SWR1 Begegnungen

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02APR2023
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Raphaela Soden Foto: privat.

...und mit Raphaela Soden. Raphaela ist queer, bezeichnet sich als agender, geschlechtslos. Also weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet. Für mich ist es wichtig, mit Raphaela zu sprechen, weil das Thema Geschlechtervielfalt im Netz gerade so hoch kocht. Und nicht immer nur gut. Zeit, einen Menschen zu Wort kommen zu lassen, der Expert*in ist.
Wie versteht Raphaela die eigene geschlechtliche Identität?

Meine geschlechtliche Identität ist eine Nicht-Identität. Ich habe keine geschlechtliche Identität und verstehe nicht, was es bedeuten soll, sich als Mann oder Frau oder als Person mit Geschlecht zu fühlen. Ich bin einfach ich und deswegen hab ich mich als agender geoutet.

Raphaela hat als jugendlicher Mensch festgestellt, dass unsere althergebrachten Kategorien Mädchen oder Junge irgendwie nicht für alle Menschen passen. Mit Mitte 20 realisiert Raphaela, dass der Mensch Raphaela sich anders verliebt als aufgrund des Geschlechts erwartet wird. Das passt alles nicht und Raphaela beschäftigt sich mit queerer Theorie. Das passt! Raphaela findet sich darin wieder und dann outet Raphaela sich.
Spricht man da auch von Outing?

Es ist ein Outing, und es ist auch jedes Mal immer wieder ein Outing, also ständig ein Outing. Also gerade was Geschlecht anbelangt, weil die Gesellschaft so vergeschlechtlicht ist. Geschlecht ist eine Kategorie, die in allen möglichen Bereichen in unserer Gesellschaft eine Rolle spielt. Also keine Ahnung von Klamotten über Toiletten, über Spielzeug. Also ich kann mir ja nix irgendwo im Internet bestellen, ohne dass ich nicht angeben müsste, ob ich Herr oder Frau bin. Da muss ich mich dann jedes Mal entscheiden, verwende ich eine falsche Kategorie für mich, weil beide falsch sind, und akzeptiere dann halt in dem Moment, dass ich nicht als die Person wahrgenommen werde, die ich bin.

Das stelle ich mir total schwierig vor, als Person nicht gesehen zu werden. Jetzt arbeitet Raphaela auch noch bei der katholischen Kirche. Wir sind ja nicht gerade berühmt dafür, mit dem Thema Geschlechter-Vielfalt gut und zeitgemäß umzugehen. Raphaela ist Bildungsreferent*in für Junge Erwachsene. Wie geht Raphaela damit um: agender in der kath. Kirche?

Ich bin in der katholischen Kirche aufgewachsen. Ich habe da ganz viel Gutes erlebt. Ich wäre heute nicht der Mensch, der ich bin, wenn ich da nicht in der kirchlichen Jugendarbeit gewesen wäre und da auf Menschen getroffen hätte, die mir Selbstvertrauen gegeben haben.
Warum soll ich denn anderen überlassen, dass die definieren, was richtig katholisch ist und was Gott gewollt ist und wie die Kirche zu sein hat? Also ich bin auch trotzig, hoffnungstrotzig und genau deswegen bin ich noch dabei.

Raphaela engagiert sich sehr für geschlechtliche Vielfalt in Kirche und Gesellschaft. Auch um deutlich zu machen, dass queere Personen da sind. In der Kirche sind sie viel zu selten sichtbar und wenn doch, müssen sie sich ständig erklären. Raphaela findet das…

…oft sehr anstrengend, weil ich da ganz oft selbst in Frage gestellt werde oder meine Identität infrage gestellt wird oder meine Existenz in Frage gestellt wird, also so nach dem Motto: jetzt spinnt die Person wieder rum.

Brauchen wir überhaupt die Kategorie Geschlecht?

Für mich ist es verzichtbar. Ich frag mich wozu wir es brauchen? Wozu wir es irgendwo abfragen. Eigentlich sollten wir doch allen Menschen als Menschen begegnen und nicht als Mann, als Frau, als keine Ahnung, was. In den allerseltensten Fällen spielt es ja irgendeine Rolle, welche Körperteile eine Person hat. Eigentlich sollten wir uns als Menschen begegnen.

Dazu gehört auch, dass wir miteinander sprechen. Da brauche ich jetzt Nachhilfe. Raphaela ist ein weiblicher Vorname, Raphaela als Person agender. Wie spreche ich Raphaela sinnvoll an, wenn ich nicht nur „Hallo“ sagen will?

Sprache hat viele Möglichkeiten. Bei der Anrede, wenn du „Liebe“, „Lieber“ sagen möchtest, dann kannst du halt „Lieb*er“ sagen. Also beim Sagen ist es ein bisschen schwieriger, aber es geht auch wenn man es übt und beim Schreiben ist es ja ganz einfach, dann einfach zwischen das e und r ein Sternchen oder Doppelpunkt oder einen Unterstrich.

Performing the gap heißt das. Die Lücke ausdrücken. Raum lassen für alle Menschen. Ich finde das gut und übe das immer, wenn ich spreche. Es klappt meistens ganz gut und selbst meine kleinen Kinder sprechen viel von Person oder z.B. Lehrer*innen. Hauptsache, niemand wird durch Sprache verletzt.

Mich interessiert, ob es auch queere Personen in der Bibel gibt oder Geschichten, die queer gelesen werden können. Raphaela erzählt von der Josefsgeschichte aus dem Alten Testament. Josef trägt ein besonderes Kleid, das aus dem Hebräischen mit „Prinzessinnenkleid“ übersetzt werden kann. Vermutlich wollten seine Geschwister ihn deshalb loswerden. Diese Lesart ist für viele queere Menschen befreiend.

Eine Person, die hat mal formuliert, also wenn es wirklich so ist, dass Josef gender non conforming war, dann gibt es in meiner Erzähltradition eine Person, die von Gott geliebt worden ist, die genauso ist wie ich. Und wenn Gott Josef lieben konnte als gender non konforme Person, dann kann Gott vielleicht auch mich lieben und begleiten.
Das zeigt wie krasse Ausschlusserfahrungen Menschen machen, weil sie das Gefühl haben, sie kommen nicht vor und weil ihnen vermittelt wird, dass sie schöpfungswidrig sind.

Menschen leiden, werden diskriminiert, weil sie nicht sind, wie sie scheinbar zu sein haben.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Geschlecht für Gott überhaupt keine Rolle spielt.
Wer ist Gott für Raphaela? Für Raphaela passt, wie sich Gott im Alten Testament, im brennenden Dornbusch vorstellt:

Dieses „Ich bin, wer ich bin“, das ist ein Gottesbild, was sich auch für mich gut anfühlt es auf mein Menschsein zu übertragen. Also ich bin auch, wer ich bin.
Kein Mensch kann mich irgendwie festlegen oder in irgendeine Kategorie pressen. Also ich bin, wer ich bin und genau das finde ich zum Beispiel auch eine schöne Vorstellung von Gottebenbildlichkeit.

Wir Menschen sind Gottes Ebenbilder. Und als solche sind wir sehr gut. Für Raphaela ist Gott...

Also ich würde ja sagen Gott ist trans. Trans heißt ja über, hinaus: transzendent. Wir sind alle mehr als das, was andere in uns sehen. Auch Gott ist nie das, was wir aus Gott machen und deswegen würde ich sagen: Gott ist trans.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37135
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