SWR1 Begegnungen

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Peter Annweiler trifft Anne Arend-SchultenAnne Arend-Schulten, Mitarbeiterin des ökumenischen Hospizdienstes Mannheim

Demut neu lernen

Die 55jährige arbeitet für den ambulanten Hospizdienst in Mannheim. Ihre ruhige Art und ihre lebendigen Augen sind mir gleich aufgefallen.  Sofort weiß ich:  Die Frau  ist ein Segen für Menschen am Ende des Lebens.  Beim Hospiz ist sie für Sterbende und ihre Angehörige da - und stärkt Ehrenamtliche - damit die gut weiter in  diesen Familien wirken. Für das alles hat die gebürtige Saarländerin  ein starkes Leitmotiv:

Ein Satz in der Hospizbewegung ist ja: Wenn nichts mehr zu machen ist, können wir noch ganz viel tun. 

Und genau da entfaltet die frühere  Krankenschwester und heutige Sozialpädagogin  ihre  ruhige Stärke: Sie tut viel, ohne zu „machen“.  Sie hat keine fertigen Rezepte, sondern eine Haltung:

Was für mich in der Arbeit wichtig ist, ist auch dieses Wort der Demut, die ja wirklich gefüllt wird in dieser Arbeit, weil wir wirklich immer wieder an Situationen herangehen, wo wir mit leeren Händen stehen - und sagen: Ah, so ist das.   - Und  Demut in dem Sinn verstehen: Das, was jetzt geschieht, auch in andere Hände geben zu  können, zu dürfen und manchmal auch zu müssen.

In andere Hände geben - bei diesem Bild wird mir klar:  Am Ende des Lebens sind die Hand-lungen  begrenzt. Es geht eher um ein Lassen als ein Tun: Loslassen von einem Leben und zulassen, was sich auf dem letzten Weg entwickelt.  Sterbebetten sind eine gute Schule für diese Art der Demut. Zu ihr gehört auch eine Offenheit für Ängste und Fragen.

Ich erinnere das aus einem Brief  einer sterbenden Frau an ihre Töchter,  die sagt: „Ich sterbe, ich mache das zum ersten Mal, ich weiß nicht, wie das geht - ich hab Angst und ich spüre auch Eure Angst. Aber ihr könnt nichts falsch machen. Seid einfach bei mir - und wenn ich Fragen stelle, habt nicht die Angst, ihr müsst sie beantworten. Sondern mit diesen Fragen mit mir sein.“ -Und ich finde, das ist ein gutes Bild.

Nicht zu schnell mit den Antworten sein  und den Fragen mehr Gewicht  geben.

Das ist etwas, was mir als Seelsorger auch am Herzen liegt.  Und doch ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich eine schnelle Antwort oder einen Ratschlag auf den Lippen habe. Da verspiele ich, mit den Fragenden liebevoll und gemeinsam zu suchen. Ratschläge sind schließlich auch Schläge, sagt man - und das gilt besonders in der Begleitung von Sterbenden: Sie haben uns etwas voraus. Denn sie sind die Experten für eine Situation, die ich ja noch nicht durchlebt habe.  Auf ihre Weise lehren sie mich ein Stück vom  Leben, das mir ja noch bevor steht. Da ist es besonders unangebracht so zu tun, als wisse man, was kommt. 

Das ist auch für Anne Arend-Schulten so.

Mein roter Faden ist eigentlich, dass ich sag: ich hab schon immer ne Suchbewegung gehabt und mich als Lernende verstanden.

Die kleinen Dinge feiern

Allerseelen, Totensonntag;  die Gedenktage für Verstorbene  im November regen immer wieder ein Nachdenken rund um Sterben und Tod an. Für Anne Arend-Schulten ist beruflich ganzjährig November. Bei der ökumenischen Hospizhilfe Mannheim koordiniert sie  Begleitungen Sterbender und ihrer Angehörigen. Für die  Krankenschwester und Sozialarbeiterin ist ihre Arbeit aber keinesfalls ganzjährig grau. Sie beschreibt sie eher bunt und quirlig:

Wie so eine Raststätte zu sein (lacht)  -- da kann man mal reingehen, kann tanken und man kann ein Schwätzchen halten. Man trifft auch andere, die dabei sind zu tanken - und „Anlaufstelle“ sein, wo man andockt, aber auch wieder geht, weil man ja getankt hat.

Weil es Begegnungen auf Zeit sind, lernen Hospizbegleiter, ganz genau auf  kleine Dinge achten.

Zum Beispiel  die drei Minuten Gespräch, die ich hab’, wo eine Begegnung statt gefunden hat - oder wenn ich in ein Zimmer rein komme - und da herrscht friedliche Ruhe, ganz kleine Dinge. Und diese kleinen Dinge - die auch zu feiern.

Die kleinen Dinge nicht nur achtsam wahrnehmen, sondern: feiern. Das ist ein hoher Anspruch - und vielleicht auch so etwas wie das „Glaubensbekenntnis“ der Hospizbewegung: Angesichts des Todes „wesentlich“ werden und gerade darin das Leben feiern.

Mein eigener Atem ist  so eine wesentliche Kleinigkeit, die ich feiern kann: Sein Kommen und Gehen kann ich ja nur begrenzt steuern. Es ist, als ob da etwas in mich gelegt ist, was größer ist als ich. So erzählt es - ganz am Anfang - auch die Bibel:  Gott schafft den Menschen aus Erde und haucht ihm den Atem ein - und wenn der Atem aufhört, wird der Mensch wieder zu Erde. Mit dem letzten Lebenshauch kehrt das Leben zu Gott zurück. Und wenn das so formuliert ist,  kann das Sterben seinen Schrecken verlieren, finde ich.

Manchmal - längst nicht immer - machen Engagierte in der Hospizbewegung genau diese Erfahrung: Dass Sterben und Tod ihren Schrecken verlieren. Und wenn das dann auch in den Familien der Begleiteten spürbar wird, ist ihre Arbeit ein Segen.

Und oft setzt sich dieser Segen dann in der Zeit der Trauer fort. Auch da ist das Bild des Atems weiter hilfreich,  meint Anne Arend-Schulten.

Jemand in der Trauer begleiten, bedeutet: Jemand neben sich ausatmen lassen. Also :Aushalten, Raumgeben und Anwesendsein, dass jemand vielleicht für einen Moment in Ruhe kommt oder mal tief  Luft holen kann, sich spürt - und dabei nicht allein ist.

Mit einem Seufzer ausatmen können und dabei nicht allein sein. Egal, ob ich nun selber ausatmend seufze oder jemand neben mir  ausatmen lasse. Es mag nur wie eine Kleinigkeit wirken. Aber es kann auch den Blick auf das Wesentliche öffnen. Schön, dass es in der Hospizbewegung Menschen gibt, die uns das - längst nicht nur im November - immer wieder zeigen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25345
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