Zeige Beiträge 1 bis 10 von 39483 »
SWR4 Abendgedanken
Seit den Sommerferien trage ich einen kleinen Seestern in meinem Portemonnaie mit mir herum. Aus Plastik, klar. Würde ja sonst stinken.
Ich habe diesen kleinen Seestern von der Inselpastorin auf der Nordseeinsel Spiekeroog geschenkt bekommen. In einem ganz besonderen Gottesdienst: Der hat in einem Zirkuszelt stattgefunden. Auf Spiekeroog gibt es für die Kinder, die dort Urlaub machen, einen Mitmach-Zirkus. Eine Woche lang können sie proben und üben und Spaß haben. Und am Ende steht ein Auftritt im Sonntagsgottesdienst im Zirkuszelt.
Die Pastorin hat eine Geschichte erzählt. Da ging es um ein kleines Mädchen. Es sieht, dass die Flut ganz viele Seesterne an den Strand gespült hat. Und die liegen nun hilflos auf dem Sand. Also fängt es an, die Seesterne ins Wasser zu tragen. Jeden Einzelnen. Aber: Oh je. Es sind so viele. Einige Erwachsene machen sich über sie lustig: Das bringt doch nix. Du kannst eh nicht alle retten. Aber das Mädchen macht weiter. Sie ist überzeugt: Natürlich hilft es. Jeder einzelne zählt. Für jeden geretteten Seestern macht es einen Unterschied. Und so sammelt und sammelt und sammelt sie.
Mitten in der Geschichte sind dann die kleinen Zirkusartisten und Zirkusartistinnen aufgetreten. Haben ihre Kunststücke gezeigt, mal mehr, mal weniger gekonnt. Und nebenbei haben sie auch Seesterne eingesammelt und sie zurück ins Meer gebracht. Einer lag auf dem hohen Trapez. Einer auf der Lauftrommel. Einer fand sich im Hut des Zauberers.
Beim Zuschauen musste ich schmunzeln. Es ist so schön, hier im Zirkus, dass jedes Kind zählt. Dass jedes Kind seinen Auftritt bekommt. Bejubelt wird, egal, ob es nun viel kann oder nicht. Das würde ich mir so sehr für unsere Gesellschaft, für unsere Welt als Ganze wünschen: Dass jeder zählt. Dass niemand am Strand zurückgelassen wird. Sondern dass sich jemand kümmert. Ein Traum, der nur im Zirkuszelt wahr werden kann?
Vielleicht. Ein Traum auf jeden Fall. Und zwar ein Traum, den auch schon Jesus geträumt hat (Mt 25,35ff). Er wünscht sich, ja er verpflichtet uns: Kümmert Euch um die Hungrigen. Nehmt die Fremden auf. Gebt den Armen das Nötigste, das sie zum Leben brauchen. Jeder einzelne zählt. Und für jeden, dem ihr helft, macht es einen Unterschied.
Daran soll mich der kleine Seestern in meinem Portemonnaie erinnern. Klar, ich weiß schon jetzt: Es wird mir mal besser, mal schlechter gelingen. Manchmal werde auch ich diejenige sein, die jemanden braucht, der mich zum frischen Wasser trägt. Aber manchmal werde ich es auch schaffen, mich zu bücken und zu helfen. Im Kleinen nur. Aber das ist nicht schlimm. Denn: Jeder einzelne zählt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40688SWR3 Worte
Was macht einen guten Menschen aus? Der Musiker Peter Maffay hat eine inspirierende Antwort. Er sagt:
„Ein guter Mensch ist jemand, der zulässt, hin und wieder Kind zu sein, der zulässt, dass die kindlichen Anlagen rauskommen, die in jedem von uns stecken.
Ein Mensch, der die Ernsthaftigkeit oder Verbogenheit, die wir alle irgendwann im Lauf der Zeit erfahren, auch mal zu ignorieren versucht, der sein kann wie die Kleinen: neugierig, frech, positiv und ohne Angst.“
Peter Maffay, Es gibt keine andere Alternative, als an das Gute zu glauben.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40682Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
Ich musste zum Arzt. Nichts Schlimmes, nur ein kurzer Kontrolltermin. Und ich dachte, da bin ich schnell wieder draußen. Doch: Pustekuchen. Das Wartezimmer war rappelvoll. Und ich musste ewig warten. Da war Geduld gefragt. Nach einem tiefen Seufzer hab ich dann mal meinen Blick durch die Runde kreisen lassen: Da war die Mutter mit ihrem kleinen Kind, das quengelt. Der ältere Herr, der die Zeitung liest. Die junge Frau, die mit dem Fuß ununterbrochen wackelt. Die ältere Frau, die regelmäßig tief stöhnt und den Kopf schüttelt. Und einige, die sich die Zeit mit ihrem Handy vertreiben.
Das ist das, was ich sehe. Aber was geht sonst so in ihnen vor? Ich kann es nur ahnen. Aber ich stelle mir vor: Da sitzt die Angst neben der Gelassenheit. Die Erleichterung gegenüber der Unsicherheit. Die Wut hinter der Hoffnung. Die Aggression neben der Trauer.
Ja, denke ich, das Wartezimmer steckt voller Emotionen. Hier sitzt niemand aus Langeweile. Alle sind hier, weil sie etwas beunruhigt. Weil irgendetwas nicht in Ordnung ist.
Ich muss dabei an die Nachricht denken, die ich vor ein paar Tagen gelesen habe. Dass die Gewalt in den Arztpraxen ständig zunimmt. Dass Personal bedroht wird und Situationen eskalieren. Wie furchtbar! An diesem Morgen beobachte ich dagegen mit sehr viel Respekt, wie freundlich und verständnisvoll die Arzthelferinnen das Ganze managen und verhindern, dass die Gefühle hochkochen.
Mir ist jedenfalls mal wieder sehr deutlich geworden, dass mein Anliegen nur eines unter sehr vielen ist. Und vielleicht nicht mal das dringendste. Das lässt mich dann auch geduldig warten.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40678Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Andere Länder, andere Sitten. Ob sie einem gefallen, ist Ansichtssache. Ich war in den Sommerferien in Schottland und in einer Hinsicht jedenfalls von den Schotten begeistert. Sie gehen rücksichtsvoll miteinander um. Viel rücksichtsvoller, als ich das von uns kenne. Wo viele Menschen aufeinandertreffen, ist mir das besonders aufgefallen.
Beim Einsteigen in den Zug zum Beispiel. Da käme niemand auf die Idee, sich vorzudrängeln oder ins Abteil zu kommen, bevor alle ausgestiegen sind. Auch wenn viele Leute da sind, gibt es kein Durcheinander, wie ich das bei uns oft erlebe. Im Gegenteil. Einmal habe ich beobachtet, wie vorsichtig alle waren, als eine blinde Frau mit ihrem Hund in der Schlange stand. Für alle war klar, dass sie als erste einsteigen soll und die Frau neben ihr hat sie dabei unterstützt, bis sie drinnen einen Platz gefunden hatte; dann erst ging es in Ruhe weiter.
Als Linkslenker im Linksverkehr unterwegs zu sein, hat seine Tücken. Nicht immer hab ich die souverän gemeistert, besonders in den vielen Kreisverkehren, die es in Schottland gibt. Aber wenn’s eng wurde, und die anderen Autofahrer auch noch bemerkt haben, dass ich auf der falschen Seite saß, gab’s keine bösen Blicke, sondern eher ein verständnisvolles Lächeln. Die meisten haben gewartet und dann ging es in Ruhe weiter.
Und noch etwas ist mir aufgefallen. Auch junge Leute sagen „Sorry“, sobald auch nur ein kleiner Verdacht aufkommen könnte, dass sie sich unangemessen verhalten haben. Also nicht: „Ich bin erstmal im Recht und der andere ist doof“, sondern das Gegenteil. Zuerst suche ich bei mir den Fehler.
Vielleicht neige ich jetzt dazu, meine Urlaubseindrücke zu verklären. Es gibt bestimmt auch in Schottland Leute, die rücksichtslos und egoistisch sind. Wie überall. Aber alles in allem habe ich in den zwei Wochen dort eben an vielen Stellen eine andere Grundhaltung gespürt. Auf den Punkt: Weniger Ich, mehr Wir. Ich merke, dass es gar nicht so leicht ist, das in meinen Alltag hier zu integrieren: das Warten, das Lächeln, den Griff an die eigene Nase. In Schottland habe ich an einigen Stellen davon profitiert, dass die Menschgen dort das so gewohnt waren. Warum sollte mir selbst das hier nicht gelingen? Ich erinnere mich hoffentlich oft daran und werd’s jedenfalls versuchen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40666SWR Kultur Wort zum Tag
Jubel schwappt durch das Stade de France. Und das, obwohl die Siegerin schon seit über zwei Minuten im Ziel war. Ich war beim olympischen 10.000-Meter-Lauf der Frauen im Stadion. Die letzte Läuferin kam mit über einer Minute Rückstand auf die Vorletzte ins Ziel. Auf ihrer letzten Runde wurde sie vom frenetischen Applaus der 90.000 Zuschauer begleitet. Sie wurde ins Ziel getragen, sagt man da gerne. Im Ziel hat sie dann die Arme in die Luft gereckt und sich riesig gefreut. Die Anerkennung hat ihr gutgetan.
Mir kam in dem Moment ein Satz von Jesus in den Sinn: Viele, die jetzt zu den Ersten gehören, werden dann die Letzten sein. Und viele, die jetzt zu den Letzten gehören, werden dann die Ersten sein.
Natürlich hatte Jesus dabei keinen Sportwettkampf im Sinn. Ihm geht es um etwas anderes: Die Menschen, die es heute schwierig haben, die unterprivilegiert sind, die wenig Anerkennung bekommen, die stehen bei Gott ganz hoch im Kurs. Er interessiert und kümmert sich um sie ganz besonders. Bei Gott, im Reich Gottes, werden die Verhältnisse umgekehrt. Da bekommen diejenigen Anerkennung, die sonst oft übersehen werden, um die sich keiner kümmert.
Ich finde das eine schöne Vorstellung: Diejenigen, die es hier schwer haben, sind bei Gott ganz oben auf der Liste.
Nur – was nützt das denen, die heute gesellschaftlich auf der Verliererseite stehen? Interessant ist: Jesus belässt es nicht bei diesem einen Satz. Er erzählt direkt im Anschluss eine Geschichte von Arbeitern in einem Weinberg. Der Kern dieser Erzählung ist: Alle sollen genug zum Leben haben. Keiner soll privilegiert werden. Soziale Ungleichheit soll abgebaut werden. Alle bekommen die gleiche Anerkennung, unabhängig von dem, was sie leisten.
Diese Textfolge ist sicher kein Zufall. Dass „die Letzten“ bei Gott die Ersten sein werden, heißt, dass sich ihre Situation schon hier und jetzt verbessern soll. Es heißt, dass wir uns als Menschen diese Perspektive Gottes zu eigen machen und sie in die Tat umsetzen sollen.
Dieser olympische Moment, der Applaus für die Läuferin war schön. Auch im „echten“ Leben ist Applaus schön. Aber das reicht nicht aus. Engagiertes Eintreten für die sozial weniger Privilegierten – darauf käme es an.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40663SWR3 Gedanken
Ich liebe Bücher von Erich Kästner. Schon als Kind konnte ich mich in ihnen verlieren, mit ihnen träumen, die Welt verändern, mich wiederfinden, mit meiner Angst und mit meinem Mut. Jetzt lese ich sie gerade wieder. In diesem Jahr ist nämlich der 50. Todestag von Erich Kästner und sein 125. Geburtstag. Erich Kästner hat Bücher für Große und Kleine geschrieben. Voller Witz und Ironie, voller Mut und Vertrauen in die Menschheit, auch wenn die damals um ihn her durchdrehte und er selbst zum Opfer dieses Wahnsinns wurde. In der Nazidiktatur wurden seine Bücher verbrannt, er selbst wurde ‚verboten‘.
Eines meiner absoluten Lieblingsbücher war und ist Pünktchen und Anton. Das erzählt die Geschichte von zwei Kindern ganz unterschiedlicher Herkunft, die sich befreunden.
Pünktchen ist eine Direktorentochter mit Hausdame und Kindermädchen. Anton lebt allein mit seiner kranken Mutter. Er verkauft nachts auf der Straße Schnürsenkel, damit sie das Notwendigste zum Leben haben. Pünktchen hilft ihm und verkauft Streichhölzer.
Eine Kindergeschichte auch für Erwachsene. So schreibt er in einer ‚Nachdenkerei über die Armut‘ zwischen die anderen Kapitel: ‚Vor ungefähr hundertfünfzig Jahren zogen einmal die Ärmsten der Pariser Bevölkerung nach Versailles, wo der französische König und seine Frau wohnten und riefen: „Wir haben kein Brot! Wir haben kein Brot!“ Die Königin schüttelte verwundert den Kopf: ‚Dann sollen sie doch Kuchen essen!‘ Ihr denkt vielleicht, sie sagte das, um sich über die armen Leute lustig zu machen. Nein, sie wusste nicht, was Armut ist! Sie dachte, wenn zufällig nicht genug Brot da ist, isst man eben Kuchen.‘
Kästner fragt: ‚Glaubt ihr nicht auch, dass die Armut leichter abgeschafft werden könnte, wenn die Reichen schon als Kinder wüssten, wie schlimm es ist, arm zu sein? Und weil er die Hoffnung nicht aufgeben kann, erklärt er ganz zum Schluss: „Die Erde soll früher einmal ein Paradies gewesen sein. Möglich ist alles. Die Erde könnte wieder ein Paradies werden. Alles ist möglich.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40655SWR4 Abendgedanken
„Rausfahren, wenn andere reinkommen!“ – Ein großes Schild aus rostigem Stahl steht vor einem Backsteinhaus mit einem großen Tor. Darüber ein rotes Kreuz auf weißem Hintergrund. Das habe ich im Urlaub auf einer der deutschen Nordseeinseln gesehen. Und erst mal gar nicht verstanden, worum es hier geht. „Rausfahren, wenn andere reinkommen!?“ Ist das Werbung für eine nächtliche Kneipentour oder was?
Das große Tor stand offen, also bin ich neugierig reingegangen. Und schnell ist mir klargeworden, dass ich mit der Kneipentour wohl auf dem falschen Dampfer war. Das rote Backsteinhaus entpuppt sich als alter Bootsschuppen, darum das große Tor. Und es hat früher ein Rettungsschiff beherbergt. Immer wieder kam es vor den Inseln in der Nordsee dazu, dass Schiffe kenterten und die Besatzung in Not geriet. Im Jahr 1854 sank eins der großen Auswandererschiffe auf dem Weg nach Amerika in einem furchtbaren Sturm und die Inselbewohner mussten zusehen, wie die Menschen in den eisigen Fluten ertranken. Aus dieser Not wurde dann 1865 die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gegründet. Von da an sind mutige Männer und später auch mutige Frauen rausgefahren und haben ihr Leben riskiert, um das Leben anderer zu retten. Hut ab, kann ich da nur sagen.
Was mag ihre Motivation gewesen sein? - Früher, da hat man den mausearmen Insulanern unterstellt, sie wollten vor allem – nach Seeräubermanier – die Ladung und die wertvollen Gerätschaften auf den Schiffen abgreifen und sich so ein paar Taler dazu verdienen. Mag sein, dass das auch vorgekommen ist. Aber ich bin mir sicher, die Männer, die sich damals in der Seenotrettung ehrenamtlich engagiert haben, die hat etwas anderes angetrieben. Sie wussten, wie erbarmungslos das Meer sein kann. Sie wussten, wie furchtbare Angst man dort draußen haben kann. Und sie haben gehandelt, weil sie helfen wollten. Weil ein Menschenleben, auch das eines Unbekannten, für sie wertvoll war. Vielleicht haben sie auch geglaubt, dass Gott ein Gott ist, der das Leben will, nicht den Tod, ein Gott, der für die Hoffnung steht, nicht für die Verzweiflung. Und dass Gott dort, wo Menschen sich lieben und füreinander da sind, uns ganz nahe ist. Damals, wie heute.
„Rausfahren, wenn andere reinkommen!“ – Ich finde, dass das auch ein gutes Motto für die Arbeit unserer Kirche und vielleicht sogar für jeden Christen und jede Christin heute sein könnte. Dorthin gehen, wo sonst niemand ist. Da helfen, wo alle anderen schon aufgegeben haben. Kein einziges Menschenleben aufgeben. Und so einen Gott bezeugen, der Leben will und nicht den Tod. Eben rausfahren, wenn andere reinkommen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40687SWR3 Worte
Worauf läuft unser aller Leben hinaus? Wie wird das sein – das Ende der Zeit? Die Bibel sagt dazu:
„Gott wird bei den Menschen wohnen und sie werden Gottes Völker sein […].
Gott wird jede Träne von ihren Augen abwischen.
Trauer, Schmerzgeschrei und Schinderei wird nicht mehr sein.
Und auch der Tod wird nicht mehr sein.“
Bibel, Johannesoffenbarung 21, 3b-4b, nach: Bibel in gerechter Sprache
Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
Stark, mutig, streitbar, selbstbewusst. Alles Worte, mit denen die heilige Hildegard beschrieben wird. Heute ist ihr Gedenktag. Und in ihrem Namen steckt schon sehr viel von dem, was sie ausgezeichnet hat. „Hilde“ bedeutet im Althochdeutschen „Kampf“. Und „gard“ kann mit „Schutz“ umschrieben werden. Das passt. Denn Hildegard von Bingen war eine Kämpferin. Und genau das hat sie zur Heiligen werden lassen. Gekämpft hat sie nicht mit Waffen oder Gewalt. Gekämpft hat sie mit ihrem Wissen, mit ihren Erfahrungen, mit vielen Worten und sicher auch Wortgefechten.
Sie lebte vor über 850 Jahren als Nonne in der Nähe von Bingen am Rhein. Als Frau der Kirche hat sie sich keineswegs brav und fromm in ihr Kloster zurückgezogen. Ganz im Gegenteil: Sie war Künstlerin und Wissenschaftlerin, Theologin und Ärztin, Schriftstellerin und eine mächtige Äbtissin. Gegenüber den geistlichen und weltlichen Mächtigen ihrer Zeit hat Hildegard kein Blatt vor den Mund genommen. Mit den Kirchenmännern, die das Sagen hatten, hat sie heftig gestritten, zum Beispiel um strenge Ordensregeln zu lockern. Auch hat sie für ein eigenes Kloster in der Nähe von Bingen gekämpft, in das Frauen aus allen Schichten eintreten konnten. Eine starke Frau!
So einen Mut und solche Stärke wünsche ich auch den Frauen und Männern, die in zwei Wochen in Rom zusammenkommen. Da findet eine weitere Versammlung der Weltsynode der katholischen Kirche statt. Papst Franziskus hat diese Synode einberufen. Kurz gesagt geht es um Wege, wie die Kirche auch im dritten Jahrtausend Gottes Botschaft an unsere Welt vermitteln kann. Damit spürbar bleibt, dass Gottes Zuwendung alle Menschen begleitet.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40677Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Dürfen wir Kirchenleute in unseren Sendungen über Suizid sprechen? Uns war immer bewusst, dass das ein besonders hohes Maß an Fingerspitzengefühl braucht. Weil es ein schweres und heikles Thema ist. Weil wir unter allen Umständen vermeiden wollen, Wunden dadurch aufzureißen.
Lange habe ich gedacht: Es ist am besten, das Thema einfach auszublenden. Wer nicht darüber spricht, macht dabei auch keine Fehler. Aber dann haben meine Kolleginnen und ich dazu eine Fortbildung gemacht und uns eine kompetente Referentin eingeladen. Vom Arbeitskreis Leben aus Karlsruhe. Der AKL ist deutschlandweit eine Anlaufstelle für Menschen, die mit dem Suizid eines Angehörigen konfrontiert sind und Hilfe suchen. Ich kenne einige, die dort sehr intensiv und kompetent oft über viele Monate begleitet worden sind. Und habe in Tübingen Gottesdienste gefeiert mit Menschen, die durch Suizid jemanden verloren haben, einen Sohn, den Ehemann. Für junge Menschen gibt es beim AKL eine eigene Beratungshotline, wo sie mit extra dafür geschulten Gleichaltrigen über ihre Gefühle sprechen können, über Sorgen und dunkle Gedanken.
Bei unserer Fortbildung habe ich gelernt, dass es wenig bringt, das Thema zu verschweigen. Weil es eben eine Realität ist. Dass es aber, wenn ich drüber spreche, am wichtigsten ist, aufzuzeigen was hilft. Dass es immer einen gibt, mit dem man sprechen kann. Dass es gut ist, sich rechtzeitig professionelle Hilfe zu suchen. Genau darum geht es auch in diesem September, der weltweit Monat der Suizidprävention[1] ist. Der Schwerpunkt liegt hier darauf, rechtzeitig die Augen aufzumachen, wenn es Menschen in unserem Umfeld schlecht geht. Es kann jeden betreffen. Ausdrücklich aber sollten wir daran denken, dass Schülerinnen und Schüler besonders unter Corona und den Abstandsregeln gelitten haben und das Konsequenzen hat, die nicht klein geredet werden dürfen. Ich habe jedenfalls gelernt, dass es nichts nützt, aus dem Thema Suizid ein Tabu zu machen, sondern dafür aufmerksam zu sein und auch auf andere zuzugehen, wenn ich Sorge um sie habe. Und deshalb spreche ich heute auch ausdrücklich darüber.
[1]https://www.suizidprophylaxe.de
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40665Zeige Beiträge 1 bis 10 von 39483 »