SWR1 Begegnungen

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Luigi Toscano

Peter Annweiler trifft den Fotografen und Filmemacher Luigi Toscano

 …Überlebende aufsuchen...

„Gegen das Vergessen“ heißt das Projekt des Mannheimer Fotografen und Filmemachers. Der 45jährige hat in den letzten Jahren Holocaustüberlebende und ehemalige Zwangsarbeiter portraitiert.
Die großformatigen Aufnahmen alter Menschen berühren - und finden großen Anklang. Bis vor ein paar Tagen waren seine Bilder in New York zu sehen: vor und in der UNO-Zentrale! Und bald geht’s - begleitet von viel Öffentlichkeit - weiter:

Ich weiß, dass ich in ein paar Tagen jetzt wieder nach Amerika fliegen muss, die Vorbereitungen für Washington zu machen, auch an einem besonderen Ort, nämlich dem Reflecting Pool,  Viele weisen mich darauf hin: „Hey, Luigi, dir ist bewusst, dass auch an diesem Ort Martin Luther King seine Rede gehalten hat - und ich sag dann höflich: „JA“.

- Aber so richtig begriffen hat Luigi Toscano die mediale Aufmerksamkeit nicht.
Frei von künstlerischen Allüren schlägt das Herz des Vaters zweier Töchter für die Vergessenen und Übersehenen. Zu ihnen reist er in die Ukraine und nach Russland, zu ihnen zieht es ihn nach Amerika. Er will vor allem junge Menschen erreichen. Sie in Kontakt bringen mit dem Schicksal der Überlebenden: Wie es ist, seine komplette Familie zu verlieren. Wie es ist, Zwangsarbeit verrichten zu müssen. Wie es ist, gehasst zu werden, ohne etwas dafür zu können.  - Luigi Toscano verrät mir, wie er schon als Junge auf diese Spur gekommen ist.

Einmal war ich im Krankenhaus gewesen  mit 13, 14 - und da war ich auf Station zusammen mit einem älteren Herrn .- das vergesse ich nie: Er hatte diese Tätowierung  und ich hatte ihn  gefragt, was das bedeutet diese Zahlen, weil ich wusste das ja nicht.. Und er hat gesagt: „Luigi, ich will dich  nicht erschrecken. Frag nicht!“ hat er gesagt - und ich habe gespürt, dahinter steckt was ganz Furchtbares. Aber er wollte mich schützen in dem Moment.

Luigi Toscano hat dann doch gefragt, viel später. Geprägt bleibt er dabei auch durch seine Herkunft: Als Ältester von sieben Kindern wächst er in einer italienischen Gastarbeiterfamilie auf. Dort erfährt er Gewalt und kommt ins Heim. Erst nach Stationen als Dachdecker, Fensterputzer und Türsteher fängt er mit 30 als „Spätberufener“ an zu fotografieren - und entwickelt so seinen wertschätzenden und meditativen Blick auf das Leben. Ich habe Luigi Toscano kennen gelernt, als ich vor ein paar Jahren seine Tochter taufen durfte. Da ist mir bei dem Mann mit dem markanten Zopf gleich aufgefallen, wie wertvoll es ist, wenn einer im eigenen Leben seelische Not und materielle Armut überwunden hat. Ich bin mir sicher: Das spüren die Menschen, wenn sie sich dem Fotografen öffnen.

Ich hatte Begegnungen, wo ich in dem kurzen Moment Menschen getroffen habe, die was ganz, ganz  Schlimmes erlebt haben - und sie konnten sich befreien - also das war so eine Erleichterung - und diesen Moment - den habe ich oft erlebt.

... und Gesicht zeigen

Der Mannheimer Fotograf Luigi Toscano hat einen Wettlauf mit der Zeit begonnen. Der 45jährige fotografiert seit 2015 Holocaust-Überlebende in aller Welt. Über 250 große und stille Portraits zeigen alte Menschen, die zum Teil noch nie über ihrer schrecklichen Erlebnisse gesprochen haben. Langsam und liebevoll nähert Toscano sich ihnen an.

Als ich in Russland zum Beispiel war, kann ich mich erinnern: Ich war vor vier Opis - und diese Opis haben alles andere als nen freundlichen Eindruck gemacht. Und dann ham die mir ganz schön auf den Zahn gefühlt. Die ham dann Dinge gefragt, wie zum Beispiel, ob ich nichts Besseres zu tun hab, als mich um den Holocaust zu kümmern.

Die großformatigen Gesichtsbilder zeigen mir, wie tief der Künstler dann doch in das Leben seines Gegenübers blicken durfte. Die Aufnahmen gehen zu Herzen - und ich spüre die respektvolle und demütige Haltung, mit der Luigi Toscano durch den Sucher blickt.
Es ist, als ob sich allein durch diesen „Augen-Blick“ etwas verändert. Der Religionsphilosoph Emmanuel Levinas fällt mir ein, wenn er sagt: Nicht durch meine eigenen Gedanken, sondern in der Begegnung mit dem „Antlitz des anderen“ entwickeln und verändern sich Menschen. Toscanos Gesichter lassen für mich „anschaulich“ werden, wovon ich sonst oft in großen Worten spreche: Die Unantastbarkeit der Würde. Die  Gottebenbildlichkeit des Menschen.

Das Gesicht zeigen: Ich habe da noch ne ganz gute Verbindung von einer Überlebenden aus Auschwitz, die mir gesagt hat: „Luigi, wenn man die Vergangenheit vergisst, ist man verdammt, sie zu wiederholen.“ -

- und wie furchtbar muss es dann für Überlebende sein, wenn sie erfahren, dass der Judenhass in Deutschland wieder zunimmt.
Wie kostbar aber auch, wenn Luigi Toscano „gegen das Vergessen“ ihr Gesicht und ihre Geschichte aufnimmt - und dabei weit über den Moment des Fotografierens hinaus engagiert ist.

Viele saßen dann natürlich erwartungsvoll, weil sie hörten „Da kommt jetzt ein Fotograf, aus Deutschland, aber er ist Italiener.“ -  Ich saß dann manchmal mehrere Stunden bei Kaffee und Kuchen - und wir haben über Gott und die Welt geredet. Ich weiß noch in Russland war ne sehr gläubige Frau - und das hat mich schon beeindruckt: Sie hatte den Wunsch, mit mir zu beten und das haben wir dann gemacht - das fand ich sehr besonders.

Wenn Holocaust-Überlebende beten können, ist das für mich Ansporn, angesichts von 6 Millionen ermordeter Juden nicht zu verzweifeln. Weder daran, dass Menschen zu so Schrecklichem fähig sind - noch daran, dass Gott all das nicht verhindert hat.
Mit dem Holocaust kann zumindest ich nicht „fertig“ werden. Ich bleibe „gegen das Vergessen“ angewiesen darauf, immer wieder berührt und beunruhigt zu werden - wie durch die Aufnahmen von Luigi Toscano.

Nähere Informationen zum Projekt „Gegen das Vergessen“:

www.luigi-toscano.de
www.gdv-2015.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26051
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