im Einsatz für den Frieden.

Und auch Birgitta von Schweden scheut sich nicht, selbst Königen und Päpsten ihre Meinung zu sagen. Als Diplomatin setzt sie sich für ein gutes Miteinander zwischen den Völkern ein. Und sie hatte den Wunsch, dass Männer und Frauen nicht konkurrieren, sondern sich ergänzen sollten. Weil es immer gut ist, wenn alle sich einbringen können.

Und last, but noch least: Edith Stein – zunächst Jüdin, dann Christin, die in Auschwitz umgebracht wurde. Sie hat sich uneingeschränkt für die Würde und Freiheit jedes Menschen eingesetzt. Auch das ist leider noch nicht überall in Europa eine Selbstverständlichkeit…

Benedikt, Kyrill und Methodius, Katharina, Birgitta und Edith – sie stehen für Menschenwürde, Frieden und Freiheit und dass wir respektieren, dass wir vielfältig und verschieden sind. Würden sie heute leben, wären sie wahrscheinlich wertvolle Beraterinnen und Berater für das Europaparlament in Straßburg. Auf jeden Fall aber würden sie sich für ein friedliches Europa engagieren und heute wählen gehen.

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SWR1 3vor8

26MAI2024
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In meiner Wohnung gibt es eine Kiste mit Tagebüchern, alten Kalendern und liebevoll geschriebene Karten, die ich irgendwann mal bekommen habe. Ab und zu ist mir danach, in dieser Kiste zu stöbern und ein wenig in Erinnerungen zu schwelgen. Mit den Dingen in der Hand bin ich ganz schnell in der Vergangenheit. Urlaubsnotizen und Geburtstagskarten liegen da neben den Momenten, in denen ich nächtelang gegrübelt habe, wie ich diese oder jene Entscheidung treffen soll. Hoch-Zeiten neben traurigen und einsamen Stunden.

 

Dass es gut ist, ab und zu mal zurückzuschauen, davon ist auch Mose überzeugt. In katholischen Gottesdiensten ist heute zu hören, wie er die Israeliten auffordert, kurz bevor sie nach vielen Jahren Wüstenwanderschaft ins gelobte Land kommen: „Forsche einmal in früheren Zeiten nach.“ (Dtn 4,32 EÜ)

Und dann fängt Mose direkt selbst damit an, in die Vergangenheit zu schauen: Er erinnert sich, wie er am brennenden Dornbusch Gottes Stimme gehört hat. Wie Gott ihn und das ganze Volk aus der Knechtschaft in Ägypten befreit hat. Mose spannt den Bogen sogar noch weiter, wenn er sagt: „Geh in Gedanken zurück: Beginne bei dem Tag, an dem Gott den Menschen auf der Erde erschaffen hat! Erforsche die weite Welt: Geh von einem Ende des Himmels bis zum anderen!“ (Dtn 4,32 Basisbibel)

Mose ist überzeugt: Gott wirkt in der Geschichte. Indem ich auf die Vergangenheit zurückschaue, kann ich entdecken, wie Gott wirkt. Und im Blick auf meine eigene Lebensgeschichte, auf das, was mein Leben geprägt hat, kann ich den Weg erkennen, den Gott mit mir durch Höhen und Tiefen gegangen ist und immer noch geht.

 

Wenn ich in meiner Erinnerungskiste krame, dann bekomme ich davon eine Ahnung. Ich entdecke, dass manches anders geworden ist, als ich es mir vor Jahren erträumt hatte. Aber auch, dass mein Leben deswegen nicht schlechter ist - dass auch Gutes und Schönes möglich wurde.

Ich erkenne immer wiederkehrende Themen, die an verschiedenen Stellen meines Lebens auftauchen, mit denen ich noch nicht fertig bin, aber mit denen ich zu leben lerne.

Vor allem aber wächst beim Stöbern in mir die Dankbarkeit: für das, was war. Für Familie und Freunde. Und dass ich, im Nachhinein betrachtet, mich gerade auch in schweren Zeiten getragen und gehalten fühlte.

Gott war bei mir und bleibt bei mir! Auch am heutigen Sonntag.

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SWR1 3vor8

28APR2024
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Woher Menschen ihre Kraft bekommen können – davon ist heute in katholischen Gottesdiensten zu hören. Nämlich dann, wenn Jesus das Bild vom Weinstock verwendet und sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht.“ (Joh 15,5)

 

Das Bild vom Weinstock hat Kraft. Besonders, wenn ich an den Weinstock denke, der bei meinen Eltern im Garten steht. Schon als Kind hat es mich fasziniert, wie viel Trieb- und Lebenskraft in dieser Pflanze steckt: die Zweige wachsen jedes Jahr meterweit und im Herbst hängen jede Menge Trauben dran.

 

Von dieser schier unerschöpflichen Kraft kann ich gut etwas brauchen. Denn die Zeiten kenne ich, in denen mir die Kraft auszugehen droht, und in denen ich gut mit meiner Energie haushalten muss, um durch die nächste Woche zu kommen. Dann hilft es mir, mich daran zu erinnern, woher meine Lebenskraft kommt.

Der Sonntag ist da für mich ganz wichtig – ein Tag, um durchzuschnaufen, und an dem sich nicht alles darum dreht, ein Ergebnis vorweisen zu können. Aber es gehören auch gutes Essen und Trinken für mich dazu. Genügend Schlaf, um abzuschalten und aufzutanken.

Andere Menschen, die frischen Wind in meine Gedanken bringen. Ein liebevolles Wort, das mich strahlen lässt. Wertschätzung, die mich innerlich aufbaut und stärkt.

Ganz entscheidend dazu gehört für mich auch mein Glaube. Der Zuspruch, dass ich von Gott geliebt bin. Dass ich wertvoll bin – unabhängig davon, was ich leiste. Und wenn Jesus mir so nahe ist wie der Weinstock den Reben, dann versteht er auch alles, was in meinem Leben so los ist. Und ich vertraue darauf, dass er mir nahe bleibt – egal in welcher Situation.

 

Der Weinstock bei meinen Eltern muss immer wieder zurückgeschnitten werden. Nur dann, kommt Saft in die Trauben. Ich glaube, auch das gehört dazu, damit mir nicht die Kraft ausgeht. Ich darf mich nicht verzetteln, tausend Baustellen aufmachen, sondern muss die Kräfte konzentrieren, die ich habe. Und vielleicht ist es gut, auch mal „Nein“ zu sagen – auch wenn es mir schwer fällt.

 

Ich glaube, Jesus kommt es nicht auf Leistung an. Sonst hätte er vermutlich gesagt: „Strengt euch an und gebt alles, um erfolgreich zu sein.“ Sondern für ihn ist entscheidend, mit ihm als Kraftquelle verbunden zu bleiben. Deshalb sagt er: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht.“

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SWR Kultur Lied zum Sonntag

21APR2024
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Mit viel Schwung und Energie beginnt unser heutiges Lied zum Sonntag. Wie passend. Denn seit Donnerstag sind überall in Deutschland viele zehntausende Kinder und Jugendliche mit viel Power und Begeisterung dabei, die Welt, in der sie leben, ein bisschen besser zu machen. Sie machen mit bei der 72h Aktion, der Sozialaktion der Deutschen katholischen Jugend.

Sein ist die Erde und was auf ihr lebt.
Dass Gutes auf ihr werde, ist in unsre Hand gelegt.
Sein ist die Zeit, die uns dazu bleibt.
Nur eine Zeit, keine Ewigkeit.

Musik 1

 

„Sein ist die Erde und was auf ihr lebt.
Dass Gutes auf ihr werde, ist in unsre Hand gelegt.“

So beginnt der Kanon von Gregor Linßen, der für mich ganz wunderbar zur 72h Aktion passt. Ursprünglich wurde er vor 25 Jahren geschrieben zur Eröffnung der Hilfsaktion Adveniat. Doch ich finde, der Kanon trifft auch den Kern der 72h Aktion. Denn es geht darum, in der begrenzten Zeit, die wir Menschen zur Verfügung haben, Gutes zu tun. Verantwortung zu übernehmen – für unsere Erde und für alle Geschöpfe, die auf ihr leben.

Schon am Anfang der Bibel, in den Schöpfungserzählungen, wird klar: die Erde, auf der wir leben, dürfen wir genießen. Aber Gott trägt uns auch auf, dass es an uns liegt, dass Gutes auf ihr werde. Das legt er in unsere Hand.

Musik 2

 

Am Donnerstagnachmittag ging die 72h Aktion los, und seitdem bauen junge Menschen Insektenhotels, renovieren Spielplätze oder bringen Menschen im Stadtteil zusammen. Auch in der Kirchengemeinde, in der ich lebe. Anna und eine Gruppe Studentinnen und Studenten begleiten die Bewohnerschaft des benachbarten Seniorenheims bei Spaziergängen, erzählen und singen mit den alten Menschen. Und Johannes und seine Gruppe legen „Pocket Parks“ an, also „Taschen-Parks“: das sind kleine, öffentlich zugängliche Grünlagen mittendrin zwischen Häusern und Straßen. Kleine Oasen für die Menschen, die hier leben.

All diese jungen Menschen machen mir Mut. Denn ich finde es unglaublich, was sie in so kurzer Zeit auf die Beine stellen. Und sie zeigen mir: gemeinsam können wir was bewegen. Auch wenn es noch so viele Krisen in unserer Welt gibt, wir haben es jeden Tag aufs Neue in der Hand, dass Gutes entsteht. Egal wie jung oder alt wir sind, wie auch immer wir leben, was auch immer wir glauben. Es braucht jede und jeden von uns. Unsere Kreativität. Unseren Verstand und unser Herz.

Noch sind die Jugendlichen mittendrin. Endspurt für viele Gruppen. Heute Abend werden sie bestimmt müde und kaputt ins Bett fallen. Im Kopf den Ohrwurm des offiziellen Aktionssongs. Und hoffentlich können sie auf die 72 letzten Stunden stolz und zufrieden zurückschauen und die Erfahrung gemacht haben, wie es in dem Aktionssong heißt: Unser Glaube kann Berge versetzen.

Musik 3[1]

 

[1]https://www.72stunden.de/informieren/aktionssong

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SWR1 3vor8

29MRZ2024
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Lichtkreuz von Ludger Hinse Copyright: Kath. Stadtkirche Heidelberg / Gülay Keskin

Ich habe etwas bei mir festgestellt, dass mich nachdenklich gemacht hat: Der sterbende Jesus am Kreuz – diese Darstellung habe ich schon so oft gesehen, dass sie mich gar nicht mehr aufrüttelt oder provoziert.

Aber das geht nicht nur mir so. Dass der Anblick des Kreuzes für viele völlig normal geworden ist, hat auch der Künstler Ludger Hinse beobachtet. In einem Interview hat er mal gesagt: „Diese ganzen Leidenskreuze, die tausend, zehntausendfach überall hängen, die erregen ja gar nichts mehr… es kommt darauf an, dass ein Kreuz Aufsehen erregt.“

Die Kreuze von Ludger Hinse sehen deshalb ganz anders aus. Eines seiner Kunstwerke hängt seit ein paar Jahren auch in der Jesuitenkirche in Heidelberg und es fasziniert mich immer wieder, wenn ich es anschaue. Es ist ein Kreuz ganz aus Glas, und je nach Einfall des Lichtes ist es manchmal fast durchsichtig und kaum zu erkennen. Und dann ist es wieder ganz präsent und zaubert in unterschiedlichen Farben buntes Licht in den Kirchenraum: mal blau-grün, mal pink-violett. Und weil der Luftzug es sanft bewegt und es dadurch immer wieder anders aussieht, meint man fast, dass das Kreuz selbst lebendig ist.

Ludger Hinse knüpft mit seinen Lichtkreuzen an die Kreuzdarstellungen der Romanik an. Diese waren Heils- und Segenszeichen, und deshalb wurde Christus nicht leidend und mit hängendem Kopf dargestellt, sondern als Lebender: aufrecht und wie ein Sieger über den Tod. Im Lauf der Jahrhunderte hat sich das verändert und Jesus am Kreuz – so beschreibt es Ludger Hinse – „fiel in sich zusammen. Immer mehr Leid, immer mehr Leid“, sagt er. Doch für ihn ist klar: „Wir brauchen Jesus als einen, der segnet. Und das ist eben Licht und nicht Elend und Neid und Not. (…) Wir brauchen Zeichen, an denen wir uns entwickeln können, an denen wir auf-gehen, auf-steigen können.“

                                                                     

Der Blick auf Hinses Lichtkreuz ist für mich mit seiner Leichtigkeit und seinen sanften Farben ein wunderbares Zeichen für das Leben. Und das tut mir in diesem Jahr gut. Gerade weil mir der Tod von Menschen in den letzten Wochen nahegegangen ist. Und auch, weil das Leid an vielen Orten in der Welt so riesig und schrecklich ist. Ich möchte all das nicht ausblenden oder verdrängen. Gerade heute, am Karfreitag, ist es gut, dass ich wieder aufgefordert bin, ganz bewusst auf den sterbenden Jesus am Kreuz zu schauen und mich daran zu erinnern, dass Gott dem Leid nicht ausweicht, sondern mitleidet. Doch das ist eben nicht alles. Denn die Stärke des christlichen Kreuzes ist es, dass es nicht nur Zeichen des Leidens, sondern letztlich ein Hoffnungszeichen ist, ein Zeichen für das Leben.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

06MRZ2024
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Manchmal reicht es einfach nicht.

Zu wenig Kraft für all die To-do-Listen, die auf meinem Schreibtisch liegen. Zu wenig Hoffnung für all die Krankheitsmeldungen und Todesnachrichten um mich herum. Zu wenig stärkende Worte, um andere zu ermutigen. Zu wenig Zuversicht, dass es gut werden wird. Manchmal reicht es einfach nicht.

Das Gefühl hatte vermutlich auch die Frau, von der eine Geschichte aus der Bibel erzählt. Ihr Mann ist gestorben. Und nun sollen ihre beiden Söhne als Sklaven arbeiten, um die Schulden, die sich angesammelt haben, zu begleichen. Die Frau hat das Gefühl: Es reicht nicht. Die Lebensgrundlage ist weg, und nun soll ihr mit den Söhnen auch noch die Zukunft genommen werden.

Laut schreiend sucht sie bei dem Propheten Elischa Hilfe. Und er fragt sie: „Sag mir, was hast Du im Haus?“ (2 Kön 4,2) Ich stelle mir vor, wie die Frau Elischa erst einmal verdutzt anschaut. Was soll sie schon im Haus haben? Alles, was irgendwie einen Wert besitzt, hätte sie längst genutzt, um ihre Schulden zu begleichen. Doch dann fällt ihr ein: Ein Krug Öl gehört ihr noch. Elischa sagt zu der Frau: „Geh und erbitte Dir von allen Deinen Nachbarn leere Gefäße, aber nicht zu wenige! Dann geh heim, verschließ die Tür hinter Dir (…), gieß Öl in alle diese Gefäße und stell die gefüllten beiseite!“

Ein seltsamer Rat findet die Frau. Aber trotzdem macht sie sich auf und bittet ihre Nachbarinnen um leere Gefäße. Zuhause füllt sie aus ihrem verbliebenen Ölkrug ein Gefäß nach dem anderen. Und das Öl hört nicht auf zu fließen. Es ist mehr da, als in alle ausgeliehenen Gefäße passt. Es ist sogar so viel, dass sie einen Teil verkaufen und damit die Schulden begleichen kann. „Und vom Übrigen“, so sagt der Prophet zu ihr, „wirst Du mit Deinen Söhnen überleben können.“

„Sag mir, was hast Du im Haus?“ – Die Frage des Propheten Elischa möchte ich mir merken. Und in Zeiten, in denen ich denke, dass es zu wenig ist, was ich habe, möchte ich wie die Frau auf die Suche gehen: Was ist noch da? Was habe ich an Ressourcen? Immer ist doch noch irgendetwas da – die Erinnerung an das, was mir bereits gelungen ist. Oder ich lese ein paar liebevolle Worte in alten Geburtstagskarten. Vielleicht kann ich auch aus mir heraus gehen, nach draußen, andere bitten, mir zu helfen. Und hoffentlich kann dann aus dem Wenigen für mich und für andere mehr werden: mehr Kraft, mehr Hoffnung und mehr Zuversicht.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05MRZ2024
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Vermutlich gehört es in die Kategorie Nerdwissen, also zu den Dingen, die außer ein paar Spezialisten nur wenige Menschen interessieren. Aber mich hat es nicht mehr losgelassen, und ich muss Ihnen davon erzählen.

Das Wort „Arche“ – also der große schwimmende Kasten von Noah, der seine Familie und die vielen Tiere gerettet hat – heißt im Hebräischen „tevah“.

Genau dieses Wort „tevah“ kommt auch bei der Geschichte von Mose vor. Da ist es das Schilfkästchen, in dem Mose gerettet wird. Man könnte sagen: Beide Kästen sind safe spaces, also Schutzräume gegen das Wasser. Kästen, die Leben retten.

Und spätestens jetzt kommt das Nerdwissen: Seltsamerweise heißt „tevah“ im Hebräischen nicht nur Kasten, sondern auch „Wort“. Also ein Begriff, der beides meint: Kasten und Wort. Das heißt doch: Nicht nur ein aus Brettern gebauter Kasten oder ein Schilfkästchen, sondern auch Worte können tragen. Können mich halten, wenn Alltagsstürme über mich hinwegbrausen. Wenn die Wellen des Lebens riesengroß und bedrohlich werden, und das Wasser mir bis zum Hals steht.

Ich habe mich auf die Suche nach solchen Halte- oder Trage-Worten gemacht.

Als Theologin sind mir zuerst biblische Verse eingefallen. Sätze, von denen ich weiß, dass sie auch anderen Menschen viel bedeuten. Wie: „Fürchte dich nicht. Ich bin bei dir.“ Oder die Segensworte „Der HERR segne und behüte dich…“. Auch alte Gebete können wie Kästen sein, in die ich hineinschlüpfen kann und die mich bergen. Wie das „Vater unser“ oder der Psalm 23, den viele Menschen in der Schule auswendig gelernt haben: „Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir fehlen…“.

Und auch Liedzeilen gehören dazu. Dietrich Bonhoeffers Zeilen „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ berühren mich jedes Mal, wenn ich sie singe. Aber auch die Sportfreunde Stiller gehören dazu, wenn es in ihrem Song heißt: „Ich wollte dir nur mal eben sagen, dass du das Größte für mich bist.“

Bibelworte und Gebete, Liedzeilen, Gedichte und Buchtitel… welch ein Schatz, dass es all diese Worte gibt. Und nicht zu unterschätzen, all die Worte, die nur mir gelten. Die andere mir ganz persönlich gesagt oder in Mails und Briefen geschrieben haben. Lob für gute Arbeit, Dank für gemeinsame Zeiten und zärtliche Worte voller Liebe und Zuneigung.

Worte können wie Kästen sein, die mich davor bewahren unterzugehen, und die mich eine Zeit lang halten und mich über die Wellen des Lebens tragen.

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