SWR1 Begegnungen

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Sybille JatzkoPeter Annweiler trifft Sybille Jatzko

engagiert und mit langem Atem
„Das durchstoßene Herz“ - so heißt das Buch, das die 67jährige Therapeutin geschrieben hat. Und so hieß auch die Flugfigur, bei der es an der US-Airbase Ramstein zu einer Flugtagkatastrophe  gekommen ist. 70 Tote und 1000 Verletzte hat es damals gegeben. Das ist fast 30 Jahre her. Und doch prägt es die gebürtige Hamburgerin bis heute. Damals hat sie Betroffene und Einsatzkräfte zusammen gebracht.

Ob das Polizeibeamte waren, ob das Feuerwehrleute waren - es waren Verletzte, die keine Angehörige verloren haben, es waren Schwerverletzte, die Angehörige verloren haben, es waren Angehörige, die nicht vor Ort gewesen waren -und das Leid, das diese Menschen ertragen müssen - und was sie hinterher an Beschwernissen zu bewältigen haben - obwohl sie doch eigentlich schon so getroffen sind - das hat mich sehr geprägt und gerührt...

Heute ist Sybille Jatzko eine gefragte Katastrophennachsorgerin. Sie erlebt es immer wieder: Von einer Minute auf die andere kann alles anders sein: Durch ein Busunglück, einen Flugzeugabsturz oder einen Terroranschlag. Von meinen Erfahrungen in der Notfallseelsorge weiß ich: Es ist ganz wichtig, dass jemand einfühlsam bei Menschen ist, wenn ihre Welt zusammen bricht.
Eine „Erste Hilfe“ ist wichtig. Aber danach muss es weiter gehen. Hinterbliebene vereinsamen oft im Kampf mit Versicherungen und Rechtsansprüchen. Und kommen gar nicht richtig dazu, sich um ihre trauernde oder traumatisierte Seele zu kümmern. Neben der Hilfe von Fachleuten brauchen die Betroffenen daher auch verlässliche Kontakte. Langfristige Beziehungen. So langfristig,

dass zB nach dem Flugzeugabsturz von Birgen Air 1996 die Menschen heute noch zusammen sind als Schicksalsgemeinschaft, zwei Mal im Jahr sich treffen - und das sind 50 bis 60 Hinterbliebene dieses Flugzeugabsturzes - und sie sind alle miteinander befreundet und sie wollen sich zwei Mal im Jahr treffen und von einander hören.

Das Wort „Schicksalsgemeinschaft“ habe ich in unserem Gespräch neu schätzen gelernt: Menschen bleiben durch ihr geteiltes Leid tief miteinander verbunden. Durch Gespräche und Gruppentreffen - und manchmal auch durchs gemeinsame Beten. Das gehört für Sybille Jatzko auch dazu.

Und jetzt ist wieder die Nachsorge der German Wings  Hinterbliebenen - da haben wir auch muslimische Menschen dabei, wir haben Juden dabei - die nehmen alle an diesen Gedenkfeiern Teil - die sind unabhängig davon, welche Religionszugehörigkeit jemand hat. Und doch spürt man, dass ein Geist der Religion darin enthalten ist, aber einen, der alle berührt und bei allen beheimatet ist.

Da sind die Betroffenen uns Anderen ja eigentlich ein Stück voraus. Über die Grenzen von Religionen und Nationen finden sie beim Beten zusammen. „Wenn uns das doch auch ohne Leid gelingen würde!“ - denke ich - und bin gespannt, von Sybille Jatzko zu erfahren, wie sie mit Widerständen gegen ihre Initiativen umgeht - und wie sie dabei ihren langen Atem behält.

freiwillig und gegen Widerstände
Sybille Jatzko begleitet Menschen nach traumatischen Ereignissen. Die Nachsorgerin für Katastrophen lebt in der Nähe von Kaiserslautern. Egal, ob nach dem Flugzeugabsturz der German-Wings-Maschine oder nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt: Immer wieder wird sie zusammen mit ihrem Mann, dem Arzt und Traumaexperten Hartmut Jatzko, zu Überlebenden und Angehörigen gerufen. Da wird sie zur „Hebamme“ einer Schicksalsgemeinschaft: Sie organisiert Möglichkeiten, dass Betroffene zusammen kommen und sich gegenseitig stützen.
Das klingt für mich nach einer sehr sinnvollen Sache. Und doch hat die Gesprächstherapeutin auch diese Erfahrung gemacht:

Wenn wir eine brisante Situation haben, dann ist von politischer Seite immer sehr viel Angst und Sorge, dass sich die Menschen zusammen tun und gegebenenfalls vielleicht auch Unruhe stiften oder zu forsch sind - das wird immer gerne gedeckelt.

Klar, da hängen ja auch Forderungen dran. An Versicherungen oder gar an Regierungen. Da muss auch juristisch die Frage nach Schuld und Entschädigung geklärt werden. Da geht es eben nicht nur um das seelische Wohlbefinden der Betroffenen.
Sibylle Jatzko hat oft Widerstand erlebt, wenn sie sich zur Fürsprecherin von Opfern und Hinterbliebenen gemacht hat. Umso mehr frage ich mich, warum die 67jährige das alles ehrenamtlich und aus freien Stücken tut. .

Es liegt einfach daran, dass ich selber in meiner schlimmsten Zeit dieses Gefühl von Geborgenheit in der Kirche hatte, wenn ich einfach meine Sorgen erzählte - und das ist so einzigartig - das ist eine persönliche Beziehung, die ich geknüpft habe.

Da ist eine Frau, die ihr Engagement für Menschen in Not aus ihrer persönlichen Geborgenheit in Gott schöpft. Und weil sie diese kostbare Erfahrung gemacht hat, will sie an ihren Einsätzen nichts verdienen.

Genau diese persönliche Beziehung macht es mir völlig unmöglich, wenn Menschen im tiefsten Leid sind, Geld dafür zu nehmen. Ich kann es nicht. Ich kann es nicht und deswegen mache ich auch Katastrophennachsorge ehrenamtlich und versuche im beruflichen Feld nicht die Menschen mit dem schwersten Leid zu begleiten.

Wenn Menschen in tiefer Not sind, darf es nicht um Geld gehen. - Sybille Jatzkos unermüdliches Engagement kommt in dieser Klarheit ganz ohne Gehalt und Institution aus. Sie ist aktiv, ohne zu „missionieren“ oder sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Dadurch bleibt sie unabhängig und nahe bei den Betroffenen.

Was sich  die Angehörigen eben aus tiefstem Herzen wünschen, ist: Die anderen kennen zu lernen, es gibt ihnen einfach das Gefühl, dass sie nicht alleine mit ihrem Leid da stehen. .... Und dieses Teilen - das ermöglicht ihnen sehr viel: Also nicht nur ein Opfer zu sein, sondern sie lernen, ein Helfer für andere zu sein - das ist schon mal ein riesengroßer Rollenwechsel.

Wie gut, dass es freiwillig Engagierte gibt, die Menschen in Not begleiten auf dem Weg zurück ins Leben. Menschen wie Sybille Jatzko.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24475
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