Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Was für ein Gegensatz. Ich bin in einer Ausstellung und schaue auf Ikonen, auf Bilder von Heiligen, die in der orthodoxen Kirche verehrt werden. Doch statt wie üblich, sind die Ikonen nicht auf einen kostbaren, aufwendig vorbereiteten Untergrund gemalt, sondern auf Munitionskisten aus der Ukraine. Die Bretter sind abgerissen oder gesplittert. Und teilweise befinden sich an den Seiten noch Scharniere. Und da ist er, dieser Gegensatz, den ich kaum zusammenbringe: Auf der einen Seite die Ikonen, die auf das Göttliche hinweisen und für das Leben stehen. Und auf der anderen Seite das Holz der Munitionskisten aus dem Kriegsgebiet. Ein Krieg, in dem schon so viele Menschen getötet wurden. Wohl auch mit dem Inhalt dieser Kisten. Waffen, mit denen die Ukraine sich verteidigt, die aber immer Leid und Tod bringen.
Die beiden Künstler der Ikonen heißen Sonia Atlantova und Oleksandr Klymenko. Sie sind ein Paar und wohnen in Kiew. Bereits seit zehn Jahren, seit der Krieg im Donbas begonnen hat, fertigen sie Ikonen auf den Holzdeckeln von Munitionskisten.
Die Idee dazu hatte Oleksandr. Er war selbst an der Front. Dort, mitten im Kriegsgebiet, hatte er die Idee, aus dem Kriegsmüll Kunst zu machen. Kisten, die eigentlich den Tod bringen, in lebensbejahende Kunst zu verwandeln. Mit Asche, Kreide und Tonscherben, also den Materialien, die er vor Ort gefunden hat, hat er begonnen. Wohl auch, um sich und den Soldaten um ihn herum, Mut zu machen und ein Hoffnungszeichen zu setzen. Dass die Gewalt und der Tod nicht alles sind. Dass – so unvorstellbar es gerade ist – Frieden und Versöhnung möglich sind.
Für Sonia und Oleksandr ist klar: es geht bei ihrer Arbeit in keiner Weise darum, den Krieg zu verherrlichen und Waffen für heilig zu erklären. Vielmehr verarbeiten sie durch ihre Kunst das alltägliche Leben mitten im Krieg. Die beiden sagen: „Mit den Ikonen drücken wir unseren Glauben aus, dass alles gut werden wird. Ohne diese Zuversicht könnten wir gar nicht arbeiten.“ Und nicht zuletzt helfen sie durch ihre Kunst auch ganz konkret. Denn mit den Spenden aus den Ausstellungen und dem, was durch den Verkauf der Ikonen zusammenkommt, finanzieren die beiden ein mobiles Krankenhaus in der Ukraine.
„Leben auf den Tod malen“ – so ist die Ikonenausstellung überschrieben. Im Kleinen könnte das geschehen, wenn in einem Streit ein versöhnliches Wort fällt oder wenn in einer Debatte wirklich zugehört wird und Kompromisse möglich sind. Und im Großen hält der Titel der Ausstellung in mir die Hoffnung wach, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.
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