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Wenn Karin übers Aufstehen redet, dann hat das immer einen besonderen Klang. Karin ist querschnittgelähmt seit einem Unfall. Wenn sie morgens aufsteht, dann um sich aus dem Bett in den Rollstuhl zu schwingen. Sie sagt immer „schwingen“, weil das eleganter klingt als hieven. Karin lacht viel. Auch über sich selbst. „Das ist mein Glück, dass mir das Lachen näher liegt als das Schimpfen.“ Karin ist Ende 50. Ich kenne sie von früher und sehe sie nach Jahren auf einem Foto in der Zeitung wieder. Sie ist auf einer Demo von Fridays for Future und an ihrem Rollstuhl hat sie ein Schild: „Aufstehen hat nichts damit zu tun, ob du stehen kannst, sondern ob du Rückgrat hast!“. Für die Demokratie-Demos der letzten Monate hat sie’s wieder rausgeholt. Und ist mit vielen anderen aufgestanden, im Rollstuhl sitzend.
Von Karin habe ich gelernt, dass Menschen, die physisch nicht stehen können, nicht unbedingt bemitleidenswert sind. Sie sind nicht behindert, sie haben eine Behinderung. Mehr noch: Sie werden behindert. Weil von Supermarkt bis Behörde oder Busfahren ihre Bewegungsfreiheit behindert wird.
„Weißt du, alle haben diese Bilder vor Augen, angefangen von der Kinderstory, dass Heidi, die aus den Bergen, ihre Freundin Klara darin unterstützt, dass sie wieder laufen kann. Am Ende läuft Klara. Und das ist das Happy End. Und Jesus, euer Jesus, er heilt andauernd Menschen, so dass sie wieder sehen, laufen, reden. Das nervt.“
Karin liebt Ostern. Sie liebt das Wort „Auferstehung“. Da geht’s um Rückgrat, nicht ums Stehen-Können.
Die ersten Christinnen und Christen haben sich dafür eingesetzt, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben. In einer Zeit, in der das politisch nicht nur völlig abwegig, sondern auch gefährlich war.
Karin bringt allen Augenhöhe bei, obwohl sie aus ihrer Position die meisten so schräg von unten ansieht. Manchmal auch angrinst. Und es immer hasst, wenn sich jemand zur ihr runterbeugt. Augenhöhe hat nichts mit Runterbeugen zu tun.
Karin liebt Ostern. Sie liebt Auferstehung. Denn da geht’s um Rückgrat.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41976Timo ist kein Frühaufsteher. Noch nie gewesen. Timo ist keiner von denen, die schon mal Kaffee anstellen und dann, während der durchläuft, Brötchen holen.
Schon als Jugendlicher ist er nicht gern aufgestanden. Nach dem Wecker-Piepsen ist er liegen geblieben, hat das Rufen seines Vaters ignoriert: „Aufstehn!“, und hat innerlich angefangen zu rechnen: „Wie viele Minuten kann ich noch im Bett bleiben, damit es zum Anziehen und, na gut, zum Waschen noch reicht, um noch eine Banane auf dem Weg zu essen und den Bus noch zu erreichen.“ Timo kannte seine Zeit genau. Und hat nie den Bus verpasst.
Trotzdem kennt Timo das Morgengrauen. Schon damals ist er manchmal im Morgengrauen aufgewacht. Er weiß noch, dass er immer im ersten Moment erleichtert war beim Blick auf die Uhr: „Ah, zum Glück, ich kann noch liegen bleiben.“ Gleich darauf kamen aber die Gedanken an den Tag. „Ah, die Mathearbeit“. Er kennt dieses Gedankenkarussell im Morgengrauen. Und hat lange gedacht, dass das nur ihm so geht.
Warum ist das so, dass manchmal morgens zwischen Traum und Tag, zwischen Nacht und Morgen Probleme so viel größer sind und der Mut so viel kleiner?
Im Morgengrauen war’s, dass sie ans Grab von Jesus kommen. Sie sind traurig. Wie sollten sie auch nicht? Sie besuchen das Grab von einem Freund im Morgengrauen. Diese Zeit zwischen Traum und Tag, zwischen Nacht und Morgen. Diese Zeit, in der uns manches vom Vortag so schmerzlich einfällt, dass es viel größer wird als gestern. Diese Zeit, in der der Mut klein ist und die Angst groß?
Ins Morgengrauen hinein haben Menschen – oder war’s Gott? – Auferstehung erzählt. Gerade nicht, um einfach zu rufen: „Aufsteh’n!“, als sei das Grauen im Morgengrauen so einfach loszuwerden. Dass Jesus auferstanden ist, ist keine Aufforderung an uns. Es ist der Anfang von jedem Tag, der kommt: Es ist dein Tag und Gott darin.
Trotzdem heißt die Sache mit der Auferstehung zum Glück nicht, dass wir extra früh aufstehen müssten, um das Leben zu atmen. Manchmal ist’s auch schön, wenn schon jemand anderes Kaffee kocht und Brötchen holt, während ich liegenbleibe und mit dem Wecker verhandle.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41975Papst Franziskus ist gestorben. Von einem Menschen, der es keiner Seite recht machen kann, sagen manche ja, dass so ein Mensch vieles richtig macht. Für mich war Franziskus so ein Mensch. Vielen in Deutschland etwa, die sich eine weltoffenere, modernere Kirche wünschten, war er zu zögerlich. So hielt er daran fest, dass die Priesterweihe nur Männern vorbehalten sei. Zugleich setzte er Frauen in hohe Leitungsämter der Kirche ein. Homosexualität bezeichnete er als Sünde, begegnete queeren Menschen aber dennoch mit großer Wertschätzung. Erzkonservativen Hardlinern, die jede Modernisierung ablehnen, galt er deshalb als Verräter an der reinen Lehre. Ja, einige dieser sogenannten Würdenträger haben sogar versucht, ihn zu stürzen.
Ich habe Papst Franziskus um seine Aufgabe nie beneidet. Eine weltumspannende Kirche zusammenzuhalten in einer Welt, die so widersprüchlich und vielfältig ist, wie sie es wohl nie zuvor war. Ein fast schon übermenschlicher Anspruch. Und so sind es vor allem zwei Aspekte, die mir persönlich von seinem Pontifikat besonders in Erinnerung bleiben:
Da war sein weites Herz für die Armen, die Schwächsten, die an den Rand Gedrängten. Franziskus war einer, der Menschen gemocht hat. Ein Menschenfischer im Geiste Jesu. Einer, der Demut und Bescheidenheit nicht nur gepredigt, sondern auch vorgelebt hat. Der davon sprach, ihm sei „eine ‚verbeulte‘ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die wegen ihrer Verschlossenheit krank ist“.
Und dann ist da seine Enzyklika „Laudato si“. Sie war ihm ein Herzensanliegen und bleibt sein Vermächtnis. Die rücksichtslose Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und den Klimawandel als vielleicht größte Bedrohung der Menschheit hat kein Papst vor ihm so klar benannt. „Alles ist mit allem verbunden“, schreibt Franziskus darin. Ein Satz, an den man als Christ derzeit nicht oft genug erinnern kann, angesichts egoistischer Alleingänge überall auf der Welt.
Wer auch immer Papst Franziskus nun nachfolgt. Ich bin sicher: Seine Stimme wird fehlen. In der Kirche und in der Welt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42028Ich mag die deutsche Sprache. Sie ist so vielseitig. Kennt so viele Ausdrücke. Und doppeldeutige Begriffe. Zum Beispiel: Ausschweigen. Ist ein scherzhafter, spöttischer Ausdruck. Jemand schweigt sich aus, das heißt: Ist durch nichts zum Reden zu bringen, hält sich bedeckt.
Aus Schweigen kann aber auch heißen: Dass etwas aus der Stille, aus dem Schweigen, aus der Ruhe kommt.
Beides passt zum Tag heute. Zum Karsamstag. Ein Tag, der zwischen allen Stühlen sitzt. Gestern Karfreitag, der Tag, an dem Christinnen und Christen auf der ganzen Welt an den Tod Jesu denken. Und morgen: Ostersonntag. Ein Tag, an dem das Leben gefeiert wird.
Zwischen Tod und Leben: der Karsamstag. Ein stiller Tag, trotz aller Hektik, die vielleicht heute ausbricht. Von wegen Einkaufen und Kochen und Putzen und Auto waschen oder auch Arbeiten.
Frage ich aber, was dieser Tag bedeutet, dann gibt’s keine einfache Antwort. Der Karsamstag ist so ein Tag, der sich ausschweigt. Der nicht von allein zu erkennen gibt, was Sache ist. Weder Tod noch Leben, weder Fisch noch Fleisch. Wofür dann dieser Tag? Eine Antwort: Heute ist ein Tag zum Innehalten. Es ist ja eine alte Binsenweisheit, dass aus der Stille Großes entstehen kann. Und genau davon erzählt dieser Tag heute. Macht das auch symbolisch deutlich. Heute läuten etwa keine Kirchenglocken. Als würden sie den Atem anhalten: Um dann in der Osternacht richtig loszulegen.
So geht’s mir manchmal auch im Leben. Dass es die Ruhe braucht. Ich muss Atem holen. Vor einer neuen Aufgabe brauchts diesen Anlauf. Einem neuen Job. Oder nach einem runden Geburtstag. Überall braucht es Zeit, sich auf Neues einzustellen. Wie am Karsamstag. Der aber verspricht: Neues kommt. Und das wird gut.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41919Viele von ihnen, die mich jetzt im Radio hören, frühstücken gerade oder haben gegessen. Ein altes Ritual am Morgen. Schon bei den Ägyptern und Römern gabs morgens Obst und Mandeln, Brot und Brei, Bier oder Wein. Mit Essen und Trinken den Tag starten, das tat damals und tut heute gut, stärkt.
Der Tag heute hat noch aus einem anderen Grund mit Essen und Trinken zu tun. Mit Kraft tanken. An Gründonnerstag dreht sich alles um ein letztes gemeinsames Essen von Jesus und seinen Freunden. Ein karges und doch komplettes Mahl. Brot, Wein, Kräuter. Mehr braucht es nicht. Diese letzte Mahlzeit macht, wie unter einem Brennglas, deutlich, was für Leben und Überleben wichtig ist. Essen, Trinken und Gemeinschaft. Klingt simpel. Ist es auch.
Essen und Trinken sind für den Körper wichtig. Aber auch für den ganzen Menschen. Wenn ich Brot kaufe, dann kann ich mich manchmal nicht bezähmen. Beiße noch auf dem Weg nach Hause in das frische Brot. Schmecke und merke, wie ich belebt werde. Ein wohliges Gefühl.
Genauso gut tut es, gemeinsam mit anderen an einem Tisch zu sitzen. Miteinander reden, zuhören, erzählen vom Job und den Kindern und der Fahrradreparatur und dem Lieblingsverein. Gemeinsam essen, das heißt auch: das Leben miteinander teilen. Auch so kann mein Leben gelingen.
Heute an Gründonnerstag, ist das Bild vom letzten gemeinsamen Essen, vom letzten Abendmahl ein Gegenbild gegen den Tod. Gründonnerstag sagt: Leben beginnt immer wieder neu, wenn Menschen miteinander essen.
Deshalb will ich heute beim Frühstück und den anderen Mahlzeiten darauf achten. Statt schnell alles in mich reinzuschieben, will ich versuchen, das Leben zu spüren, das im Essen steckt. Und es mit anderen Menschen teilen. In der Kantine, in einer Arbeitspause oder wo auch immer.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41918Bürokratie. Davon kann sicher jeder ein Lied singen. Von irren Vorschriften, von x-fachen Kopien von Anträgen, von zehn unterschiedlichen Stellen, die alle mit einem Problem befasst sind. Die Rede vom »Bürokratiemonster« ist da eindeutig: Bürokratie frisst Gesellschaft und Menschen, Initiativen und kreative Prozesse auf. Und spuckt einen Dschungel an Vorschriften aus, in dem sich alle verheddern.
Aber es gibt auch eine andere Seite. Der Sozialwissenschaftler Max Weber hat schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Lanze für die Bürokratie gebrochen. Seine Idee: Bürokratie schützt vor der Willkür. Sie ist für eine vernünftige, nachvollziehbare Form der Herrschaft wichtig. Kurz: Bürokratie dient der Demokratie. Denn die Demokratie braucht eine Verwaltung, die gut und gerecht arbeitet. Demokratie heißt: Es gelten Regeln – und nicht das Recht des Stärkeren. Und dafür braucht Demokratie Bürokratie. Bürokratie sorgt dafür, dass es Behindertenparkplätze gibt, dass im Glas im Supermarkt auch wirklich drin ist, was drauf steht, dass Weiterbildungen für alle angeboten werden, dass ich zum Arzt gehen darf, wenn ich krank bin, dass Müll regelmäßig abgeholt wird. All das geht, weil es Regeln gibt. Für sie sorgt die Bürokratie.
Zu viel oder zu wenig Bürokratie? Ich halte mich an den biblischen Satz: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen“ (Mt 7,16). Also: Wie gut funktioniert die Bürokratie? Geht es in Regeln und Anordnungen wirklich um die Menschen, die Tiere, die Umwelt? Schützt Bürokratie die Schwächeren? Und nicht zuletzt: Wie geht Verwaltung mit den Menschen um, die ein Anliegen haben? Wenn der Mensch und seine Welt im Mittelpunkt steht, dann erfüllt die Bürokratie ihren Zweck. Das Leben planbarer und gerechter zu machen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41917Die Fastenzeit biegt in dieser Woche auf die Zielgerade ein. Zeit, Bilanz zu ziehen. Die einen wollten auf Alkohol verzichten, andere das Auto stehen lassen. Ich wollte meinen Süßigkeitenkonsum reduzieren. Hat leider nicht so gut geklappt.
Was mich in dieser Zeit aber auch begleitet hat: Die Aktion »Klimafasten«. Fasten hat hier weniger mit Verzicht zu tun. Stärker geht es um einen neuen Blick auf das alltägliche Leben. Es geht sozusagen um ein Gewohnheiten-Fasten. Die Fastenzeit ist hier eine Zeit, in der ich meinen Lebensstil überprüfen kann. Das macht die Aktion Klimafasten mit ganz konkreten Fragen und Impulsen.
So steht die letzte Fastenwoche unter der Frage: Was kann ich heute tun, damit morgen ein besserer Tag ist? Klar, heute sieht vieles so aus, als wäre die Lage morgen schlechter. Aber ich kann auch bei guten Veränderungen anknüpfen, die es gibt. Ein Beispiel: Der Rhein war vor fünfzig Jahren so verschmutzt, dass es in den Niederlanden unmöglich war, einwandfreies Trinkwasser aus Rheinwasser zu gewinnen. Heute ist der Rhein von der Quelle bis zur Mündung deutlich sauberer.
Konkret heißt das: Man kann an einem besseren Morgen arbeiten! Die Aktion Klimafasten greift einen Spruch auf, der Martin Luther zugeschrieben wird: »Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.« Heißt übersetzt: Es geht um den kleinen Anfang. Ein Samenkorn zum Beispiel. Ich weiß nicht, was draus wird. Aber ich hoffe mal, ein großer Apfelbaum. Ein kleiner Anfang, das wäre: Ganz bewusst zu Fuß zum Einkaufen gehen; eine Patenschaft für die Baumscheibe vor dem Haus übernehmen; kürzer duschen; die Heizung schon runterdrehen, auch wenn die Nächte noch kalt sind. Alles ein kleiner Anfang. Aber ein Fasten, das über die Fastenzeit hinauswirkt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41916Es gibt so Tage, da verdichtet sich das Leben. Bei der Geburt eines Kindes. Am Grab eines Freundes. An einem runden Geburtstag. Solche Tage haben nicht mehr Stunden als andere. Aber in die passt so viel mehr rein. Gespräche, die lange dauern. Geschichten erzählen von damals. Gemeinsame Tränen voller Glück und Schmerz. Lachen, das noch Jahre später in den Ohren klingt.
So dicht sind auch die Tage in dieser Woche. Die trägt deshalb auch ganz besondere Namen: Karwoche, Heilige Woche, Große Woche. Sie umfasst die Tage zwischen Palmsonntag und dem Ostermorgen. Tage, in die ein ganzes Leben gepresst ist: Da gibt es ausgelassenes Feiern und todtraurige Stunden, da werden Liebe und Einsamkeit zum Thema, da schwören sich Menschen ewige Freundschaft und verraten sich. Eine Woche wie das Leben.
Es ist die letzte Woche von Jesus. Am Anfang kommt er nach Jerusalem. Wird wie ein Popstar empfangen. Alle wollen, bildlich gesprochen, ein Selfie mit ihm. Und Jesus macht seinem Namen als Fresser und Säufer alle Ehre. So beschimpfen ihn seine Gegner. Doch es trifft einen zentralen Kern seiner Botschaft. Viele Geschichten über Jesus haben damit zu tun, dass er mit anderen Menschen isst und trinkt. Gemeinsam Essen, das stiftet und vertieft Freundschaften.
Aber nur wenige Tage später steht er allein da. Kaum noch jemand will mit ihm zu tun haben. Und als er stirbt, da zerstreuen sich die Fans in alle Himmelsrichtungen.
Diese Bandbreite an Leben, die fasziniert mich in diesen Tagen. Sie macht mir deutlich, was alles zum Leben gehört. Höhen und Tiefen und die vielen Zwischentöne. Diese Woche hat auch mit mir und meinem Leben zu tun. Kann mir Hoffnung geben, dass alles, was passiert, wichtig ist. Vielleicht sogar einen Sinn hat.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41915Morgen ist Palmsonntag – für Christen der Auftakt zur Karwoche: Also der Woche, die an die letzten Tage im Leben von Jesus vor fast 2000 Jahren erinnert. Und es war eine Woche des Wahnsinns, damals: voller Intrigen, Machtspielchen, Neid und Verrat. Angefangen hatte sie noch mit schier grenzenlosem Jubel: Jerusalem hatte Jesus einen wahrhaft königlichen Empfang bereitet. Am Ende aber – ist Jesus tot. Hingerichtet, am Kreuz, wie ein Schwerverbrecher.
Wie konnte es so weit kommen? Wer ist denn nun eigentlich schuld daran? Die, die neidisch waren auf seinen Erfolg und den unliebsamen Konkurrenten bei Nacht und Nebel haben verhaften und verschwinden lassen? Oder der römische Richter, der einem Todesurteil zugestimmt hat - nur, um keinen Ärger zu bekommen? Waren es also die Großen und Mächtigen von damals – oder doch auch die einfachen, kleinen Leute? Die, die Jesus am Anfang noch zugejubelt haben – die ihn dann aber auch ganz schnell wieder haben fallen lassen? Wer ist schuld? Irgendwie doch alle. Auf keinen Fall nur eine Gruppe für sich. Auf keinen Fall aber Jesus selbst. Er ist, der Einzige, der tatsächlich nichts dafür kann, nichts Falsches getan hat, keine eigenen Interessen verfolgt oder Menschen gegeneinander aufgehetzt hat. Er ist tot – an Ende einer Wahnsinnswoche.
Und morgen, an Palmsonntag– beginnt diese Wahnsinnswoche von neuem. Nicht einfach wegen der Erinnerung an damals. Sondern – ich denke – weil es den Wahnsinn von damals immer noch gibt. Und weil wir Menschen heute immer noch mittendrin stecken in diesem Wahnsinn. Wenn wir uns vor unserer Verantwortung drücken – oder uns lieber um uns selbst kümmern – oder uns einfach ohnmächtig fühlen. Palmsonntag und die Karwoche erinnern daran – und macht auch nachdenklich.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41908Neulich sehe ich, wie ein junges Paar sich voneinander verabschiedet. Nur so nebenbei - in ein, zwei Stunden sehen sie sich wahrscheinlich schon wieder. Aber trotzdem - fast schon im Loslaufen - strecken sie noch einmal den Arm nacheinander aus, und flüchtig berührt eine Hand die andere.
An diese kleine, zärtliche Berührung muss ich denken, wenn übermorgen die Karwoche beginnt. Sie erinnert an die letzten Tage von Jesus in Jerusalem. Dorthin aufzubrechen, muss für ihn furchtbar gewesen sein. Jesus wusste ja, was ihn erwarten würde – dass er sterben würde. Die Bibel erzählt von einer eher kleinen und leisen Begebenheit, kurz bevor er sich auf den Weg gemacht hat
Jesus sitzt abends mit seinen engsten Freunden zusammen, da kommt eine fremde Frau herein. Sie geht auf Jesus zu, ein kleines Gefäß mit kostbarem Duftöl in der Hand. Sie zerbricht es und gibt da Öl auf Jesu‘ Stirn, und salbt ihn.
Eine Berührung, ganz nah, ganz sanft - liebevoll und gleichzeitig voller Respekt. Die Geschichte berührt mich in diesen Tagen: Wenn ich daran denke, wie Jesus damals unter Druck gestanden haben muss: Täglich in öffentliche Streitgespräche verwickelt, und den Anfeindungen seiner Gegner ausgesetzt. Wie kostbar die Berührung dieser fremden Frau, die Jesus spüren lässt, wie wichtig er ist für sie. Und dass er nicht alleine ist auf seinem schweren Weg.
Ich sehe das junge Paar sich verabschieden. Sehe Eltern, die ihre Kinder an der Haustür in den Arm nehmen und weiß: Es sind kostbare Berührungen voller Verbundenheit und Liebe. Verbundenheit und Liebe, die da ist, auch, wenn ich einen geliebten Menschen ein letztes Mal berühre – zum Abschied für immer.
Jesus selbst hat von der Frau gesagt, sie habe ihn gesalbt für sein eigenes Begräbnis. Er wusste, dass er seinen Feinden nicht entkommen würde. Die Berührung der Frau mag ihn getröstet haben. Vielleicht hat sie ihm geholfen.
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