Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR1

 

Autor*in

 

Archiv

SWR1 Begegnungen

Michael ScheuermannPeter Annweiler trifft Michael Scheuermann

Arrival City und Ausgehviertel
An einem heißen Sommertag begrüßt er mich noch abends in seinem Büro - mitten im Mannheimer Jungbusch. Die Hitze steht in den Straßen, sein Büro ist verdunkelt.  Der  57jährige Sozialpädagoge ist so etwas wie der Bürgermeister in einem schwierigen Viertel. Als „Quartiermanager“ kennt er die wunden Punkte.

Ich sehe Kontraste, Spannungen, Widersprüche – das ist das Markante, wenn man heute durch den Jungbusch geht: Menschen, die ihren Cocktail in der Bar schlürfen und nebendran Kinder in Armutssituationen, die im Müll spielen.

Auf engstem Raum gibt es Arme und Wohlhabende.  Schlicht- und Luxuswohnungen liegen ganz nah beisammen. 68 % der Bewohner des Hafenviertels haben Migrationshintergrund. Schon lange steht eine große Moschee  direkt neben der Kirche. Der Jungbusch ist „Arrival City“,  erster Anlaufpunkt für Migrantengruppen, und gleichzeitig Ausgehviertel. Ganz schön viele Themen prallen da aufeinander. Doch Michael Scheuermann lässt sich in seiner Liebe zum Quartier nicht beirren:

Ich seh‘ weiter das, was mich von Anfang an fasziniert hat, an diesem Stadtteil. Er ist unglaublich lebendig, er hat Atmosphäre – und die Menschen sind im wahrsten Sinne des Wortes auch Lebenskünstler.

Klar, das ist nicht immer ganz so einfach. Aber irgendwie ist es gelungen, das „Kippen“ dieses Stadtteils zu vermeiden.

Auf der einen Seite ist es die Irritation und die Überforderung und die Angst, aber auf der anderen Seite kann man auch kollektiv auf so etwas zurückgreifen, was dieser Stadtteil sich in Jahrzehnten aufgebaut hat: in der Zuwanderung, in der Vielfalt auch das Positive zu sehen und mit Gelassenheit auf solche Veränderungen zu reagieren.

Wenn auf engem Raum nur das Eigeninteresse im Blick ist, dann kippt ein Gemeinwesen  in meinen Augen schnell in Richtung „Babylon“. Dieser Name der alten Hauptstadt des Zweistromlandes ist in der Bibel ein Symbol  für die egoistische, gewalttätige und gottesferne Stadt. Daneben steht die Utopie für eine gemeinschaftliche und heilige Stadt – das himmlische Jerusalem. Und das finde ich erstaunlich: Dass Gottes Reich sich in der Stadt verwirklicht. Eben nicht in einem paradiesischen Garten, nicht auf einen einsamen Gipfel. Sondern in einer Stadt! Für mich ist das  Anreiz und Verpflichtung, Stadtviertel wie den Jungbusch nicht aufzugeben.

Gutes Leben in der Stadt - es ist die Vielfalt, es ist die Offenheit, auch die Weltoffenheit. Es ist aber vom Utopischen her der Gedanke, dass ein gutes Leben ein Geben und Nehmen braucht. Den Stadtteil zeichnet aus, dass viele Menschen an diese Möglichkeit glauben und an diese Chance glauben, dass Vielfalt Reichtum ist.

Gemeinwohl vor Eigennutz
Michael Scheuermann kennt den Mannheimer Jungbusch wie kaum ein anderer. Seit 25 Jahren leitet er das Gemeinschaftszentrum des dynamischen Hafenviertels. Er ist Vermittler zwischen Bewohnern und Verwaltung, aber auch Brückenbauer vor Ort.

Ich weiß noch, dass ich mal vor der Moschee gestanden bin und dass mich dann jemand fragte: „Da drüben steht doch die Kirche. Unsere Verwandten aus Anatolien sind da- die haben noch nie eine Kirche gesehen.“

Klar: Da hat Michael Scheuermann eine Kirchenführung vermittelt - und bald ist in der Yavuz-Sultan-Selim-Moschee das Modell der „offenen Moschee“ entstanden. Bis heute werden dort Einzelne und Gruppen immer gastfreundlich empfangen. Dass die Religionsgemeinschaften eine große Rolle für den sozialen Frieden in einem sensiblen Stadtteil spielen, ist für den 57jährigen Katholiken selbstverständlich.

In der Tat ist der Jungbusch sehr stark davon geprägt, dass hier die zwei größten Moscheen Mannheims stehen, dass hier die evangelische Hafenkirche seit vielen Jahrzehnten eine sozialräumliche Arbeit macht ....  – und dass die katholische Liebfrauenkirche einen Steinwurf von der Moschee entfernt ist – also ein Symbol auch, dass die Religionen sich hier die Hand geben.

Wenn die Wege kurz sind, ist der Dialog leichter. Das hat sich in Mannheim als ein wichtiges Prinzip für interreligiöse Begegnungen gezeigt. Wenn etwa „der Busch spielt“, dann laden im Ramadan Kirchen und Moscheen zu einem kulinarischen und kulturellen Abendprogramm auf den Quartiersplatz ein. - Dass so etwas entstehen kann, hat auch viel mit Michael Scheuermanns persönlicher Überzeugung zu tun:

An der Stelle versuche ich auch mein Christsein zu verdeutlichen – auch mich selber auf die Suche zu machen, wo ich Belege dafür finde, dass wir an einen Gott glauben, auch wenn er sich sehr unterschiedlich darstellt.

Wenn ich selbst eine Überzeugung habe, kann ich besser nach dem suchen was verbindet. Oder auch benennen, was trennt. Der Schwerpunkt für den Jungbusch ist jedoch klar:

Dass wir hier nach Gemeinsamkeiten schauen – und dass auch Kirchen und Moscheen ...  nach den Gemeinsamkeiten schauen – und damit auch einen Zusammenhalt hier im Stadtteil befördern, der dringend nötig ist, wo 60 verschiedene Nationalitäten leben, das war mir immer ein Herzensanliegen.

Mit dem Herzen dabei sein - das ist wohl das Wichtigste, wenn es darum geht, ein „Gemeinwesen“ zu zimmern. Nur „mit dem Herzen“ kann es gelingen, Gemeinwohl vor dem Eigennutz zu platzieren. Nur so - mit dem Herzen motiviert - können Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, Religion und  Einkommenslage in einem Sozialraum mit einander leben - gerade im Blick auf die Ereignisse in Chemnitz ist das neu deutlich geworden. Wie gut, wenn Profis wie Michael Scheuermann genau dafür einstehen. Und mit ihrem Wirken gegen alle Tendenz, sich „first“ und rücksichtslos zu geben, zeigen: Nur gemeinsam können wir groß sein!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27139
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Jonas Bedford-Strohm, Foto: Fabian Stoffers

Peter Annweiler trifft Jonas Bedford-Strohm

Keine Angst vor digitalem Wandel!

Der 26jährige Münchner bewegt sich wie die Meisten in seiner Generation  ganz selbstverständlich in der „digitalen Welt“. Und weil er auch in der Kirche zu Hause ist, hat er eine besondere „Mission“. Er hat einen „Kultur-Clash“ entdeckt 

zwischen den Jugendkulturen, die ich so wahrgenommen hab und den kirchlichen Kulturen, in die ich auch reingeboren bin. Und ich wollte helfen, diese Kluft zu überbrücken - und hab deswegen inhaltlich geforscht für meine Masterarbeit, aber dann irgendwann auch gemerkt, dass ich mich praktischer engagieren möchte.

Ich treffe den smarten Mann bei seinem Vortrag über die „Kirche und ihre digitale Kultur“  -  eher so eine Art „Nachhilfe-Veranstaltung“ für Menschen in meiner Ü-50- Generation - und ich bin begeistert. Davon, dass Jonas Bedford-Strohm in der Digitalisierung keinen Heilsweg sieht - und gleichzeitig keine Alternative kennt.
Eben deshalb forscht er an der Jesuitenhochschule daran, wie sich der digitale Wandel auf die Arbeit der Kirchen auswirkt.

Früher haben wir wahnsinnig viel Energie und Liebe und auch Geld investiert in große, große Kirchengebäude. Die sind so wunderbar sichtbar, bis heute -wir freuen uns alle an diesen riesigen Kirchenbauten, aber viel von unserer Zeit wird nicht mehr im Stadtkern verbracht, sondern auch im digitalen Raum.

So habe ich  noch nie darüber nachgedacht: Was die früheren Baumeister in Kathedralen umgesetzt haben, könnte, ja müsste man heute auch für den digitalen Raum umsetzen: Räume schaffen, in denen Menschen sicher sind und  gestärkt werden,  in denen sie eine Verbindung von „Gott“ und „Welt“ finden. Statt dessen werden die digitalen Räume von Seiten der Kirche noch eher vernachlässigt - und manchmal spürt man einen ängstlichen Pessimismus.

Wenn jetzt auch noch die Kirche einsteigt in den Chor der Ängstlichen - ich glaube, das ist genau nicht das, was man sich von Kirche erhofft. Nämlich, was man sich von Kirche erhofft, ist Hoffnung. ist genau ne Perspektive, die über diese Angst im Moment hinaus geht.

Keine Berührungsängste vor digitalen Räumen - das ist die Devise von Jonas Bedford-Strohm. Und  trotz aller Offenheit bleibt dem Medienethiker eines wichtig: 

Ich glaube tatsächlich, dass in den Momenten, wo man sich verletzlich fühlt, wo man gerade eine Niederlage erlitten hat, wo man eine Sinnlosigkeit verspürt, dass da man plötzlich offen wird für das, was einem in den Hoch-Zeiten gar nicht in den Sinn gekommen ist. 

Es ist diese Bedürftigkeit, die nach einer echten Begegnung ruft, nach helfender Begleitung, nach Seelsorge. Und dafür gibt es durch den interaktiven Charakter des Netzes  auch viele gute digitale Möglichkeiten. Sie werden ja schon genutzt, etwa in interaktiven Blogs oder in den Chats der Telefonseelsorge. Wenn es nach Jonas Bedford-Strohm geht, lässt sich das alles aber  noch kräftig ausbauen.  Welches Menschenbild ihm dabei wichtig ist  -

Teil 2: fehlerfreundlich und innovativ

Jonas Bedford-Strohm ist sechsundzwanzig, hat Theologie und Philosophie studiert - und ist in beidem zu Hause:  In digitalen wie in kirchlichen Räumen. Klar - als  Sohn des  EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm hat er eine starke kirchliche Prägung - und die hat seinen Weg geformt.

Vierhundert, fünfhundert Jahre zurück in meinem Stammbaum sind lauter Pfarrer, das heißt ich hab ne sehr deutsche, kirchliche, protestantische Sozialisation – aber gleichzeitig gibt es auch ein paar Elemente, die nicht ganz so traditionell sind.

Vielleicht ist er deshalb andere Wege gegangen und nicht Pfarrer geworden. Stattdessen versucht er digitale und kirchliche Welt zusammen zu bringen. Und da gibt es viel Bedarf. Etwa bei Menschen wie mir. Ich bin manchmal schon skeptisch, ob Digitalität nicht auf Kosten von persönlichen Begegnungen geht und uns eher kontrolliert als befreit. Doch Jonas Bedford-Strohm zieht mir den Zahn, dass es ein „Entkommen“ gäbe. Viel eher geht es darum, verantwortlich mitzugestalten und uns gleichzeitig nicht zu überfordern.

Wir machen das als Kultur ja alle zum ersten Mal. Auf Facebook sind 2 Milliarden Menschen vernetzt. So was gab’s noch nie in der Geschichte –  wir dürfen den Anspruch an uns selbst dort nicht zu hoch hängen.

Digitalität soll dem Menschen dienen und nicht umgekehrt - daran liegt dem Medienspezialisten. Und um sich angesichts dieser Herausforderung nicht zu überfordern, bleibt es wichtig,

dass ich versuche, meine eigenen Sachen so gut wie möglich auf die Reihe zu kriegen, aber eben mich nicht fertig mache, wenn es nicht funktioniert -  wo wir an was erinnert werden, was eigentlich bei uns  in den  theologischen Grundannahmen drin steht:Dass wir nicht Gott sind, aber dass wir gerechtfertigt sind aus Gnade und deswegen frei sein können, auch nen Fehler zu machen.

Auch wenn das Netz dazu verführt: Wir sind nicht Gott - und deshalb „menschelt“ es auch in digitalen Räumen. Auch die „Cracks“ - und allzumal die Konzerne -  sind versucht, sich „allmächtig“ zu fühlen - und ein anderes Mal gibt es viele Fehler und die Schuld liegt immer bei den anderen. Deshalb gilt es gleichzeitig fehlerfreundlich und innovativ zu sein, sagt Jonas Bedford-Strohm zu seinem Menschenbild. Und genauso wichtig bleibt es, auch digital  für die anderen da zu sein.

Persönlich erlebe ich die spannendsten Gespräche über Religion, über Glaube, über Gott, über Christentum dann, wenn es eine echte Situation gibt, wo jemand Hilfe braucht. Deswegen glaube ich, dass wir unser Gespräch über Digitalität auch nicht nur an irgendwelchen Öffentlichkeitsarbeitskonzepten orientieren sollten, sondern auch unsere Seelsorgeerfahrung anschauen sollten

Wenn Menschen sich täglich mehrere Stunden in digitalen Räumen aufhalten, ist es wichtig für die Kirche, dort auch präsent zu sein. Und am besten mit „Kern-Angeboten“: Mit stärkenden Begegnungen und mit Seelsorge. Jonas Bedford-Strohm hat mich davon überzeugt, wie wichtig das ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26635
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Peter Annweiler trifft die Tai-Chi-Lehrerin Petra Petra Kobayashi

„Die Nadel vom Meeresboden holen“

Sie hat Tausende von Schülern geprägt. Und dabei eigentlich immer nur das selbe gemacht. Die Lehrerin und Autorin aus München ist im deutschsprachigen Raum so etwas wie die „Grand Dame“ für viele Lernende und Lehrende des Tai Chi. Die Abfolge der chinesischen Körperübungen, die „Form“, hat sie vor Jahrzehnten in China gelernt - und sich seitdem immer weiter in diese spirituelle Bewegungskunst vertieft.

Ich wiederhole das jetzt seit 46 Jahren - und es ist vielleicht auch gar nicht so unähnlich dem Erlernen oder Üben eines Musikinstruments. Wenn ein Geiger 46 Jahre spielt, dann ist da ja auch ein ganz anderer Zugang zum Instrument, den Tönen und der Harmonie -

- und klar: Eine solche „Musik“ hat dann auch eine Wirkung auf andere.   

Viele Menschen sehen das  und sagen sofort: „Das möcht’ ich lernen!  Wo kann ich das lernen?“

So war das bei mir auch - und nun übe ich schon seit Jahren Tai Chi. Obwohl ich sonst  jemand bin, den ständige Wiederholungen nerven, wird es mir dabei partout nicht langweilig. Immer noch und immer wieder bin ich fasziniert davon, dass es beim Üben um ein immer feineres Spüren und Vertiefen geht.

Wir „tunen“  sozusagen den Körper und das geht praktisch mit diesem Wiederholen einher.

Es ist, als ob in der Wiederholung auch die Namen der Bewegungen zu sprechen beginnen. „Die Nadel vom Meeresboden holen“ heißt etwa meine Lieblingspassage. Darin liegt für mich - neben und in der Bewegung -  sehr viel Poesie und Verheißung. Als ob schon der Name ausdrückt, dass es im Tai Chi um Winziges und doch ganz Großes geht.

Wir hatten ja hier in der westlichen Welt nichts Vergleichbares: Turnvater Jahn, dann Nietzsche - Nietzsche hat - glaub’ ich - mal gesagt: Wenn man zehn mal tief ein- und ausatmet, ist es gut für die Gesundheit.  Und dann Pfarrer Kneipp - und das wars dann schon. -  Und dann kommt wirklich aus dem Osten so ein Faszinierendes,  sich Bewegendes, wo man sofort eigentlich merkt - das ist nicht so ganz von dieser Welt - und trotzdem ist es von dieser Welt. 

Dass in der Bewegung Spiritualität liegen kann - das ist für mich neu gewesen.  Als Protestant habe ich eher gelernt, meine geistlichen Erkenntnisse im Sitzen und beim Hören zu gewinnen. Manchmal kommt dann noch die stehende Behauptung dazu: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ - das ist der widerborstige Satz, der seit Martin Luther  oft mit dem evangelischen Bekenntnis verbunden wird.
Aber dass ich viel besser für etwas einstehen kann, wenn ich mich auch flexibel, schön und kraftvoll bewege, das habe ich im Tai Chi begriffen - und finde heute darin auch einen körperlichen Ausdruck für mein Beten.

Absichtslose Bewegungen

„Gesundheit, Selbstverteidigung, Meditation“. Oder „500 Gelenkbewegungen in zwei Minuten“. Oft klingen Ankündigungen  für Tai Chi nach einer nützlichen Technik. Petra Kobayashi übt  und lehrt diese langsamen und kraftvollen Bewegungen seit Jahrzehnten. Aber ihr Bekenntnis dazu klingt  ganz anders.

Ich verdanke Tai Chi alles!

Das kann sie sagen - und es klingt nicht übertrieben. Denn sie bleibt dabei ganz weit.

Und dann kann man natürlich sofort darüber nachdenken: Meine Mutter war auch  irgendwie beteiligt oder die Eltern oder die Gesellschaft oder alles, was man im Leben gemacht hat - aber in Bezug auf Spiritualität beinhaltet dieser Tai Chi Weg einen Zugang zu allem, was Leben darstellt.

Petra Kobayashi will keine „nützliche Technik“ anpreisen - und sei es eine religiöse Meditationstechnik. Sie wirkt völlig absichtslos,  wenn sie die Bewegung „fließen“ lässt.  Denn sie bewegt sich dann  nicht „absichtlich“, sondern „es“ bewegt sie. Und so fühlt sie sich der Quelle des Lebens ganz nah. Am ehesten  würde sie sich mit ihrer Ausrichtung als Taoistin oder Mystikerin bezeichnen.  - Aber Etiketten mag sie nicht  - und eigentlich steht sie auch ungern im Mittelpunkt.  

Die menschliche Vorstellungswelt ist ja wie eine eigene Welt, die zum Zentrum immer den Menschen hat.  Der Mensch ist sein Dreh- und Angelpunkt. Die Faszination für die menschliche Gestalt - die konstante Nabelschau auf was der Mensch tut im gestern, heute und morgen.   Ich glaube, wir überhöhen, überschätzen dieses ganze Menschsein viel zu sehr. Das ist so ein kleines Problem. (lacht)

Ja, da hat sie einen Punkt aufgespürt, der auch für die Theologie gar nicht leicht zu lernen war: Der Mensch ist eben nicht die „Krone der Schöpfung“. Die Bibel erzählt zwar, dass er als letztes geschaffen wird. Aber der Abschluss der Schöpfung ist die Gottesruhe, der Sabbat: Am siebten Tage ruhte Gott.
Diese Ruhe stelle ich mir so vor: Gott, Schöpfung und Mensch  sind miteinander im Ein-klang. Sie kommen  in eine  gute und beruhigende Schwingung. Eine Schwingung, in der ich Abstand zu meinen Alltagssorgen gewinne und spüren kann: Ich bin eingebunden, ich bin Teil dieser Energie, die Gott in die Schöpfung gelegt hat - und die sich zeigen kann, wenn ich mich ihm gemäß ausrichte und bewege.
Vielleicht ein bisschen wie Petra Kobayashi das beim Tai Chi erkannt hat.

Wenn Du das schaffst, da ein bisschen rauszukommen aus diesem Gefüge und das so ein bisschen von außen zu sehen - dann erkennst Du auch, dass das letztlich gar nicht so wichtig ist, weil es mehr gibt, als diese Welt des Menschen.

Nähere Informationen:

www.taichi-kobayashi.de

 

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26342
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Luigi Toscano

Peter Annweiler trifft den Fotografen und Filmemacher Luigi Toscano

 …Überlebende aufsuchen...

„Gegen das Vergessen“ heißt das Projekt des Mannheimer Fotografen und Filmemachers. Der 45jährige hat in den letzten Jahren Holocaustüberlebende und ehemalige Zwangsarbeiter portraitiert.
Die großformatigen Aufnahmen alter Menschen berühren - und finden großen Anklang. Bis vor ein paar Tagen waren seine Bilder in New York zu sehen: vor und in der UNO-Zentrale! Und bald geht’s - begleitet von viel Öffentlichkeit - weiter:

Ich weiß, dass ich in ein paar Tagen jetzt wieder nach Amerika fliegen muss, die Vorbereitungen für Washington zu machen, auch an einem besonderen Ort, nämlich dem Reflecting Pool,  Viele weisen mich darauf hin: „Hey, Luigi, dir ist bewusst, dass auch an diesem Ort Martin Luther King seine Rede gehalten hat - und ich sag dann höflich: „JA“.

- Aber so richtig begriffen hat Luigi Toscano die mediale Aufmerksamkeit nicht.
Frei von künstlerischen Allüren schlägt das Herz des Vaters zweier Töchter für die Vergessenen und Übersehenen. Zu ihnen reist er in die Ukraine und nach Russland, zu ihnen zieht es ihn nach Amerika. Er will vor allem junge Menschen erreichen. Sie in Kontakt bringen mit dem Schicksal der Überlebenden: Wie es ist, seine komplette Familie zu verlieren. Wie es ist, Zwangsarbeit verrichten zu müssen. Wie es ist, gehasst zu werden, ohne etwas dafür zu können.  - Luigi Toscano verrät mir, wie er schon als Junge auf diese Spur gekommen ist.

Einmal war ich im Krankenhaus gewesen  mit 13, 14 - und da war ich auf Station zusammen mit einem älteren Herrn .- das vergesse ich nie: Er hatte diese Tätowierung  und ich hatte ihn  gefragt, was das bedeutet diese Zahlen, weil ich wusste das ja nicht.. Und er hat gesagt: „Luigi, ich will dich  nicht erschrecken. Frag nicht!“ hat er gesagt - und ich habe gespürt, dahinter steckt was ganz Furchtbares. Aber er wollte mich schützen in dem Moment.

Luigi Toscano hat dann doch gefragt, viel später. Geprägt bleibt er dabei auch durch seine Herkunft: Als Ältester von sieben Kindern wächst er in einer italienischen Gastarbeiterfamilie auf. Dort erfährt er Gewalt und kommt ins Heim. Erst nach Stationen als Dachdecker, Fensterputzer und Türsteher fängt er mit 30 als „Spätberufener“ an zu fotografieren - und entwickelt so seinen wertschätzenden und meditativen Blick auf das Leben. Ich habe Luigi Toscano kennen gelernt, als ich vor ein paar Jahren seine Tochter taufen durfte. Da ist mir bei dem Mann mit dem markanten Zopf gleich aufgefallen, wie wertvoll es ist, wenn einer im eigenen Leben seelische Not und materielle Armut überwunden hat. Ich bin mir sicher: Das spüren die Menschen, wenn sie sich dem Fotografen öffnen.

Ich hatte Begegnungen, wo ich in dem kurzen Moment Menschen getroffen habe, die was ganz, ganz  Schlimmes erlebt haben - und sie konnten sich befreien - also das war so eine Erleichterung - und diesen Moment - den habe ich oft erlebt.

... und Gesicht zeigen

Der Mannheimer Fotograf Luigi Toscano hat einen Wettlauf mit der Zeit begonnen. Der 45jährige fotografiert seit 2015 Holocaust-Überlebende in aller Welt. Über 250 große und stille Portraits zeigen alte Menschen, die zum Teil noch nie über ihrer schrecklichen Erlebnisse gesprochen haben. Langsam und liebevoll nähert Toscano sich ihnen an.

Als ich in Russland zum Beispiel war, kann ich mich erinnern: Ich war vor vier Opis - und diese Opis haben alles andere als nen freundlichen Eindruck gemacht. Und dann ham die mir ganz schön auf den Zahn gefühlt. Die ham dann Dinge gefragt, wie zum Beispiel, ob ich nichts Besseres zu tun hab, als mich um den Holocaust zu kümmern.

Die großformatigen Gesichtsbilder zeigen mir, wie tief der Künstler dann doch in das Leben seines Gegenübers blicken durfte. Die Aufnahmen gehen zu Herzen - und ich spüre die respektvolle und demütige Haltung, mit der Luigi Toscano durch den Sucher blickt.
Es ist, als ob sich allein durch diesen „Augen-Blick“ etwas verändert. Der Religionsphilosoph Emmanuel Levinas fällt mir ein, wenn er sagt: Nicht durch meine eigenen Gedanken, sondern in der Begegnung mit dem „Antlitz des anderen“ entwickeln und verändern sich Menschen. Toscanos Gesichter lassen für mich „anschaulich“ werden, wovon ich sonst oft in großen Worten spreche: Die Unantastbarkeit der Würde. Die  Gottebenbildlichkeit des Menschen.

Das Gesicht zeigen: Ich habe da noch ne ganz gute Verbindung von einer Überlebenden aus Auschwitz, die mir gesagt hat: „Luigi, wenn man die Vergangenheit vergisst, ist man verdammt, sie zu wiederholen.“ -

- und wie furchtbar muss es dann für Überlebende sein, wenn sie erfahren, dass der Judenhass in Deutschland wieder zunimmt.
Wie kostbar aber auch, wenn Luigi Toscano „gegen das Vergessen“ ihr Gesicht und ihre Geschichte aufnimmt - und dabei weit über den Moment des Fotografierens hinaus engagiert ist.

Viele saßen dann natürlich erwartungsvoll, weil sie hörten „Da kommt jetzt ein Fotograf, aus Deutschland, aber er ist Italiener.“ -  Ich saß dann manchmal mehrere Stunden bei Kaffee und Kuchen - und wir haben über Gott und die Welt geredet. Ich weiß noch in Russland war ne sehr gläubige Frau - und das hat mich schon beeindruckt: Sie hatte den Wunsch, mit mir zu beten und das haben wir dann gemacht - das fand ich sehr besonders.

Wenn Holocaust-Überlebende beten können, ist das für mich Ansporn, angesichts von 6 Millionen ermordeter Juden nicht zu verzweifeln. Weder daran, dass Menschen zu so Schrecklichem fähig sind - noch daran, dass Gott all das nicht verhindert hat.
Mit dem Holocaust kann zumindest ich nicht „fertig“ werden. Ich bleibe „gegen das Vergessen“ angewiesen darauf, immer wieder berührt und beunruhigt zu werden - wie durch die Aufnahmen von Luigi Toscano.

Nähere Informationen zum Projekt „Gegen das Vergessen“:

www.luigi-toscano.de
www.gdv-2015.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26051
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Peter Annweiler trifft Kathrin Fritsche, Oberärztin für Früh- und Neugeborene

Krippe und Krankenbett

Sie kennt sich aus mit Geburten. Die 49jährige Oberärztin ist zuständig für Früh- und Neugeborene am Westpfalzklinikum in Kaiserslautern. Zwar ist auch ihre Station an den Feiertagen nicht so voll wie sonst, aber Kinder lassen sich nun mal nicht  von Terminvorgaben beeindrucken.

Also es gibt natürlich auch Geburten an Weihnachten. Ich glaube, für die Eltern ist das oftmals was Besonderes, dass sie dann so ein kleines Christkind zur Welt gebracht haben.

Und so kann Kathrin Fritsche gar nicht anders als bei Geburten in der Weihnachtszeit an die Geschichte des Krippenkindes zu denken. Das kam ja irgendwie auch unter besonderen Umständen zu Welt.  Für die Ärztin bleibt  jede Geburt ein freudiger „Umstand“. - Und die Freude steht ihr auch ins Gesicht geschrieben, als wir uns treffen. Ein wenig atemlos ist sie, kommt direkt aus dem Kreissaal. Auf ihrem Arztkittel sind noch ein paar Flecken. Gerade hat sie einem Frühchen auf die Welt helfen können  - und dafür unsere Verabredung nach hinten verschoben. In ihrem Gesicht lese ich Erleichterung, dass es dem Kind gut geht. Das beeindruckt mich, wenn eine Ärztin „mitfiebert“.  

Zum Beispiel vor ein paar Jahren an Weihnachten mussten wir ein schwerkrankes Kind aus ner Nachbarklinik abholen und das ist nicht  schön, wenn an Weihnachten das Kind hier auf die Intensivstation verlegt wird und dann der erste Tag ja oft der Tag ist, wo die Eltern dann Bangen - das ist lässt einen dann auch nicht los und da kann man dann abends auch nicht zu Hause sitzen und schön feiern und essen, sondern das nimmt man an solchen Tagen auch mit nach Hause.

Wenn an Weihnachten ein Kind in eine kritische Situation gerät  - dann bringt das durcheinander - und zeigt, wie zerbrechlich das Leben trotz Intensivmedizin bleibt.

Alle Kinder, die auf die Intensivstation müssen oder dort gelandet sind- das war ja nicht geplant. Man stellt sich ja schon vor, dass jedes Kind gesund auf die Welt kommt, dass die Eltern das Kind anschließend im Arm haben können und dann auch mit sich zusammen ins Zimmer gehen können oder nach Hause gehen können - und dass ein Kind nach der Geburt überhaupt auf die Intensivstation kommen muss, ist ja eigentlich nicht der Plan, auch nicht das, was wir uns wünschen.

Wünsche, die nicht in Erfüllung gehen. Durchkreuzte Pläne. Die Menschen auf der  Kinderintensivstation erleben das oft.  - Für mich gibt es damit auch Anklänge an die Weihnachtsgeschichte der Bibel. Da gibt es ja auch viel Ungeplantes: Ein junges Paar ohne Unterkunft bei einer staatlichen Zwangsmaßnahme - und unter diesen widrigen Umständen  dann die Niederkunft, in einem Stall. Und weil genau dort - in der riskanten Zerbrechlichkeit des Neugeborenen - spürbar wird, wie kostbar, ja wie heilig, wie schutzbedürftig das Leben ist - deshalb ist die Kinderklinik irgendwie ganzjährig „Weihnachten intensiv“.

Wenn man sich die Kinder in den Inkubatoren oder den Bettchen anguckt, dann ist das schon so wie eine kleine Krippe.

Ärztin für Leib und Seele
Ein wenig habe ich sie überreden müssen, mit mir fürs Radio zu sprechen: Kathrin Fritsche kümmert sich lieber um die, die ihr beruflich anvertraut sind. Die 49 -jährige ist Oberärztin am Westpfalzklinikum in Kaiserslautern - und dort zuständig für Früh- und Neugeborene, auch für die Kinderintensivstation. Da erlebt sie nicht immer nur Leichtes - und hat auch an den Feiertagen nicht einfach nur „frei“. Manchmal gibt es ja auch dann Geburten - und  leider auch Notfälle. Und da ist es der evangelischen Ärztin wichtig, nicht nur eine medizinische Fachfrau zu sein.

Ich finde Seelsorge ist alles, was wir an Gesprächen führen. Jedes Elterngespräch, jedes Kind, wo wir fragen, wie es einem Patienten oder Menschen geht, ist ja eine Art seelsorgerisches Gespräch. So dass ich schon finde, dass Seelsorge einfach Teil unserer Arbeit ist.

Einer Ärztin, die sich nicht nur um die körperlichen Belange sorgt, sondern auch  „die Seele“ eines Patienten im Blick hat - der würde ich mich gerne anvertrauen. Bei unserer Begegnung lerne ich eine Frau kennen, bei der ich gleich spüre: Kathrin Fritsche ist selber mit Leib und Seele in ihrem Beruf engagiert - sie macht nicht nur einen „Job“.

Ich arbeite gerne auch mit diesen frühgeborenen Kindern, weil die früh Geborenen mittlerweile sehr stabil sind, oft auch gesund werden - und das einfach was Schönes ist, da die Kinder und die Familien zu begleiten und in dieser Zeit zu unterstützen.

Und wie ist das, frage ich mich,  wenn es mal nicht einfach „gut“ wird: Wenn Kinder schwer krank bleiben oder gar sterben. Meiner Gesprächspartnerin ist wichtig,

dass man einfach versucht, die Familie und die Situation so zu leiten, dass sie nicht zerbrechen da dran - wenn uns das gelingt, dann ist das unheimlich viel.

Das klingt so einfach, denke ich: Die Situation so zu leiten, dass die Familien nicht daran zerbrechen. - Wie kann das wohl gelingen?
Meine Antwort auf diese Frage knüpft an die Haltung der Ärztin an: Es geht darum, eine Lage so anzunehmen, wie wir sie vorfinden. So, wie die Eltern des Krippenkindes. Sie mussten auch mit einer Situation umgehen, die sie sich nicht ausgesucht haben. Sie haben viel ausgehalten, erzählt die Bibel: Eine erbärmliche Unterkunft. Alles andere als rosige Perspektiven für das Kind. Mitten in diesem Chaos  haben ihnen die Engel Mut gemacht. Und sie  haben Zuwendung erfahren, von den Hirten  und dann von den Weisen. Alles so, dass sich der Blick der Eltern verwandeln konnte und sie nicht an der Situation verzweifeln und zerbrechen mussten und genau das kann auch in der Kinderklink geschehen.

Wahrscheinlich geht es gar nicht um die Zeit, sondern um das Intensive, wie man gelebt hat - und dass Kinder oft geliebt werden von Eltern - und dass vielleicht auch manchmal eine kurze Zeit auf Erden viel wertvoller ist als ein sehr langes Leben.

Eine andere Perspektive auf dieselbe schwierige Situation eröffnen - wenn das gelingt, dann ist das für mich Weihnachten, längst nicht nur an den Feiertagen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25636
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Peter Annweiler trifft Anne Arend-SchultenAnne Arend-Schulten, Mitarbeiterin des ökumenischen Hospizdienstes Mannheim

Demut neu lernen

Die 55jährige arbeitet für den ambulanten Hospizdienst in Mannheim. Ihre ruhige Art und ihre lebendigen Augen sind mir gleich aufgefallen.  Sofort weiß ich:  Die Frau  ist ein Segen für Menschen am Ende des Lebens.  Beim Hospiz ist sie für Sterbende und ihre Angehörige da - und stärkt Ehrenamtliche - damit die gut weiter in  diesen Familien wirken. Für das alles hat die gebürtige Saarländerin  ein starkes Leitmotiv:

Ein Satz in der Hospizbewegung ist ja: Wenn nichts mehr zu machen ist, können wir noch ganz viel tun. 

Und genau da entfaltet die frühere  Krankenschwester und heutige Sozialpädagogin  ihre  ruhige Stärke: Sie tut viel, ohne zu „machen“.  Sie hat keine fertigen Rezepte, sondern eine Haltung:

Was für mich in der Arbeit wichtig ist, ist auch dieses Wort der Demut, die ja wirklich gefüllt wird in dieser Arbeit, weil wir wirklich immer wieder an Situationen herangehen, wo wir mit leeren Händen stehen - und sagen: Ah, so ist das.   - Und  Demut in dem Sinn verstehen: Das, was jetzt geschieht, auch in andere Hände geben zu  können, zu dürfen und manchmal auch zu müssen.

In andere Hände geben - bei diesem Bild wird mir klar:  Am Ende des Lebens sind die Hand-lungen  begrenzt. Es geht eher um ein Lassen als ein Tun: Loslassen von einem Leben und zulassen, was sich auf dem letzten Weg entwickelt.  Sterbebetten sind eine gute Schule für diese Art der Demut. Zu ihr gehört auch eine Offenheit für Ängste und Fragen.

Ich erinnere das aus einem Brief  einer sterbenden Frau an ihre Töchter,  die sagt: „Ich sterbe, ich mache das zum ersten Mal, ich weiß nicht, wie das geht - ich hab Angst und ich spüre auch Eure Angst. Aber ihr könnt nichts falsch machen. Seid einfach bei mir - und wenn ich Fragen stelle, habt nicht die Angst, ihr müsst sie beantworten. Sondern mit diesen Fragen mit mir sein.“ -Und ich finde, das ist ein gutes Bild.

Nicht zu schnell mit den Antworten sein  und den Fragen mehr Gewicht  geben.

Das ist etwas, was mir als Seelsorger auch am Herzen liegt.  Und doch ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich eine schnelle Antwort oder einen Ratschlag auf den Lippen habe. Da verspiele ich, mit den Fragenden liebevoll und gemeinsam zu suchen. Ratschläge sind schließlich auch Schläge, sagt man - und das gilt besonders in der Begleitung von Sterbenden: Sie haben uns etwas voraus. Denn sie sind die Experten für eine Situation, die ich ja noch nicht durchlebt habe.  Auf ihre Weise lehren sie mich ein Stück vom  Leben, das mir ja noch bevor steht. Da ist es besonders unangebracht so zu tun, als wisse man, was kommt. 

Das ist auch für Anne Arend-Schulten so.

Mein roter Faden ist eigentlich, dass ich sag: ich hab schon immer ne Suchbewegung gehabt und mich als Lernende verstanden.

Die kleinen Dinge feiern

Allerseelen, Totensonntag;  die Gedenktage für Verstorbene  im November regen immer wieder ein Nachdenken rund um Sterben und Tod an. Für Anne Arend-Schulten ist beruflich ganzjährig November. Bei der ökumenischen Hospizhilfe Mannheim koordiniert sie  Begleitungen Sterbender und ihrer Angehörigen. Für die  Krankenschwester und Sozialarbeiterin ist ihre Arbeit aber keinesfalls ganzjährig grau. Sie beschreibt sie eher bunt und quirlig:

Wie so eine Raststätte zu sein (lacht)  -- da kann man mal reingehen, kann tanken und man kann ein Schwätzchen halten. Man trifft auch andere, die dabei sind zu tanken - und „Anlaufstelle“ sein, wo man andockt, aber auch wieder geht, weil man ja getankt hat.

Weil es Begegnungen auf Zeit sind, lernen Hospizbegleiter, ganz genau auf  kleine Dinge achten.

Zum Beispiel  die drei Minuten Gespräch, die ich hab’, wo eine Begegnung statt gefunden hat - oder wenn ich in ein Zimmer rein komme - und da herrscht friedliche Ruhe, ganz kleine Dinge. Und diese kleinen Dinge - die auch zu feiern.

Die kleinen Dinge nicht nur achtsam wahrnehmen, sondern: feiern. Das ist ein hoher Anspruch - und vielleicht auch so etwas wie das „Glaubensbekenntnis“ der Hospizbewegung: Angesichts des Todes „wesentlich“ werden und gerade darin das Leben feiern.

Mein eigener Atem ist  so eine wesentliche Kleinigkeit, die ich feiern kann: Sein Kommen und Gehen kann ich ja nur begrenzt steuern. Es ist, als ob da etwas in mich gelegt ist, was größer ist als ich. So erzählt es - ganz am Anfang - auch die Bibel:  Gott schafft den Menschen aus Erde und haucht ihm den Atem ein - und wenn der Atem aufhört, wird der Mensch wieder zu Erde. Mit dem letzten Lebenshauch kehrt das Leben zu Gott zurück. Und wenn das so formuliert ist,  kann das Sterben seinen Schrecken verlieren, finde ich.

Manchmal - längst nicht immer - machen Engagierte in der Hospizbewegung genau diese Erfahrung: Dass Sterben und Tod ihren Schrecken verlieren. Und wenn das dann auch in den Familien der Begleiteten spürbar wird, ist ihre Arbeit ein Segen.

Und oft setzt sich dieser Segen dann in der Zeit der Trauer fort. Auch da ist das Bild des Atems weiter hilfreich,  meint Anne Arend-Schulten.

Jemand in der Trauer begleiten, bedeutet: Jemand neben sich ausatmen lassen. Also :Aushalten, Raumgeben und Anwesendsein, dass jemand vielleicht für einen Moment in Ruhe kommt oder mal tief  Luft holen kann, sich spürt - und dabei nicht allein ist.

Mit einem Seufzer ausatmen können und dabei nicht allein sein. Egal, ob ich nun selber ausatmend seufze oder jemand neben mir  ausatmen lasse. Es mag nur wie eine Kleinigkeit wirken. Aber es kann auch den Blick auf das Wesentliche öffnen. Schön, dass es in der Hospizbewegung Menschen gibt, die uns das - längst nicht nur im November - immer wieder zeigen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25345
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Harald GlööcklerPeter Annweiler trifft Harald Glööckler

Teil 1: verwurzelt im Gebet

Schrill, schwul und luxuriös - so zeigt sich der 52jährige Modeschöpfer und Künstler häufig: Ein Mann, an dem sich die Geister scheiden. Ich treffe den „Prince of Pompöös“ wie er sich nennt- in der Nähe seines gut geschützten Anwesens im kleinen Kirchheim an der Weinstraße und bin überrascht:  Hinter der üppig-barocken Erscheinung lerne ich einen nachdenklichen Mann kennen. Ganz offen spricht er über etwas, was für viele ein Tabu ist.

Ich finde es ganz wichtig, dass man ne normale Kommunikation und Kontakt mit Gott hat - wie zu anderen Menschen auch . Kein Mensch braucht einen Freund, der einen immer dann anruft, wenn er irgendwas braucht und immer das selbe erzählt. So ähnlich ist es ja oft mit dem Beten: Also, dass man nur betet, wenn man was braucht.

Der Designer sitzt mir gegenüber, wie ich ihn von Fernsehbildern kenne: Rabenschwarzer Bart, lackierte Fingernägel, opulente Ringe. Alles ist bis ins kleinste Detail inszeniert. Und trot dem ist Harald Glööckler auch nach innen hin orientiert.

Wenn ich im ständigen Umgang mit Gott oder der´Muttergottes bin, dann ist das eine ständige Kommunikation, die natürlich auch viel mehr bringt.

Ob das schon immer so für ihn war, frage ich ihn - und er verblüfft mich mit seiner Kenntnis von Gebeten aus der Bibel.

Da bin ich sehr dankbar, dass man sowas gelernt hat in der Kirche oder im Konfirmandenunterricht - eben das Vater Unser oder „Der Herr ist mein Hirte“ - das sind so schöne Gebete, die einem gut tun - und die man unter Umständen einfach mal so lange beten muss, bis einem besser geht.

Beten, bis es einem besser geht. Ein schöner Gedanke, finde ich. Aber etwas fremd ist mir, zu wem Harald Glööckler beten kann.

Wenn wir in eine bessere Schwingung kommen, in dem wir aus dieser Angst und Hoffnungslosigkeit rauskommen, indem wir ein Gespräch finden mit Engeln oder mit der Muttergottes oder mit Gott - und dadurch eine bessere Energie bekommen, dann ist ja schon mal geholfen. 

Hauptsache: Es hilft. Das glaube ich auch. Aber ich würde doch auch weiterfragen: wofür hilft es? Hilft es auf Dauer? Macht es wirklich frei? Das gehört für mich zum evangelischen Glauben dazu. Harald Glööckler hält sich damit nicht auf. Er hat kein Problem, sich in seinem Glauben so zu verhalten wie in seinem sonstigen Leben auch. Egal, ob er jemanden dabei vor den Kopf stößt oder provoziert.
Diese Art der Freiheit hat sich Harald Glööckler schon als Kind  genommen:

Und dann hab ich so - während der Predigt des Pfarrers, die ich manchmal doch ein bisschen anstrengend fand als Junge  dann die  Kirche ein bisschen umdekoriert in Gedanken. Ich hab gedacht: Da könnt man schon bisschen Gold, Goldene Bilder aufhängen: Goldene Rahmen mit Bildern, oder Spiegel oder Kronleuchter und so weiter.

Teil 2: paradiesisch im Reichtum beflügelt

Harald Glööckler polarisiert. Die einen mögen den Modedesigner und Künstler mit seinen dicken Lippen, dem schwarzen Bart und den vielen Ringen gar nicht. Die andern bewundern  gerade diese schrille, provokative Art .

Mich überrascht, wie stark Harald Glööckler neben seiner Leidenschaft für Schmuck und Pomp auch das Gebet sucht - und wie er in der Bibel verwurzelt ist. Für die deutsche Bibelgesellschaft etwa hat er einen „Schmuckschuber“ zur neuen Lutherübersetzung gestaltet - obwohl er mit der Person Martin Luthers gar nicht so viel anfangen kann:

Ich weiß nicht so richtig, ob ich ihn mag oder nicht. Aber er fasiziniet mich schon. Ich meine, er hat ja einen großen Rums verursacht - er hat ja vieles angestoßen und die Bibel den Menschen überhaupt zugänglich gemacht - aber die Medici Päpste wären mir damals schon näher gewesen... (lacht)

Also doch lieber Pomp und Prunk als allzu gewissenhafte Selbsterforschung? Die Liebe zur Bibel jedenfalls teilt er mit Luther.
Wie mit seiner Mode so möchte Harald Glööckler auch in seiner Bibelauslegung paradiesische Zustände zeigen. Die findet er besonders in der Bergpredigt, wo Jesus an das Urvertrauen der Vögel erinnert.

Dieser Gedanke: Sie säen nicht, sie ernten nicht - und der liebe Gott ernährt sie doch. Eben dass wir eigentlich im Paradies leben, dass die Natur eigentlich Paradies ist - und die Natur kennt keine Begrenzung - sondern die Begrenzung machen wir.

Manchmal brauche ich das auch: Dass mir jemand sagt, wie viel mir Gott im Grunde schenkt. Vielleicht hat Harald Glööckler das auch geholfen, seine schwierige Kindheit hinter sich zu lassen und zu dem bunten und reichen „Paradiesvogel“ zu werden, der er jetzt ist. Vielleicht ist sein Äußeres auch eine Art Protest gegen alle, die als die Anständigen daherkommen und einem nur das Leben schwer machen wollen. Die Moralapostel, die Reichen, die auf Kosten der Armen leben. Und das vielleicht noch als Gottes Willen ausgeben.  Er ist sich sicher,

dass Gott kein Interesse haben kann und hat, dass Menschen in Armut leben, sondern in Reichtum.  Dass sie in Armut leben sollen, wurde uns ... auch von Kirchenvätern und Päpsten clever erzählt. Das ist ganz gut, wenn man selber in Saus und Braus lebt.  Da ist es natürlich clever, wenn man denen sagt: Es ist gottgefällig in Armut zu leben.

Und darin bin ich mir mit Harald Glööckler einig: Armut ist nicht gottgewollt. Aber was heißt das im Blick darauf, dass er selber eigentlich zu den Reichen gehört?

Geld per se ist ja Energie - und Energie ist nichts Schlechtes. Die Frage ist, was ich damit mache. Ich kann ja aus allem etwas Gutes oder etwas Schlechtes machen. Aber Gott hat absolut nichts gegen Geld und auch nichts gegen Reichtum.

Geld und Gott kriegt Harald Glööckler leichter zusammen als ich. Mich beschäftigen da eher Fragen, wie mein Lebensstil zusammen geht mit dem Gott, der ganz eindeutig auf der Seite der Armen steht. Da würde ich gerne mal mit dem Modemacher in der Bibel blättern und diskutieren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24926
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Sybille JatzkoPeter Annweiler trifft Sybille Jatzko

engagiert und mit langem Atem
„Das durchstoßene Herz“ - so heißt das Buch, das die 67jährige Therapeutin geschrieben hat. Und so hieß auch die Flugfigur, bei der es an der US-Airbase Ramstein zu einer Flugtagkatastrophe  gekommen ist. 70 Tote und 1000 Verletzte hat es damals gegeben. Das ist fast 30 Jahre her. Und doch prägt es die gebürtige Hamburgerin bis heute. Damals hat sie Betroffene und Einsatzkräfte zusammen gebracht.

Ob das Polizeibeamte waren, ob das Feuerwehrleute waren - es waren Verletzte, die keine Angehörige verloren haben, es waren Schwerverletzte, die Angehörige verloren haben, es waren Angehörige, die nicht vor Ort gewesen waren -und das Leid, das diese Menschen ertragen müssen - und was sie hinterher an Beschwernissen zu bewältigen haben - obwohl sie doch eigentlich schon so getroffen sind - das hat mich sehr geprägt und gerührt...

Heute ist Sybille Jatzko eine gefragte Katastrophennachsorgerin. Sie erlebt es immer wieder: Von einer Minute auf die andere kann alles anders sein: Durch ein Busunglück, einen Flugzeugabsturz oder einen Terroranschlag. Von meinen Erfahrungen in der Notfallseelsorge weiß ich: Es ist ganz wichtig, dass jemand einfühlsam bei Menschen ist, wenn ihre Welt zusammen bricht.
Eine „Erste Hilfe“ ist wichtig. Aber danach muss es weiter gehen. Hinterbliebene vereinsamen oft im Kampf mit Versicherungen und Rechtsansprüchen. Und kommen gar nicht richtig dazu, sich um ihre trauernde oder traumatisierte Seele zu kümmern. Neben der Hilfe von Fachleuten brauchen die Betroffenen daher auch verlässliche Kontakte. Langfristige Beziehungen. So langfristig,

dass zB nach dem Flugzeugabsturz von Birgen Air 1996 die Menschen heute noch zusammen sind als Schicksalsgemeinschaft, zwei Mal im Jahr sich treffen - und das sind 50 bis 60 Hinterbliebene dieses Flugzeugabsturzes - und sie sind alle miteinander befreundet und sie wollen sich zwei Mal im Jahr treffen und von einander hören.

Das Wort „Schicksalsgemeinschaft“ habe ich in unserem Gespräch neu schätzen gelernt: Menschen bleiben durch ihr geteiltes Leid tief miteinander verbunden. Durch Gespräche und Gruppentreffen - und manchmal auch durchs gemeinsame Beten. Das gehört für Sybille Jatzko auch dazu.

Und jetzt ist wieder die Nachsorge der German Wings  Hinterbliebenen - da haben wir auch muslimische Menschen dabei, wir haben Juden dabei - die nehmen alle an diesen Gedenkfeiern Teil - die sind unabhängig davon, welche Religionszugehörigkeit jemand hat. Und doch spürt man, dass ein Geist der Religion darin enthalten ist, aber einen, der alle berührt und bei allen beheimatet ist.

Da sind die Betroffenen uns Anderen ja eigentlich ein Stück voraus. Über die Grenzen von Religionen und Nationen finden sie beim Beten zusammen. „Wenn uns das doch auch ohne Leid gelingen würde!“ - denke ich - und bin gespannt, von Sybille Jatzko zu erfahren, wie sie mit Widerständen gegen ihre Initiativen umgeht - und wie sie dabei ihren langen Atem behält.

freiwillig und gegen Widerstände
Sybille Jatzko begleitet Menschen nach traumatischen Ereignissen. Die Nachsorgerin für Katastrophen lebt in der Nähe von Kaiserslautern. Egal, ob nach dem Flugzeugabsturz der German-Wings-Maschine oder nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt: Immer wieder wird sie zusammen mit ihrem Mann, dem Arzt und Traumaexperten Hartmut Jatzko, zu Überlebenden und Angehörigen gerufen. Da wird sie zur „Hebamme“ einer Schicksalsgemeinschaft: Sie organisiert Möglichkeiten, dass Betroffene zusammen kommen und sich gegenseitig stützen.
Das klingt für mich nach einer sehr sinnvollen Sache. Und doch hat die Gesprächstherapeutin auch diese Erfahrung gemacht:

Wenn wir eine brisante Situation haben, dann ist von politischer Seite immer sehr viel Angst und Sorge, dass sich die Menschen zusammen tun und gegebenenfalls vielleicht auch Unruhe stiften oder zu forsch sind - das wird immer gerne gedeckelt.

Klar, da hängen ja auch Forderungen dran. An Versicherungen oder gar an Regierungen. Da muss auch juristisch die Frage nach Schuld und Entschädigung geklärt werden. Da geht es eben nicht nur um das seelische Wohlbefinden der Betroffenen.
Sibylle Jatzko hat oft Widerstand erlebt, wenn sie sich zur Fürsprecherin von Opfern und Hinterbliebenen gemacht hat. Umso mehr frage ich mich, warum die 67jährige das alles ehrenamtlich und aus freien Stücken tut. .

Es liegt einfach daran, dass ich selber in meiner schlimmsten Zeit dieses Gefühl von Geborgenheit in der Kirche hatte, wenn ich einfach meine Sorgen erzählte - und das ist so einzigartig - das ist eine persönliche Beziehung, die ich geknüpft habe.

Da ist eine Frau, die ihr Engagement für Menschen in Not aus ihrer persönlichen Geborgenheit in Gott schöpft. Und weil sie diese kostbare Erfahrung gemacht hat, will sie an ihren Einsätzen nichts verdienen.

Genau diese persönliche Beziehung macht es mir völlig unmöglich, wenn Menschen im tiefsten Leid sind, Geld dafür zu nehmen. Ich kann es nicht. Ich kann es nicht und deswegen mache ich auch Katastrophennachsorge ehrenamtlich und versuche im beruflichen Feld nicht die Menschen mit dem schwersten Leid zu begleiten.

Wenn Menschen in tiefer Not sind, darf es nicht um Geld gehen. - Sybille Jatzkos unermüdliches Engagement kommt in dieser Klarheit ganz ohne Gehalt und Institution aus. Sie ist aktiv, ohne zu „missionieren“ oder sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Dadurch bleibt sie unabhängig und nahe bei den Betroffenen.

Was sich  die Angehörigen eben aus tiefstem Herzen wünschen, ist: Die anderen kennen zu lernen, es gibt ihnen einfach das Gefühl, dass sie nicht alleine mit ihrem Leid da stehen. .... Und dieses Teilen - das ermöglicht ihnen sehr viel: Also nicht nur ein Opfer zu sein, sondern sie lernen, ein Helfer für andere zu sein - das ist schon mal ein riesengroßer Rollenwechsel.

Wie gut, dass es freiwillig Engagierte gibt, die Menschen in Not begleiten auf dem Weg zurück ins Leben. Menschen wie Sybille Jatzko.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24475
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Ilka Sobottke mitte/ Preaching Class

Peter Annweiler trifft Ilka Sobottke

Ostern in Chicago

„Oh happy day“ jubeln sie heute in den schwarzen Kirchen Amerikas. Und die Mannheimer Pfarrerin ist mitten drin. Mit einer Gruppe junger Leute feiert sie Ostern in Chicago. Dort, wo Barack Obama geistlich und politisch groß geworden ist. Denn Ostern ...

... das kann man in dieser Gemeinde, in Trinity United Church of Christ wunderbar wahrnehmen  daran, dass die Schwarzen, die dort zusammen kommen sich befreien von den Bildern, die die Weißen von ihnen haben und ihnen über Jahrzehnte und Jahrhunderte eingeimpft haben: Das Bild des faulen, dummen Schwarzen.

Ostern ist für sie: Frei werden von abwertenden Bildern. In der Armut Würde bewahren. In der Gemeinde stark werden. Wenn Menschen sich so aufrichten, sind sie nah dran an der Auferstehung.Gepredigt hat die 50jährige City- und Studierendenpfarrerin das schon oft.
Und erlebt hat sie es auch in ihrer Mannheimer Gemeinde. Da hat sie es viel mit Menschen in Armut zu tun, besonders wenn sie im Januar die so genannte Vesperkirche leitet. Weil sie sich schon lange für die Ärmsten einsetzt, konnte Ilka Sobottke letztes Jahr ein paar Monate in Chicago studieren. Dort hat sie erlebt, was sie hier oft anmahnt: Dass es nicht genug ist, wenn die Betroffenen nur „versorgt“ werden. Dann entsteht zwar eine Kirche für die Armen, aber noch lange keine Kirche mit den Armen.

Dagegen stehen dort Leute, die ganz stark auf Bildung setzen, die dafür sorgen, dass ihre Jugendlichen Sport machen, die in ner ganz starken Gemeinschaft zueinander stehen, die die Familien stärken und sich sehr um die auch bemühen, die sozial ins Aus geraten sind.

Es kommt in dieser Gemeinschaft dann zu berührenden Begegnungen. Begegnungen - in denen sich ein österliches Lächeln zeigt.

Ich sitze in einem Keller iner Kirche. Die Frau versucht zu essen, die hat kaum Zähne im Mund und ich versuche, mit ihr ins Gespräch zu kommen und sie guckt mich so von der Seite an und erklärt dann irgendwann:
My life is a hell hole - mein Leben ist ein Höllenloch. Aber trotzdem lächelt sie und hat mir dann auch gesagt: Natürlich lächel ich. Weil, wenn ich weinen würde, dann würde es mir ja noch schlechter gehen -

Menschen finden aus ihrer Klage und dem Jammern heraus. Eine beglückende und zentrale Erfahrung war das für Ilka Sobottke. Eine Ostererfahrung:

Da auch nur einen Funken davon mitzukriegen, wie sich das da verbindet: Diese Kraft aus dem Glauben mit dem Alltag und dem Widerstand - das finde ich ein großes Abenteuer.

Dieser Funke hat bei Ilka Sobottke gezündet: Fünfzehn junge Menschen aus Mannheim hat sie in dieses Abenteuer eingeladen. Das Abenteuer, in unsicheren Stadtvierteln Chicagos Menschen zu treffen, die Gottes Liebe mehr vertrauen als den Entwertungen der anderen. Die jungen Mannheimer lernen Gleichaltrige kennen, die dann im Mai zum Gegenbesuch kommen: Nach Mannheim und zum Kirchentag im Land der Reformation.

Leben in Mannheim

Ilka Sobottkes Herz schlägt für die Armen in ihrer Stadt. Mit diesem Herzschlag führt die Mannheimer Pfarrerin eine Gruppe junger Menschen an Ostern durch Chicago. Ungewöhnliche Begegnungen stehen dort in den schwarzen Gemeinden auf dem Programm:

Das ist sozusagen die „Unterseite des Teppichs“ - das sind die Leute, die ausgrenzt werden, diskriminiert werden - die dort versuchen, dem zu widerstehen - und da entwickelt sich eine Kraft, die wir hier überhaupt gar nicht kennen.

Das konnte die 50jährige letztes Jahr für drei Monate dort erleben. Die schwarzen evangelischen Gemeinden Chicagos  sind ihr da so etwas wie ein Raum für Ostererfahrungen geworden. Sie konnte erleben,

wie diese Opfer sich befreien und aufrichten und das, was Amerika verspricht, für sich in Anspruch zu nehmen - und zu sagen: Wir haben hier ein Recht auf Gleichheit, wir haben ein Recht auf Freiheit, wir haben ein Recht dadrauf, dass unsere Kinder heil nach Hause kommen - das ist für mich ein Gegen-Amerika.

Menschen am Rand der Gesellschaft lernen, aufrecht zu gehen. Weil sie Gottvertrauen haben.
Was bedeutet das für uns? Und wie können diese Erfahrungen in dem anderen, uns unbekannten Amerika  auch bei uns wirken? Meine eigenen Erfahrungen in Brennpunkten amerikanischer Städte sind schon ein paar Jahre her - aber ich erinnere mich daran, dass ich bald frustriert aufgehört habe, Konzepte von  amerikanischen Gemeinden auf meine deutsche Gemeinde zu übertragen.
Ilka Sobottke reißt mich mit, diese schlechten Erfahrungen hinter mir zu lassen und Neues auszuprobieren. Das kann sie ziemlich gut. Schließlich haben wir acht Jahre in der Mannheimer City zusammen gearbeitet. Da hat sie mich, frisch und frech, immer wieder zu Neuem angeregt. Diese Art hat für mich etwas Österliches.

Versuchen, offen und willkommend zu sein - und da immer noch mal zu gucken, dass wir noch längst nicht angekommen sind, sondern da noch was drauf legen können - und dass man das üben kann - und dass das  vor allem  mit einer Herzlichkeit zusammen hängt - das ist das, was mir am wichtigsten ist.

Herzlichkeit und Gastfreundschaft  sind für Ilka Sobotte ganz zentral in einer Gemeinde.  Da gehört ihre selbst gemachte Himbeertiramisu genauso  selbstverständlich dazu wie eine herzliche Umarmung.  Nach ihrer Rückkehr aus Amerika ist sie in ihrer Herzlichkeit für mich noch politischer und frömmer geworden.  Sie hat manche Gremien verlassen und dafür neue Formen von Gebeten im Gottesdienst ausprobiert. Sie versucht, noch mehr und noch direkter mit den Armen zu leben und zu beten, und nicht nur etwas  für sie zu tun.
Ostern heißt in dieser Perspektive: Menschen, die nichts von einander kennen außer Vorurteile, begegnen sich. Sie richten sich gegenseitig auf und verhelfen einander zu Würde.

Und das haben wir ja in Mannheim irgendwo zwischen den Quadraten und Jungbusch irgendwo so kompakt zusammen, dass es auch sehr interessant ist, als Kirche mittendrin zu sein und sagen zu können: Wir sind ... dazu beauftragt, eine Brücke zu sein zwischen verschiedenen Welten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24085
weiterlesen...

SWR1 Begegnungen

Peter Annweiler trifft Detlev BesierDetlev Besier

... gegründet in der Weihnacht

Lange war er Gemeindepfarrer in der Westpfalz, ganz nah dran an der amerikanischen Airbase Ramstein. Die hat ihn angestachelt, sich für Gewaltfreiheit zu engagieren. Seit Sommer letzten Jahres ist der 57jährige „Friedenspfarrer“ in der Pfalz. 

Ich könnte gar net ohne den Friedensgedanken durch die Welt marschieren - das ist so ne Energiequelle für mich. Die schiebt mich einfach nach vorne - und das ist nen totale Leidenschaft. 

Über meine eigene Leidenschaft für den Frieden erschrecke ich manchmal in diesen Tagen. Merke, wie ich die Bilder aus Aleppo wegschiebe, weil ich sie kaum aushalten kann. - So dringend wie dieses Jahr habe ich die Botschaft vom weihnachtlichen Frieden noch nie gebraucht. Detlev Besiers Überzeugung hilft mir, sie wieder zu finden.

Pazifismus ist eine Lebenseinstellung. Von daher glaube ich, ist es auch nichts Idealistisches, ist es auch nichts Utopisches, es ist ein möglicher Weg, heute zu leben, auch im Zeitalter von IS oder im Zeitalter von Boko Haram.

Denn die Botschaft vom Frieden, wie wir sie an Weihnachten gehört haben, ist ja auch nicht nur eine Idee oder Utopie. Dieser Friede ist auch nicht nur ein Waffenstillstand zwischen waffen-strotzenden Gegnern.  Auch wenn manche meinen, Frieden sei nur mit immer mehr Waffen zu schaffen: ich glaube das nicht.

Nach dem zweiten Weltkrieg sagten die Kirchen: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“ Wenn ich an die Kinder  denke, deren Zukunft gerade in den Trümmern Aleppos verspielt wird, leuchtet mir dieser Satz immer mehr ein. Aber was kann dieser Appell zur Gewaltlosigkeit ausrichten in der heutigen Weltlage?  Für Detlev Besier ist Weihnachten eine Chance, wieder neu friedens-bewegt zu werden:

Dazu nutze ich dann auch mal gerade  diese Tage um etwas Kritisches zu sagen, um diesem kleinen Pflänzchen etwas mehr Gehör zu verschaffen. Ich tu dann das net, um andern auf die Füße zu treten, sondern einfach um auch diese andere Nuance vom nicht süßlichem Frieden, sondern schweißtreibendem, hart erarbeitetem Frieden ins Blickfeld zu rücken.

Frieden fällt nicht vom Himmel. Er ist eine „schweißtreibende Arbeit“.
Detlev Besier kann „schweißtreibend“ anpacken - und um das tun zu können, braucht er die Botschaft der Weihnachtsgeschichte. 

Die Worte, die Buchstaben - die kennen wir - aber ich glaube, wir haben unendlich Angst davor. Unendlich Angst, dass es plötzlich alles friedlich geht - und um dieser Angst so ein Stückchen zu begegnen, ist so ein süßlicher Überbau drübergestülpt worden, um so dieses Entscheidende net zu sehen, dass letztlich diese  Krippe  wir selber sind, in die dieser Frieden reingelegt wird.

... verwurzelt in der Westpfalz

Detlev Besier, der pfälzische Friedenspfarrer,  lebt in Kaiserslautern. Da ist es nicht weit, zur Airbase Ramstein. Die hat den Vater zweier erwachsener Kinder zum Pazifisten gemacht.

Wir sind zwar in unserer Region irgendwo scheinbar wirtschaftlich abhängig von der Air Base, aber es wird Krieg in die Welt transportiert und unzähliges Leid geht von dieser Base aus.

Denn Ramstein - das ist die Drehscheibe weltweit für militärisches Agieren. Ob Drohnenkrieg oder konventioneller Bombenabwurf - all das wird von deutschem Boden aus gestartet. Das wird wohl auch unter dem neuen Präsidenten Donald Trump so bleiben.

Wir müssen da einfach überlegen, ob wir von unserer Westpfalz aus da so ein kriegerisches Gehabe einfach unterstützen wollen und ob das eigentlich so sinnvoll ist, dass  in der Welt, in Syrien, oder in Irak,  Afghanistan, oder Somalia - wenn da die Leute „Ramstein“ hören, sie Angst haben. Und wenn sie herkommen, sehen: Das ist eigentlich eine Landschaft, die man lieb haben muss. Aber sie haben Angst, weil von hier aus Krieg ausgeht.

Ein schöner Gedanke, finde ich: Die Liebe zur Heimat als Grundlage des Friedens. Wenn man seinen Lebensraum schätzt, dann kann man eigentlich nicht zulassen, dass von ihm Krieg ausgeht. Deshalb hat Detlev Besier im Rahmen der Friedensinitiative Westpfalz dort auch monatliche Friedensgebete organisiert. Die verändern die Welt zwar nicht von Grund auf. Aber sie sind ein wichtiges Zeichen dafür, dass es eine andere Sprache als die von Gewalt gibt.  Und sie sind wichtig, wenn Minderheiten sich der eigenen Wurzeln vergewissern. - Das kennt Detlev Besier aus seinem eigenen Familienerbe. Schließlich trägt der Pfälzer einen ursprünglich französischen Namen, der auf die verfolgten Evangelischen zurückgeht:

Dieses Hugenottische: ich bemüh mich immer wieder, auch so hugenottische Geschichte mir präsent zu halten, um da diese Wurzeln nicht zu verlieren und daraus meinem Pazifismus auf die Sprünge zu helfen.

Die Hugenotten waren zwar nicht immer Pazifisten - aber sie waren sich bewusst, wie wichtig es ist, die eigenen Wurzeln nicht aufzugeben. Und genau das hilft auch Detlev Besier, in dieser kurzatmigen und aufgeregten Zeit, einen langen Atem zu bewahren, der Gottes Friedensbilder weiter trägt.

Dazu passt auch dieser ur,ur-alte klassische Bibeltext, Schwerter zu Pflugscharen zu machen:  Wer für den Frieden arbeitet, der braucht unendlich viel Schweiß, der braucht unendlich viel Energie  und Geduld.

Es ist net so einfach, wenn man mal einem Schmied an der Esse zuschaut: Was da an Hitze und Kraft aufgewendet werden muss, um was umzuschmieden - da braucht man lange, lange Zeit.

Wie wichtig, wenn Weihnachten dazu hilft, auch nach den Feiertagen Energie und Geduld nicht zu verlieren. Die Geduld und die Energie, die wir brauchen, um nicht den Trümmern von Aleppo oder einem Anschlag in Berlin das letzte Wort zu lassen.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23430
weiterlesen...