Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

10JUN2024
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Die Heuschrecken haben alles gefressen. Nichts ist mehr da. Wo vorher noch Weizen und Gerste stand, sind jetzt nur noch abgenagte Stängel zu sehen. Die Ernte ist weg und damit auch die Lebensgrundlage. In kürzester Zeit sind die Heuschrecken in großen Schwärmen aufgetaucht. Niemand wusste, wo sie herkamen. Und niemand konnte etwas gegen sie tun.

Heuschreckenplagen – das gibt es immer wieder und auch die Bibel berichtet davon. Und auch in meinem Leben kenne ich solche „Heuschreckenzeiten“[1]. Wenn plötzlich alles Lebendige weg ist. Wenn die Lebensenergie aufgebraucht ist und die Zukunft trostlos aussieht.

Wenn ich viel Kraft in ein Projekt investiert habe und dann feststelle, dass es sich nicht gelohnt hat. Andere meine Mühen nicht würdigen. Das fühlt sich an, wie ein Kahlschlag der Heuschrecken. Oder wenn beim Arzt klar wird: das ist etwas Ernstes. Krebs oder eine andere schlimme Krankheit. Wenn Menschen mit einer chronischen Krankheit leben lernen müssen. Zu den Zeiten, die die Heuschrecken gefressen haben, gehören für mich auch die Momente, in denen ich das Gefühl habe: „es hat sich nichts getan“. Zum Beispiel, wenn ich in meinem Umfeld die Enttäuschung mitbekomme, dass das Kind zu früh und tot zur Welt kommt. Der Kinderwunsch unerfüllt bleibt.

In der biblischen Heuschreckenzeit spricht Joël, ein Prophet, im Namen Gottes ein Versprechen aus. Er sagt: „Ich werde euch die Jahre erstatten, die die Heuschrecken (…) gefressen haben.“ (Joël 2,25 Elberfelder Übersetzung)

Was für eine Verheißung: „Ich erstatte euch die Jahre.“ Das heißt doch: Es bleibt nicht, wie es jetzt ist. Da kommen wieder andere, bessere Zeiten, die die jetzigen aufwiegen.

Solch ein Satz hat Kraft. Und ist mehr als eine Vertröstung auf irgendwann. Die schwere Gegenwart hat nicht das letzte Wort, es gibt eine Perspektive. Und dann kann ich vielleicht bei aller Traurigkeit darüber, wie es gerade ist, sehen, was auch noch an Gutem da ist. Und mag es noch so klein sein. So ein Satz, so eine Verheißung fordert mich auf, noch einmal anders hinzuschauen. Und sie kann mir auch ein wenig Abstand verschaffen, so dass kreative Lösungsideen wieder Platz haben. Oder mir zumindest ein wenig Mut machen, dass die geplatzten Chancen, mein Pech und meine schlechten Erfahrungen zwar da sind und zu meinem Leben gehören, aber die Zukunft anders werden kann. Sei es in diesem Leben oder auch nach dem Tod.

[1] Vgl.: Christina Brudereck, Trotzkraft, Text 134

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