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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04OKT2022
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Eimer, Spaten, Gießkanne und ein Setzling. Das gehörte gestern zur Grund-Ausstattung bei denen, die bei der Aktion „Einheitsbuddeln“ mitgemacht haben. Seit ein paar Jahren findet am Tag der Deutschen Einheit in ganz Deutschland eine Aktion statt, bei der jede Menge Bäume gepflanzt werden. 2019 hat Schleswig-Holstein die Aktion „Einheitsbuddeln" ins Leben gerufen. Die Vision haben die Initiatoren damals so beschrieben: „Stell dir vor, am 3. Oktober würde jeder Mensch in Deutschland einen Baum pflanzen. 83 Millionen. Jedes Jahr. Ein neuer Wald. Von Nord nach Süd, von Ost nach West. Für das Klima. Und für dich und deine Familie. Für unsere Zukunft.“[1]

Die Idee kam gut an. Viele haben mitgemacht. Deshalb gibt es die Aktion jetzt jedes Jahr und alle können dabei sein. Egal, ob im heimischen Garten oder bei einer Pflanzparty, bei der Menschen zusammenkommen, die gemeinsam anpacken und auf einer öffentlichen Fläche Bäume pflanzen. Oder man kann etwas spenden. Mit dem Geld werden dieses Jahr z.B. in Thüringen Nadelholzwälder, die vom Klimawandel und vom Borkenkäfer zerstört wurden, in Mischwälder umgewandelt.

Ich finde das eine tolle Aktion. Umweltschutz ist ein Thema, das alle angeht. Gerade auch Christen. Schon ganz am Anfang der Bibel steht, dass wir Menschen Verantwortung für unsere Erde haben. Dass wir sie nutzen, aber auch hegen und pflegen sollen.

Auch der heilige Franziskus, der heute seinen Gedenktag hat, war eng mit der Natur verbunden. Er ist sogar zum Patron des Natur- und Umweltschutzes ernannt worden. Einer seiner bekanntesten Texte ist der sogenannte Sonnengesang. Ein Gebet, das schon gut 800 Jahre alt ist, und in dem Franziskus die Schönheit der Erde beschreibt mit der Sonne und den Sternen, mit Wasser und Feuer, Wind und Erde und sogar mit dem Tod. All diese Dinge spricht er mit Schwester oder Bruder an. Das klingt dann z.B. so:

„Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.“

Auch wenn der Sonnengesang schon so alt ist, regt er mich immer wieder dazu an, all das Schöne in der Natur um mich herum wahrzunehmen und Gott dafür ein Dankeschön zu schicken.

 

[1] vgl. https://einheitsbuddeln.org/

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

03OKT2022
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„Zusammen wachsen.“ Das ist das Motto, unter dem in diesem Jahr die Feierlichkeiten zum „Tag der deutschen Einheit“ in Erfurt stattfinden. Zum 32. Mal wird dieser Tag gefeiert. Was ein Glück, dass damals nach über 40 Jahren Trennung unser Land wieder zusammenwachsen konnte. Zugleich habe ich den Eindruck, dass es mit der echten Einheit noch etwas klemmt und noch einiges für die Einheit zu tun ist. Nicht nur zwischen den Menschen in Ost und West, sondern zwischen allen Menschen in unserem Land.

Doch – wie geht das? Wie können wir zueinander finden, wenn wir mit so vielfältigen politischen, kulturellen und religiösen Ansichten auf unser Land schauen? Wie können wir die Herausforderungen gemeinsam angehen, ohne dass Einzelne oder ganze Gruppen das Gefühl haben außen vor zu sein und vergessen zu werden?

Eine Geschichte, die der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani in einem seiner Bücher erzählt, hilft mir da weiter. Die Geschichte geht so:

Als Scheich Abu Said einmal nach Tus kam, einer Stadt im Nordosten des heutigen Irans, strömten so viele Gläubige in die Moschee, dass kein Platz mehr blieb. Da rief der Platzanweiser in die Menge: „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen.“ Da schloss der Scheich die Versammlung, bevor sie begonnen hatte. Und bevor er sich umwandte und die Stadt verließ, erklärte er: „Alles, was ich sagen wollte und sämtliche Propheten gesagt haben, hat der Platzanweiser bereits gesagt: `Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen.´“ [1]

Mir sagt die Geschichte: Es wird miteinander nur gelingen, wenn alle sich bewegen. Da braucht es nicht gleich die ganz großen Schritte, doch kleine Schritte sind für den Weg zueinander unentbehrlich. Und die überfordern niemanden.

Ein zweites: es braucht Vertrauen. Vertrauen, dass die anderen auch einen Schritt tun werden. Denn das Miteinander hängt nicht nur an mir. Geht aber auch nicht ohne mich.

Konkret kann das heißen, dass ich mir in einer Diskussion oder bei einem Streit bewusst mehr Zeit nehme, um zuzuhören und um zu verstehen, was dem anderen wichtig ist. Und wenn mein Chef oder Politiker Entscheidungen treffen, die Nachteile für mich bedeuten, muss ich ihnen nicht sofort unterstellen, dass sie es böse mit mir meinen. Vielleicht ist die Entscheidung mit Blick auf das Ganze notwendig.

Ich bin überzeugt: wenn wir einander nicht aus dem Blick verlieren und alle bereit sind, einen Schritt aufeinander zuzugehen, dann ist Einheit bei aller Vielfalt möglich.

 

[1] Navid Kermani: Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen. Fragen nach Gott

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SWR1 3vor8

02OKT2022
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Habakuk versteht die Welt nicht mehr. Überall Gewalt. Menschen werden unterdrückt und Städte überfallen und geplündert. Und auch die Natur wird ausgebeutet. Doch im Gegensatz zu mir, denkt Habakuk nicht an die umkämpften Kriegsgebiete in der Ukraine oder die überschwemmten Regionen in Pakistan, sondern daran, wie ungerecht die Leute seines eigenen Volkes miteinander umgehen. Und wie brutal sie von Fremden überfallen wurden.

Der Prophet Habakuk hat bereits vor 2600 Jahren im Land Juda gelebt. Von ihm ist heute in katholischen Gottesdiensten zu hören. Habakuk klagt Gott sein Leid und ich kann gut nachvollziehen, dass er fragt: Gott, wo bist du? Wieso tust du nichts?

Doch auch wenn Habakuk das Gefühl hat, dass Gott ihn allein gelassen und sich aus der Welt verabschiedet hat – Gott ist da. In einer Vision zeigt er Habakuk, dass das Gute sich am Ende durchsetzen wird. Dass es nicht umsonst ist, sich für andere einzusetzen und Ungerechtigkeiten die Stirn zu bieten. Und deshalb fordert er ihn auf: „Habakuk, schreib auf, was du siehst (…)“ Und auch wenn es lange dauert, „warte darauf, denn es kommt und bleibt nicht aus.“ (Hab 2,3)

Für mich ist die Erzählung von Habakuk eine Geschichte, die mich hoffen lässt. Trotz all dem, was Habakuk beklagt. Auch heute gibt es jede Menge Katastrophen und Vieles, was schwer und menschenfeindlich ist. Da kann auch ich nur klagen und das bei Gott zur Sprache bringen. Doch ich bin mir sicher: Gott hält mein Schreien schon aus.

Es kann sich aber auch lohnen, genauer hinzuschauen. Zum einen, um zu prüfen, ob es nicht doch etwas gibt, das ich tun kann, um die Situation zu verbessern. Zum anderen aber auch, um vielleicht schon etwas von dem Guten, das Gott versprochen hat, zu entdecken.

Ich habe z.B. erlebt, dass zerstrittene Geschwister nach längerer Zeit wieder erste Schritte aufeinander zugehen konnten. Dass Versöhnung möglich war. Oder dass eine Krankheit geholfen hat, Prioritäten im Leben anders zu setzen. Dass Wesentliches mehr Platz bekommen hat. Und auch die explodierenden Gaspreise enthüllen, was eigentlich schon längst nötig ist: nämlich Energie zu sparen. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: ich will auf keinen Fall persönliches Leid und andere Katastrophen kleinreden oder irgendwie rechtfertigen.

Aber die Zuversicht, dass immer auch Gutes da sein kann, kann den Blick weiten und helfen, die Hoffnung nicht zu verlieren.

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SWR2 Lied zum Sonntag

25SEP2022
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Es hat einen Moment gedauert, aber jetzt ist es ganz still. Die 30 jungen Menschen, mit denen ich am Ende der Sommerferien eine Woche lang unterwegs war, sitzen am Ufer eines Sees in Norditalien. Den ganzen Tag über war hier ordentlich was los. Da wurde gelacht, herumgealbert, erzählt. Jetzt, bei unserem Abendimpuls, schauen sie auf das Wasser und die Lichter am anderen Ufer. Zu hören ist kaum mehr etwas. Alle sind ganz bei sich.

Ums „still werden“ und „schweigen“ dreht sich auch unser heutiges „Lied zum Sonntag“: „Gott loben in der Stille“. Ganz schlicht beginnt die Melodie in der Tiefe, schwingt sich dann langsam nach oben, nur um am Ende der Strophe wieder in die Stille zu münden.

Gott loben in der Stille,
mit Schweigen beten zu jeder Zeit,
bis er die Stimme zum Lob befreit.
Gott loben in der Stille.

(Musik)

Mir tun stille Momente, wie der mit den Jugendlichen am See, gut. Es sind die Momente, in denen ich in mich hineinhören kann. In denen ich nicht aufgefordert bin, etwas zu sagen oder auf etwas zu reagieren. Es genügt, einfach da zu sein.

Manchmal spüre ich in der Stille, dass ich nicht allein, sondern mit anderen verbunden bin. Zum Beispiel mit denen, die gerade neben mir sind.
Aber verbunden fühle ich mich auch mit denen, die ich gedanklich in die Stille mit hineinnehme. Menschen, die mir am Herzen liegen oder von denen ich weiß, dass sie gerade mit einer schweren Situation leben müssen.

Und nicht zuletzt glaube ich, dass ich in der Stille auch mit Gott verbunden bin. Ich spüre, dass ich ihm wichtig bin. Und dass er mir zur Seite steht. Davon handelt die zweite Strophe des Liedes:

Gott lieben ohne Ende:
hat er uns doch zuerst geliebt,
der seinen Sohn uns zur Seite gibt.
Gott lieben ohne Ende.

(Musik)

Mit Gott eng verbunden sein und sich von ihm geliebt wissen – für mich gehört das ganz zentral zu den Menschen, die man als Mystiker bezeichnet. Menschen, denen es gelingt, immer ein Ohr in der Stille zu haben.
Besonders faszinierend finde ich unter den Mystikern aber die, die nicht nur in der Stille sind, sondern die gleichzeitig auch mitten in der Welt stehen. Teresa von Ávila ist für mich da ein tolles Beispiel. Sie soll einmal zu ihren Klosterschwestern gesagt haben, dass Gott auch in der Küche zu finden ist. Zwischen den Kochtöpfen und Bratpfannen. Oder Madeleine Delbrêl, die sagt, dass man auch zu Gott kommen kann, während man an der Haltestelle nach dem Bus Ausschau hält oder während man eine Treppe hinaufsteigt.

Dass ein Leben mit Gott nicht nur mit Stille und Gebet zu tun hat, sondern mich auch ermutigt aktiv zu sein, dass macht die nächste Strophe deutlich. Da heißt es, wenn ich mit Gott lebe, dann kann ich staunend sehen, was er jeden Tag tut. Also wie viel Gutes in einer Situation oder in einem Menschen steckt. Und ich werde nicht nur zusehen und abwarten, sondern mich einspannen lassen und meinen Teil beitragen, dass das Gute sich ausbreitet.
Wie passend, dass sich – wie um das zu unterstreichen – in unserer Aufnahme der Charakter des Liedes ändert:

Gott leben alle Tage:
mit Staunen sehen, was er getan,
und tun, was er zu tun begann.
Gott leben alle Tage.

(Musik)

Zurück am See. Zurück bei den Jugendlichen. Nach ein paar Minuten haben manche die Stille nicht mehr ausgehalten und leise angefangen miteinander zu sprechen. Doch das war gar nicht schlimm. Der Moment der Stille war da. Und ich bin überzeugt, dass die Jugendlichen ein wenig von der Verbundenheit zu sich und zueinander gespürt haben. Und vielleicht auch von Gottes Nähe.

 

Aufnahme:

Gott loben in der Stille. Kirchenlied für gemischten Chor a cappella

Produktion vom 20. und 21.05.2022

CoroPiccolo Karlsruhe; Raiser, Christian-Markus

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SWR1 3vor8

21AUG2022
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In katholischen Gottesdiensten ist heute ein Text vorgesehen, den ich am liebsten aus der Bibel streichen würde. Da heißt es: „Wen der Herr liebt, den züchtigt er; er schlägt mit der Rute jeden, den er gern hat.“ (Hebr 12, 6)

Ich halte diese Sätze kaum aus. So oft wurden sie in der Geschichte missbraucht, um Gewalt zu rechtfertigen und Macht auszunutzen. Bei der Erziehung von Kindern in Familien und Internaten und leider auch in der Kirche. Einfach nur abscheulich. Gott sei Dank wird es heute in unserer Gesellschaft nicht mehr toleriert, dass Mütter oder Väter ihre Kinder schlagen. Und wie richtig und notwendig, dass sich auch in der Kirche etwas tut. Aber es ist noch zu wenig. Ich bin abwechselnd wütend, fühle mich ohnmächtig und schäme mich für meine Kirche, in der der Missbrauch so schleppend aufgearbeitet wird. Wieso braucht es so lange, schädliche Machtstrukturen aufzubrechen und zu verändern?
Und nun diese Bibelverse. Sie passen einfach nicht zu meinem Gottesbild. Jesus hat Menschen aufgerichtet – nicht klein gemacht. Er stand immer auf der Seite der Kleinen und Schwachen – war keiner von denen, die angstvoll an ihrer Macht kleben.

Was fängt man nun mit dieser Bibelstelle an? Streichen, weil der Inhalt veraltet ist?

Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht und hadere damit. Und es hilft mir auch kaum, wenn ich versuche, den Text aus der Sicht seines Verfassers anzuschauen. Der ist unbekannt, aber die Theologie vermutet, dass es jemand war, der sich mit seinem Brief an eine christliche Gemeinde wendet, die frustriert und hoffnungslos gewesen sein muss. An Menschen, die sich fragen, wo Gott denn ist und warum er nicht hilft. Er möchte sie ermutigen und versucht zu erklären: Wer Leid erfährt, darf sich zwar sicher sein, dass Gott da ist. Doch das, was als hart und schwer erfahren wird, ist eine Phase der Prüfung, die dazu dient, die Menschen in die richtigen Bahnen zu lenken.

Für mich trägt dieser Antwortversuch nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott Leid verursacht und in solch menschlichen Kategorien, wie „bestrafen“ und „belohnen“ zu Hause ist. Auch mir fällt es schwer, die Spannung zwischen einem liebenden Gott einerseits und dem Leid in der Welt andererseits auszuhalten. Doch ich merke, dass sich diese Spannung nicht auflösen lässt. Was mir hilft, ist, dass ich an einen Gott glaube, der mich mit all dem Schweren nicht alleine lässt. Der sogar kräftig mitleidet. Und der mich vielleicht tröstet oder Kraft geben kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36059
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SWR1 3vor8

10JUL2022
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Heute ist in katholischen Gottesdiensten ein Text zu hören, den hab ich bestimmt schon hunderte Male gehört. Darin heißt es: Du sollst „deinen Nächsten wie dich selbst“ lieben. (Lk 10, 27) Wenn ich das höre, baut sich immer ein bisschen Druck bei mir auf. Da ist ganz schön was von mir gefordert. Doch Liebe lässt sich nicht verordnen oder auf Knopfdruck herstellen. Aber um Liebe kann man werben und sie vorleben. Und deshalb erzählt Jesus den Menschen eine Geschichte:

Ein Mann ist auf dem Weg nach Jericho. Unterwegs wird er überfallen und bleibt verletzt am Boden liegen. Erst einmal hilft ihm keiner. Einige Leute gehen einfach vorbei. Doch dann packt einer an, von dem es niemand erwartet hätte. Ein Mann aus Samarien. Ein Fremder. Einer, der zu einer Volksgruppe gehört, die von anderen misstrauisch beäugt wird. Ausgerechnet der verbindet die Wunden und bringt den Verletzten an einen sicheren Ort. Dort sorgen andere für ihn solange es nötig ist.

Zwei Aspekte finde ich genial:
Zum einen hilft Jesus wie ein guter Pädagoge, dass ich das mit der Nächstenliebe auch schaffe. Dass mir die Aufgabe nicht zu groß ist. Deshalb macht in seiner Geschichte der Samariter auch nicht alles allein. Er versorgt den Verletzten, aber er verliert sich in der Aufgabe nicht. Nachdem er das, was er tun konnte, getan hat, gibt er die Verantwortung ab. Er bringt den Verwundeten in ein Gasthaus und gibt dem Wirt Geld für die Pflege. Dann zieht er weiter.

Und zum anderen listet Jesus als Menschenkenner nicht einfach nur auf, wer meine Nächsten sind, denen ich helfen soll. Sondern Jesus stellt einen Menschen ins Zentrum, mit dem ich mitfühlen und in den ich mich hineinversetzen kann. Und während Jesus erzählt, spüre ich mit dem Überfallenen: ja, es ist gut, wenn es jemanden gibt, der für mich da ist, wenn ich in Not bin.

Lieben – das hat Jesus also niemals als Pflichtübung verstanden. Im Gegenteil. Jesus ermutigt mich, die Welt mit Gottes Augen zu sehen. Und Gottes Blick ist ein liebevoller Blick: auf mich und auf die Menschen um mich herum. Und deshalb bestimme nicht ich, wer der Nächste ist. Sondern wenn ich mich auf andere richtig einlasse, werde ich erkennen, wer mich gerade wirklich braucht, oder wer auch nicht. Wenn ich mit offenen Augen, Ohren und Herzen anderen begegne, wird sich zeigen, wo mein Zupacken gefragt ist und wo ich mich nicht aus Bequemlichkeit zurückziehen sollte. Aber auch, wo ich abgeben darf, weil ich alles getan habe, was nötig war.

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SWR2 Lied zum Sonntag

19JUN2022
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Das heutige „Lied zum Sonntag“ ist ein richtiges Liebeslied. Viermal heißt es allein in der ersten Strophe „Ich will dich lieben“ und dann folgen immer neue Worte, die den Liebsten umschreiben: meine Stärke, meine Zier, mein schönstes Licht.

Musik 1

Ich will dich lieben, meine Stärke,
ich will dich lieben, meine Zier,
ich will dich lieben mit dem Werke
und immerwährender Begier;
ich will dich lieben, schönstes Licht,
bis mir das Herze bricht.

 

Der Liedtext ist vom Dichter und Theologen Angelus Silesius. Er hat im 17. Jahrhundert gelebt und ein ganzes Buch mit Liebesliedern gefüllt. „Heilige-Seelen-Lust“ ist der Titel, und in dem Buch findet sich auch die originale Überschrift unseres heutigen Liedes. Dort steht: „sie verspricht ihn bis in den Tod zu lieben“. Mit „sie“ meint Silesius die Seele und der Geliebte ist Jesus.
Für Angelus Silesius ist es ganz selbstverständlich, Bilder, die leidenschaftliche und erotische Züge haben, mit Gott zusammenzubringen. Sein Ziel ist es, dass Gott und seine Seele miteinander verschmelzen. Dass er von Gott im tiefsten Innern ergriffen und beglückt wird. Die Grenzen vom Ich und Du verschwimmen.
Und so überschlagen sich im Lied die Bilder. Da heißt es:

„ich will dich lieben, o mein Leben, als meinen allerbesten Freund“ und
„ich danke dir, du güldner Mund, dass du mich machst gesund.“

In einer Strophe, die heute nicht mehr in den Liederbüchern zu finden ist, fordert Silesius dazu auf, nicht nachzulassen in dieser Liebe. Er schreibt:

(…) Lass meine Seele sich gewöhnen, zu üben in der Liebe Kunst:
Lass meinen Sinn, Geist und Verstand, stets sein zu dir gewandt.
Musik 2

Das Lied „Ich will dich lieben“ war das Lieblingslied meiner Oma. Sie ist bereits vor einigen Jahren gestorben und leider weiß ich nicht, was sie an dem Lied so gemocht hat. Aber ich ahne, dass es genau diese innige Beziehung war. Dieses Bei-Gott-Sein.
Als Landwirtin gab es für meine Oma immer etwas zu tun: auf dem Feld, im Stall und zuhause mit sieben Kindern. Doch es war ihr wichtig, so oft es ging, in die Kirche zu gehen. Das waren ihre Ausruh-Zeiten. Dort hat sie aufgetankt. Da gab es keine Arbeit, keinen Trubel, sondern nur sie und Gott.
So ist auch das Lied ursprünglich komponiert worden: als Sologesang mit Generalbass. Also ein Lied nur für das eigene, innige Gebet. Und ich merke: Auch ich brauche für meinen Glauben solche Zeiten, in denen es nur um mich und um Gott geht.

Musik 3

Ich will dich lieben, meine Stärke,
ich will dich lieben, meine Zier,
ich will dich lieben mit dem Werke
und immerwährender Begier;
ich will dich lieben, schönstes Licht,
bis mir das Herze bricht.

-----

Musikangaben:

Ich will dich lieben (GL 385)

Komponisten:
T: Angelus Silesius / Johannes Scheffler 1657

M: Georg Joseph 1657

Musik 1
Ich will dich lieben, meine Stärke
Choral mit Orgelvorspiel
Torsten Laux, Windsbacher Knabenchor, Karl-Friedrich Beringer

Musik2
Ich will dich lieben, meine Stärke
Münchner Residenzsolisten, Tibor Jonas

Musik 3
Ich will dich lieben, meine Stärke
ERF-Studiochor

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SWR1 3vor8

06JUN2022
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Weichmacher haben´s nicht leicht zur Zeit. Ihr Image ist ramponiert, weil sie oft da sind, wo man sie eigentlich nicht haben will: im Trinkwasser und auch in unserem Essen.

Aber eigentlich sind sie sehr nützlich und vieles wäre ohne sie nicht möglich: Autoreifen, Gummistiefel und auch die knallig-gelben Quietsche-Entchen für die Badewanne zum Beispiel. Sie werden durch Weichmacher schön dehnbar und biegsam. Da ist es gut, dass mittlerweile auch kräftig an umweltverträglichen Bio-Alternativen geforscht wird.

Ein Kollege hat das Wort Weichmacher neulich in einem interessanten Zusammenhang benutzt. Er hat gesagt: „Der Heilige Geist ist Gottes Weichmacher. Denn da, wo Gottes Geist wirkt, wird Hartes aufgeweicht und Starres biegsam.“

In einem alten Gebet aus dem 13. Jahrhundert, der sogenannten Pfingstsequenz, finde ich das auch. Da heißt es in einer Strophe „Wärme du, was kalt und hart, löse, was in sich erstarrt …“ Ich glaube diese Weichmacher-Eigenschaft des Heiligen Geistes braucht unsere Welt gerade dringend. Und zwar in den Köpfen und in den Herzen der Menschen. Sei es bei Staatschefs, die in ihrer Weltsicht gefangen sind und gewaltsame Kriege führen. Oder bei denen, die nur an ihren eigenen Luxus denken und dabei unseren Planeten ausbeuten. Und auch bei den Menschen in der Kirche, die sich sorgenvoll an der Vergangenheit festklammern. Wenn da Eingefahrenes und Verhärtetes flexibel werden würde: wie viel könnte sich zum Guten verändern.

Auch in mir und in meinem Leben gibt es Hartes und Starres. Zum Beispiel, wenn ich bei einem Kollegen nur noch das sehe, was mich nervt. Dann ist nicht nur mein Bild von ihm wie zementiert, sondern meistens werde ich ihm gegenüber ganz schön hart. Oder wenn ich mir selbst wenig zutraue. Ich mache mir einen mega Kopf, wie ich den Berg an Arbeit schaffen soll und das lässt mich innerlich erstarren. In solchen Momenten tut mir Gottes Versprechen gut, dass er mich mit meinem engen Herzen und meinem eingefahrenen Denken nicht alleine lässt. Dass er seinen göttlichen Beistand, seinen Geist sendet, der mich innerlich weicher und nachgiebiger machen kann.

In einem – meist gesungenen – Vers, der heute vor dem Evangelium in katholischen Gottesdiensten zu hören ist, heißt es: „Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe.“

Oh ja – dieser Bitte schließe ich mich gerne an und bete innerlich weiter: Komm, Gottes Weichmacher und wirke in mir. Fülle mein ganzes Herz. Und da, wo es in mir so richtig verhärtet ist, da mach mich durch deine Liebe ein klein wenig durchlässiger und flexibler.

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SWR1 3vor8

10APR2022
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Manchmal bringe ich es einfach nicht zusammen: da freue ich mich auf unbeschwerte Urlaubstage nach Ostern und denke gleichzeitig an eine Freundin, die lange Zeit in der Klinik sein muss. Da sehe ich Tag für Tag die schrecklichen Kriegsbilder in den Nachrichten und am Abend sitze ich mit Freunden bei einem Bier in der Kneipe.

Es sind zwei Welten, die in meinem Leben ständig aufeinanderprallen und überhaupt nicht zueinander passen. Und es kommt nicht erst das eine und dann das andere, sondern beides ist gleichzeitig da. Es liegt nebeneinander, ist manchmal auch miteinander verwoben.

Wenn ich heute, am Palmsonntag, die biblischen Texte im Gottesdienst höre, dann steckt da auch beides drin: Da freuen die Menschen sich, dass Jesus in die Stadt kommt. Sie erhoffen sich von ihm, dass er dafür sorgt, dass es aufwärts geht. Der Jubel ist groß. Doch schon kurze Zeit später schlägt die Stimmung um. Jesus wird festgenommen, gefoltert und stirbt qualvoll am Kreuz. Enttäuschung pur.

Als Jesus nach Jerusalem kommt, da rufen ihm die Leute „Hosanna“ zu. Übersetzt heißt Hosanna: Hilf doch! Die Menschen trauen Jesus zu, dass er derjenige ist, mit dem alles gut wird. Dass er der Messias ist. Also derjenige, der retten, heilen und versöhnen kann. Und deshalb bitten und flehen sie, dass er doch endlich was tut und durchgreift.

Auch ich könnte zur Zeit oft „Hosanna!“ schreien, also „Hilf doch! Gott, mach was!“ Dass kranke Menschen gesund werden. Einsame nicht allein sind. Dass Menschen es schaffen, nicht nur den eigenen Kopf durchzusetzen, sondern wirkliche Kompromisse einzugehen. Und dass der Krieg endlich aufhört.

In solchen Momenten wünsche ich mir manchmal, dass Gott durchgreift und schnell alles gut wird. Doch so einfach, wie ich mir das vorstelle, ist es nicht. Und nur weil Gott nicht direkt eingreift, heißt es nicht, dass es ihm egal ist, wie es den Menschen geht. Im Gegenteil. Ich glaube, dass er sich berühren lässt. Gott nichts fremd ist, worunter Menschen leiden. Er kennt das Leben – in allen Facetten. Die Tiefs, aber auch die Hochs. In beiden ist er da.

Mich stärkt und tröstet dieser Gedanke. Und wenn ich heute im Gottesdienst „Hosanna“ rufe und singe, dann packe ich da mein ganzes Leben rein und bitte: Hilf doch, Gott. Sei da, wenn ich verzweifeln könnte. Das Leben nicht verstehe. Aber auch: wie gut, Gott, dass du bei mir bist – in allen Lebenslagen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

12MRZ2022
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Ich habe eine Geschichte gehört, die hat mir echt geholfen, über den ein oder anderen Fehler von mir großzügiger hinweg zu sehen. Sie geht so:

Gott sitzt wieder einmal in seinem Atelier. Mit viel Liebe zum Detail formt er einen Menschen und macht sich Gedanken, was gerade diesen Menschen auszeichnen könnte. Gott ist ganz vertieft in seine Arbeit, da kommt ein Engel dazu. Gott sagt – mehr zu sich selbst –: „Ist er nicht wunderschön geworden?“

Für den Engel sieht der Mensch jedoch aus, wie all die anderen Millionen Menschen, die Gott schon gemacht hat. Und so fragt er etwas abfällig: „Und wofür brauchst Du den?“

Die Geschichte ist bis dahin vielleicht ein wenig platt und sehr menschlich gedacht, aber die Antwort, die Gott gibt, die gefällt mir. Denn Gott sagt: „Brauchen tue ich keinen von ihnen. Aber ist er nicht schön?“

Für mich steckt da drin: Gott möchte uns Menschen. Jeden Einzelnen von uns. Er braucht uns nicht, um Gott zu sein. Aber wir sind da, weil Gott will, dass es uns gibt. In seinen Augen sind wir wunderschön. Ein bisschen wie ein Luxusartikel, der einem gut tut und über den man sich einfach freut.
Nun ja: Nicht immer fühle ich mich wie ein Luxusartikel. Manchmal habe ich den Eindruck ich bin ein Produkt vom Band. Oder gar ein Mängelexemplar. Also schon okay und irgendwie funktional, aber es gibt eben einiges, was „perfekter“ sein könnte. Zu viele Kilos am Bauch und die Haare eher Typ „Standardausgabe“. Und auch innerlich fällt mir manches ein, das ich gerne an mir ändern würde. Zum Beispiel geduldiger mit mir und mit anderen zu sein, wenn mal was nicht so schnell geht, wie ich mir das gewünscht hätte.

In solchen Momenten tut es gut, mich an den Blick Gottes aus der Geschichte zu erinnern und mir klar zu machen: Ich bin schön und genau so, wie ich bin, richtig. Weil Gott mich so will. Und deshalb übe ich mich darin, mich lieben zu lernen. Meine Ungeduld genauso, wie die Haare und jedes Gramm.

An manchen Tagen schaffe ich es dann, mich nicht mit anderen zu vergleichen. Denn wenn ich damit anfange, zieht mich das meist runter. Und an anderen Tagen hilft es, mir selbst einfach mal vor dem Spiegel zu sagen: „Du bist okay. So, wie du bist.“

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