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27JUL2024
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Ferientage im Westerwald – von der Eifel aus eine prima Sache.

Höchstens zwei Stunden Anreise mit dem Auto, fremde Gegend, die Kroppacher Schweiz und die Westerwälder Seenplatte oder die Abtei Marienstatt sind echt gute Urlaubsziele.

Helga und ich machen, was wir immer machen: wir wandern.

Und wir machen, was wir sehr selten machen: wir gehen zum Essen ins Restaurant, kochen, obwohl wir eine Ferienwohnung haben, nicht selbst.

Frühstück und Abendessen natürlich in der Ferienwohnung.

Und mein Glas Wein am Abend auch. Helga bevorzugt Wasser.

Auf den Wanderungen quatschen wir, sind aber auch nicht blind für das, was uns begegnet.

Auf dem Weg Schnecken mit oder ohne Haus und Mistkäfer. Einer liegt hilflos auf dem Rücken. Ich halte ihm ein Blatt unter den Körper und helfe ihm, sich umzudrehen. Ins Gras krabbeln soll er selbst, ich gebe nur Hilfe zur Selbsthilfe.

Auf dem Rückweg sehen wir einen Mann, der sich zu diesem Käfer runterbeugt. Wahrscheinlich will auch er ihm auf die Beine helfen. Der hat das nicht verdient, sage ich, den habe ich eben auch schon umgedreht.

Nein, wenn die auf dem Rücken liegen, haben sie sich zum Sterben bereit gemacht, erklärt uns der Kenner. Oje, da hab ich dem Käfer ja echt einen Bärendienst erwiesen, als ich ihn umgedreht habe.

Wir stehen da, schauen auf den Käfer, dann machen der Mann und ich gleichzeitig ein Segenskreuz über ihn und wünschen ihm: „Ruhe sanft“. Sag nochmal jemand, die Leute wären nicht „alltagsfromm“.

Für die Käferkenner unter uns: so allgemein stimmt die Regel nicht; nicht jeder Käfer stirbt, wenn er auf dem Rücken liegt. Ich hab Google gefragt. Aber trotzdem war das mit dem gesegneten Mistkäfer ein eindrückliches Erlebnis. Gottes Segen – für jeden „Mistkäfer“ auf dieser Welt.

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26JUL2024
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Selbstgemachter Kartoffelsalat. Lecker. Die Pellkartoffeln kocht man am Vortag. Warum, weiß ich nicht mehr, aber so habe ich es von meiner Mutter und meiner Großmutter gelernt.

Beim Pellen der Kartoffeln merke ich, dass die Schale nicht überall gleich gut abgeht, manchmal bleibt etwas Kartoffel an der Schale hängen. Egal, kommt nachher in die Ökotonne. Vielleicht freuen sich irgendwelche Kleintiere darüber, wenn sie im Ökoabfall Kartoffelreste finden.

Und dann schießt mir ein Gedanke in den Kopf, der mich nicht loslässt:

Wie könnte man aus diesen Kartoffelschalen mit etwas Zwiebel oder irgendwas anderem eine Wassersuppe mit ein paar Kalorien für hungrige Kinder kochen.

Ich schäme mich, dass ich diese Lebensmittelreste so gedankenlos wegwerfe. Es gibt 735 Millionen Menschen auf der Welt, die hungern. Die Zahl ist von 2022, aktuell sind es bestimmt noch mehr. In den Kriegsgebieten natürlich, aber auch einfach so, weil die Menschen so sind, wie sie sind. Die Erde könnte alle Menschen ernähren.

Meine Mutter hat noch die Hungerjahre nach dem 2. Weltkrieg erlebt und hätte nie ein Stück Brot weggeworfen. Ich mache das auch nur im Notfall, wenn das Brot schimmelig geworden ist. Aber über die Kartoffelreste an den Schalen hatte ich mir erst keine Gedanken gemacht.

Iss deinen Teller leer, die Kinder in Afrika wären froh, wenn sie so viel zu essen hätten wie du, so sagte meine Oma. Hatten die Kinder in Afrika was davon, wenn ich aufaß – oder Reste bleiben? So was diskutierte man früher nicht.

Aber das Bild der Kartoffelreste an der Schale lässt mich nicht los.

Was kann ich tun? 

Ich gehe in mein Onlinebanking und überweise etwas Geld an eine Hilfsorganisation, die sich in Äthiopien engagiert. Von 15 Euro im Monat können zwei Kinder ein Jahr lang jeden Tag in der Schule Mittagessen.

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25JUL2024
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Beim Blick auf die Blumen in der Vase sage ich manchmal leise: Kopf hoch.

Die sehen doch einfach besser aus, wenn sie grade stehen, egal ob im Frühjahr die Tulpen oder jetzt Sonnenblumen oder „Gladiatoren“. Das war der Spitzname meines Vaters für Gladiolen, weil die immer so schön aufrecht stehen.

Wenn sie die Köpfe hängen lassen, versuche ich, sie aufzumuntern.

Kopf hoch.

Ich prüfe dann: Wasser ist genug da.

Vielleicht die Stiele nochmal schräg anschneiden. Manche tun eine Kopfschmerztablette ins Blumenwasser, das habe ich aber noch nie probiert. Die Vase über Nacht in den Hof oder in den kühlen Flur stellen, dann sind die Blumen am nächsten Morgen wieder besser drauf.

Kopf hoch, das sage ich auch manchmal zu Bekannten oder Freunden, wenn sich da Schwierigkeiten auftun.

Früher habe ich auch noch hinzugefügt: denk positiv, das habe ich mir aber schon lange wieder abgewöhnt. Es ist ja mehr ein Schlag auf den Hinterkopf als eine Hilfe – an manchem ist einfach nichts Gutes. Und wenn doch, kann man das erst im Nachhinein erkennen.

Und von meinem Spruch: Kopf hoch wird auch nix besser.

Von den Blumen in der Vase lerne ich: ich muss auch was tun.

Stiele anschneiden, Wasser kontrollieren, über Nacht rausstellen.

Bei meinen Freunden wäre dann Stiel abschneiden: ihnen irgendeine kleine Last abnehmen.

Wasser kontrollieren: Prüfen, ob sie in der Notsituation genug essen und trinken, notfalls für sie kochen oder mit ihnen essen gehen.

Blumen über Nacht rausstellen in den kühlen Flur: das geht bei Menschen so, dass ich sie zu mir nach Hause einladen kann und im Gästezimmer übernachten lasse. In der kühlen Eifel ist es erholsam.

Wenn ich die Blumen und die Menschen etwas aufrichte, dann klingt auch der Spruch ganz anders: Kopf hoch!

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24JUL2024
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Wir hatten Glück gehabt bei unserem Kurzurlaub am Bodensee über Pfingsten. Bevor der große Regen und das Hochwasser kamen. Ein Programmpunkt: Besuch des Museums in Konstanz. Sonderausstellung berühmter alter Handschriften aus den Werkstätten der Klosterinsel Reichenau. Zugegeben, etwas speziell, deshalb ging meine Frau in der Zeit auch lieber shoppen. Ich jedenfalls schaute mir uralte Bücher an. Unter anderem ein Buch, über 1000 Jahre alt, mit Texten aus der Bibel  und berühmt wegen seiner vielen tollen Bilder aus dem Leben Jesu. Eines der Bilder zeigt ein kleines Boot, es erinnert wirklich an die sprichwörtliche Nussschale. Darin sitzen die Jünger Jesu. Die Wellen schlagen hoch. Die Lage ist verzweifelt. Doch Jesus geht übers Wasser, greift den Petrus an der Hand und rettet die gesamte Mannschaft. Ein Wunder. Und jeder weiß: alles ist gut! Wenn man nur seine Hand nach dem Herrn ausstreckt. Er wird sie ergreifen, egal wo dir das Wasser steht. Ganz schön naiv, mag man da heute denken. Und das ist ja auch so. Was mögen die Leute sagen, denen aktuell wirklich die Brühe im Haus steht und die nicht wissen, wie es weiter gehen soll. Da hilft keine Wundergeschichte aus der Bibel. Da muss man erbarmungslos selbst anpacken, ist auf die konkrete Hilfe von Feuerwehr, THW und die Solidarität der Nachbarn und Freunde angewiesen. Und oft genug wirken die ja auch kleine Wunder, mitten im stürmischen Alltag. Was das Bild aus der Bibel betrifft: vielleicht kann es trotzdem eine Hilfe sein. Ich stelle mir das so vor: die Freunde Jesu damals waren verzweifelt und fühlten sich allein gelassen.  Ohne ihren Anführer, Jesus, der nicht mehr bei ihnen war. Und dann hören sie irgendwie tief in ihrem Innern seine Stimme. „Habt ihr noch immer keinen Glauben? Ich bin doch trotzdem bei euch.“ Und mit neuer Kraft greifen sie in die Ruder und erreichen das rettende Ufer.  Ich finde, das hat etwas sehr Tröstliches. Ich glaube jedenfalls, dass Gott seine Hand nach mir ausstreckt, so wie Jesus auf dem Bild aus der alten Handschrift. Und mit diesem Gedanken fällt mir –um im Bild zu bleiben- das alltägliche mühsame Rudern etwas leichter.

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23JUL2024
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Ein Bekannter hat mir ein Erlebnis aus seiner Jugend erzählt. Als junger Student Anfang der 50er Jahre ist er mit einem Freund zu Fuß unterwegs in Frankreich. Sie wollen nach Paris. Damals nicht ohne. Denn seit dem 2. Weltkrieg sind noch nicht viele Jahre vergangen. Auf der Landstraße fährt ein großer PKW an ihnen vorbei. Einige Meter vor ihnen bremst er, bleibt stehen und ein  Chauffeur mit Mütze steigt aus.  Wo sie denn hin wollten und ob sie ein Stück mitfahren wollten. Gerne steigen die beiden ein. Im Fond sitzt ein älterer Herr mit Brille. Um ihn herum liegen Akten. Die räumt er beiseite. Er grüßt  freundlich, fragt die beiden nach ihren Namen und wo sie herkommen.  Er interessiert sich für die Lage in Deutschland, wie junge Menschen dort leben und denken. Irgendwann fällt bei den beiden Jungs der Groschen. Sie sitzen zusammen mit dem französischen Außenminister im Auto, Robert Schuman. Der ist bis heute einer der ganz großen Europäer der Nachkriegsgeschichte. Und ein tief gläubiger Christ. Von ihm kam die Idee, Frankreich und Deutschland wirtschaftlich so zu verzahnen, dass ein Krieg zwischen diesen beiden Nationen praktisch unmöglich werden sollte. Dazu gehörte auch die Bereitschaft, Deutschland nach dem Krieg nicht mit eiserner Faust zu beherrschen sondern sich mit dem neuen deutschen  Staat zu versöhnen.  Was daraus wurde, hat Geschichte geschrieben. Die Europäische Union. Die hat es geschafft, 77 Jahre lang, bis 2022 Frieden in Europa zu bewahren. Das hat es nie vorher gegeben. Daran kann man nicht oft genug erinnern. Was hätte Schuman wohl gesagt zum Krieg gegen die Ukraine?  Wie würde er über die aktuellen französischen Parlamentswahlen denken? Gäbe es heute überall auf der Welt Politiker wie ihn, dann  sähe es ganz sicher friedlicher aus. Dann würden Hände ausgestreckt und nicht mit der Faust gedroht. Dann würde ernsthaft zugehört statt populistische Parolen gegrölt.  Als Robert Schuman 1950 seinen Plan einer wirtschaftlichen Union mit Deutschland auf Augenhöhe öffentlich macht, fragt ein Journalist: „Herr Minister, ist das nicht ein Sprung ins Ungewisse?“. Und Schuman antwortet: „ Ja, schon. Aber den müssen wir machen“.  Solche Politiker wünsche ich mir heute. Menschen, die die Hand ausstrecken und nicht die Faust ballen.

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22JUL2024
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Seit einiger Zeit sehe ich meine Umgebung mit anderen Augen. Das heißt, sie sieht auf einmal ganz neu aus. Ungewohnt anders. Ich gehe nämlich mehr zu Fuß.  Z.B rausche ich jetzt nicht mehr im Auto links an der Schrebergartenanlage am Ortsrand vorbei. Jetzt spaziere ich rechts über den Wanderweg, auf der einen Seite die liebevoll angelegten Kleingärten, auf der anderen fließt ein Bach. Am Ufer stehen Bäume. Einer ist vor einiger Zeit in den Bach gerutscht. Arbeiter der Stadt  haben den Stamm abgesägt, aber der Stumpf steht noch schräg hoch aus dem Wasser. Er gehört zum Revier eines Entenpaares. Und weil genau an dieser Stelle am Ufer eine Bank steht, habe ich mir angewöhnt, morgens bei meiner Walking-Tour dort Halt zu machen. Ich sitze also ruhig da und beobachte die beiden. Er sitzt oben auf dem Baumstumpf  über dem Wasser und sonnt sich.  Sie sitzt an der Uferböschung und schaut rüber. Er putzt sich das Gefieder, schlägt mit den Flügeln. Ihr gefällt das wohl, sie beschließt: schwimm doch mal rüber. Sie watschelt ins Wasser, schwimmt los und nimmt dann erst mal ein Bad. Sie taucht ein ums andere Mal mit dem Kopf unter, schüttelt sich dann, putzt die Federn, schnäbelt ausgiebig an sich rum. Hätte sie einen Spiegel, sie würde sicher reinschauen um das Ergebnis zu betrachten.  Dann hüpft sie zu ihrem Partner auf den Baumstumpf. Begrüßung, Küsschen links und rechts –so wirkt es jedenfalls auf mich-  dann sucht sie sich ein  gemütliches Plätzchen in der Sonne.  Und ich sitze am Ufer und genieße dieses kleine Schauspiel. Schön, dass man die Welt um sich herum auch mal in aller Ruhe und mit Interesse an den kleinen Dingen sehen kann.  Ich jedenfalls brauche diese stillen Momente von heiler Welt und Natur, um mit dem Rest des Tages klar zu kommen.  Mit all den anderen Bildern und Eindrücken, die auf mich einprasseln und die ziemlich oft weit weniger friedlich sind.  Und ich schicke ein kleines Gebet zum Himmel: Danke Gott, dass du durch ein einfaches Entenpärchen so viel bei mir bewirken kannst.

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20JUL2024
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Der Junge hüpft mit Gummistiefeln in eine Pfütze. Hüpft und hüpft. Und lacht. Am Vormittag hatte es doll geregnet und nun weiß der Junge fast nicht, welche Pfütze er zuerst nehmen soll.

Eine Frau kommt vom Friedhof. Sie geht durch das Tor, es quietscht, der Junge schaut rüber zu ihr. Vorhin war sie mit dem Schirm durch den Regen gekommen. Das Wetter war ihr grad recht gewesen, um auf den Friedhof zu gehen. „In mir drinnen regnet es eh seit Wochen“, hat sie gedacht. Und so begegnet sie wenigstens nicht so vielen Leuten.

Jetzt geht sie auf den Jungen zu, der zu einem letzten Hüpfer in die Pfütze ansetzt. Die Frau will ausweichen, gleich wird’s platschen. Sie zögert. Und mit einem Mal tritt sie ganz fest mit dem Fuß in die Pfütze. Es spritzt, sie spürt das Wasser an der Strumpfhose. Es ist kühl. Ein eigentümlich erfrischendes Gefühl.

Sie tritt nochmal in die Pfütze, sie stampft jetzt richtig auf. Der Asphalt ist hart unter ihren Sohlen, tut fast weh. Sie spürt ihre Wut. Wie kann das hier sein? Musste das sein? Sie stampft und stampft, Tränen laufen ihr übers Gesicht. Schuhe, Strümpfe, Beine, Wangen, Gesicht, alles ist nass.

Der Junge steht noch da. Er ist ganz still in seinen gestreiften Gummistiefeln und guckt die Frau an. Langsam und vorsichtig geht er jetzt weg und macht einen Bogen um die Frau und um die Pfütze. Die Pfütze gehört jetzt ihr.

Alles hat seine Zeit, so hat in der Bibel eine gedichtet. Sie kannte das Leben wie wir. Und war überzeugt: Das Leben ist nicht einfach lose Abfolge: Hüpfende Kinder und irgendwann sind sie groß. Trauer hat ihre Zeit und irgendwann ist sie wieder gut. Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Jedenfalls nicht immer.

Die Sommerpfützen sind übrig vom Regen. Und zum Glück hüpfen auch Erwachsene manchmal rein. Wir wissen noch, wie’s geht. Nur die gestreiften Gummistiefel passen nicht mehr. Alles hat seine Zeit.

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19JUL2024
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Es gibt ja so Sachen, die machen gute Laune, einfach, weil es sie gibt. Eine besondere Fähre auf der Insel Rügen ist für mich so eine Sache. Keine Autofähre, viel kleiner. Ruderfähre steht auf dem Schild.

Der Schiffer fährt Urlauberinnen und Urlauber mit dieser Fähre über einen kleinen Arm der Ostsee. Holzstege an den Anlegestellen, daneben stehen überdachte Bänke, falls die Leute auf die Fähre warten müssen.

Früher ist der Schiffer gerudert, das sieht man seinen Armen an. Jetzt fährt er mit einem Außenbordmotor und sitzt dafür ganz hinten im Boot. Vor ihm etwa 10 Leute mit Fahrrädern. Früher hat er angepackt und zuerst die Räder ins Boot gehoben, dann aufgepasst, dass die Passagiere nicht stolpern. Jetzt hieven die Leute die Räder selbst rein.

„Das kannste selbst machen, bist jünger als ich!“, sagt der Schiffer zu den Männern, die jünger sind. Und er sagt es auch zu denen in seinem Alter. Und zu den Frauen sagt er: „Früher war’s mir eine Ehre, dir den Arm zu reichen beim Einsteigen, heut bin ich keine sichere Bank mehr. Halt dich gut fest hier!“ Er spricht mit tiefer Stimme, bisschen verschmitzt, bei manchen auch frech. Auf eine Art, die man ihm nicht übel nehmen kann.

Es ist schon ein paar Jahre her, dass ich auf Rügen im Urlaub war. An die Ruderfähre und ihren Schiffer erinnere ich mich immer noch. Die beiden wirkten ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Gleichzeitig sind sie für mich Bild dafür, wie sehr wir Spuren im Leben von anderen hinterlassen, wenn wir etwas mit Kraft und vor allem mit Herz und Leidenschaft tun. Ein bisschen verschmitzt, auch dann, wenn die Kraft nachlässt.

Alles hat seine Zeit. So hat einer in der Bibel gedichtet. So weise ist das. Wir müssen nicht unbegrenzt strotzen vor Kraft. Auch Fahrräder-nicht-mehr-Heben-können hat seine Zeit. Wir fallen nicht gleich aus der Zeit, wenn wir nicht mehr können, was früher ganz normal war.

„Mach mal die Leinen los, volle Kraft voraus!“, ruft der Schiffer für die Urlauber lachend. Und vielleicht meint er das auch ernst mit der Kraft.

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18JUL2024
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Der Mann steht da und spielt Akkordeon. Mitten in den Dünen auf der Insel Langeoog. Herbert heißt er und er macht das jeden Sommer. Für die Einheimischen und noch mehr für die Touristen. Die sollen nicht nur zuhören, sondern mitsingen. Deshalb hat Herbert immer einen Korb mit Liederbüchern dabei. Im Singen sind dann alle Urlauberinnen und Urlauber Nordlichter. Sie singen Lieder von Nordseewellen, die an den Strand trekken. Oder genauer: An den S-trand trekken.

Bei gutem Wetter sitzen richtig viele Leute da in den Dünen, auf mitgebrachten Hockern und auf Decken. Da sind Leute, die zu Hause immer donnerstags im Chor singen. Und andere, die immer sagen: Ach, Singen konnt‘ ich noch nie.

Es ist Sommer und Urlaub. Und da machen wir Sachen, die wir sonst vielleicht nie machen. Oder selten. Und wenn wir dann heimfahren aus dem Urlaub, dann versuchen wir etwas mitzunehmen davon, Rotwein aus Frankreich zum Beispiel und diesen besonderen Käse, Vla aus Holland, echten Ostfriesentee oder – vom Dünensingen - das Langeooger Liederbuch.

Zu Hause singe ich eher selten „Wo sie Nordseewellen trekken an den S-trand“. Nicht nur weil das Akkordeon und die Dünen fehlen. Es gehört eben zum Urlaub, nicht zum Alltag. Vla schmeckt zu Hause nicht wie in Holland und auch beim Käse kommt’s mir so vor, als sei er in Frankreich aromatischer gewesen.

Ich finde es eine liebenswerte Eigenschaft, dass wir versuchen, das zu bewahren, was uns einen Sommer lang der Geschmack von Erholung war.

Alles hat seine Zeit, sagt einer in der Bibel. Klingt wie ein altkluges Fazit: Ja, weißt du doch, alles hat ein Ende… Aber dieser weise Mensch in der Bibel wollte uns gerade daran erinnern: Leben ist nicht einfach eine lose Abfolge aus Singen und Nicht-Mehr-Singen, Urlaub und Alltag. Wir klugen Menschen, wir wissen doch, dass wir zu Hause keine Lieder von Nordseewellen singen. Aber manchmal summen wir sie doch, leise. Dann, wenn wir das im Alltag grad sehr brauchen.

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17JUL2024
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Im Sommer bin ich immer gerne am Wasser. Ob am Meer oder an einem klaren Fluss, ob im Freibad oder einfach am kleinen Planschbecken im Garten oder auf dem Balkon. Wasser ist immer erfrischend und belebend, es tut einfach gut.

Egal, ob man ganz eintaucht oder nur ein bisschen mit den Zehen darin herumplätschert: Frisches Wasser kann für einen Moment alles wegspülen:

Die Hitze, die mir zu schaffen macht, die Anstrengung und Erschöpfung, den Schweiß und den Dreck des Alltags, die schweren Gedanken. Und ganz egal, ob ich mich im Meer in die Wellen stürze oder bloß meine Füße im Planschbecken bade:

Im Wasser fällt es mir immer leichter, mal kurz nicht mehr so „erwachsen“ zu sein. Jesus sagt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erfrischen.“ Ich stelle mir vor, wie das wohl wäre, wenn ich ihn besuchen würde. Und Jesus würde mir ein kleines, quietschbuntes Planschbecken hinstellen mit kaltem, klarem Wasser.

„Geh doch wenigstens mal mit den Füßen rein“, sagt er. „Was Du da alles mit Dir rumschleppst - das kannst Du mir solange geben. Ich halte das für Dich.“

Also gebe ich ihm all das, was mich belastet, kremple die Hosenbeine hoch und steige ins Planschbecken. Das kalte Wasser geht mir bis zu den Waden.

Jesus hilft mir, den ganzen Schweiß und Dreck abzuwaschen, von meinen Füßen und von meiner Seele. „Du musst gar nicht immer so erwachsen tun,“ sagt er dann zu mir und spritzt mich nass. Und ich spritze zurück – schließlich sind wir alle Kinder Gottes.

Ich komme aus dem Wasser und kann weitergehen. Vieles von dem, was ich zu tragen habe, nehme ich wieder mit. Manches hebt er für mich auf, bis ich es wieder tragen kann. Und ich gehe leichter, weil ich weiß, dass da einer ist, der es gut mit mir meint.

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