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SWR1

   

SWR2 / SWR Kultur

 

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SWR1 3vor8

11AUG2024
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Manchmal sind es die einfachen Dinge, die es braucht, um wieder zu Kräften zu kommen: eine Umarmung, jemand, der mich zum Lachen bringt, oder etwas, was dem Körper Kraft gibt. Ein gutes Essen zum Beispiel. Oder mal Zeit zum Ausschlafen. Das klingt nach nicht viel, aber ohne geht es nicht.

Von stärkenden Dingen ist heute auch in katholischen Gottesdiensten zu hören. In der biblischen Erzählung geht um den Propheten Elija, der eine anstrengende Zeit hinter sich hat. Mit Energie und Herzblut hat er sich in die Arbeit gestürzt und alles gegeben, um zu zeigen, dass sein Gott der Größte ist. Aber nun kann er nicht mehr. Elija ist erschöpft. Irgendwie scheint alles sinnlos, weil seine Bemühungen letztlich umsonst waren. Nur wenige konnte er von Gott überzeugen. Jetzt will er am liebsten nur noch schlafen und nicht mehr aufwachen.
Um vor allem und jedem Ruhe zu haben, geht Elija in die Wüste. Nachdem er eine Weile ganz allein unterwegs ist, legt er sich unter einen Ginsterstrauch und sagt zu Gott: „Nun ist es genug, HERR. Nimm mein Leben.“ (1 Kön 19,4) Elija ist am Ende. Er steckt mitten in einer Krise. Nichts geht mehr. Da berührt ihn ein Engel. Er stellt Elija Brot und Wasser hin und sagt: „Steh auf und iss.“ Elija macht, was der Engel sagt. Er isst und trinkt …und legt sich wieder hin. So müde ist er. Doch der Engel lässt nicht locker. Ein zweites Mal sagt er zu Elija: „Steh auf und iss.“ Langsam kommt Elija wieder zu Kräften. Er fasst neuen Mut und kann weitergehen. Vermutlich erst zaghaft, aber es geht weiter.

Ich mag die Geschichte. Denn Gott gibt Elija Zeit. Und er versorgt ihn mit dem, was er gerade braucht – ohne gleich irgendetwas von ihm zu erwarten. Oder ihm mit moralischem Zeigefinger vorzuhalten, dass er doch weitergehen, sich nicht so anstellen soll. Erst als die Kräfte wieder da sind, geht der Blick nach vorn.

Für mich heißt das: Gott richtet auf. Er sorgt für mich und stärkt. Und er tut es meist durch einen anderen Menschen. Jemand, der mich anruft, wenn ich mich eingeigelt habe, oder jemand, der zu mir sagt „Ich finde, das hast du richtig gut hingekriegt!“, wenn ich selbst nur noch an mir zweifle. Ich weiß, dass das keine Probleme löst. Schon gar nicht, wenn sich hinter der Erschöpfung eine krankhafte Depression oder ein Burn-Out verbirgt. Aber es gibt Kraft für den nächsten Schritt.

Pause machen, sich stärken lassen…und dann weitergehen. Das ist nicht nur für Elija wichtig. Sondern für alle. Und deshalb finde ich es auch eine super Urlaubsgeschichte.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

10AUG2024
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Ich bin auf einer Fortbildung. Gerade trudeln alle ein. Katrin, die wie ich eine Teilnehmerin ist, kommt auf mich zu, um mich zu begrüßen und sagt: „Hallo, du Schöne“!
Du Schöne. Ich bin überrascht, denn so werde ich selten begrüßt. Doch da ich Katrin schon eine Weile kenne, ist mir schnell klar: Bei ihr ist das keine Floskel. Katrin hat einen Blick für Schönes. Sie sucht es. Und findet es immer wieder. Heute bei mir.

Dass es sich lohnt, aufmerksam nach dem Schönen Ausschau zu halten, davon ist auch die französische Mystikerin Simone Weil überzeugt. Für sie ist schön vor allem „das, was man“ – wie sie sagt – „nicht verändern will“. Das, was einfach da ist, ich mit meinen Sinnen wahrnehmen und nicht künstlich machen kann. Weder durch eine Schönheits-OP, noch durch einen Filter, den ich auf Fotos lege, um sie zu bearbeiten. Diese reine, pure Schönheit kann überall sein. Wenn ich in einer Sommernacht eine Sternschnuppe am Himmel entdecke. Wenn ich das freudige Glucksen meiner kleinen Nichte höre. Oder im Gesicht der alten Frau, die ich vor Kurzem besucht habe. Ein Gesicht, das voller Lebensspuren ist und bei dem hinter jeder Falte eine Geschichte steckt.

Simone Weil hat das Schöne mit Gott verknüpft. Sie schreibt: „In allem, was das reine und echte Gefühl des Schönen in uns weckt, ist Gott wirklich gegenwärtig.“
Ich verstehe das so, dass alles Schöne meinen Sinn für das Unendliche wecken kann. Und dass ich, wenn ich Schönes entdecke, sensibel dafür werde, wie viel Göttliches in allen Menschen und in der ganzen Schöpfung steckt.

Leider wird das Schöne oft zugedeckt und überlagert. Wenn die Natur ausgebeutet wird. Wenn Menschen Krisen aushalten müssen. Oder auch wenn sie neidisch aufeinander sind oder sich sogar bekriegen und einander Gewalt antun.

Doch vielleicht brauchen Menschen gerade dann das Schöne. Etwas, das sie hoffen lässt. Etwas, worüber sie sich freuen können. Und wenn es auch nur für einen Moment ist. Ich denke an eine junge Geigerin, die mit einem Streichquartett im Gazastreifen Musik macht. Unterirdisch, wegen der Raketen. Oder an Friseure, die Obdachlosen die Haare schneiden. Sie sehen das Schöne der Menschen und legen es frei.

Menschen brauchen Schönes. Davon bin ich überzeugt. Und deshalb wünsche ich seit einiger Zeit lieben Menschen auf Geburtstagskarten nicht nur viel Gutes für das neue Lebensjahr, sondern auch viel Schönes.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

09AUG2024
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Meine Freundin Anna liebt es, wenn Gäste zu Besuch kommen. Die Wohnung, in der sie mit ihrem Mann und den drei Kindern lebt, ist nicht groß. Aber für Besuch ist immer Platz. Alle rutschen dann ein bisschen zusammen, das Bett wird frisch bezogen und Anna überlegt sich, was es Feines zu Essen geben könnte.

Schon nach kurzer Zeit bin ich mittendrin im Familienleben: sitze auf dem Teppich und spiele mit dem Jüngsten, lese vor oder singe mit den Mädels. Und abends, wenn die Kids im Bett sind, quatschen wir Erwachsenen. Anna holt ganz oben aus dem Schrank Schokolade und Chips raus und dann wird erzählt bis uns die Augen zufallen. Von dem, was an Schönem bei uns im Leben gerade so los ist, bis hin zu dem, was uns schwer auf dem Herzen liegt.

Annas Familienleben mit Arbeit und Kindern ist so ganz anders als mein Single-Dasein. Umso mehr genieße ich es, dass Anna ganz selbstverständlich ihr Leben mit mir teilt. Schnell bekomme ich Abstand von meinem Alltag und kann bei allem Trubel in der Wohnung innerlich zur Ruhe kommen. Vor allem aber lässt mich Anna spüren: hier bin ich wirklich willkommen. So wie ich bin. Annas Wohnung ist für mich ein Ort zum Atemholen. Ein geschützter Raum, an dem ich ausruhen und einfach sein kann.

Der Theologe und Religionsphilosoph Romano Guardini spannt den Bogen sogar noch weiter. Er sagt, in der für den Beginn des 20. Jahrhunderts typischen, leicht gestelzten Sprache: „Dies ist der Gastfreundschaft tiefster Sinn: dass ein Mensch dem anderen Rast gebe auf der großen Wanderschaft zum ewigen Zuhause. Dass er für eine Weile ihm Bleibe gebe für die Seele, Kraft, Ruhe und das Vertrauen: Wir sind Weggenossen und haben gleiche Fahrt.“

Anna ist für mich so ein Mensch, die mir auf meinem Lebensweg Rast gibt. Von ihr kann ich lernen, wie es geht, einladend zu sein. Und ich habe gemerkt: einladend sein, das geht auch außerhalb der eigenen vier Wände. Es braucht dazu weder viel Platz noch viel Zeit. Einem anderen Menschen Rast geben, bedeutet: für eine kleine Weile der anderen zuhören, zugewandt sein, Raum geben. Einander am Leben teilhaben lassen und dem anderen das Gefühl geben: Du bist wirklich willkommen! Von ganzem Herzen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

08AUG2024
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Schuhe aus. Das ist das erste, was ich mache, wenn ich nach Hause komme. Schuhe aus, damit der Dreck von der Straße nicht in die Wohnung kommt.

Doch es hat nicht nur was mit Hygiene zu tun. Wenn ich die Schuhe ausziehe, dann weiß ich sofort: jetzt bin ich zuhause. Mit den Schuhen lege ich ab, was mich bis zur Haustür getragen hat, und ich schlüpfe so auch aus einem Teil meiner beruflichen Rolle. Barfuß oder in Strümpfen bin ich leiser und auch verletzlicher. Ohne Schuhe ist kein großer Auftritt möglich. Ich bin da – so wie ich bin.

 

In der Bibel gibt es eine Stelle, in der auch jemand die Schuhe auszieht. Mitten in der Wüste, an einem brennenden Dornbusch. Mose hütet gerade Schafe und Ziegen und Gott sagt zu ihm: „Zieh deine Schuhe aus.“ Und er schiebt die Begründung gleich hinterher: „Der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden.“ (Ex 3,5)

Heiliger Boden. Für Mose ist das jede Menge heißer Sand. Vermutlich auch Steinchen und Dornen. Doch Mose lässt sich davon nicht abhalten. Er zieht die Schuhe aus und unterhält sich mit Gott. Die Steppe wird zum Ort, wo er Gott begegnet.

 

Heilige Böden – die gibt es auch heute noch im religiösen Bereich. Christliche Meditationsräume werden meist ohne Schuhe betreten, und auch muslimische Gebetshäuser und Moscheen. An diesen Orten bücke ich mich, um meine Schuhe auszuziehen. Ich mache mich klein und höre auf das, was Gott mir sagen möchte.

Heilige Böden gibt es darüber hinaus aber öfter, als man denkt. Für mich gehören dazu auch Orte, die mich aus meinem Alltag rausholen. Orte, an denen ich zur Ruhe komme, an dem mein Herz vor Freude hüpft, oder an dem ich einfach sein kann, wie ich bin. Das kann bei mir zuhause am Klavier sein. Oder draußen in der Natur – bei einem Spaziergang im Wald oder beim Radfahren über die Felder. In einer Kirche genauso wie im Urlaub am Meer. Das müssen nicht die großen Momente und spektakulären Orte sein. Entscheidend ist, dass ich für einen Moment ablege, was mich von mir selbst wegbringt, und dass ich bereit bin, mich von Gott überraschen zu lassen.

„Zieh deine Schuhe aus. Denn wo du stehst, ist heiliger Boden“.

Mich inspiriert der Satz, immer wieder aufs Neue heilige Böden zu entdecken. Im Alltag, im Urlaub. Barfuß oder mit Schuhen.

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SWR1 3vor8

30JUN2024
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Mich voll und ganz ohnmächtig fühlen – das kann ich nur schwer ertragen.
Bei kleinen Dingen geht es noch. Zum Beispiel, wenn ich im Stau stehe und es nur im „stop and go“ vorwärtsgeht. Es nervt mich, dass ich ausgebremst werde, aber ich weiß auch: Das geht vorbei. Oder wenn eine Kollegin mich auflaufen lässt oder ein anderer meint, über mich bestimmen zu müssen. Das ist kein schönes Gefühl, aber meist merke ich mit ein wenig Abstand: so ohnmächtig bin ich gar nicht. Irgendwas kann ich doch noch tun. Sei es auf Abstand gehen oder ein klärendes Gespräch suchen.
Ganz anders ist es, wenn eine Krankheit Lebenspläne durchkreuzt. Oder wenn im Alter die Kräfte nachlassen, der eigene Körper zunehmend Grenzen setzt. Es ist hart, wenn ich erlebe, dass ich nichts für einen geliebten Menschen oder mich tun kann und der Situation hilflos ausgeliefert bin.
Und damit nicht genug: Mit einem Blick in die Welt, gibt es noch mehr, was mich ohnmächtig macht: die Klimakatastrophe, die vielen Kriege in der Welt. Da wird das Ohnmachtsgefühl manchmal bei mir riesengroß. Und es fühlt sich verdammt mies an, dass so vieles nicht in meiner Hand liegt.

In katholischen Gottesdiensten ist heute eine Stelle aus der Bibel zu hören, in der es um zwei Menschen geht, die sich auch ohnmächtig gefühlt haben. Der eine ist Jairus, Vater einer 12-jährigen Tochter, die im Sterben liegt. Die andere, eine Frau – ihr Name ist nicht bekannt –, die eine langwierige, vielleicht sogar chronische Krankheit hat. Bei vielen Ärzten ist sie gewesen, all ihr Geld hat sie in ihre Gesundheit gesteckt. Nichts hat geholfen.

Jairus und die Frau sind an dem Punkt, an dem sie sich absolut machtlos fühlen. Doch so ohnmächtig sie auch scheinen, sie erstarren nicht. Statt zu resignieren, wenden sie sich an Jesus. Sie muten ihm ihre Ohnmacht zu und sagen vielleicht so etwas wie: Ich bin am Ende. Kannst Du, Jesus, noch was machen? Ich kann es nicht mehr.
Ich finde beachtlich, wie die beiden mit ihrer Ohnmacht umgehen. Sie verdrängen sie nicht, sondern sie sind sich bewusst, dass sie nichts mehr machen können. Und trotz all der Krisen, in denen sie stecken, bauen sie darauf, dass es weitergehen wird. Auch wenn sie noch keine Idee haben, wie das funktionieren soll.
Dieses Vertrauen wünsche ich mir auch. Weil es Kräfte freisetzt, die es zum Leben braucht. Weil es spüren lässt: Ich muss mit meiner Ohnmacht nicht alleine bleiben, ich kann mich anderen anvertrauen. Und: es ist möglich, sich ohnmächtig zu fühlen und zugleich die Hoffnung nicht aufzugeben.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

11JUN2024
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Ikonen auf Munitionskisten copyright: Judith Schmitt-Helfferich

Was für ein Gegensatz. Ich bin in einer Ausstellung und schaue auf Ikonen, auf Bilder von Heiligen, die in der orthodoxen Kirche verehrt werden. Doch statt wie üblich, sind die Ikonen nicht auf einen kostbaren, aufwendig vorbereiteten Untergrund gemalt, sondern auf Munitionskisten aus der Ukraine. Die Bretter sind abgerissen oder gesplittert. Und teilweise befinden sich an den Seiten noch Scharniere. Und da ist er, dieser Gegensatz, den ich kaum zusammenbringe: Auf der einen Seite die Ikonen, die auf das Göttliche hinweisen und für das Leben stehen. Und auf der anderen Seite das Holz der Munitionskisten aus dem Kriegsgebiet. Ein Krieg, in dem schon so viele Menschen getötet wurden. Wohl auch mit dem Inhalt dieser Kisten. Waffen, mit denen die Ukraine sich verteidigt, die aber immer Leid und Tod bringen.

Die beiden Künstler der Ikonen heißen Sonia Atlantova und Oleksandr Klymenko. Sie sind ein Paar und wohnen in Kiew. Bereits seit zehn Jahren, seit der Krieg im Donbas begonnen hat, fertigen sie Ikonen auf den Holzdeckeln von Munitionskisten.

Die Idee dazu hatte Oleksandr. Er war selbst an der Front. Dort, mitten im Kriegsgebiet, hatte er die Idee, aus dem Kriegsmüll Kunst zu machen. Kisten, die eigentlich den Tod bringen, in lebensbejahende Kunst zu verwandeln. Mit Asche, Kreide und Tonscherben, also den Materialien, die er vor Ort gefunden hat, hat er begonnen. Wohl auch, um sich und den Soldaten um ihn herum, Mut zu machen und ein Hoffnungszeichen zu setzen. Dass die Gewalt und der Tod nicht alles sind. Dass – so unvorstellbar es gerade ist – Frieden und Versöhnung möglich sind.

Für Sonia und Oleksandr ist klar: es geht bei ihrer Arbeit in keiner Weise darum, den Krieg zu verherrlichen und Waffen für heilig zu erklären. Vielmehr verarbeiten sie durch ihre Kunst das alltägliche Leben mitten im Krieg. Die beiden sagen: „Mit den Ikonen drücken wir unseren Glauben aus, dass alles gut werden wird. Ohne diese Zuversicht könnten wir gar nicht arbeiten.“ Und nicht zuletzt helfen sie durch ihre Kunst auch ganz konkret. Denn mit den Spenden aus den Ausstellungen und dem, was durch den Verkauf der Ikonen zusammenkommt, finanzieren die beiden ein mobiles Krankenhaus in der Ukraine.

„Leben auf den Tod malen“ – so ist die Ikonenausstellung überschrieben. Im Kleinen könnte das geschehen, wenn in einem Streit ein versöhnliches Wort fällt oder wenn in einer Debatte wirklich zugehört wird und Kompromisse möglich sind. Und im Großen hält der Titel der Ausstellung in mir die Hoffnung wach, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

10JUN2024
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Die Heuschrecken haben alles gefressen. Nichts ist mehr da. Wo vorher noch Weizen und Gerste stand, sind jetzt nur noch abgenagte Stängel zu sehen. Die Ernte ist weg und damit auch die Lebensgrundlage. In kürzester Zeit sind die Heuschrecken in großen Schwärmen aufgetaucht. Niemand wusste, wo sie herkamen. Und niemand konnte etwas gegen sie tun.

Heuschreckenplagen – das gibt es immer wieder und auch die Bibel berichtet davon. Und auch in meinem Leben kenne ich solche „Heuschreckenzeiten“[1]. Wenn plötzlich alles Lebendige weg ist. Wenn die Lebensenergie aufgebraucht ist und die Zukunft trostlos aussieht.

Wenn ich viel Kraft in ein Projekt investiert habe und dann feststelle, dass es sich nicht gelohnt hat. Andere meine Mühen nicht würdigen. Das fühlt sich an, wie ein Kahlschlag der Heuschrecken. Oder wenn beim Arzt klar wird: das ist etwas Ernstes. Krebs oder eine andere schlimme Krankheit. Wenn Menschen mit einer chronischen Krankheit leben lernen müssen. Zu den Zeiten, die die Heuschrecken gefressen haben, gehören für mich auch die Momente, in denen ich das Gefühl habe: „es hat sich nichts getan“. Zum Beispiel, wenn ich in meinem Umfeld die Enttäuschung mitbekomme, dass das Kind zu früh und tot zur Welt kommt. Der Kinderwunsch unerfüllt bleibt.

In der biblischen Heuschreckenzeit spricht Joël, ein Prophet, im Namen Gottes ein Versprechen aus. Er sagt: „Ich werde euch die Jahre erstatten, die die Heuschrecken (…) gefressen haben.“ (Joël 2,25 Elberfelder Übersetzung)

Was für eine Verheißung: „Ich erstatte euch die Jahre.“ Das heißt doch: Es bleibt nicht, wie es jetzt ist. Da kommen wieder andere, bessere Zeiten, die die jetzigen aufwiegen.

Solch ein Satz hat Kraft. Und ist mehr als eine Vertröstung auf irgendwann. Die schwere Gegenwart hat nicht das letzte Wort, es gibt eine Perspektive. Und dann kann ich vielleicht bei aller Traurigkeit darüber, wie es gerade ist, sehen, was auch noch an Gutem da ist. Und mag es noch so klein sein. So ein Satz, so eine Verheißung fordert mich auf, noch einmal anders hinzuschauen. Und sie kann mir auch ein wenig Abstand verschaffen, so dass kreative Lösungsideen wieder Platz haben. Oder mir zumindest ein wenig Mut machen, dass die geplatzten Chancen, mein Pech und meine schlechten Erfahrungen zwar da sind und zu meinem Leben gehören, aber die Zukunft anders werden kann. Sei es in diesem Leben oder auch nach dem Tod.

[1] Vgl.: Christina Brudereck, Trotzkraft, Text 134

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

09JUN2024
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Sie sind schon besonders, diese sechs: Benedikt, Kyrill und Methodius, Katharina, Birgitta und Edith – drei Männer und drei Frauen, die als Schutzpatroninnen und Patrone für Europa ausgesucht wurden. Sie zeigen mir, worauf es in Europa auch heute noch ankommt.

Der älteste in der Runde ist Benedikt von Nursia. Ein Mönch, der im 6. Jahrhundert in Italien gelebt hat. Man könnte sagen, er hat das Klosterleben erfunden und dadurch die Wissenschaft und die Kultur in ganz Europa gefördert und geprägt. Und sein Motto „Ora et labora“, „bete und arbeite“ erinnert mich daran, mich nicht im Druck von „immer mehr“ und „immer besser“ zu verlieren, sondern auf eine gute Balance von Arbeit und Spiritualität zu achten.

Kyrill und Methodius haben im 9. Jahrhundert gelebt. Als Missionare waren sie im Osten Europas unterwegs. Doch sie haben den Slawen nicht einfach ihren Glauben übergestülpt. Sie hatten Respekt davor, wie vielfältig und verschieden die Kulturen sind. Und das ist auch heute, mehr als 1000 Jahre später, noch aktuell.

Nun zu den drei Frauen in der Runde.

Katharina von Siena war eine mutige Frau, die keine Skrupel gekannt hat, sich mit den Mächtigen ihrer Welt anzulegen. Mit einer Gruppe Gleichgesinnter ist sie im 14. Jahrhundert quer durch Europa unterwegs. Immer im Einsatz für den Frieden.

Und auch Birgitta von Schweden scheut sich nicht, selbst Königen und Päpsten ihre Meinung zu sagen. Als Diplomatin setzt sie sich für ein gutes Miteinander zwischen den Völkern ein. Und sie hatte den Wunsch, dass Männer und Frauen nicht konkurrieren, sondern sich ergänzen sollten. Weil es immer gut ist, wenn alle sich einbringen können.

Und last, but noch least: Edith Stein – zunächst Jüdin, dann Christin, die in Auschwitz umgebracht wurde. Sie hat sich uneingeschränkt für die Würde und Freiheit jedes Menschen eingesetzt. Auch das ist leider noch nicht überall in Europa eine Selbstverständlichkeit…

Benedikt, Kyrill und Methodius, Katharina, Birgitta und Edith – sie stehen für Menschenwürde, Frieden und Freiheit und dass wir respektieren, dass wir vielfältig und verschieden sind. Würden sie heute leben, wären sie wahrscheinlich wertvolle Beraterinnen und Berater für das Europaparlament in Straßburg. Auf jeden Fall aber würden sie sich für ein friedliches Europa engagieren und heute wählen gehen.

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SWR1 3vor8

26MAI2024
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In meiner Wohnung gibt es eine Kiste mit Tagebüchern, alten Kalendern und liebevoll geschriebene Karten, die ich irgendwann mal bekommen habe. Ab und zu ist mir danach, in dieser Kiste zu stöbern und ein wenig in Erinnerungen zu schwelgen. Mit den Dingen in der Hand bin ich ganz schnell in der Vergangenheit. Urlaubsnotizen und Geburtstagskarten liegen da neben den Momenten, in denen ich nächtelang gegrübelt habe, wie ich diese oder jene Entscheidung treffen soll. Hoch-Zeiten neben traurigen und einsamen Stunden.

 

Dass es gut ist, ab und zu mal zurückzuschauen, davon ist auch Mose überzeugt. In katholischen Gottesdiensten ist heute zu hören, wie er die Israeliten auffordert, kurz bevor sie nach vielen Jahren Wüstenwanderschaft ins gelobte Land kommen: „Forsche einmal in früheren Zeiten nach.“ (Dtn 4,32 EÜ)

Und dann fängt Mose direkt selbst damit an, in die Vergangenheit zu schauen: Er erinnert sich, wie er am brennenden Dornbusch Gottes Stimme gehört hat. Wie Gott ihn und das ganze Volk aus der Knechtschaft in Ägypten befreit hat. Mose spannt den Bogen sogar noch weiter, wenn er sagt: „Geh in Gedanken zurück: Beginne bei dem Tag, an dem Gott den Menschen auf der Erde erschaffen hat! Erforsche die weite Welt: Geh von einem Ende des Himmels bis zum anderen!“ (Dtn 4,32 Basisbibel)

Mose ist überzeugt: Gott wirkt in der Geschichte. Indem ich auf die Vergangenheit zurückschaue, kann ich entdecken, wie Gott wirkt. Und im Blick auf meine eigene Lebensgeschichte, auf das, was mein Leben geprägt hat, kann ich den Weg erkennen, den Gott mit mir durch Höhen und Tiefen gegangen ist und immer noch geht.

 

Wenn ich in meiner Erinnerungskiste krame, dann bekomme ich davon eine Ahnung. Ich entdecke, dass manches anders geworden ist, als ich es mir vor Jahren erträumt hatte. Aber auch, dass mein Leben deswegen nicht schlechter ist - dass auch Gutes und Schönes möglich wurde.

Ich erkenne immer wiederkehrende Themen, die an verschiedenen Stellen meines Lebens auftauchen, mit denen ich noch nicht fertig bin, aber mit denen ich zu leben lerne.

Vor allem aber wächst beim Stöbern in mir die Dankbarkeit: für das, was war. Für Familie und Freunde. Und dass ich, im Nachhinein betrachtet, mich gerade auch in schweren Zeiten getragen und gehalten fühlte.

Gott war bei mir und bleibt bei mir! Auch am heutigen Sonntag.

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SWR1 3vor8

28APR2024
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Woher Menschen ihre Kraft bekommen können – davon ist heute in katholischen Gottesdiensten zu hören. Nämlich dann, wenn Jesus das Bild vom Weinstock verwendet und sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht.“ (Joh 15,5)

 

Das Bild vom Weinstock hat Kraft. Besonders, wenn ich an den Weinstock denke, der bei meinen Eltern im Garten steht. Schon als Kind hat es mich fasziniert, wie viel Trieb- und Lebenskraft in dieser Pflanze steckt: die Zweige wachsen jedes Jahr meterweit und im Herbst hängen jede Menge Trauben dran.

 

Von dieser schier unerschöpflichen Kraft kann ich gut etwas brauchen. Denn die Zeiten kenne ich, in denen mir die Kraft auszugehen droht, und in denen ich gut mit meiner Energie haushalten muss, um durch die nächste Woche zu kommen. Dann hilft es mir, mich daran zu erinnern, woher meine Lebenskraft kommt.

Der Sonntag ist da für mich ganz wichtig – ein Tag, um durchzuschnaufen, und an dem sich nicht alles darum dreht, ein Ergebnis vorweisen zu können. Aber es gehören auch gutes Essen und Trinken für mich dazu. Genügend Schlaf, um abzuschalten und aufzutanken.

Andere Menschen, die frischen Wind in meine Gedanken bringen. Ein liebevolles Wort, das mich strahlen lässt. Wertschätzung, die mich innerlich aufbaut und stärkt.

Ganz entscheidend dazu gehört für mich auch mein Glaube. Der Zuspruch, dass ich von Gott geliebt bin. Dass ich wertvoll bin – unabhängig davon, was ich leiste. Und wenn Jesus mir so nahe ist wie der Weinstock den Reben, dann versteht er auch alles, was in meinem Leben so los ist. Und ich vertraue darauf, dass er mir nahe bleibt – egal in welcher Situation.

 

Der Weinstock bei meinen Eltern muss immer wieder zurückgeschnitten werden. Nur dann, kommt Saft in die Trauben. Ich glaube, auch das gehört dazu, damit mir nicht die Kraft ausgeht. Ich darf mich nicht verzetteln, tausend Baustellen aufmachen, sondern muss die Kräfte konzentrieren, die ich habe. Und vielleicht ist es gut, auch mal „Nein“ zu sagen – auch wenn es mir schwer fällt.

 

Ich glaube, Jesus kommt es nicht auf Leistung an. Sonst hätte er vermutlich gesagt: „Strengt euch an und gebt alles, um erfolgreich zu sein.“ Sondern für ihn ist entscheidend, mit ihm als Kraftquelle verbunden zu bleiben. Deshalb sagt er: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht.“

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