SWR1 Begegnungen

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Peter Annweiler trifft die Tai-Chi-Lehrerin Petra Petra Kobayashi

„Die Nadel vom Meeresboden holen“

Sie hat Tausende von Schülern geprägt. Und dabei eigentlich immer nur das selbe gemacht. Die Lehrerin und Autorin aus München ist im deutschsprachigen Raum so etwas wie die „Grand Dame“ für viele Lernende und Lehrende des Tai Chi. Die Abfolge der chinesischen Körperübungen, die „Form“, hat sie vor Jahrzehnten in China gelernt - und sich seitdem immer weiter in diese spirituelle Bewegungskunst vertieft.

Ich wiederhole das jetzt seit 46 Jahren - und es ist vielleicht auch gar nicht so unähnlich dem Erlernen oder Üben eines Musikinstruments. Wenn ein Geiger 46 Jahre spielt, dann ist da ja auch ein ganz anderer Zugang zum Instrument, den Tönen und der Harmonie -

- und klar: Eine solche „Musik“ hat dann auch eine Wirkung auf andere.   

Viele Menschen sehen das  und sagen sofort: „Das möcht’ ich lernen!  Wo kann ich das lernen?“

So war das bei mir auch - und nun übe ich schon seit Jahren Tai Chi. Obwohl ich sonst  jemand bin, den ständige Wiederholungen nerven, wird es mir dabei partout nicht langweilig. Immer noch und immer wieder bin ich fasziniert davon, dass es beim Üben um ein immer feineres Spüren und Vertiefen geht.

Wir „tunen“  sozusagen den Körper und das geht praktisch mit diesem Wiederholen einher.

Es ist, als ob in der Wiederholung auch die Namen der Bewegungen zu sprechen beginnen. „Die Nadel vom Meeresboden holen“ heißt etwa meine Lieblingspassage. Darin liegt für mich - neben und in der Bewegung -  sehr viel Poesie und Verheißung. Als ob schon der Name ausdrückt, dass es im Tai Chi um Winziges und doch ganz Großes geht.

Wir hatten ja hier in der westlichen Welt nichts Vergleichbares: Turnvater Jahn, dann Nietzsche - Nietzsche hat - glaub’ ich - mal gesagt: Wenn man zehn mal tief ein- und ausatmet, ist es gut für die Gesundheit.  Und dann Pfarrer Kneipp - und das wars dann schon. -  Und dann kommt wirklich aus dem Osten so ein Faszinierendes,  sich Bewegendes, wo man sofort eigentlich merkt - das ist nicht so ganz von dieser Welt - und trotzdem ist es von dieser Welt. 

Dass in der Bewegung Spiritualität liegen kann - das ist für mich neu gewesen.  Als Protestant habe ich eher gelernt, meine geistlichen Erkenntnisse im Sitzen und beim Hören zu gewinnen. Manchmal kommt dann noch die stehende Behauptung dazu: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ - das ist der widerborstige Satz, der seit Martin Luther  oft mit dem evangelischen Bekenntnis verbunden wird.
Aber dass ich viel besser für etwas einstehen kann, wenn ich mich auch flexibel, schön und kraftvoll bewege, das habe ich im Tai Chi begriffen - und finde heute darin auch einen körperlichen Ausdruck für mein Beten.

Absichtslose Bewegungen

„Gesundheit, Selbstverteidigung, Meditation“. Oder „500 Gelenkbewegungen in zwei Minuten“. Oft klingen Ankündigungen  für Tai Chi nach einer nützlichen Technik. Petra Kobayashi übt  und lehrt diese langsamen und kraftvollen Bewegungen seit Jahrzehnten. Aber ihr Bekenntnis dazu klingt  ganz anders.

Ich verdanke Tai Chi alles!

Das kann sie sagen - und es klingt nicht übertrieben. Denn sie bleibt dabei ganz weit.

Und dann kann man natürlich sofort darüber nachdenken: Meine Mutter war auch  irgendwie beteiligt oder die Eltern oder die Gesellschaft oder alles, was man im Leben gemacht hat - aber in Bezug auf Spiritualität beinhaltet dieser Tai Chi Weg einen Zugang zu allem, was Leben darstellt.

Petra Kobayashi will keine „nützliche Technik“ anpreisen - und sei es eine religiöse Meditationstechnik. Sie wirkt völlig absichtslos,  wenn sie die Bewegung „fließen“ lässt.  Denn sie bewegt sich dann  nicht „absichtlich“, sondern „es“ bewegt sie. Und so fühlt sie sich der Quelle des Lebens ganz nah. Am ehesten  würde sie sich mit ihrer Ausrichtung als Taoistin oder Mystikerin bezeichnen.  - Aber Etiketten mag sie nicht  - und eigentlich steht sie auch ungern im Mittelpunkt.  

Die menschliche Vorstellungswelt ist ja wie eine eigene Welt, die zum Zentrum immer den Menschen hat.  Der Mensch ist sein Dreh- und Angelpunkt. Die Faszination für die menschliche Gestalt - die konstante Nabelschau auf was der Mensch tut im gestern, heute und morgen.   Ich glaube, wir überhöhen, überschätzen dieses ganze Menschsein viel zu sehr. Das ist so ein kleines Problem. (lacht)

Ja, da hat sie einen Punkt aufgespürt, der auch für die Theologie gar nicht leicht zu lernen war: Der Mensch ist eben nicht die „Krone der Schöpfung“. Die Bibel erzählt zwar, dass er als letztes geschaffen wird. Aber der Abschluss der Schöpfung ist die Gottesruhe, der Sabbat: Am siebten Tage ruhte Gott.
Diese Ruhe stelle ich mir so vor: Gott, Schöpfung und Mensch  sind miteinander im Ein-klang. Sie kommen  in eine  gute und beruhigende Schwingung. Eine Schwingung, in der ich Abstand zu meinen Alltagssorgen gewinne und spüren kann: Ich bin eingebunden, ich bin Teil dieser Energie, die Gott in die Schöpfung gelegt hat - und die sich zeigen kann, wenn ich mich ihm gemäß ausrichte und bewege.
Vielleicht ein bisschen wie Petra Kobayashi das beim Tai Chi erkannt hat.

Wenn Du das schaffst, da ein bisschen rauszukommen aus diesem Gefüge und das so ein bisschen von außen zu sehen - dann erkennst Du auch, dass das letztlich gar nicht so wichtig ist, weil es mehr gibt, als diese Welt des Menschen.

Nähere Informationen:

www.taichi-kobayashi.de

 

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26342
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