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SWR1 Begegnungen

29MRZ2024
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Barbara Wurz und Ernst-Wilhelm Gohl, Landesbischof der evangelischen Kirche in Württemberg.

Barbara Wurz trifft  Ernst-Wilhelm Gohl, Landesbischof der evangelischen Kirche in Württemberg.

Eine seiner wichtigsten Aufgaben als Bischof: der Kirche ein Gesicht geben und öffentlich Stellung beziehen zu den Themen, die gerade dran sind. Gar nicht so leicht in einer Zeit, in der viele Menschen die Kirchen sehr kritisch wahrnehmen: zum Beispiel ihre Sprache oder Musik:

Also das Beste, das mir jemand sagte, als wir ein neues Lied gesungen haben. Mensch, ich wusste gar nicht, dass Sie so moderne Lieder singen. Und dann sage ich: So modern ist das gar nicht, das ist jetzt 50 Jahre alt.

Wenn sich die Menschen moderne Musik im Gottesdienst also gar nicht vorstellen können, dann sagt das schon viel über das Bild von Kirche in ihren Köpfen. Die Kritik reicht aber noch deutlich tiefer:

dass sie vom Leben weg ist, dass sie keinen Bezug hat zum Leben. Was hat der Glaube mit meinem Leben zu tun? Ich brauch‘s nicht.

Vielen Menschen geht es gut, meint Gohl. Und scheinbar lässt sich heutzutage alles im Leben kontrollieren oder steuern – auch ohne Kirche und ohne Beistand von oben. Es kann aber auch ganz anders kommen:

Aber ich glaube, es zeigt sich ja gerade in Situationen, wo dein Leben anders läuft, als du dir das vorstellst, wo du erlebst, dass eben das nicht stimmt: ‚Wenn du dir nur Mühe gibst oder wenn du dich gesund ernährst, kannst du nicht krank werden.‘ Und wie alle die Sprüche heißen, die meinen, wir hätten das Leben in der Hand (…), da kommt plötzlich eine andere Dimension und bricht ein. Und da hat natürlich der Glaube für mich als sehr tragende Antwort.

Eine Antwort, die für ihn viel mit dem heutigen Karfreitag zu tun hat.

Der Karfreitag zeigt mir: Es gibt Situationen, die hast du nicht im Griff und die gehören zum menschlichen Leben dazu. Wenn Jesus am Kreuz ruft Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Das ist wohl der tiefste Punkt, den Du an Verzweiflung haben kannst. Und (…) es tut mir gut, wenn ich das einfach zulassen kann. Es gibt Situationen, da weiß ich nicht aus noch ein. Ich bin nur verzweifelt und das gibt es im Leben und das hat seinen Platz.

Um den schweren Seiten des Lebens ihren Platz einzuräumen ist es für Ernst-Wilhelm Gohl wichtig, an Karfreitag auch einmal zur Ruhe zu kommen.

Da erlebe ich als Erstes, dass mir das wahnsinnig schwerfällt: die Stille. Wir sind es meist gewohnt, dass man immer aktiv ist. Und ich glaube, das ist auch eine Erfahrung, die wir modernen Menschen wieder viel stärker machen müssen.

Und erzählt mir von einer eindrücklichen Begegnung aus seiner Zeit als Gemeindepfarrer: Mit einer alten Dame, die lange die Mesnerin der Kirche gewesen war:

plötzlich hatte die ein Schlaganfall und ich habe sie besucht und werde es nie vergessen, wie sie im Bett liegt. Eine Dame aus Siebenbürgen und mit ihrem alten Akzent, den Finger hebt mit der Hand, die nicht gelähmt war und sagt: „Der Herr hat mich in die Ruhe getan. Das muss ich noch lernen.“ Das fand ich ein unheimlich starker Satz.

Ernst-Wilhlem Gohl ist überzeugt: Es schadet unserer Gesellschaft, wenn wir die Ruhe nicht mehr aushalten. Denn in der Ruhe beginnt das Nachdenken – auch über die eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten. Über das, was die Bibel „Sünde“ nennt.

Die Ursünde nach der Bibel (…) ist, dass der Mensch sagt: Ihr werdet sein wie Gott. (…) Ich bin der letzte Maßstab und ich glaube, wir laden überall Schuld auf uns, wo wir uns zum Maßstab machen und eben nicht mehr sehen, dass mein Gegenüber genauso Gottes geliebtes Geschöpf ist und genau gleichen Wert hat wie ich (...) Wir könnten jede Krise, glaube ich, durchbuchstabieren, dass es letztendlich darum geht: Ich bin das Maß aller Dinge, die anderen sind mir egal.

Der Mensch darf sich nicht zum Maß aller Dinge machen. Und schon gar nicht darf er sich über andere erheben. Auch davon erzählt der Tod von Jesus am Kreuz.
Wir haben unser Leben nicht voll und ganz im Griff, und wir gehen auch nicht ohne Schuld und Egoismus durchs Leben. Unser Leben bleibt bruchstückhaft. Und das verschwindet auch nicht einfach so, nur weil wir in drei Tagen Ostern feiern: Die Auferstehung Jesu von den Toten. Ernst-Wilhelm Gohl meint:

Ostern wischt ja nicht das weg, was geschehen ist. Aber Ostern lässt in einem anderen Glanz erscheinen. Und das heißt für mich, dass ich die Gebrochenheit in meinem Leben zulassen, auch dazu stehen kann, weil ich weiß, dass auch ich mit all meiner Bruchstückhaftigkeit, auch mit meinem Scheitern (…) einfach in Gottes Liebe aufgehoben bin. (…) weil ich weiß von Ostern her, dass mich nichts von Gottes Liebe trennen kann.

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SWR2 Zum Feiertag

29MRZ2024
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Jan-Heiner Tück Copyright by Joseph Krpelan.

Der Karfreitag erinnert an das grausame Ende des Jesus von Nazareth. Die biblischen Evangelien berichten ausführlich darüber, wie er zum Tod verurteilt und gekreuzigt worden ist. Was wie das tragische Scheitern eines charismatischen Menschen aussieht, wird in der Auseinandersetzung zur Keimzelle eines neuen Denkens über Gott. Der Apostel Paulus entdeckt im Kreuzgeschehen sogar den Ursprung tragfähiger Gottesbeziehungen. Von einem Folterinstrument des Römischen Reiches wird das Kreuz zum zentralen Heils- und Lebenszeichen des Christentums.

Mit Jan-Heiner Tück habe ich Ende der 1980-Jahre in Tübingen Griechisch gelernt, um die Texte des Neuen Testaments im Original lesen und verstehen zu können. Heute ist er Professor für Dogmatik an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. Und er hat ein Buch geschrieben mit dem schlichten Titel „Crux“. Darin geht es um das Kreuz. Das Kreuz in seiner Vielfalt als religiöses Heils- und Lebenszeichen. Und es geht um die Crux, um die Schwierigkeiten, die Christen und andere Zeitgenossen mit diesem Symbol heute haben.   

Wir stehen in einem Übergang von christlich homogenen Gesellschaften zu religiös pluralen Gesellschaften. Und auch der Anteil, derer, die bekennend bekenntnislos sind, steigt deutlich an. Das heißt, wir können nicht mehr selbstverständlich voraussetzen, dass alle die Symbolik des Kreuzes anerkennen. Der zweite Punkt ist jetzt die religiöse Sensibilität, die wir im Dialog mit anderen Religionen auch an den Tag legen müssen. Wir haben gelernt, uns mit den Augen der anderen zu sehen. Für Juden ist das Kreuz ein belastetes Symbol. Auch bei Muslimen setzt das Kreuz quasi die Erinnerung an die Kreuzzüge frei. 

Dass das Rektorat seiner eigenen Wiener Universität vor ein paar Jahren allerdings verfügt hat, alle noch vorhandenen Kreuze dort von den Wänden abzuhängen und selbst aus den Hörsälen der Theologischen Fakultät entfernen zu lassen, hat Jan-Heiner Tück dann aber doch schockiert:    

Das Rektorat ist quasi die Spitze einer weltanschaulich neutralen, also staatlichen Einrichtung. Aber solange die Universität sich im Fächerkanon bekennende Theologien leistet -und ich darf daran erinnern, dass die Universitäten in Europa überhaupt erst durch die Gründungsfakultäten der Theologie entstanden sind - hat es doch guten Sinn, dass diese bekenntnisgebundenen Theologien ihrerseits die Räumlichkeiten, in denen sie aktiv sind, auch markieren. Also kurz: Im Rektoratserlass liegt eine Drift hin zur Stärkung der negativen Religionsfreiheit zulasten der positiven Religionsfreiheit, und sie läuft letztlich auf eine Privilegierung der Religionslosen hinaus.

Der Vorstoß des Rektorats hat schließlich den äußeren Anstoß zur Veröffentlichung seines Buches und zu einer neuen kritischen Auseinandersetzung mit dem Kreuz und seiner Wirkungsgeschichte gegeben. „Gegen die weiße Wand“ nennt Jan-Heiner Tück seinen Versuch, die Sichtbarkeit gelebter Religion im öffentlichen Raum zu stärken, ohne die gebotene Sensibilität für Anders- und Nichtgläubige dabei außer Acht zu lassen. Ausgerechnet ein agnostischer Philosoph ist ihm dabei überraschend zu Hilfe gekommen:

Es gab in Lateinamerika um die Jahrhundertwende einen Vorstoß einer liberalen Regierung, aus den Spitälern die Kreuze zu entfernen, weil das nicht mehr zeitgemäß sei. Und damals hat sich ein agnostischer Philosoph, der sich selbst nicht als bekennend christlich verstanden hat, zu Wort gemeldet und gesagt: Liebe Leute, was macht ihr da? Das Kreuz ist doch immerhin das Symbol der Caritas, der Compassio, also des Mitleidens, des Dienstes für die Kranken, für die Notleidenden. Das wollt ihr abhängen? Seid ihr verrückt? Und ich denke, das könnten wir auch werbend in einer zunehmend säkularen Gesellschaft sagen, die ja doch für die sozialen Dienste, die die Kirchen in der Gesellschaft leisten, meistens sich doch auch Anerkennung bewahrt haben.

Kritik am Kreuz kommt aber nicht nur von Seiten einer säkularen und multireligiösen Gesellschaft, sondern auch aus den eigenen Reihen. Denn auch viele Christinnen und Christen haben ihre liebe Not mit diesem Zeichen. Das Kreuz provoziert. Es zeigt einen unschuldig Leidenden. Es zeigt einen Gefolterten. Es zeigt einen Sterbenden, der nach Gott schreit und zwingt zur Auseinandersetzung mit Themen, die schwer erträglich sind. Was bedeutet das Kreuz dem Christenmenschen Jan-Heiner Tück?  

Das Kreuz ist für mich Ausdruck der bis ans Äußerste gehenden Form der Liebe Gottes zu uns. Seine Bereitschaft, an die Seite der Opfer von Unrecht und Gewalt zu treten und hier seine Solidarität zu bekunden und zugleich ein Zeichen, das die Bereitschaft Gottes anzeigt, den schuldig Gewordenen bis in die Dunkelheit der Selbstzentrierung nachzugehen, um ihn dort rettend noch zu erreichen.

Im Kreuz stellt Gott sich also solidarisch und mitleidend auf die Seite der Opfer von Gewalt. Gleichzeitig signalisiert es Gottes Bereitschaft, noch die schlimmsten Verbrecher zu begnadigen. Wenn ich das höre, fallen mir die Debatten um sexualisierte Gewalt in den Kirchen ein. Ich denke an die vielen Betroffenen, die endlich zu Wort kommen und auch gehört werden. Und ich frage mich: Kann das gut gehen? In diesem Zusammenhang einen Gott zu bezeugen, der für Täter und für Betroffene gleichermaßen einsteht?    

Wenn man jetzt auf zerrüttete Täter-Opfer-Konstellation schaut, dann bietet das Kreuz natürlich nicht einfach simple Lösungen an. Aber es zeigt doch im Sinne der Einladung Wege aus ausweglosen Situationen an. Insofern einerseits die Entwürdigten hier eine Würdigung finden und sie nicht quasi in der Rivalität um Anerkennung erst darum kämpfen müssen, gewürdigt zu werden. Und auf der anderen Seite werden die Täter nicht fixiert auf die Untaten, die sie begangen haben, sondern die Person des Täters ist mehr als die Summe ihrer Untaten. Das heißt nicht, dass man jetzt quasi den Opfern aufdiktieren wollte: Bitte verzeiht doch euren Peinigern und Übeltätern und seht in ihnen mehr als das, was sie verbrochen haben, aber vielleicht doch den Horizont offen zu halten, dass es da eine Möglichkeit geben könnte, dass das Unmögliche doch Wirklichkeit wird, dass nämlich auch den monströsesten Tätern irgendwann im Lichte des Geistes Jesu Christi begegnet werden kann.

Der Apostel Paulus hat das Kreuz einmal als einen Skandal bezeichnet. Und das wird es wohl auch weiterhin bleiben: Das Symbol einer unmöglichen Möglichkeit, die Unvorstellbares zu denken, zu glauben wagt: Versöhnung. Heilung. Das ist anstößig. Es könnte aber auch, so Jan-Heiner Tück, ein positiver Anstoß sein.

Es gibt die Marginalisierten, es gibt die Verwundeten, die Ausgestoßenen, die unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit sind. Das ist ein erster Anstoß. Ein zweiter ist: das Kreuz ist ein Spiegel unserer Verfehlungen, unserer Schuld, die wir auch gerne verdrängen. Wir sind Meister, Meisterin in der Kunst, es nicht gewesen zu sein, die immer darauf hinausläuft, es andere gewesen sein zu lassen. Und das dritte ist, denke ich: das Kreuz ruft auf zu einer Kultur der Vergebung, den anderen nicht zu fixieren auf die Fehler, die er begangen hat, sondern ihm neue Spielräume zu eröffnen; über die Verfehlungen, die er begangen hat, hinauszugehen und sich als ein anderer zu erweisen. Und viertens ist das Kreuz natürlich das Symbol der Erlösung, der Rettung mit einem österlichen Fluchtpunkt: der Gekreuzigte lebt! Das feiern wir an Ostern. Es gibt eine Perspektive über Welt und Geschichte hinaus, nämlich die Perspektive der rettenden Verwandlung und Vollendung.

Das Buch „Crux“ von Jan-Heiner Tück ist im Herder-Verlag erschienen und zur Lektüre empfohlen von Martina Steinbrecher aus Karlsruhe von der evangelischen Kirche.

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SWR1 3vor8

29MRZ2024
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Lichtkreuz von Ludger Hinse Copyright: Kath. Stadtkirche Heidelberg / Gülay Keskin

Ich habe etwas bei mir festgestellt, dass mich nachdenklich gemacht hat: Der sterbende Jesus am Kreuz – diese Darstellung habe ich schon so oft gesehen, dass sie mich gar nicht mehr aufrüttelt oder provoziert.

Aber das geht nicht nur mir so. Dass der Anblick des Kreuzes für viele völlig normal geworden ist, hat auch der Künstler Ludger Hinse beobachtet. In einem Interview hat er mal gesagt: „Diese ganzen Leidenskreuze, die tausend, zehntausendfach überall hängen, die erregen ja gar nichts mehr… es kommt darauf an, dass ein Kreuz Aufsehen erregt.“

Die Kreuze von Ludger Hinse sehen deshalb ganz anders aus. Eines seiner Kunstwerke hängt seit ein paar Jahren auch in der Jesuitenkirche in Heidelberg und es fasziniert mich immer wieder, wenn ich es anschaue. Es ist ein Kreuz ganz aus Glas, und je nach Einfall des Lichtes ist es manchmal fast durchsichtig und kaum zu erkennen. Und dann ist es wieder ganz präsent und zaubert in unterschiedlichen Farben buntes Licht in den Kirchenraum: mal blau-grün, mal pink-violett. Und weil der Luftzug es sanft bewegt und es dadurch immer wieder anders aussieht, meint man fast, dass das Kreuz selbst lebendig ist.

Ludger Hinse knüpft mit seinen Lichtkreuzen an die Kreuzdarstellungen der Romanik an. Diese waren Heils- und Segenszeichen, und deshalb wurde Christus nicht leidend und mit hängendem Kopf dargestellt, sondern als Lebender: aufrecht und wie ein Sieger über den Tod. Im Lauf der Jahrhunderte hat sich das verändert und Jesus am Kreuz – so beschreibt es Ludger Hinse – „fiel in sich zusammen. Immer mehr Leid, immer mehr Leid“, sagt er. Doch für ihn ist klar: „Wir brauchen Jesus als einen, der segnet. Und das ist eben Licht und nicht Elend und Neid und Not. (…) Wir brauchen Zeichen, an denen wir uns entwickeln können, an denen wir auf-gehen, auf-steigen können.“

                                                                     

Der Blick auf Hinses Lichtkreuz ist für mich mit seiner Leichtigkeit und seinen sanften Farben ein wunderbares Zeichen für das Leben. Und das tut mir in diesem Jahr gut. Gerade weil mir der Tod von Menschen in den letzten Wochen nahegegangen ist. Und auch, weil das Leid an vielen Orten in der Welt so riesig und schrecklich ist. Ich möchte all das nicht ausblenden oder verdrängen. Gerade heute, am Karfreitag, ist es gut, dass ich wieder aufgefordert bin, ganz bewusst auf den sterbenden Jesus am Kreuz zu schauen und mich daran zu erinnern, dass Gott dem Leid nicht ausweicht, sondern mitleidet. Doch das ist eben nicht alles. Denn die Stärke des christlichen Kreuzes ist es, dass es nicht nur Zeichen des Leidens, sondern letztlich ein Hoffnungszeichen ist, ein Zeichen für das Leben.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

29MRZ2024
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Jedes Jahr in der Passionszeit suche ich mir ein Bild von einem Kreuz oder einen Gegenstand in Form eines Kreuzes. Der begleitet mich dann durch die Tage bis zum Karfreitag und soll mir helfen, diesen Tag zu begreifen, im wahrsten Sinne des Wortes. Am Karfreitag ist Jesus am Kreuz gestorben. Und was das mit Gott zu tun hat und mit meinem Glauben macht, das muss ich mir immer wieder neu erschließen. Denn es ist schwer.

Diesmal habe ich mein Kreuz in einem Ölgemälde entdeckt, das mich beschäftigt. Gemalt vor ungefähr 200 Jahren, der Künstler ist nicht bekannt, die Darstellung des Gekreuzigten sieht aus wie viele andere. Das Besondere an diesem Bild ist, dass es beschädigt ist. Es hat Löcher und Einstiche von einer Messerattacke. Jemand hat versucht, das Bild mit Gewalt zu zerstören. Ganz mit Absicht ist es danach nicht restauriert worden. Es soll genau so aussehen. Und davon erzählen, was sich im Oktober 1938 ereignet hat: In einer Zeit, in der Adolf Hitler sich als „Führer des Deutschen Volkes“ hat feiern lassen. Da hat der Wiener Kardinal Theodor Innitzer eine Predigt im Stephansdom mit den Worten beendet: „Wir wollen uns zu Christus bekennen, unserem Führer!“ Was sich wie ein ganz normales christliches Bekenntnis anhört, hat 1938 eine unmissverständliche Botschaft: Und die heißt: Wir Christen erkennen den nicht an, der sich hier seit neuestem Führer nennt. Wir haben einen anderen Herrn. Der Einspruch eines Christen gegen den Führerkult der Nationalsozialisten kommt an. Die Botschaft zwischen den Zeilen wird verstanden und sie macht Mut. Tausende junge Leute skandieren sie nach der Messe auf dem Platz vor der Kirche. Aber die Reaktion lässt auch nicht lange auf sich warten: Tags drauf stürmt eine aufgeheizte Truppe von SA-Leuten und Hitlerjugend das erzbischöfliche Palais und wütet wild. Dabei kommt auch das Ölgemälde zu Schaden. Der gekreuzigte Christus ist eine Gefahr. Dieser Ohnmächtige hat anscheinend so viel Macht, dass man ihn noch einmal zerstören muss. Das Bild und seine Geschichte berühren mich. Die Kraft, die von dieser gequälten Gestalt am Kreuz ausgeht: Gott auf der Seite derer, die Gewalt erleiden. Gott in der Hölle der Gottlosigkeit. Trotz aller menschlichen Versuche nicht totzukriegen. 

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SWR3 Worte

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Manche Menschen ziehen viel Trost und Kraft daraus, dass Jesus am Kreuz gestorben ist. Der Tübinger Klinikseelsorger Joachim Schmid erlebt das immer wieder. Er sagt:

 

Neulich sagte mir eine Tumorpatientin, die (…) eine unsichere Prognose hat, dass sie gerade in der Zeit um den Karfreitag herum auch eine Dankbarkeit für das Leben spüre, das ihr noch geschenkt ist.

 

Ich erlebe es immer wieder, dass Menschen ihr Leid (…) in den Horizont des Leidens Jesu am Kreuz bringen: Da ist einer, der selbst leidet, ja sogar den grausamen Foltertod stirbt, und der mich nicht verlässt in dem, was mir widerfährt, sondern mir zur Seite steht.

 

Quelle:

SWR2 „Zum Feiertag Karfreitag“ vom 10.04.2020. Interview mit Joachim Schmid, nachzulesen auf https://www.kirche-im-swr.de/beitraege/?id=30716

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SWR3 Gedanken

29MRZ2024
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An manchen Tagen müsste man eigentlich traurig sein, ist es aber gar nicht. An Gedenktagen oder Todestagen zum Beispiel. Mir geht das heute so.

Jesus ist mein Vorbild und heute ist sein Todestag. Deswegen ist heute für mich ein Trauertag. Aber es ist ja logisch: Trauer auf Knopfdruck geht nicht. Und weil ich jedes Jahr an Karfreitag anders drauf bin, deswegen ist dieser Tag für mich auch jedes Jahr anders.

Letztes Jahr war mein Vater völlig dement im Pflegeheim. Da hatte ich Sorgen, die zentnerschwer auf meinen Schultern gelegen sind. Was ist gut für meinen Vater? Was schaffen wir in der Pflege und was nicht? Wie lange geht das noch so? Diese Fragen waren einfach da und sie passen ja auch zum Karfreitag. Da hat Jesus am Kreuz die Frage rausgebrüllt: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Dieses Jahr ist es anders. Heute sind es nicht so viele Fragen. Heute bin ich vor allem wütend. Ich bin wütend, weil so viele so unendlich leiden müssen. Ich denke an die, die im Gaza-Streifen immer noch als Geiseln gehalten werden und die wohl durch die dunkelste Zeit ihres Lebens müssen. Ich denke an alle im Krieg, die hungern und verzweifelt sind. Die aufs Schlimmste misshandelt werden und die so ohnmächtig sind.

Heute Nachmittag gehe ich in die Weinberge bei unserem Dorf. Da steht ein großes altes Steinkreuz. Ich nehme eine Handvoll Blumen mit und lege sie dort im Gedenken an die vielen Opfer von Gewalt nieder. Ich bringe so viel Leid, wie ich tragen kann, zu Jesus. Genauer gesagt zu Jesus am Kreuz, der selbst gebrochen, gedemütigt und misshandelt war. Ich kann nur hoffen, dass meine Wut und meine Gebete bei ihm gut aufgehoben sind. 

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SWR4 Abendgedanken

28MRZ2024
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"Mit dem Medienkonsum sind wir in einem Dauerrausch", das meint Stefan, ein Kollege von mir in der Schule. Wir sitzen im Lehrerzimmer, tauschen uns aus, bevor der Unterricht startet. Das mit dem Dauerrausch und dem Medienkonsum kann er nicht beweisen. Trotzdem beschäftigt mich seine Aussage. In meinem Umfeld fällt es vielen schwer, Stille zu ertragen – es ein paar Augenblicke auszuhalten, dass Nichts ist. Kein Geräusch, keine Aktion, keine Musik – einfach Stille.

Deshalb habe ich eine Idee – wie wäre es, wenn ich mit meinen Schülerinnen und Schülern in der elften Klasse Stille übe? Wenn wir uns treffen und es einfach ausprobieren: Eine Minute still sein, bevor der Unterricht anfängt.

Ich denke, dass ich Stille üben muss, bevor ich mich auf sie einlassen kann. Denn in der Stille bin ich mit mir und meinen Gedanken, Gefühlen und allem alleine. Nur ich – ohne Ablenkung. Das kann Angst machen, mancher meiner Schülerinnen und Schüler kann damit vielleicht nicht umgehen. Sie sind die Dauerberieselung gewohnt – gewohnt, dass etwas passiert, auch wenn sie nur passiv auf das Handy schauen, scrollen und so ihre Glücksgefühle pushen.

Doch wenn ich schweige und sich die Stille nicht wie ein schwerer Mantel im Raum ausbreitet, sondern eher wie ein lieblicher Duft anfühlt, tut das gut. Ich kann meinen Gedanken freien Lauf lassen – komme auf andere Ideen und vielleicht kann ich so Dinge loslassen und abgeben, die ich mit mir herumtrage.

Ein paar Momente Stille, einfach nichts. Nur ich und meine Gedanken – vielleicht ein Gebet. So komme ich näher zu mir und zu Gott – indem ich in der Stille höre, was mein Herz mir sagt – meine innere Stimme. Eine Übung die sich lohnt.

Woche für Woche schweigen wir jetzt in der Klasse ein bisschen länger. Wir beginnen mit einer Minute. Jede Woche kommen dann fünf Sekunden dazu. Meine Klasse ist so motiviert, dass sie sich vornehmen, am Ende des Schuljahres fünf Minuten Stille auszuhalten. Ich bin gespannt wie das wird und welche Erfahrungen jeder und jede Einzelne mit der Stille macht.

Schon jetzt merke ich: Meiner Klasse tut das gut. Nicht nur vor Klausuren in der Schule. Sondern auch vor einem wichtigen Gespräch. Oder einfach so im Alltag. Weil ich so ein Stück mehr bei mir ankommen kann. Ohne Ablenkung.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

28MRZ2024
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Heute ist Gründonnerstag. Als Kind habe ich gedacht, Gründonnerstag heißt so, weil es wieder grün um einen herum wird. Aber vermutlich geht es eher auf das althochdeutsche Wort „greinen“ zurück - das heißt so viel wie „weinen“. Und das ergibt ja auch Sinn, am Tag vor Karfreitag.

In der Bibel wird erzählt, wie Jesus die Nacht von heute auf morgen in Todesangst verbracht hat (Mt 26,17-56). Mit seinen engsten Freunden flieht er in den Garten Gethsemane. Er möchte beten. Die Freunde sollen ein wenig abseits wachen. „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod“, sagt er. „Bleibt hier und wacht mit mir.“

In der Stille des Gartens wirft er sich auf die Erde und bringt seine entsetzliche Angst vor Gott. Und seinen innigsten Wunsch:

„Vater, ist´s möglich, so lass diesen Kelch an mir vorübergehen.

Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.“

Dreimal betet er so, zerrissen zwischen göttlichem Auftrag und menschlicher Angst. Er möchte weiterleben und nicht diesen furchtbaren Tod erleiden. Und zugleich gibt er sich unendlich vertrauensvoll in Gottes Hand.

Während Jesus um sein Leben und Sterben ringt, schlafen seine Freunde ein.

Sie sind so müde und die Todesangst ist so fern...

„Konntet ihr nicht eine Stunde wachen?“, fragt Jesus, als er sie so findet. Und man hört den Vorwurf. Die Enttäuschung. Und die abgrundtiefe Einsamkeit.

Aber eben das ist die Welt, für die er sterben wird:

Eine Welt voller Unzulänglichkeiten. Voller Abgründe. Voller Grausamkeit und himmelschreiender Ungerechtigkeit. Und voller Hass. Und zugleich eine Welt voller Leben und Freude und unergründlicher Schönheit. - Es ist die Welt, die Gott liebt.

Diese göttliche Liebe ist in Jesus Mensch geworden. Eine menschgewordene Liebe, die den Hass überwinden wird, indem sie sich ihm vollkommen ausliefert; bis ans Kreuz, bis in den Tod.

Aber auf den Trümmerfeldern von Tod und Zerstörung wird die Liebe Gottes auferstehen. Denn sie ist stärker; stärker als jeder Tod.

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SWR2 Wort zum Tag

28MRZ2024
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Essen und Trinken: Lebenswichtig. Das ist gerade heute unübersehbar. Weltweit hungern über 700 Millionen Menschen. Eine unfassbare Zahl. Aber der Hunger hat auch ein ganz konkretes Gesicht. Zwei Beispiele. Laut Welthungerhilfe stirbt alle dreizehn Sekunden ein Kleinkind an den Folgen von Hunger. Und der UNO-Menschenrechtsrat berichtet von brutalen Misshandlungen ukrainischer Soldaten in russischer Gefangenschaft: Vor lauter Hunger würden sie Würmer, Seife oder Hundefutter essen.

Essen und Trinken: Lebenswichtig. Das wissen auch die Religionen der Welt. Denn in praktisch allen Glaubensrichtungen gibt es Essensvorschriften, Fastenzeiten, Tischgebet, Speisevorschriften oder die Opferung von Nahrungsmitteln.

Auch der christliche Gründonnerstag hat mit Essen und Trinken zu tun. Kurz bevor Jesus stirbt, isst er zum letzten Mal gemeinsam mit seinen Freunden. Sie teilen Brot und Wein. Grundnahrungsmittel sozusagen. Eine komplette Mahlzeit. Und zugleich mehr. Brot und Wein erzählen von der Kunst des Menschen, die Natur zu verwandeln. Getreide wird angebaut, die Körner werden gemahlen, mit Wasser und Gewürzen und vielem mehr vermischt und dann ausgebacken. Auch Trauben werden angebaut. Und in vielen kunstvollen Arbeitsschritten entsteht aus ihnen Wein in unzähligen Geschmacksrichtungen.

Brot und Wein: Nahrungsmittel, die erzählen, dass Verwandlung möglich ist. Dass sich etwas radikal verändern kann. Anders wird. So wie Menschen sich verändern können. Auch davon erzählt die Geschichte Jesu. Menschen erleben diesen Jesu, werden von ihm gesehen, berührt, angesprochen – und verändern sich und ihr Leben. Blinde können sehen, Kranke werden gesund, egozentrische Menschen öffnen sich für andere. Und auch Jesus selbst wird sich verwandeln. Aber davon erzählt erst der Ostermorgen.

Essen und Trinken: An Gründonnerstag machen sie deutlich, wie nötig es ist, dass Hunger gestillt wird. Hunger nach Nahrung, nach Verwandlung, nach Leben.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

28MRZ2024
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Unsere Füße sind das Körperteil, das am weitesten von unserem Kopf entfernt ist. Ob wir sie deshalb oft so sträflich vernachlässigen? Das meint jedenfalls die Berliner Schriftstellerin Katja Oskamp. Notgedrungen hat sie eine Zeitlang als Fußpflegerin gearbeitet und darüber ein wunderbares Buch geschrieben. Darin behauptet sie: „Ob Polier vom Bau oder Ganzkörpertätowierter, ob Schwangere oder Greisin, ob geistiger Tiefflieger oder Akademiker – wirklich jeder entschuldigt sich, wenn er im Fußpflegeraum zum ersten Mal Schuhe und Socken abstreift, für seine Füße. Es spielt überhaupt keine Rolle, in welchem Zustand sie sind. Die Sache ist neu und ungewohnt, die Begegnung ein bisschen zu intim, Peinlichkeit entsteht.“ Ist die aber erst einmal überwunden und abgebaut, dann entwickeln sich im Fußpflegeraum beim Berühren, Pflegen und Massieren von Füßen ganz wunderbare Gespräche und Geschichten.

Auch Jesus hat die Scheu seiner Jünger erst überwinden müssen, als er nach einem gemeinsamen Essen plötzlich aufgestanden ist, sich eine Schürze umgebunden und angekündigt hat, dass er ihnen nun die Füße waschen wird. So erzählt es der Schriftsteller Johannes in seinem Evangelium. Die Angesprochenen zieren sich, die Sache ist neu und ungewohnt, die Begegnung ein bisschen zu intim, Peinlichkeit entsteht. Eine demütige Geste von Jesus und eine Wohltat für seine Anhänger. Denn wer sich erst einmal drauf einlassen kann, die Füße gepflegt zu bekommen, kann erleben, wie angenehm diese Berührungen sind. Wie sie den ganzen Körper beleben, bis in die Haarspitzen hinein. Nach diesem ersten Mal hat Jesus seine Jünger sogar dazu aufgefordert, es immer wieder zu tun: sich gegenseitig die Füße zu waschen.

Leider hat sich so eine Fußwaschung als gängiges Ritual in der Glaubenspraxis der Christen nicht durchgesetzt. Eigentlich schade, denn ich glaube, dass für beide Seiten wirklich Potenzial in dieser Erfahrung steckt. Was würden wir wohl gewinnen, wenn wir uns darauf einließen?  

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