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SWR2 Wort zum Tag
Ich liebe den Herbst! Er hat sonnige Tage. Aber die Wärme der Sonne ist wohltuend und erträglich. Die Blätter haben ihr Grün meist schon eingebüßt. Aber bunt sind sie ja noch viel schöner. Irgendwann wird die Kälte des Winters kommen. Aber bis dahin ist es zum Glück noch lang.
Seit meiner Kindheit hat es mit dem Herbst für mich etwas Besonderes auf sich. Er ist nicht nur der Name einer Jahreszeit. Er ist auch mit einem Tätigkeitswort verbunden. Herbsten, das bedeutet, dass die Trauben in den Weinbergen geerntet werden. Im Moment wird wieder geherbstet! Niemand wintert oder sommert. Aber „herbsten“ – das hat sich als Tätigkeitswort durchgesetzt.
Herbstzeit ist Erntezeit. Der beginnende Herbst – er könnte auch für mich als Mensch, der keinen eigenen Weinberg besitzt, den Einstieg in eine neue Phase im Jahr bedeuten. Ich blicke zurück auf den Anfang des Jahres. Und ich schaue, wo sich vielleicht bald etwas ernten lässt, von dem, was ich gesät und bearbeitet habe. In einer Beziehung. Im Beruf. In einem Projekt, in dem ich mich ehrenamtlich engagiere. Manches ist schon zur Ernte reif. Anderes braucht noch etwas Zeit.
In der Bibel ist das Ernten ein ganz zentrales Thema. Von Oliven und Trauben wird erzählt, die zur Ernte anstehen. Von den reifen Ähren, die geschnitten werden müssen. Im Herbst kommts zum Schwur. Da zeigt sich, was die Menschen zuvor investiert haben. „Der Faule pflügt nicht mehr im Herbst. Er schaut nach der Ernte – und es ist nichts da!“ – so heißt es in einer Sammlung weisheitlicher Sprüche (Sprüche 20,4). Die Versäumnisse des Frühjahrs und des Sommers kommen im Herbst zum Tragen. Aber genauso der Lohn für unermüdlichen Einsatz der letzten Monate.
Ich spüre: Mehr als andere Zeiten wird der Herbst für mich auch zum Bild eines Menschenlebens. Vor allem, wenn’s darum geht zu prüfen, was bleibt. Leben zwischen den Zeiten. Zwischen Sommer und Winter. Zwischen Aufkeimen und Vergehen. Zeit, mit dem, was ich ernten kann, etwas anzufangen, entscheidende Zeit, die mir gewährt wird. Damit ich auch in meinem Leben „herbsten“ kann. Ich hoffe, da lässt sich dann auch einiges an guten Lebensfrüchten ernten. Der heutige Herbstanfang erinnert mich daran.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38457SWR3 Gedanken
Dieses Jahr ist ein Hochzeitsjahr. Als Pfarrerin darf ich Leute verheiraten. Für mich gibt es kaum Schöneres in diesem Beruf. Ich begegne und begleite Menschen in dieser wichtigen Situation ihres Lebens.
Hochzeiten sind so verschieden wie die Menschen eben verschieden sind. Ich verheirate ein junges Paar, die beiden studieren noch. Sie sind schon seit Jahren zusammen und vom ersten Moment an so selbstverständlich in ihrem Miteinander, dass Heiraten für sie jetzt einfach richtig war. Obwohl sie sich selbst von Professoren Kommentare zu ihrer Hochzeit anhören müssen. Es braucht Mut und Klarheit, um sich zu trauen.
Ein Paar kenne ich schon lange, Familie und Freundschaften sind ihnen wichtig. Endlich, sagen sie, können wir sicher sein, dass wir ein richtig großes Fest feiern können ohne alle Einschränkungen.
Damit das Fest so wird, wie sie es sich wünschen, hat jeder von ihnen besondere Anliegen:
Er sagt: das Essen muss richtig gut sein und der Ort, für ihn als Italiener bedeutet das: das Fest muss in Italien stattfinden. Für sie ist am wichtigsten, dass alle Spaß haben, zwischen Spielen, Essen und Tanzen.
Ein Paar hat erst spät zusammengefunden, ihrer Liebe geht eine lange Freundschaft voraus. Sie beeindrucken mich in besonderer Weise. Sie haben zueinander gefunden in einer sehr schweren Zeit. Trauer und Schmerz miteinander aushalten, das haben sie geübt. Die beiden suchen einander, halten sich an den Händen während sie die Geschichte ihrer Liebe erzählen. Ihre Blicke versinken ineinander, Tränen fließen.
Hochzeiten sind so verschieden wie die Menschen. Eines habe ich dieses Jahr bei allen Hochzeiten erlebt, den Paaren ist vor allem anderen wichtig: wir begegnen einander auf Augenhöhe. Unsere Liebe gelingt dann, wenn wir spüren und leben: Wir helfen uns gegenseitig, wir sind einander gleich, keiner ist wichtiger. Und beim anderen bin ich zuhause und frei zugleich. Hochzeiten sind so verschieden wie die Menschen. Aber die Liebe bleibt!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38420Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Über die Kirche kann man denken, was man will. Es gibt viel zu kritisieren, weil sie Fehler macht und in hohem Maße Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Aber es gibt auch Bereiche, wo sie großartige Arbeit leistet und vielen Menschen hilft. Die Seelsorge in den Krankenhäusern ist so ein Bereich. Wer schwer krank ist oder operiert werden muss, braucht natürlich zuerst eine möglichst gute medizinische Versorgung. Kranke sind darauf angewiesen, dass die Ärztinnen ihr Handwerk verstehen und die Pfleger sich gut um sie kümmern. In fast allen Kliniken gibt es heute zudem psychologisch geschulte Personen, die einem helfen, mit den Ängsten umzugehen, die einen befallen, wenn man die Gesundheit verliert.
Und dann gibt es da noch den Bereich, den niemand in der Hand hat. Die offenen und schwierigsten Fragen spielen sich dort ab: Was, wenn ich nicht mehr gesund werde, wenn ein langes Leiden beginnt und ich womöglich eine Chemotherapie machen muss? Halte ich das aus: zu wissen, dass ich nur noch eine bestimmte Zeit zu leben habe? Mit wem teile ich dann meine Gedanken, vor allem wenn die immer dunkler werden? Wer hält es mit mir aus, wenn ich bitter weine, aber das nicht vor meiner Familie tun will? Mit wem kann ich über das Sterben sprechen und den Tod und das, was danach kommt?
Als Pfarrer werde ich selbst hin und wieder ins Krankenhaus gerufen und mit diesen Fragen konfrontiert. Ich nehme jedes Mal einen kleinen Anlauf, weil es auch nach Jahren immer noch ein Berg ist, mich dem zu stellen, dass es einem Menschen so schlecht geht. Aber immer spüre ich anschließend, wie wichtig mein Besuch war, wie gut es Kranken tut, auch jemanden zu haben, der nicht zu den Medizinern und Therapeuten gehört. Der Mensch ist eben mehr als nur sein Körper und dessen Leiden. Es gibt für viele die Sehnsucht nach einem Himmel. Nur: Wer hilft einem, darauf zu vertrauen?
Wie gut, dass es fast überall Frauen und Männer gibt, die als Seelsorgerinnen und Pfarrer in den Kliniken präsent sind. Tag und Nacht kann man sie erreichen, wenn es dringend ist. Sie sind hoch qualifiziert und für die Ärzte und Schwestern oft ganz wichtige Partner. Dafür bilden sie sich laufend fort, damit sie sich auskennen, wenn es um Therapien geht, um Sterbehilfe und ums Trauern, das ja schon vor dem Sterben beginnt. Wie gut, dass es dafür Kirche gibt. Danke an alle Frauen und Männer, die sich Tag für Tag dieser schweren wichtigen Aufgabe stellen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38412Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
Die Stimmung könnte besser sein. Glaubt man den Umfragen, dann war der Optimismus lange nicht mehr so gedämpft wie heute. Viele Menschen sind der Überzeugung, dass es in Zukunft eher bergab als bergauf geht. Sie fürchten sich nicht nur vor den Folgen des Klimawandels. Sie sehen insbesondere, dass das politische Klima sich auflädt und dass Wohlstand und Sicherheit nicht selbstverständlich sind. Ich kann gut nachvollziehen, welche Unsicherheiten und Ängste viele Menschen umtreiben. Mich und meine Familie betreffen sie genauso. Was mir am meisten Sorgen macht, ist die Meinung, dass wir keine gute Zukunft haben werden. Das ist fatal. Denn wir brauchen ein Bild von einer lebenswerten Zukunft. Wenn uns die Hoffnung fehlt, dann lohnt es auch nicht mehr, sich heute für eine bessere Zukunft einzubringen. Das Ergebnis: Rückzug ins Private, in den kleinen Kreis, in dem ich geschützt und sicher bin. Auch ich kenne das.
Auch mein christlicher Glaube hilft mir da zunächst nicht. Er sagt mir nicht, wie ich mich in welcher Situation am besten zu entscheiden habe. Es sagt mir auch nicht, dass es in Zukunft besser werden wird. Eines aber sagt er mir: Als Christ bin ich dazu berufen, in der Welt, so wie sie eben ist, Gott zu bezeugen. In der Bibel steht der unglaubliche Satz, dass Gott die Menschen als seine Ebenbilder geschaffen hat. Dieser Gott ist der Freund der Menschen; er will, dass das Leben jedes einzelnen Menschen gelingt und daran hat jeder von uns einen Anteil. Trotz der negativen Stimmung traut Gott mir zu, etwas bewirken zu können und sei es auch noch so wenig. Das ist für mich nicht nur belastend, es ist befreiend. Weil Gott mir etwas zutraut, liegt die Zukunft auch ein winziges Stück in meiner Hand. Die negative Stimmung hat nicht das letzte Wort, dafür können wir sorgen, auch ich.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38406SWR3 Worte
Mit der heutigen Tag- und Nachtgleiche beginnt der kalendarische Herbst. Der Sommer ist vorbei. Was bedeutet für uns die einsetzende Herbstzeit? Lust oder Last? Max Feigenwinter fragt nach:
„Freuen wir uns an den intensiven Herbstfarben
oder sehen wir nur welke, sterbende Blätter?
Genießen wir den bunten Herbstbaum
oder ärgern wir uns über das viele Laub am Boden?
Sind wir dankbar für die reifen Früchte
oder bedauern wir, dass der Sommer vorbei ist?
Nehmen wir an, was ist oder trauern wir Vergangenem nach?
Leben wir diese Zeit, die niemals wiederkehrt!“
Max Feigenwinter,in: Bunte Herbstfarben wünsch ich dir; http://www.maxfeigenwinter.com/gedichte-zitate/
SWR2 Wort zum Tag
„Kennst du mich noch?“ Immer wieder habe ich solche Begegnungen, die mit dieser Frage beginnen. Ich treffe auf Menschen, mit denen ich in der Schule war. Die ich aus dem Studium kenne. Oder mit denen ich sonst irgendwie zu tun hatte. Auch wenn es manchmal ein paar Sekunden dauert - die meisten erkenne ich dann doch auch wieder.
Erst vor kurzem habe ich wieder jemand getroffen, den ich vor vierzig Jahren das letzte Mal gesehen habe. Und trotzdem war sofort wieder eine Nähe da. Erstaunlich, wie sich die Intensität einer Beziehung auch über einen langen Zeitraum hält.
Über diese vierzig Jahre muss ich seither immer wieder nachdenken. Vierzig Jahre, denke ich – das war doch die Dauer der Wüstenzeit für die Israeliten, der Zeitraum zwischen ihrer Zeit als Sklaven in Ägypten und dem Einzug in ihre neue Heimat, die ihnen wie ein gelobtes Land erscheint. Der biblische Vergleich hinkt natürlich etwas. Hinter mir liegen doch keine Wüstenjahre. Und die Gegenwart ist auch nicht das Gelobte Land. Aber was richtig daran ist: Irgendwann ist eine bestimmte Phase unwiderruflich vorbei. Aufgaben haben sich verändert. Orte, an denen sich mein Leben abgespielt hat. Rollen, die mir zugeschrieben wurden. Aber in allen Brüchen gibt es auch Linien, die weiterlaufen. Der Gott der Sklaven, der Gott der Wüstenzeit und dann auch im neuen gelobten Land – es ist derselbe. Die Beziehung bleibt – mitten in aller Veränderung.
In den meisten Fällen freue ich mich deshalb über die Begegnungen, die mit dem „Kennst du mich noch?“ beginnen. Sie bestätigen mich: Die Beziehung, die einmal war, hat sich nicht einfach aufgelöst. In meinem Kopf, in meinem Gehirn, in meinem Herzen bleibt etwas eingeschrieben. Linien, die unbewusst weiterlaufen. Auch wenn sie manchmal unsichtbar sind.
So kann ich mein Leben in aller Bruchstückhaftigkeit als ein Ganzes sehen. Und in dem, was mein Leben dann zu einem Ganzen macht, sehe ich für mich Gott am Werk. Und Gottes Zusage: „Bis in euer Alter bin ich derselbe!“ (Jesaja 46,4) Gott ist für mich mein bleibendes Gegenüber. In allen Lebensphasen. Selbst dann, wenn dieses Gegenüber für mich manchmal ganz verschwindet. So wie in andere Beziehungen eben manchmal auch. Mit einem Mal taucht dann Gott ganz überraschend wieder auf: „Kennst du mich noch?“ Dann schaue ich womöglich vierzig Jahre zurück. Vor allem schaue ich zuversichtlich nach vorne.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38456SWR4 Abendgedanken
Seit unserem letzten Urlaub hat mich das Fahrradfieber gepackt. Auch zuhause fahre ich seitdem viel öfter Fahrrad. Am Anfang wurden vor allem die Wege, die ich sonst zu Fuß zurücklege durchs Radfahren ersetzt. Mein Auto steht bereits die meiste Zeit in der Garage. Doch einmal in der Woche mache ich einen Großeinkauf – mit dem Auto. Diesen wöchentlichen Großeinkauf mit dem Fahrrad zu erledigen – das wäre eine echte Veränderung.
Doch ganz ehrlich: ich bin kein Mensch, dem Veränderungen leichtfallen. Trotzdem wage ich gern Neues. Sozusagen um mich selbst herauszufordern. Und Schritt für Schritt klappt es dann meistens doch ganz gut. So auch bei diesem Vorsatz: Zunächst habe ich mir eigene Fahrradtaschen genäht. Da ich super gern nähe, habe ich mich so ein stückweit selbst überlistet. Denn nachdem die Taschen fertig waren, wollte ich sie natürlich auch nutzen. Seitdem war ich schon einige Male damit einkaufen. Ich habe schnell gelernt, was ich an den Taschen noch nachbessern muss oder wie ein Einkauf mit dem Rad am entspanntesten abläuft. Mittlerweile ist diese Veränderung langsam in meinem Leben angekommen und ich bin stolz, dass ich Neues gewagt habe.
Und ich bin damit nicht allein: In der Bibel gibt es unzählige Geschichten von Veränderungen. Denn Gott verändert Menschen und ihr Handeln, indem er sie befähigt. Ihnen etwas zutraut. Wie zum Beispiel bei Mose. Er wird von Gott erwählt, das Volk Gottes aus der Sklaverei zu führen. Als junger Mann soll er plötzlich ein großes Volk quer durch die Wüste führen. Das ist keine leichte Aufgabe. Doch mit Gottes Hilfe gelingt die Mission. Und schließlich landen sie gemeinsam im gelobten Land. Schritt für Schritt.
Solche Beispiele helfen mir, wenn sich in meinem Leben Dinge verändern. Denn sie zeigen mir: Veränderungen sind wichtig und gehören zum Leben dazu. Doch gleichzeitig weiß ich: ich muss sie nicht allein meistern. Meine Freunde, meine Familie oder Kollegen unterstützen mich oft. Doch manchmal reicht diese Hilfe nicht. Ich bin dankbar zu wissen: ich bin nicht allein. Gott geht mit. Ermutigt und befähigt mich. So kann ich mich Schritt für Schritt an das Neue gewöhnen, ohne mich selbst zu überfordern.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38425SWR3 Gedanken
Ich liebe Kinderbücher! Zu meinen allerliebsten gehört "Die kleine Hexe". Das erste Buch, das ich selbst gelesen habe. In diesem Jahr hat Otfried Preußler, der diese besondere Persönlichkeit erfunden hat 100. Geburtstag.
„Verboten ist vieles“ sagt die kleine Hexe. Sie ist frech und wild und frei, witzig und schlau ist sie auch und sie lässt sich nichts verbieten. Nichts, was sie für richtig hält und da hat sie ganz eigene Vorstellungen. Denn sie will ja eine gute Hexe sein, damit sie mit den alten Hexen endlich mittanzen darf am Blocksberg, obwohl sie noch so jung ist, nämlich 127 Jahre alt.
Die kleine Hexe war eine Art Gegengeschichte, auch zu Grimms Märchen Hänsel und Gretl mit der bösen Hexe. Die kleine Hexe lädt die Kinder, die sich verlaufen haben zu sich ein, sie serviert ihnen Kuchen und hext ihnen aus Spaß etwas vor– obwohl es schon wieder verboten ist. Es ist nämlich Freitag, da dürfen Hexen nicht hexen.
So ähnlich erzählt das die Bibel von Jesus: Der heilt an einem Sabbath einen Mann mit einer gelähmten Hand. Um ihn her Leute, die sich aufregen, weil es verboten ist, am Sabbath zu arbeiten. Aber Jesus erklärt ihnen das alte Gesetz: Der Sabbath ist für den Menschen da, nicht die Menschen für den Sabbath. Und ausdrücklich ist es erlaubt am Sabbath einen Menschen zu retten.
Die kleine Hexe rettet die Kinder vor der Angst. Selbst denken, sich auch mal gegen ein Verbot entscheiden und verstehen, dass jede Regel sinnvolle Ausnahmen hat, das kann man von Jesus und der kleinen Hexe lernen. Denn „Verboten ist vieles!“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38419Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Antisemitismus. Dieses Wort sollte es in Deutschland nicht mehr geben, weil es endlich das nicht mehr gäbe, was damit zum Ausdruck gebracht wird: Dass Menschen jüdischen Glaubens angefeindet werden, dass sie Opfer von Gewalt werden oder zum Sündenbock, auf den man alles ablädt, was einem in die Quere kommt. Leider ist das Gegenteil der Fall: Die Zahl an Übergriffen gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland hat kontinuierlich in den letzten zehn Jahren zugenommen. Die Zahl an gewalttätigen Aktionen war im Jahr 2022 besonders hoch. Die Fakten dazu sind beim Verfassungsschutz nachzulesen[1].
Woher kommt diese Aggression gegen eine verschwindende Minderheit in unserem Land? Es gibt keinen Grund für so ein irrationales Verhalten. Offenbar sind einzelne Bürger so verzweifelt oder enttäuscht, dass sie ein Ventil für ihre Wut suchen. Die lenken sie dann gegen eine Gruppe, bei der das in der Geschichte immer wieder funktioniert hat. Vom Staat erwarten sie sich für ihre Probleme keine Hilfe oder sie verachten ihn sowieso.
Und Probleme gibt es: Rentner, die ihre Miete kaum zahlen können. Familien, die bei den hohen Preisen Sorge haben, wie sie über die Runden kommen sollen. Oder die Angst, dass wir die Menschen, die zu uns flüchten, nicht gut werden integrieren können. Das sind echte Probleme. Das darf man nicht nur sagen, damit muss man unsere Politiker konfrontieren. Und sie im gleichen Atemzug dazu verpflichten, dass sie alles unternehmen, diese Probleme demokratisch zu lösen, und jede Form von Gewalt oder Menschenverachtung entschieden zu bekämpfen. Das hätte ich auch von Hubert Aiwanger erwartet. Wie halbherzig er sich für seine „Jugendsünde“ entschuldigt und sich dann auch noch als Opfer stilisiert hat, das war eher ein Ausweichen. Jedenfalls kein klares Bekenntnis, etwas aus der Geschichte gelernt zu haben. Am Ende blieb der Eindruck: Man kommt in unserem Land wieder durch, wenn man antisemitisch denkt und sich in der Öffentlichkeit pflichtschuldig distanziert. Antisemitismus wird zu einer Bagatelle, die man hinnimmt.
Einmal mehr sage ich dazu: Wehret den Anfängen! Das scheint mir der einzig richtige Weg zu sein. Konsequent zu widersprechen, wo solche Parolen auftauchen. Von kirchlicher Seite war zu der Affäre um Aiwanger wenig zu hören, verdächtig wenig. Aber gerade wir Christen müssen uns klar bekennen – gerade vor dem Hintergrund unserer eigenen judenfeindlichen Geschichte: keine Gewalt, keine Sündenböcke. Das ist in diesem Fall unser Beitrag zur Demokratie.
[1]https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/allgemein/2022-04-lagebild-antisemitismus.pdf?__blob=publicationFile&v=3
https://mediendienst-integration.de/desintegration/antisemitismus.html
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/gewalt-juden-linke-antisemitismus-101.html
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38411Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
Vor einer Woche war es endlich so weit. Mein Lieblingschor trat in der Nähe von Frankfurt auf. Englische Chormusik vom Feinsten! Alle Bänke waren bis auf den letzten Platz belegt. Um es vorwegzunehmen: es war fantastisch, es war außergewöhnlich – Gesang wie von einem anderen Stern.
Vor allem ein Lied hat es mir angetan. Es heißt: Let my love be heard – frei übersetzt mit: macht meine Liebe hörbar! Die entscheidende Liedzeile heißt: „Und wenn der Kummer noch einmal in den Himmel steigt, macht meine Liebe hörbar.“ Als die letzten Klänge dieses ruhigen und starken Liedes im Raum des Kirchengebäudes verhallt sind, dauerte es eine ganze Weile bis jemand anfängt zu applaudieren. Alle hielten inne. Diese Stille nach dem Ende war magisch.
Mich lässt dieses Lied seitdem nicht mehr los. Es bringt für mich in einfachen Worten zum Ausdruck, wofür die Kirche eigentlich da ist: „Macht meine Liebe hörbar“. Das schreibt der liebe Gott der Kirche ins Gewissen! Und dazu bin auch ich als Christ berufen, das ist mein Auftrag. Wo die Liebe hörbar wird, da sollten Menschen freier, glücklicher werden – da sollte es gerecht zugehen. Die Bibel nennt es das Leben in Fülle. Es geht um Begegnung auf Augenhöhe, Wertschätzung jeden Lebens, Zuspruch in schwierigen Zeiten und faire Strukturen. Dass vor allem die Kirche ständig daran scheitert, ändert nichts an dem Auftrag, den sie hat. Und allen negativen Schlagzeilen zum Trotz: es gibt im Raum der Kirche auch immer noch großartiges Engagement, Selbstlosigkeit und wirklichen Einsatz für eine bessere Welt.
Ich glaube, dass die Menschheit und vor allem die Kirche immer daran scheitern muss, das Leben in Fülle für alle zu verwirklichen. Ich glaube aber auch, dass es im Leben nichts Besseres geben kann, als dieser Liebe Gottes Gehör zu verschaffen. Es immer wieder zu versuchen - im Großen wie im Kleinen. „Macht meine Liebe hörbar.“
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