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10DEZ2024
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In Ostwestfalen gibt es eine ungewöhnliche Schafherde. Sie besteht aus rund zwei Dutzend Schafböcken, die alle eines gemeinsam haben: Sie sind schwul. Die Böcke interessieren sich also für ihre männlichen Artgenossen, nicht aber für die weiblichen Schafe einer Herde. In der Tierwelt ist sowas durchaus verbreitet und auch gar nicht mal so selten. Für professionelle Schafzüchter, die ja von ihrer Arbeit leben müssen, sind solche Tiere allerdings kaum zu gebrauchen. Sie kosten Geld, zeugen aber keinen Nachwuchs und landen darum in der Regel ziemlich schnell beim Schlachter.

Ein Schäfer aus dem Ort Löhne versucht da einen anderen Weg. Er hat schwulen Schafen eine Heimat auf seinem Hof gegeben und sie so vor dem Schlachthof bewahrt. Dort hält er sie nun als eigene Herde. Bei ihm dürfen sie solange leben, wie sie können und lieben, wen sie wollen. Und aus ihrer Wolle entsteht dann die „Rainbow Wool“, die Regenbogenwolle. Natürlich ist die Wolle dieser Schafböcke nicht bunt, sondern wollweiß wie bei den anderen Schafen. Sie heißt aber so, weil sie von dieser besonderen Herde kommt und an das Symbol der queeren Gemeinschaft erinnern soll: den Regenbogen. Mit dem Verkauf der Produkte, die aus dieser Wolle entstehen, werden dann übrigens Projekte für queere Menschen unterstützt. Menschen, die es als Minderheit in der Gesellschaft oft schwer haben. Und die auch in unseren Kirchen viel zu lange ausgegrenzt worden sind.

Insofern ist es eine tolle Geschichte, finde ich. Weil sie zeigt, dass bunte Vielfalt funktionieren kann, wenn man ihr mit Offenheit, Phantasie und Mut begegnet. Bei Schafen, aber natürlich auch unter uns Menschen. Und dass es „gute Hirten“ braucht, so, wie sie auch die Bibel beschreibt. Solche, die das Wohl aller im Blick haben. Egal, wer und wie sie sind und wen sie lieben.

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09DEZ2024
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Was macht Ihnen Hoffnung? Ein paar meiner Kolleginnen und Kollegen im Bistum Mainz planen gerade ein Projekt für das Jahr 2025. Und deshalb möchten sie von anderen Menschen wissen, was denen so Hoffnung macht. Die Antworten wollen sie sammeln und dann veröffentlichen. Als Anregung für andere, die gerade vielleicht ein bisschen Zuversicht brauchen. Im Moment dürften das einige sein.

Das Tolle am Hoffen ist ja, dass man dafür gar nicht viel braucht. Schon die Ahnung, dass etwas auch ganz anders sein könnte, reicht. Ja, hoffen kann ich sogar dann, wenn etwas im Moment total unwahrscheinlich erscheint. Zum Beispiel, dass der furchtbare Krieg in der Ukraine noch dieses Jahr zu Ende geht. Oder dass wir gemeinsam doch die Kurve kriegen und den Klimawandel stoppen, bevor es zu spät ist. Allzu wahrscheinlich klingt das leider nicht. Aber immerhin, es ist nicht unmöglich und deshalb kann ich trotzdem darauf hoffen.

Leben ohne zu hoffen kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich glaube, wir brauchen Hoffnung fast so dringend wie die Luft zum Atmen. Um nicht zu resignieren. Und deshalb ist jeder Lichtblick im Alltag, jeder kleine Hoffnungsfunke auch so wichtig. Für die Zuversicht, dass es am Ende doch gut werden kann, allem Schweren zum Trotz, und dass Gott diese Welt nicht aufgegeben hat.

Mir zum Beispiel macht jeder Hoffnung, der selbstlos etwas für Andere macht. Einfach so, ohne Aufhebens und ohne Gegenleistung. Aber auch der Brombeerstrauch in meinem Garten lässt mich hoffen, der sich trotz Hitze und Dürre im Sommer jedes Jahr wieder aufs Neue berappelt.

Ich glaube, es gibt eigentlich unendlich Vieles, was ein bisschen Hoffnung machen könnte. Fast jeden Tag. Wenn es mir nur gelingt, mit offenen Augen und Sinnen durch den Tag zu gehen.

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07DEZ2024
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Ich gebe zu, so wahnsinnig kreativ klingt es für Sie wahrscheinlich nicht, wenn ich Ihnen sage, dass ich heute über „Licht“ sprechen werde – aber bleiben Sie und lassen Sie sich ein.

Licht in der Adventszeit, Adventskranz, dicke roten Kerzen, Straßenbeleuchtung, Weihnachtsbäume – eben Licht. Aber „Licht“ hat mehr zu bieten. „Es werde Licht“ - die erste Schöpfungshandlung Gottes in der Bibel. Ganz am Anfang schuf Gott das Licht.

Gerade in der dunklen Jahreszeit erleben wir, wie wertvoll „Licht“ ist.  Früher waren die Menschen auf den Rhythmus des Lichts angewiesen, da waren zu dieser Jahreszeit die Nächte wirklich lang und dunkel und die Tage sehr kurz.

Wenn ich mich in diese Zeit zurückversetze, verstehe ich die Sehnsucht nach der Wintersonnenwende sehr gut, den Wunsch, dass es wieder anders wird, dass die Tage wieder länger und die Nächte wieder kürzer werden mögen. 

Genau dieses Gefühl, der Wunsch, dass die Dunkelheit kürzer und die Helligkeit wieder länger dauert, hat Sarah mir beschrieben.

Sarah hat versucht, mir zu beschreiben, wie es ist, wenn die Depression sie umfängt. Wie es ist, wenn alles grau und dunkel ist. Sarah hat mir auch den Weg aus der Depression beschrieben. Und sie hat diesen Weg, wenn es gelingt, verglichen mit Advent, damit, dass es mit der Zeit dann doch wieder heller wird. Entgegen aller Erwartung.

Die Depression als Dunkelheit, in der zunächst nur ein kleines Licht aufleuchtet. Und wenn es gut läuft ein zweites und ein drittes und so weiter. Bis dann die Welt ganz langsam wieder heller und farbiger wird.

Seit diesem Gespräch mit Sarah, denke ich im Advent besonders an sie   – und dadurch hat das Licht in der Adventszeit für mich eine neue, eine weitere starke Bedeutung bekommen.

Allen, die sich gefangen fühlen in der Dunkelheit, wünsche ich Licht, wünsche ich adventliche Momente. Licht lässt Farben erscheinen, die das Leben bereichern.

Sarah hat mir gezeigt: Füreinander Licht sein in dunkler und schwerer Zeit, wenn es unübersichtlich und depressiv zu sein scheint– das ist die zentrale Botschaft des Advents.

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06DEZ2024
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Sicherlich erwarten Sie, dass ich heute über Nikolaus spreche.  Entweder über den Bischof, oder den Gedenktag oder das erste „Süßigkeitenfest“ auf dem Weg zu Weihnachten. Und versprochen, ich werde dies irgendwie tun – auch wenn es sich zunächst nicht gleich so anhört.

Der Advent und erst recht der Nikolaustag wecken eine Sehnsucht in mir, eine Sehnsucht nach Wärme, Nähe und Licht. Danach, dass ich geborgen bin und dass alles irgendwie gut wird.

„Sehnsucht“, das ist ein seltsames Wort, trifft aber genau das was ich fühle. Ich sehne mich nach etwas und wenn es nicht erfüllt wird, dann löst das bei mir starkes Drängen nach Erfüllung, noch stärkere Sehnsucht aus.

Sehnsucht, das ist ein starkes Gefühl. Und es macht Sinn, dass in der Sehnsucht das Wort „Sucht" steckt: Sie ist nicht zu sättigen. Nähe, Liebe, Zuwendung, Aufmerksamkeit und auch der Wunsch nach einer heilen Welt scheinen fast unersättlich vorhanden.

Ich bin dann immer ganz froh, dass dieses Gefühl „Sehnsucht“ für mich im Advent seinen Platz gefunden hat. Das Kirchenjahr ist schon ziemlich genial den unterschiedlichsten Gefühlen, die wir Menschen haben können, Raum zu geben:  Hoffnung, Dankbarkeit, Trauer und Liebe und vieles mehr findet seinen Platz im Kirchenjahr an Ostern, Erntedank, Ewigkeitssonntag, im Advent oder an Weihnachten.

Sehnsucht hat ihren Platz für mich im Advent und besonders am Nikolaustag. Der steht nämlich für mich für Wärme und Nächstenliebe. Und nicht nur, weil es Schokolade gibt – was ich natürlich auch nicht schlecht finde.

Der Nikolaustag ist für mich mehr als der gefüllte Teller oder die Süßigkeiten im Schuh. Er ist für mich DER Meilenstein im Advent auf dem Weg zu Weihnachten. Wenn der Nikolaustag da ist, ist für mich die traurige Zeit des Novembers endgültig vorbei. Mein Blick geht vom November Richtung Heilig Abend. Voller Vorfreude und Sehnsucht:

Von der Dunkelheit der Trauer hin zu Wärme und Licht und Liebe. Zu Weihnachten, der unglaublichen Geburt Gottes in einem ärmlichen Stall. Mein Blick geht zu dem Fest, das alles möglich erscheinen lässt, das Hoffnung gibt und Liebe schenkt.

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05DEZ2024
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Der November ist vorbei, die Adventszeit hat begonnen, aber die Melancholie begleitet mich. Ok im November gehört das vielleicht auch noch ein bisschen dazu. Da sind all die Trauer- und Erinnerungstage, das Laub fällt und der Nebel hüllt die Welt ein.

Aber jetzt? Jetzt hat doch der Advent begonnen. Wohlfühlzeit. Zeit der Lichter. Es wird heller – auf dem Original Adventskranz von Johann Hinrich Wichern wäre heute die fünfte Kerze entzündet worden, für jeden Dezembertag gibt es eine.

Und trotzdem ist sie da – die Melancholie. Ich kenne sie gut, wie eine alte Freundin, schon lange begleitet sie mich, schenkt mir Gemeinschaft und widmet mir ihre Aufmerksamkeit.

Und eigentlich finde ich das nicht schlimm. Ich mag die Phasen des Rückblicks, des Nachspürens. Sie sind wertvoll und können so manches ins rechte Licht rücken – Aktuelles einordnen und relativieren.

Ja es ist klug, wie es in der Bibel heißt, zu bedenken, dass man sterblich ist.Und es ist gut, sich bewusst zu machen, dass auch andere sterben, zu trauern um die, die schon gegangen sind. Es ist klug, die Endlichkeit von allem zu bedenken und dadurch den Wert des Moments, des Augenblicks, der erlebten Gemeinschaft neu zu schätzen.

So manche Treffen mit Familie und Freunden, im Verein oder der Kirche werden für mich wertvoller, wenn ich mir vorstelle, es gäbe sie nicht mehr. Dann wird so manches, was mir zuerst wie ein belangloses Dahinplätschern erscheint, für mich zu einem Moment der Nähe, gefüllt mit Dankbarkeit.

Ja, ich mag meine Melancholie - auch wenn ich sie manchmal gerne schneller abstreifen und loswerden würde - wenn ich mir manchmal wieder etwas mehr Leichtigkeit wünschen würde.

Sie erinnert mich doch immer wieder daran, mal nachzudenken und zu überlegen, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Die mir wichtigen Ziele verfolge, genug Gemeinschaft lebe und auch mal das Leben einfach nur genieße?

Wenn Sie sich jetzt fragen, warum redet er heute über Melancholie – es ist Advent, das Leben ist schön und ich bin dankbar dafür – dann freue ich mich für Sie!

Wenn es Ihnen aber manchmal ähnlich geht wie mir – umarmen sie in Gedanken Ihre Melancholie – machen Sie sich bewusst, was Ihnen wirklich wichtig ist. Und freuen Sie sich mit mir auf den Nikolaustag!

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04DEZ2024
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Im vergangenen Jahr standen zwei gute Freudinnen am 4. Dezember vor meiner Haustür. Die eine hatte einen Korb mit Kuchen und Plätzchen und einer Kerze dabei. Die andere hielt ein paar kahle Kirschbaumzweige im Arm.

Ich habe mich selten so über die kahlen Zweige gefreut wie im vergangenen Jahr. Es war für mich eine kahle Zeit. Mir lagen einige Themen schwer auf der Seele und manchmal ist es mir in dieser Zeit schwergefallen, die Hoffnung nicht zu verlieren. Und jetzt stand die Hoffnung mit meinen Freundinnen gewissermaßen vor der Tür.

Heute ist wieder der 4. Dezember. Es ist Barbaratag. Und jedes Jahr denke ich an diesem Tag an die Geschichte der Heiligen Barbara: Der Legende nach lebte sie im 3. Jahrhundert in der heutigen Türkei. Ihr Vater war sehr wohlhabend und ihm lag die Bildung seiner Tochter sehr am Herzen. Dadurch kam Barbara auch mit dem Christentum in Kontakt und sie ließ sich taufen. Das gefiel ihrem Vater gar nicht und außerdem wollte er sie verheiraten. Aber Barbara wollte nicht heiraten, sondern weiter lernen und sich noch mehr in ihren Glauben vertiefen. Darüber war ihr Vater so zornig, dass er sie in einen Turm einsperrte. Auf dem Weg in den Turm verfing sich ein kahler Zweig eines Kirschbaumes in ihrem Gewand. Im Turm stellte Barbara den Zweig in eine Vase. Trotz der Todesdrohungen ihres Vaters blieb sie bei ihrem Glauben und weigerte sich weiterhin zu heiraten. Am Tag ihrer Hinrichtung erblühte der kahle Kirschzweig in voller Pracht.

Seitdem schneiden am 4. Dezember viele Menschen Zweige von den kahlen Obstbäumen und stellen sie in eine Vase, damit sie an Weihnachten blühen. Sie erinnern nicht nur an die wirklich traurig-grausame Geschichte der heiligen Barbara. Sie erinnern vor allem daran, dass der Glaube uns in kahlen und bedrohten Zeiten des Lebens Kraft schenken kann. Und schon heute kündigen uns die kahlen Zweige die Geburt Jesu an und sein Versprechen, dass uns das Leben blüht durch alle kahlen Zeiten hindurch.

Im vergangenen Jahr hatte mein Zweig nur zwei kleine, ganz zarte Blüten zu Weihnachten aber gerade diese winzigen, zaghaften Blüten haben mich an Gottes Versprechen erinnert und meine Hoffnung blühen lassen

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03DEZ2024
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Ich stehe in der Schlange vor der Kasse der Albertina in Wien. Mein Vater und ich wollen uns hier im Museum die Chagall Ausstellung anschauen. An der Kasse angekommen, zeige ich den Behindertenausweis meines Vaters. Die Frau an der Kasse lächelt mich an und sagt: „Ihr Vater darf unsere Ausstellung kostenfrei besuchen und Sie, als Begleitperson, bekommen den Eintritt vergünstigt.“ Dann zeigt sie uns auch noch eine Abkürzung, damit mein Vater nicht so lange in der Schlange stehen muss.

Meine Geschwister und ich verbringen gerade gemeinsam mit meinen Eltern ein paar Tage in Wien. Und an vielen Orten machen wir die Erfahrung, wie freundlich und zuvorkommend Menschen mit einer Behinderung hier behandelt werden. Meinem Vater ist es fast ein wenig unangenehm, er möchte gar nicht bevorzugt werden und auch nicht viel Aufhebens um seine Person machen. „Ich kann doch nur nicht lange stehen und das Treppensteigen macht mir Mühe“, sagt er. Es fällt ihm schwer sich und den anderen einzugestehen, dass es langsamer geht als früher, dass er mehr Zeit und Halt braucht für sichere Schritte. Wenn ich seinen Behindertenausweis vorzeige, dann spüre ich seine Sorge, dass man ihn weniger ernst nehmen könnte, wenn seine Behinderung öffentlich wird. Ich möchte ihn auf keinen Fall beschämen. Denn seine Angst, dass ein Mensch mit einer Behinderung von anderen abgewertet wird, ist berechtigt.

Heute am 3. Dezember ist der Internationale Tag für Menschen mit Behinderungen. Vor 31 Jahren haben ihn die Vereinten Nationen ins Leben gerufen. Es geht darum aufmerksam zu machen, vor welchen Herausforderungen Menschen mit Behinderung im Alltag stehen. Und es geht um noch viel mehr. Wie gelingt es uns als Gemeinschaft Menschen nicht auf ihre Behinderung zu reduzieren und sie so kleinzumachen.

Für mich geht es da auch um eine Grundaussage meines Glaubens. Ich glaube, dass wir als Menschen eine Gemeinschaft der Heiligen sind. Und Heilige sind wir in unserer ganzen Vielfalt, als Menschen mit und ohne Behinderung und weit darüber hinaus.

Als wir das Museum verlassen, um die anderen wiederzutreffen, sehe ich, dass die Ampel grün ist. Und, wie es meine Art ist, will ich losrennen. Im gleichen Moment denke ich an meinen Vater, der ja neben mir läuft und gemeinsam gehen wir in seinem Tempo weiter und warten auf die nächste Grün-Phase.

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02DEZ2024
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„Drei heilige Momente erlebe ich in diesen Gottesdiensten.“ Mit leuchtenden Augen erzählt eine junge Kollegin aus Thüringen von ihrer Erfahrung mit einer neuen Art Gottesdienst zu feiern. Ich bin zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus ganz Deutschland in Erfurt zu einer Konferenz. Es geht um den Gottesdienst.

Die junge Kollegin erzählt, wie sie mit wenigen anderen in einem großen ländlichen Gebiet versuchen, auch weiter mit den Menschen in den Dörfern Gottesdienste zu feiern. Und es geht nicht um besondere Gottesdienste mit Band oder einer besonderen Aktion. Sie erzählt von einer schlichten Form, so wie man es kennt vom Sonntagmorgen in unseren Kirchen und doch ist ein entscheidender Teil anders. Sie feiern den Gottesdienst miteinander an einem Tisch.

„Wir haben gespürt: Da gibt es die Sehnsucht, sich zu begegnen und nicht vereinzelt in der Kirchenbank zu sitzen. Ich ziehe meinen Talar nicht an und es gibt keine Orgelmusik, aber dafür ganz viel Zeit zum Singen und Beten“, erzählt die junge Kollegin. „Und jemand liest eine Geschichte aus der Bibel vor. Aber statt einer Predigt gebe ich nur einen kurzen Impuls und dann dürfen die Menschen am Tisch ihre Gedanken dazu erzählen. Das ist mein erster heiliger Moment. Denn die Menschen erzählen aus ihrem Leben und von ihrem Glauben. Und ich habe noch nie so viele verschiedene Glaubensgeschichten gehört wie an diesem Tisch.“ Sie hält kurz inne, um dann weiterzusprechen. „Mein zweiter heiliger Moment sind die Gebete. Wir sammeln, für wen und für was wir heute beten wollen. Und dann beten wir, dass Oma Inge wieder gesund wird, dass es doch schneien möge zu Weihnachten, dass der Krieg aufhört in Nahost, in der Ukraine.“

„Am Ende des Gottesdienstes kommt mein dritter heiliger Moment“, erzählt die Kollegin weiter: „Wenn wir uns gegenseitig mitteilen, was in der letzten Zeit bei uns so los war und da wird mal gelacht und manchmal fließen Tränen. Mit dem Segen gehen wird dann über zu Kaffee und Kuchen oder zu Suppe und Saft.“

Ich wünsche Ihnen und mir heute solche heiligen Momente, wo wir voller Vertrauen unsere Geschichten miteinander teilen. Wo wir uns zeigen, mit unserer Freude und unserem Schmerz.

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30NOV2024
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Der Bauherr einer Trierer Baustelle hat mich als Imkerin gebeten, mal einen Blick auf seine Wand zu werfen, da sollen Insekten wohnen. Ich bin überrascht: „Tatsächlich! Da wohnt ein Volk von Honigbienen.“ Allerdings wird deren Einflugloch durch die Bauarbeiten bald verschlossen. Daher fragt der Bauherr: „Was können Sie tun?“

„Nun ja: Erst muss man die Wand öffnen und dann das Nest als Ganzes entnehmen. Das ist viel Arbeit und es ist teuer. Zudem ist unklar, ob das Volk vital ist oder ob es nur noch eine kleine Gruppe ist, die den Winter eh nicht überleben würde.“

Ich gehe davon aus, dass er meinen Vorschlag ablehnt und stattdessen einen Kammerjäger beauftragt, das Volk zu töten. Aber der Bauherr sagt nur: „Dann machen wir das so.“

Zwei Wochen später ist es so weit. Ein Bauarbeiter schneidet die gemauerte Wand mit einer Steinsäge auf. Dann werden Steine mit einem Bohrhammer aus der Wand geschlagen. Waben werden sichtbar. Der Bauarbeiter arbeitet sich weiter vor. Entfernt noch eine Lage Steine. Plötzlich fliegen einige wenige Bienen. Ich schaue in das Loch in der Wand: „Ja, hallo, da seid ihr ja.“ Hinter einer dünnen Mörtelschicht sehe ich eine Traube an Bienen. Etwas verstaubt, aber munter. Vorsichtig bette ich sie in ihr neues Zuhause um.

Bauarbeiter und Bauherr sind fasziniert von dem Kunstwerk in der Wand, das diese kleinen Bienen sich dort gezimmert haben.

Es ist immer noch nicht sicher, ob die Bienen den Winter überleben werden. Ein Kammerjäger wäre billiger gewesen. Aber hier gilt kein Kosten-Nutzen-Kalkül. Hier fühlt jemand mit und respektiert die Tiere – hier lebt jemand Werte.

Dieses Erlebnis ermutigt mich. Denn als Christin sehe ich das auch so: Jedes Leben – Tier wie Mensch – ist wertvoll.

Und es gibt unzählige Menschen, die das leben. Man findet sie zum Beispiel, wenn sie sich beruflich wie ehrenamtlich, um alte und kranke Menschen kümmern. Oder wenn sie Jugendlichen bessere Startbedingungen ermöglichen.

Dem Gegenüber das Gefühl geben, wertvoll zu sein. Jeder und jede kann das. Und unsere Welt kann es gerade dringend gebrauchen.

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29NOV2024
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Am Montagabend wird getanzt. Mit meiner Freundin Maria-Elena besuche ich einen Sportkurs. Zu lateinamerikanischer Musik versuchen wir die Tanzschritte der Trainerin nachzumachen und dabei nicht über die eigenen Füße zu stolpern.

Das Lied von einem brasilianischen Sänger hat so seine Tücken. An einer Stelle dreht man sich um die eigene Achse. Ein Bein bleibt stehen. Das andere hüpft sozusagen außen drum herum. Dazu bewegt man die Arme auf Schulterhöhe leicht wedelnd mit.

Während ich mich versuche zu drehen, bleibt mein Blick an meiner Freundin hängen. Ich bin fasziniert, wie sie formvollendet und völlig im Takt die Drehung meistert. Überhaupt scheint ihr dieses Lied eine große Freude zu machen. Sie wirkt so ganz bei sich selbst.

Das ist besonders. Denn man muss wissen: Maria-Elena ist keine Tanz-Maus. Das sagt sie selbst. 

Nach dem Kurs spreche ich sie im Auto auf dieses Lied und meinen Eindruck an: „Du sahst toll aus. Du bist also doch eine Tanz-Maus!“ Sie ist etwas verlegen. „Dieses Lied erinnert mich an meinen Papa. Wenn es im Radio kam, machte mein Papa es immer ganz laut und sang mit.“ Ihr Vater ist vor sechs Jahren gestorben.

Ich glaube, mich fasziniert diese Leichtigkeit, die sie beim Tanzen ausstrahlt. Wenn wir ab und zu auf ihren Papa zu sprechen kommen, erzählt sie, dass er ihr oft fehlt: der Austausch mit ihm, seine Einschätzung und Unterstützung. Die Trauer um seinen Verlust ist heute immer noch da. Wie vor sechs Jahren, als er gestorben ist. Die Trauer hört also bei ihr – wie auch bei den vielen Menschen, die ich in meiner Arbeit begleite – nicht einfach auf und ist dann weg. Die Trauer verändert sich aber über die Jahre. Sie ist nicht immer nur schwer wie oft ganz zu Beginn.

Die Trauer meiner Freundin bekommt im Tanzen eine erstaunliche Leichtigkeit. Sie fühlt sich mit ihrem Vater im Tanz verbunden und nah.

Als ich vor ihrem Haus anhalte, um sie aussteigen zu lassen, zieht sie noch einen kleinen Zettel aus der Tasche. Es ist der Zettel aus einem Glückkeks. Darauf steht:

„Wo kein Schnee liegt, darf getanzt werden!“ Wir müssen beide lachen – mit Tränen in den Augen.

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