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SWR3 Worte

21MAI2023
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Die Schriftstellerin Simone Harre ist immer wieder dem Glück auf der Spur. Sie hat sich auch in Freiburg umgehört und gefragt, wann die Menschen glücklich sind. Andreas hat geantwortet: 

„Glücksgefühle kommen manchmal in mir hoch, wenn ich mit Leuten zusammen bin, die mir wichtig sind. Zum Beispiel beim gemeinsamen Grillen im Sommer. Wenn wir dabei ein bisschen was trinken, über Gott und die Welt plaudern, und -zack- kommt für so ein paar Sekunden dieses Gefühl, wo ich mich dann geborgen, heimisch, glücklich fühle. Es ist nur ein kurzer Moment, aber der kann so stark sein, dass ich Tage, Wochen, manchmal sogar Jahre davon zehren kann.“

 

Aus: Harre, Simone: Vom Glück in Freiburg. emons Verlag, 2013, S. 167.

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SWR2 Wort zum Tag

10MAI2023
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Zuerst eine Vorwarnung: mich beschäftigt ein Thema, das für die ein oder den anderen schwer sein könnte. Es geht um Abtreibung.
Hannah hat abgetrieben. Und rund um diese krasse und existenzielle Entscheidung hat sie gemerkt, wie einsam sie damit war. Über Abtreibung wird nicht gesprochen; nicht richtig öffentlich und privat irgendwie auch nicht. Es ist ein Tabu. An verlässliche Infos rund um einen sicheren Schwangerschaftsabbruch zu kommen, ist fast unmöglich. Erst seit gut einem halben Jahr dürfen Ärztinnen und Ärzte überhaupt schreiben, dass und wie sie die Eingriffe vornehmen.
Hannah will, dass es anderen Menschen, die vor so einer Entscheidung stehen, besser geht. Dazu hat sie Abortion Buddy gegründet. Das heißt soviel wie „Abtreibungs-Begleitung“. Hannah will Tabus aufbrechen und klar machen, dass die Betroffenen eben nicht allein sind. Es geht darum sich auszutauschen, von erfahrenen Menschen unterstützt zu werden. Die Initiative bietet ganz konkret Infos und Unterstützung an für Menschen, die nicht wissen, wo sie hingehen können, was sie tun müssen, wie das alles gehen soll bei einer ungewollten oder ungeplanten Schwangerschaft. Für viele war Abortion Buddy genau das, was sie gebraucht haben. Unabhängig davon, wie sie sich nachher entschieden haben. Inzwischen haben sich mehrere Menschen mit Hannah zusammengetan und sind als Begleiterinnen oder Buddies ansprechbar.

Ich finde die Idee von Abortion Buddy wichtig. Gerade weil das Thema so heikel und so unglaublich schwierig für die Betroffenen ist. Und gerade weil mir der Schutz allen Lebens wichtig ist, also das der Kinder und das der Mütter, kann ich es schwer ertragen, dass Menschen immer noch an den Pranger gestellt werden.
Niemand sollte in so einer Situation alleine sein. Es geht ums Zuhören, darum echt solidarisch zu sein.

Mich beeindruckt das Motto, mit dem die Begleiterinnen und Begleiter klarmachen, worum es ihnen geht: Ich würde mit dir mitkommen. Die Buddies gehen auch mit in die Praxis zum Schwangerschaftsabbruch, wenn die Betroffene das braucht.
Da sein und mitgehen in allen Lebenslagen, solche Freundinnen und Begleiter brauchen wir Menschen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37589
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SWR2 Wort zum Tag

09MAI2023
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Ralf Knoblauch geht jeden Morgen eine Stunde in seinen Keller. Dort schnitzt er. Normalerweise arbeitet er für die Kirche in einer Gemeinde in Bonn. Aber vor seiner Arbeit schnitzt er jeden Morgen aus Holzblöcken Figuren: es sind Königinnen und Könige. Alle haben was gemeinsam, trotzdem ist jede einzigartig. Alle sind mit schwarz-weißen Gewändern bemalt. Alle haben irgendwo bei sich eine Krone: mal auf dem Kopf, mal in der Hand, mal neben sich auf dem Boden. Alle Figuren lächeln und haben die Augen geschlossen. Einige sind eindeutig als Königin oder als König zu erkennen, andere nur vage. Die kleinen Kunstwerke sitzen, stehen, hocken, liegen, wirken verträumt, gespannt oder zuversichtlich.

Das erste Exemplar hat Ralf Knoblauch im Urlaub geschnitzt. Er ist am Strand spazieren gegangen und dabei ist ihm ein Holzblock in die Finger gekommen. Der hat ihn gleich fasziniert, und es war klar: das ist es, das ist meins. Seitdem hat er unzählige Königinnen und Könige aus dem Block gehauen. Immer in der einen Stunde morgens vor der Arbeit. Das ist seine Zeit.
Und sein Thema ist Würde. Für Ralf Knoblauch geht es bei seinem Handwerk um die Menschen und ihre Würde. Er arbeitet in einem sozialen Brennpunkt und erlebt dort täglich, wie die Würde viel zu oft mit Füßen getreten wird. Umso klarer ist für ihn: jede Person hat Würde und an der gibt es nichts zu rütteln. Jeder Mensch ist ein König, eine Königin. Das will er mit seinen Holzfiguren ausdrücken.

Inzwischen hat sich daraus ein Projekt entwickelt. Viele Menschen oder Gruppierungen nehmen die Figuren mit auf Reisen, zu Tagungen, zu Demos oder z.B. auch zur vergangenen Fußballweltmeisterschaft nach Qatar. Da werden sie dann ausgestellt oder besonders in Szene gesetzt und fotografiert.
Interessant ist, dass alle Königsfiguren die Augen geschlossen haben. Wer die Augen zu hat, ist angreifbar, ist verletzlich, ist auf andere angewiesen. Und die Figuren lächeln. Für Ralf Knoblauch ist klar: „Bei uns Menschen funktioniert es nur gemeinsam. Und die Figuren dürfen nicht noch weiter runterziehen. Wenn man auf so eine Holzfigur trifft, geht man lächelnd aus dieser Begegnung hervor.“

Überall da, wo die Figuren auftauchen, verkörpern sie die Botschaft: jeder Mensch ist ein König, ist eine Königin. Behandelt sie auch so. 

Weitere Infos und Bilder: www.ralfknoblauch.de

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SWR2 Wort zum Tag

08MAI2023
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Papier aus Kleidern. Das macht Drew Matott mit seinem Team. Das Besondere ist, dass er dabei Menschen hilft, Traumata zu überwinden oder Erinnerungen auszutauschen und darüber zu sprechen. Aber der Reihe nach. 

Drew Matott ist Künstler und hat einen Kurs in Papierschöpfen gemacht. Er hat gelernt, dass früher Papier aus Stoff oder Fischernetzen hergestellt wurde und hat sich daran gemacht, seine eigenen Kleider zu Papier zu verarbeiten. Mit der Zeit hat er sein Handwerk perfektioniert, und irgendwann hat er gemeinsam mit seiner Familie die Kleidung seines verstorbenen Vaters in kleine Stücke geschnitten und lange eingeweicht. Dann haben sie aus dem Faserbrei gemeinsam Papier geschöpft. Dabei haben sie über ihren Vater gesprochen, erzählt, gelacht und sich erinnert. Aus diesem Papier hat Drew Matott für jedes Familienmitglied ein Erinnerungsalbum mit Fotos vom Papa gemacht.

Die Idee hat er ausgeweitet für Menschen, die traumatisiert sind. Menschen, die Krieg erlebt haben oder gekämpft haben, Menschen, die fliehen mussten und Heimat gefunden haben, Menschen, die liebe Leute verloren haben. Daraus ist eine richtige Bewegung entstanden - das „Peace Paper Project“. Drew Matott und sein Team waren schon in vielen Kriegsgebieten, und sie leiten Menschen an, die Kleidung aus der schwierigen Zeit nach und nach in kleine Fetzen zu schneiden und dabei einander zu erzählen, nicht allein mit den Erlebnissen zu bleiben. Und dann entsteht aus der Kleidung Papier. Damit kann man dann vieles machen, z.B. Alben gestalten, Friedenslieder draufschreiben oder Flyer gegen den Krieg drucken.

Drew Matott hofft: „Dadurch, dass Du Kontrolle über das Material bekommst, bekommst Du auch Kontrolle über deine Erinnerungen.“

Die Idee und das Friedens-Projekt begeistern mich. Der Weg über die Kleidung an meine schwierigen Erfahrungen zu kommen, scheint mir irgendwie möglich, das ist niederschwellig. Und ich kann konkret was tun, ich habe was in der Hand. Es läuft nicht nur über das Sprechen. Auch das finde ich gut.

Dass aus altem Leid was Neues entsteht, das ist es. Neues Material, neue Erfahrungen, neue Erkenntnisse – Frieden und vielleicht sogar neues Leben.

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SWR1 Begegnungen

02APR2023
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Raphaela Soden Foto: privat.

...und mit Raphaela Soden. Raphaela ist queer, bezeichnet sich als agender, geschlechtslos. Also weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet. Für mich ist es wichtig, mit Raphaela zu sprechen, weil das Thema Geschlechtervielfalt im Netz gerade so hoch kocht. Und nicht immer nur gut. Zeit, einen Menschen zu Wort kommen zu lassen, der Expert*in ist.
Wie versteht Raphaela die eigene geschlechtliche Identität?

Meine geschlechtliche Identität ist eine Nicht-Identität. Ich habe keine geschlechtliche Identität und verstehe nicht, was es bedeuten soll, sich als Mann oder Frau oder als Person mit Geschlecht zu fühlen. Ich bin einfach ich und deswegen hab ich mich als agender geoutet.

Raphaela hat als jugendlicher Mensch festgestellt, dass unsere althergebrachten Kategorien Mädchen oder Junge irgendwie nicht für alle Menschen passen. Mit Mitte 20 realisiert Raphaela, dass der Mensch Raphaela sich anders verliebt als aufgrund des Geschlechts erwartet wird. Das passt alles nicht und Raphaela beschäftigt sich mit queerer Theorie. Das passt! Raphaela findet sich darin wieder und dann outet Raphaela sich.
Spricht man da auch von Outing?

Es ist ein Outing, und es ist auch jedes Mal immer wieder ein Outing, also ständig ein Outing. Also gerade was Geschlecht anbelangt, weil die Gesellschaft so vergeschlechtlicht ist. Geschlecht ist eine Kategorie, die in allen möglichen Bereichen in unserer Gesellschaft eine Rolle spielt. Also keine Ahnung von Klamotten über Toiletten, über Spielzeug. Also ich kann mir ja nix irgendwo im Internet bestellen, ohne dass ich nicht angeben müsste, ob ich Herr oder Frau bin. Da muss ich mich dann jedes Mal entscheiden, verwende ich eine falsche Kategorie für mich, weil beide falsch sind, und akzeptiere dann halt in dem Moment, dass ich nicht als die Person wahrgenommen werde, die ich bin.

Das stelle ich mir total schwierig vor, als Person nicht gesehen zu werden. Jetzt arbeitet Raphaela auch noch bei der katholischen Kirche. Wir sind ja nicht gerade berühmt dafür, mit dem Thema Geschlechter-Vielfalt gut und zeitgemäß umzugehen. Raphaela ist Bildungsreferent*in für Junge Erwachsene. Wie geht Raphaela damit um: agender in der kath. Kirche?

Ich bin in der katholischen Kirche aufgewachsen. Ich habe da ganz viel Gutes erlebt. Ich wäre heute nicht der Mensch, der ich bin, wenn ich da nicht in der kirchlichen Jugendarbeit gewesen wäre und da auf Menschen getroffen hätte, die mir Selbstvertrauen gegeben haben.
Warum soll ich denn anderen überlassen, dass die definieren, was richtig katholisch ist und was Gott gewollt ist und wie die Kirche zu sein hat? Also ich bin auch trotzig, hoffnungstrotzig und genau deswegen bin ich noch dabei.

Raphaela engagiert sich sehr für geschlechtliche Vielfalt in Kirche und Gesellschaft. Auch um deutlich zu machen, dass queere Personen da sind. In der Kirche sind sie viel zu selten sichtbar und wenn doch, müssen sie sich ständig erklären. Raphaela findet das…

…oft sehr anstrengend, weil ich da ganz oft selbst in Frage gestellt werde oder meine Identität infrage gestellt wird oder meine Existenz in Frage gestellt wird, also so nach dem Motto: jetzt spinnt die Person wieder rum.

Brauchen wir überhaupt die Kategorie Geschlecht?

Für mich ist es verzichtbar. Ich frag mich wozu wir es brauchen? Wozu wir es irgendwo abfragen. Eigentlich sollten wir doch allen Menschen als Menschen begegnen und nicht als Mann, als Frau, als keine Ahnung, was. In den allerseltensten Fällen spielt es ja irgendeine Rolle, welche Körperteile eine Person hat. Eigentlich sollten wir uns als Menschen begegnen.

Dazu gehört auch, dass wir miteinander sprechen. Da brauche ich jetzt Nachhilfe. Raphaela ist ein weiblicher Vorname, Raphaela als Person agender. Wie spreche ich Raphaela sinnvoll an, wenn ich nicht nur „Hallo“ sagen will?

Sprache hat viele Möglichkeiten. Bei der Anrede, wenn du „Liebe“, „Lieber“ sagen möchtest, dann kannst du halt „Lieb*er“ sagen. Also beim Sagen ist es ein bisschen schwieriger, aber es geht auch wenn man es übt und beim Schreiben ist es ja ganz einfach, dann einfach zwischen das e und r ein Sternchen oder Doppelpunkt oder einen Unterstrich.

Performing the gap heißt das. Die Lücke ausdrücken. Raum lassen für alle Menschen. Ich finde das gut und übe das immer, wenn ich spreche. Es klappt meistens ganz gut und selbst meine kleinen Kinder sprechen viel von Person oder z.B. Lehrer*innen. Hauptsache, niemand wird durch Sprache verletzt.

Mich interessiert, ob es auch queere Personen in der Bibel gibt oder Geschichten, die queer gelesen werden können. Raphaela erzählt von der Josefsgeschichte aus dem Alten Testament. Josef trägt ein besonderes Kleid, das aus dem Hebräischen mit „Prinzessinnenkleid“ übersetzt werden kann. Vermutlich wollten seine Geschwister ihn deshalb loswerden. Diese Lesart ist für viele queere Menschen befreiend.

Eine Person, die hat mal formuliert, also wenn es wirklich so ist, dass Josef gender non conforming war, dann gibt es in meiner Erzähltradition eine Person, die von Gott geliebt worden ist, die genauso ist wie ich. Und wenn Gott Josef lieben konnte als gender non konforme Person, dann kann Gott vielleicht auch mich lieben und begleiten.
Das zeigt wie krasse Ausschlusserfahrungen Menschen machen, weil sie das Gefühl haben, sie kommen nicht vor und weil ihnen vermittelt wird, dass sie schöpfungswidrig sind.

Menschen leiden, werden diskriminiert, weil sie nicht sind, wie sie scheinbar zu sein haben.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Geschlecht für Gott überhaupt keine Rolle spielt.
Wer ist Gott für Raphaela? Für Raphaela passt, wie sich Gott im Alten Testament, im brennenden Dornbusch vorstellt:

Dieses „Ich bin, wer ich bin“, das ist ein Gottesbild, was sich auch für mich gut anfühlt es auf mein Menschsein zu übertragen. Also ich bin auch, wer ich bin.
Kein Mensch kann mich irgendwie festlegen oder in irgendeine Kategorie pressen. Also ich bin, wer ich bin und genau das finde ich zum Beispiel auch eine schöne Vorstellung von Gottebenbildlichkeit.

Wir Menschen sind Gottes Ebenbilder. Und als solche sind wir sehr gut. Für Raphaela ist Gott...

Also ich würde ja sagen Gott ist trans. Trans heißt ja über, hinaus: transzendent. Wir sind alle mehr als das, was andere in uns sehen. Auch Gott ist nie das, was wir aus Gott machen und deswegen würde ich sagen: Gott ist trans.

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SWR2 Wort zum Tag

15MRZ2023
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Christchurch. Heute vor vier Jahren hat ein rechtsextremer Attentäter 51 Menschen rund um zwei Moscheen erschossen. Das hat Neuseeland und die ganze Welt erschüttert.

Die Premierministerin Jacinda Ardern hat mich damals schon beeindruckt. Sie hat es geschafft, dass die gesellschaftlichen Risse nicht noch tiefer wurden. Sie hat dafür gekämpft, dass die Religionen im Gespräch geblieben sind, und sie hat so vehement gezeigt, dass Hass keine Chance hat und vor allem keine Lösung ist.

Jetzt hat Jacinda Ardern wieder Schlagzeilen gemacht. Anfang Februar ist sie zurückgetreten. Ihr Tank ist leer. Premierministerin ist die tollste Rolle ihres Lebens, aber das geht nur mit vollem Tank, hat sie gesagt.
Mich hat vor allem erstaunt, was dann kommt. Sie wendet sich öffentlich an ihre Familie und sagt zu ihrer Tochter: „Mama wird dabei sein, wenn Du in diesem Jahr in die Schule kommst.“ Und zu ihrem langjährigen Verlobten: „Lass uns endlich heiraten.“

Heißt das, sie wäre als Premierministerin nicht bei der Einschulung gewesen? Hatte Sie nicht die Zeit oder den Kopf um zu heiraten? Ist in so einem Job wirklich keine Zeit für das eigene Leben, nur für das der anderen?
Es ist mir klar, dass man fremdbestimmt wird und sämtliche Staatsakte dieser Welt wichtiger sind als der eigene Geburtstag. Aber die Hochzeit? Oder die Kinder? Das hat mich nach dieser Pressekonferenz wirklich beschäftigt.

Ich bewundere Arderns Schritt sehr, und ich finde, dass sie wieder ein klares Zeichen setzt. Jetzt ist was anderes dran. Bis jetzt: Premierministerin, ab jetzt: Familie. Ich vermute, der Weg dahin wird emotional nicht leicht gewesen sein. Ich hab gelesen, dass sie in ihren Rollen immer wieder angefragt worden ist. Als junge Frau und Premier, wie denn die Familienplanung sei. Als sie schwanger war, wollten alle wissen, wie sie das wohl machen wird und als das Kind da war, haben sie schließlich gefragt, ob sie es denn nicht ständig vermisse.
Werden solche Fragen auch einem frisch gebackenen Vater in so einem Job gestellt? Oder ist da unbewusst gesetzt, dass die Partnerin zu Hause beim Kind ist, und der Mann dem wichtigen Job nachgehen kann.
Ich finde es toll, dass es nicht mehr automatisch so ist. Dass Paare sich bewusst entscheiden, wie sie es mit dem Familienleben gestalten. Dass es nicht mehr von vornherein klar ist, dass der weibliche Part zu Hause bleibt. Und dass man das Modell zu gegebener Zeit umstellen und anpassen kann. Jacinda Ardern hat gezeigt, dass das sogar im höchsten politischen Amt möglich ist.

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SWR2 Wort zum Tag

14MRZ2023
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Mein Mann unterrichtet Religion an einer beruflichen Schule. Und er hat momentan viele, teilweise heftige Diskussionen zum Thema männlich/weiblich/divers. In einer Gruppe hat ein Schüler irgendwann gesagt: „Das nervt mich so, dieser ganze Gender-Quatsch. Was soll das überhaupt? Mann ist Mann und Frau ist Frau. Fertig.“ „Ja, genau, find ich auch“, kommt von vier, fünf anderen.
Mein Mann war total geplättet und erzählt, dass dieses Thema gerade in der Schule ganz präsent ist. Und meistens genau in dieser Art: „Was soll der Quatsch?“

Im Netz, in Social Media geht’s ab. Mich wundert das. Ich versteh nicht, warum das gerade jetzt aufkommt. Dass Menschen sich nicht mit ihrem ursprünglich zugeschriebenen Geschlecht identifizieren, ist nichts Neues. Dass offensichtlich männliche Personen Frauen sind und äußerlich dann auch Frauen werden und umgekehrt, das passiert schon lange. Oder dass Menschen sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen.
Für die meisten ist das kein Problem. Die Frage ist eher, warum das überhaupt thematisiert werden muss. Warum ist es nicht egal, welches Geschlecht eine Person hat, oder ob sie eines hat? Es geht doch um mehr. Um den Menschen. Aber wir sind aufgewachsen mit `männlich und weiblich´. Selbst in der Bibel steht: als Mann und Frau hat Gott die Menschen erschaffen. Die Bibel ist von Menschen geschrieben und zeigt dementsprechend menschliche Denke. Das hat sicher auch zu einem Weltbild beigetragen, in dem es nur zwei Geschlechter gibt.
Sich davon gedanklich freizumachen, muss bewusst passieren. Sonst läuft es so, wie mein Mann erzählt hat: Menschen, die anders sind, werden nicht ernst genommen, im schlimmsten Fall abgewertet.
Warum sind diese Leute, die das nicht verstehen, so laut? Psychologen sagen, dass sich viele nach Vorgaben sehnen. Nach klaren Regeln, Kategorien, nach Ja oder Nein, oder eben: nach Frau oder Mann. Einige finden wohl auch unsere politischen Strukturen zu lasch. Das ganze freiheitlich-demokratische Getue. Die wollen auch da klare Kante.
Ich steh auch auf Klarheit im Leben. Aber an dieser Stelle ist für mich Schluss. Klarer als frei in einem demokratischen Land zu leben, kann es nicht sein. Ich kann mitentscheiden und tun und lassen, was ich möchte und was mir entspricht. Natürlich läuft nicht alles rund bei uns, das ist auch klar. Aber über die Freiheit und die Würde der einzelnen Person geht nichts! Und dabei ist es völlig egal, ob ich Frau, Mann, trans- oder agender bin. Ich bin Mensch und das zählt.

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SWR2 Wort zum Tag

13MRZ2023
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Die Nacht ist in Gefahr! Das Verrückte ist: gerade Licht wird der Nacht gefährlich.
Unsere Nächte sind zu hell. Künstliches Licht macht der Dunkelheit zu schaffen und lässt die Nacht nicht mehr sein, was sie war: geheimnisvoll. Sie bietet Schutz, Tarnung, Zeit für Ruhe und Erholung und sie ist eine Zeit für alle Nachtaktiven.
Nachtlichter. Klingt romantisch, ist aber ein Riesenproblem. Weil unsere Welt nachts so hell ist, sehen wir die Sterne nicht mehr. In Städten z.B. machen beleuchtete Straßen, Shops und LED-Werbescreens die Nacht für den Menschen zum Tag. Weil es an vielen Orten zu hell ist, verblassen die Sterne. Schon jetzt kann man längst nicht mehr überall in Europa die Milchstraße sehen. Das wirkt sich negativ auf uns Menschen aus, auf unser Bedürfnis, sich zu erholen, Kraft zu sammeln. Unser Biorhythmus kommt durcheinander. Der Tierwelt geht es genauso, und natürlich leiden auch viele Pflanzenarten unter der Dauerbestrahlung. Außerdem braucht das alles Unmengen an Strom. 
Es gibt dazu sogenannte Bürgerstudien. Daran können sich alle beteiligen. Mit dem Handy fotografiere ich z.B. alle Lichter einer Straße und nehme das in eine App auf, samt Standort.  Das wird dann gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet. Für eine andere Studie schaue ich mir ohne jedes Hilfsmittel, also Fernrohr oder sowas, den nächtlichen Himmel an und gleiche ihn mit acht verschiedenen „lichtverschmutzten“ Sternkarten ab. Das Ergebnis gebe ich dann auch online ein. Diese Bürger-Studien sind in doppeltem Sinne gut: ich bringe mich ein, und ich stelle natürlich selbst fest, wie viel Licht nachts eigentlich unnötig brennt.

Es ist zu viel, das zeigen die Ergebnisse jetzt schon deutlich.
„Es werde licht.“ Das steht ganz am Anfang der Bibel. Gott hat als erstes Licht gemacht. Aber er hat das Dunkel nicht abgeschafft. Beides wechselt sich ab. So wie die Schöpfung in der Bibel beschrieben ist, ist es natürlich nicht gelaufen. Aber dass Gott als erstes Licht und Dunkel unterscheidet, heißt für mich, wie bedeutsam dieser Wechsel für die Menschen und für die Erde ist. Umso wichtiger, dass wir angemessen damit umgehen.
Für mich sagt der biblische Schöpfungsbericht: im Licht und in der Finsternis: Gott geht mit. 
Davon bin ich fest überzeugt. Deshalb muss ich auch nicht die Nacht zum Tage machen. Deshalb respektiere ich die Dunkelheit - so, wie sie ursprünglich gemeint ist: Als lebenswichtige Ergänzung zum Licht.

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SWR3 Worte

04MRZ2023
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Issa Grace wurde mit Trisomie 18 geboren. Sie durfte nicht flach liegen und musste deswegen immer gehalten werden. 290 Tage hat sie gelebt und viele Menschen haben sie gehalten. Auch der Theologe Clemens Sedmak. Er erzählt, was währenddessen in ihm vorgegangen ist:

 

„Als ich Issa hielt, ging etwas in mir vor, das schwer zu beschreiben ist. Es gibt die Phrase „Etwas bringt das Beste aus Dir heraus“; etwas in dieser Art geschah in diesem Moment und für diesen Moment. Gefühle von Schutzwillen und Ehrfurcht stiegen in mir auf; ich hatte das Gefühl etwas Bedeutungsvolles zu tun, etwas zu machen, das keine großen Begründungen und Erklärungen verlangte: Issa halten. So gesehen war nicht klar: wer hält wen?“

 

Aus: Clemens Sedmak: Issa, aus: Ders.: Das Gute leben. Von der Freundschaft mit sich selbst, Tyrolia Verlag Innsbruck 2015, in: Der 28. Andere Advent 2022/23, Andere Zeiten e.V. Hamburg, 2022, 7.12..

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SWR3 Worte

03MRZ2023
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Die Psychologin Verena Kantrowitsch beschäftigt sich damit, wie wir mit dem Klimawandel umgehen. Sie traut den Menschen ganz schön viel zu. Sie sagt:

„Bei den passenden Rahmenbedingungen sind wir Menschen mutig, offen und haben einen hohen Gerechtigkeitssinn. Wenn Menschen gut informiert sind und das Gefühl haben, dass sie mitreden dürfen, dann sind sie auch zu Veränderungen bereit. Die Gesellschaft hat schon große Veränderungen bewältigt, die immer erst von kleinen Gruppen ausgingen: Deswegen haben wir keine legale Sklaverei mehr, daher haben wir das Frauenwahlrecht.“

 

Aus: Anders Handeln, Ein Themenheft von Andere Zeiten e.V., Ausgabe 2.2022, Schöpfung, Andere Zeiten e.V., Hamburg 2022, S. 9.

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