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01MAI2021
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Josef, der Arbeiter. An ihn erinnert die Kirche heute am Tag der Arbeit. Als Papst Franziskus letztes Jahr ein Schreiben zu seinen Ehren veröffentlicht hat, da meinte er, dass jene, die im Verborgenen oder in der zweiten Reihe stehen, in Wahrheit nicht selten eine Hauptrolle spielten. So wie der Heilige Josef eben. Seine Figur fehlt in keiner Weihnachtskrippe. Da steht er meist still neben der Krippe und betrachtet versunken das Neugeborene. Josef. Er war der irdische Vater von Jesus und der Ehemann der Maria. Der „Mutter Gottes“ also, wie fromme Menschen sie auch nennen. Josef, das ist aber auch der Mann, der nach der Erzählung der Bibel seine unehelich schwanger gewordene Verlobte nicht einfach fallen lässt, sondern ihr trotzdem und ohne große Worte die Treue hält. Und der, als es brenzlig für die kleine Familie wird, Mutter und Kind noch in der Nacht in Sicherheit bringt. Er ist aber auch der, der uns in der Bibel nur in diesen wenigen Kindheitsgeschichten Jesu begegnet und der dann aus dem Blickfeld verschwindet. Für die Verfasser der Bibel scheint er danach nicht mehr interessant gewesen zu sein. Das Einzige, was wir von ihm noch erfahren ist, dass er Zimmermann war. Ein Handwerker also, der Häuser gebaut. Und dieses Handwerk hat er wohl auch an seinen Sohn Jesus weitergegeben. Josef – einer von denen, die eher im Verborgenen stehen. Mit großem Herzen und kleiner Nebenrolle. Aber vielleicht gerade deshalb ein echter Sympathieträger.

Die katholische Kirche jedenfalls hat ihm gleich zwei Gedenktage spendiert. Den 19. März, an dem sein Fest eigentlich gefeiert wird, und eben diesen Tag heute, den 1. Mai. Als der damalige Papst diesen zweiten Josefstag 1955 einführte, da gab es die Maifeiern der Gewerkschaften und der Internationalen Arbeiterbewegung längst. Positiv könnte man deshalb sagen: Der Papst hat dem eher sozialistisch geprägten Maifeiertag so eine Art kirchlichen Segen gegeben. Mit Sozialismus und Kommunismus wollte man in der Kirche zwar nichts zu tun haben. Aber auch die Kirche hat sich schon damals für die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingesetzt. Dass es heute geregelte Arbeitszeiten, feste Ruhetage oder das Verbot von Kinderarbeit gibt, daran haben neben den Gewerkschaften auch die Kirchen ihren Anteil. Und die Figur des stillen Handwerkers Josef als Patron aller hart arbeitenden Menschen schien da offensichtlich ganz gut zu passen. Josef als Schutzpatron jener also, die den Laden durch ihre Arbeit am Laufen halten und dennoch in der Gesellschaft nur eine Nebenrolle spielen. Die ausgebeuteten und unterbezahlten Malocher unserer Zeit trifft man in den Industriebetrieben allerdings kaum noch an. Sie sind heute woanders zu finden. Bei Lieferdiensten, in Reinigungstrupps oder in den Schlachtfabriken halten sie den Laden am Laufen. Der Kampf um Arbeitnehmerrechte ist noch lange nicht vorbei. Sowenig wie der gegen weltweite Kinderarbeit.

 

MUSIK

Um den Heiligen Josef und den Wert, den die Arbeit für uns hat, darum geht es heute Morgen in den Feiertagsgedanken.

„Arbeit ist das halbe Leben.“ „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ Sprüche rund um die Arbeit gibt es etliche. Eines machen alle diese Sätze klar: dass die Erwerbsarbeit ein entscheidender Teil unseres Lebens ist. Wir arbeiten, um Geld zum Leben zu haben. Um uns was leisten zu können. Aber wir arbeiten auch, weil es uns Freude macht und erfüllt. Weil wir uns im besten Fall in unserer Arbeit sogar selbst verwirklichen können. Und weil Arbeit zu haben auch heißt, eingebunden zu sein in ein größeres soziales Netz. Da gibt’s Kunden, Kolleginnen oder eben Zuhörer, wie hier im Radio. Wenn ich jemandem begegne, den ich nicht kenne, kommt irgendwann die Frage: Was machst du denn so? Was ist dein Job? Meine Arbeit sagt also auch was über mich aus. So wie sie damals in Nazareth Jesus kannten als den Sohn des Zimmermanns. Und ich bin mir sicher, dass nicht wenige sich über ihre Arbeit definieren. Durch das, was ich tue, fühle ich mich ja bestätigt, anerkannt, geachtet. Arbeit ist tatsächlich oft weit mehr als nur das halbe Leben. Und deshalb kann es so dramatisch sein, wenn sie plötzlich weg ist. Ich kenne Menschen, die in ein seelisches Loch gefallen sind, als sie ihren letzten Arbeitstag hinter sich hatten. Weil die Freude darüber, morgens nicht mehr so früh aufstehen zu müssen, schon bald einer Leere gewichen ist, die wieder gefüllt werden will. Und noch viel schlimmer ist es, die Arbeit und damit Anerkennung und Struktur zu verlieren. Millionen Menschen erleben das gerade, weltweit. Weil Geschäfte und Gastronomiebetriebe schließen müssen. Weil Künstler, Musiker und alle, die hinter den Kulissen für sie arbeiten, keine Arbeit mehr finden. Das macht nicht nur seelisch fix und fertig. Es ist existenzbedrohend.

In seinem Schreiben über den Heiligen Josef schreibt Papst Franziskus dazu: In dieser unserer Zeit, in der die … Arbeitslosigkeit manchmal drastische Ausmaße annimmt – auch in Ländern, in denen seit Jahrzehnten ein gewisser Wohlstand herrscht –, ist es notwendig, die Bedeutung einer Arbeit, die Würde verleiht, wieder ganz neu verstehen zu lernen. Würde, das ist das Stichwort. Jeder Mensch hat sie. Gleich, ob er krank oder gesund ist, arbeiten kann oder nicht. Doch wer mal einen Menschen getroffen hat, der nach jahrelanger Arbeitslosigkeit wieder Arbeit gefunden hat, wird oft noch etwas erleben: Arbeiten dürfen, gebraucht zu werden, für was auch immer, lässt diesen Menschen erstrahlen. Das Bewusstsein, nicht abhängig zu sein. Vielmehr das Leben selbst in der Hand zu haben. Auch dafür steht die Arbeit.

Josef, der stille Heilige aus der Weihnachtskrippe. Schutzpatron aller Menschen, die arbeiten. Weil er in einer Gesellschaft wie der unseren dafür steht, was Arbeit auch sein kann. Ausdruck der Würde, die uns Gott geschenkt hat.

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05APR2021
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Ob sie es mir glauben oder nicht, meinte eine 84-jährige Frau bei meinem Besuch. Ich liebe meinen Mann so sehr. Nach wie vor. 18 Jahre ist er jetzt schon tot. Er fehlt mir.

Und dann vertraut sie mir an: Das Bild von ihm küsse ich manchmal, wenn ich alleine bin. Und nachts spüre ich ihn, wenn ich die Hand ins Bett danebenlege. Ich spreche auch mit ihm. Manchmal ist er mir so nah. Er lebt für mich noch immer.

„Ob sie es mir glauben oder nicht.“ Der Satz der alten Frau bringt es auf den Punkt.

Ostern ist so ganz anders. Selbst gläubige Menschen haben mit diesem Fest ihr Problem. Für das was an Ostern geschehen sein soll haben wir keine Parallelen in der Erfahrung. Ist es nicht wider die Biologie!? Dass ein Toter zum Leben aufersteht. Kann man das überhaupt glauben?

Den Erfolg von Weihnachten hat Ostern nie gehabt. Was an Weihnachten geschehen ist kennen wir. Eine Geburt. Wir waren vielleicht schon dabei, oder haben es selbst erlebt.

Auch der Karfreitag. Das gibt es doch bis heute. Leid, das anderen Menschen zugefügt wird. Schmerzen. Brutalität. Gewalt und Mord. Todesängste und Sterben.

An Ostern stützen wir uns auf den Glauben einer kleinen Gruppe von Frauen und Männern, die verängstigt und kopflos nach Jesu Tod es trotzdem gewagt haben zu glauben und zu vertrauen. Immer wieder haben sie Jesu Nähe erfahren. Gott hat Jesus auferweckt. Er ist auferstanden. Das war ihr Glaube.

Die Erzählungen von Ostern sind nicht besonders werbewirksam.

Da wird von zwei Freunden von Jesus berichtet, die nach der Kreuzigung niedergeschlagen und verängstigt von Jerusalem weglaufen und unterwegs einem Fremden begegnen. Erst nach und nach, im intensiven Gespräch mit ihm, erkennen sie Jesus im fremden Wegbegleiter.

An einer anderen Stelle der Bibel steht Maria Magdalena weinend am leeren Grab Jesu. Einen Mann, der hinter ihr steht, hält sie zunächst für den Gärtner des Josef von Arimathäa, auf dessen Grundstück sich das Grab Jesu befindet. Erst als der sie, in einem Ton, der nur von Jesus sein kann, mit ihrem Namen Maria anspricht, erkennt sie ihn.

Nichts ist offensichtlich an Ostern. Man muss Jesus buchstäblich hineinglauben. In den Fremden. In den Gärtner.

MUSIK

Ostern ist ein sperriges Fest. Wer Ostern feiert braucht viel Zeit. Osterglaube wird allmählich und bedächtig geweckt. Immer wieder durch Zweifel hindurch.

Ich muss wieder an die Frau denken und ihr Bild vom geliebten Partner. Ob sie es mir glauben oder nicht. Ich spüre ihn. Ab und zu. Ganz intensiv. Und dann doch wieder nicht.

Der Glaube beginnt wie ein Paradox. Glaube muss sich regelrecht durch das Diffuse und Widersprüchliche durchbuchstabieren.

Was die Menschen damals erlebten gilt auch für uns. Nicht spektakuläre Geschehnisse begründen den Osterglauben. Vielleicht zunächst nur mein Zweifel. Mein Erleben und deuten.

Manchmal sind mir meine Eltern, die schon lange tot sind, besonders nahe. Wenn ich mir Fotos von Ihnen anschaue. Oder wenn ich mich an Geschichten aus meiner Kindheit erinnere und  meinen Kindern erzähle. Und doch ist die Zeit mit ihnen schon so lange vergangen und viele Erinnerungen verblassen. Wie die alten Fotos von ihnen.

Der Theologe Fulbert Steffensky meinte einmal es sei die Frechheit des Glaubenszu sagen: Christus ist auferstanden. Gott hat ihn auferweckt. Es sei die Frechheit des Glaubenswenigstens an Ostern keine Fragen zu stellen, sondern nur zu singen und die uralten Texte zu hören. Es sei die Frechheit des Glaubenssich nicht zu begnügen mit dem Hier und Jetzt und den Realitäten zum Anfassen.

Steffensky meint:

Der Tod darf nicht das letzte Wort haben, sonst wäre er größer als Gott. Die Toten drängen mich, an Gott zu glauben. … Da ich niemanden Opfer sein lassen will, nicht einmal mich selber, rufe ich: Gott wird die Toten nicht vergessen. … Ich weiß, dass ich in unverstandenen Bildern rede, wenn ich mit der Bibel sage: Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird sein. … Die Toten und ihr Schicksal öffnen mir den Mund für diesen Gesang, der mit seiner Vision vom guten Ausgang allen Lebens wie Kitsch klingt. Aber lieber des Kitsches verdächtig sein, als die Solidarität mit den Toten aufgeben.

Ist das nicht Vertröstung. Diese Hoffnung vom ewigen Leben. Das Sprechen vom irgendwann und irgendwo. Von einer Zeit, die kein Leid und keine Schmerzen kennt. Ist der Glaube an einen guten Gott, der alles neu machen kann, nicht Verrat an der Erde, wie sie ist. 

Osterglaube führt aber nicht aus der Welt heraus, sondern in sie hinein. Der Himmel der kommt und den wir erhoffen wird zum Bauplan für die Welt. Hoffnungen und Visionen bekommen schon jetzt eine Gestalt und vertrösten eben gerade nicht auf den St. Nimmerleinstag.

Wenn ich Ostern feiere, verpflichte ich mich dazu mich zu engagieren für eine Zukunft, die noch viel mehr bereithält als meine begrenzte Lebenszeit.

Er ist mir nahe. Ob sie es mir glauben oder nicht. Die alte Frau hat Recht.

Der Tod darf nie das letzte Wort haben. Auf der Erde und im Tod erst recht. Das ist dieFrechheit des Glaubens.

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01JAN2021
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Panzer:
Wie steht es mit Ihren Vorsätzen fürs neue Jahr? Haben Sie welche? Ich ja. Ich möchte gern ein guter Mensch sein. Eine Frau, die verzeihen kann und anderen Gutes tun, auch wenn ich es schon ganz anders erlebt habe. Eine Frau, die hilft und gibt, damit andere leben können. So ein guter Mensch wäre ich gern.

Steiger:
Richtig konkrete Vorsätze fürs neue Jahr nehme ich mir keine. Aus denen wird sowieso meistens nichts. Aber, dass ich gut mit anderen umgehe, am besten noch mehr als bisher Gutes tue, das ist mir wichtig. Manche sagen „Gutmensch dazu“ und verdrehen die Augen. Das macht mir nichts. Ich möchte gern ein Gutmensch sein. Nur wenn es allen einigermaßen gut geht, können wir in Frieden miteinander leben.

Panzer:
Gutmensch ist für viele inzwischen aber ein Schimpfwort geworden. Als Gutmenschen werden die beschimpft, die sich in ihrer Freizeit bei der Bahnhofsmission für hilflose Menschen einsetzen, wer als Krankenschwester in ein Krisengebiet geht oder am Samstag Flüchtlingskindern bei den Hausaufgaben hilft.

Steiger:
Als Gutmensch glaube ich daran, dass die Welt sich ändern kann. Dass mehr Gerechtigkeit möglich ist. Dass Gott die Welt insgesamt gut geschaffen hat und so, dass ihre Güter für alle reichen. Dass die Starken für die Schwachen Verantwortung übernehmen gerade jetzt in der Pandemie. Dass es möglich ist, die Geflüchteten in unserem reichen Land zu integrieren, wenn man nur will. Aber wenn man das sagt, dann heißt es schnell: „Ihr Gutmenschen habt doch keine Ahnung. Ihr seht einfach nicht, wie es zugeht in der Welt.“

Panzer:
Jesus, nach dem wir uns Christen nennen, hat das anders gesehen. Er hat gesagt: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ Die Kirchen haben diesen Satz zum Motto, zur Jahreslosung für 2021 ausgerufen.

Steiger:
Seid barmherzig! Barmherzig wie Gott! Vielleicht kommt Ihnen das übertrieben und unrealistisch vor. Kann das sein? Dass Jesus Sie und mich mit Gott vergleicht? Da erwartet er ganz schön viel von uns. Aber offenbar traut er uns das zu!

Panzer:
Aber eigentlich ist ja nicht die verwegene Aufforderung das erste. Das erste ist Gott. Gott und seine Barmherzigkeit. Gott ist barmherzig. Das ist der Anfang. Gott kann gut machen, was Menschen verdorben haben. Er kann auch aus Bösem Gutes machen. Er kann es auch für mich gut machen, selbst wenn ich alles verdorben habe in dem Jahr, das hinter mir liegt. Auch dann hält Gott an mir fest. Auch dann gilt: Kommt her, die ihr mühselig und beladen sein. Es ist nicht endgültig aus und vorbei. Ihr könnt neu anfangen. Aufrecht und selbstbewusst. Ihr könnt es besser machen.

Steiger:
Jesus hat gesagt und gezeigt: So ist Gott. Aber Hand aufs Herz: Können wir auch so sein, so barmherzig, Sie und ich? 

Steiger:
Barmherzig sollen Christen sein – das haben die Kirchen als Motto für das neue Jahr ausgegeben. Daran haben wir gerade schon hierin den SWR4 Feiertagsgedanken erinnert. Und vielleicht denken Sie jetzt: Ja, das sollte eigentlich nicht nur für die Christen gelten. Das wäre ein guter Vorsatz für alle Menschen im Neuen Jahr.

Panzer:
Barmherzig wie Gott. Also nicht fragen: und was kriege ich dafür? Auch nicht: lohnt sich das überhaupt? Und jetzt sagen Sie nicht: Ja, so ist Gott. Gott im Himmel. Im Himmel, da geht es vielleicht so zu. Hoffentlich. Aber das ist doch kein Maßstab für uns hier in Deutschland.

Steiger:
Für Jesus waren der Himmel und die Erde nicht strikt getrennt. Immer wieder und soll es schon auf der Erde zugehen, wie wir es im Himmel erwarten. So jedenfalls verstehe ich seine Bitte im Vaterunser: Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden.Barmherzig – wie im Himmel, so auf Erden! Wie im Himmel, so bei uns im Land! Für Jesus war das ganz selbstverständlich.

Panzer:
Viele sagen bis heute, es sei unrealistisch, so zu denken. Wo kämen wir hin, wenn wir mit Barmherzigkeit unsere Welt gestalten würden? Würden uns dann die anderen nicht auf der Nase herumtanzen?

Steiger:
Ich glaube, so denken die Krämer. Das ist Krämermoral. Ich gebe nur, wenn ich etwas zurückkriege, Wenn alle so denken, dann kann das Gute unter uns nicht wachsen. Dann denkt jeder nur an sich und was er rausschlagen kann. So müssen die Schwachen sehen, wo sie bleiben.

Panzer:
Es gibt viele, die sagen: In unserer Welt, da muss man vernünftig handeln. Und vernünftig ist anders als barmherzig.

Steiger:
Das stimmt: Unsere Welt ist nicht das Paradies. Vom Reich Gottes sieht man wenig. Deshalb gibt es keine einfachen Lösungen. Wir können die Probleme der Welt nicht alle hier in unserem Land lösen. Aber abgeben und teilen, damit man auch anderswo gut leben kann – das könnten wir schon. Verzichten und anders leben – damit die Welt bewohnbar bleiben kann – das könnten wir schon. Uns ein bisschen einschränken, damit wir alle gut durch die Pandemie kommen – das ist barmherzig und vernünftig.

Panzer:
Ich bin deshalb froh, dass es Gutmenschen gibt: Die rechnen damit, dass mehr möglich ist, als die Pessimisten meinen. Ich würde sagen: Sie vertrauen darauf, dass für Gott nichts unmöglich ist. Sie vertrauen auf Gott. Gottvertrauen – das ist ein anderes Wort für Glauben. Deshalb teilen die Gutmenschen, was sie haben. Retten Schiffbrüchige. Geben Geflüchteten Wohnung und Arbeit. Halten mit den Kranken aus. Helfen den Schwachen auf die Beine. Nehmen Rücksicht auf die Gefährdeten, jetzt in der Pandemie.

Steiger:
Und wenn man es erst mal probiert – dann geht mehr, als man denkt. Das hab ich selber nicht bloß einmal erlebt. Wir wünschen Ihnen und uns fürs Neue Jahr Gottes Segen.

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26DEZ2020
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Die Krippe im Stollen. Mein Weihnachtsbild. Mit dem Kind im dunklen Stollen von dem Licht ausgeht. Gemalt von einem alten Mann.

Es war vor Jahren. An Weihnachten. Ich besuchte einen alten Mann.

Mit schwacher Stimme begrüßte er mich vom Pflegebett aus. Sein Zimmer war von Kerzen erhellt und sein Gesicht leuchtete in ihrem Licht.

Was er mir alles erzählte aus seinem Leben! Von den Schrecken des Krieges. Der Angst damals, die er als junger Mann hatte. Beim Bombenangriff im dunklen Grubenstollen. Aber auch von der Liebe zu seiner Frau. Und so dankbar sei er, wenn er an seine drei Kinder denkt und was aus ihnen geworden ist.

Seine Augen fingen zu leuchten an, als er mir dann von seiner großen Leidenschaft erzählte. Das Schnitzen und Malen. Das hat ihn beschäftigt. Fast sein ganzes Leben. Viele Kunstwerke hat er geschaffen. Darauf ist er stolz.

Eines seiner Bilder hat er mir damals geschenkt. Es ist ein Weihnachtsbild. Den Stall hat er nicht gemalt. Sein Jesuskind liegt in einem dunklen Stollen. In Erinnerung an seine traumatischen Erfahrungen im Krieg.

Die einzige Lichtquelle geht vom Kind aus. Es sei schwierig gewesen dashinzubekommen, meinte er. Und er fügte an: Dieser Jesus ist mir Licht in allem Dunkel. Bis heute.

Es ist ihm gelungen das hinzubekommen. So dunkel der Stollen auch ist: das Licht, das vom Kind ausgeht hat Kraft. Maria und Joseph, zwei Hirten, ein Hirtenhund und zwei Schafe sind eingehüllt in den Goldglanz seines Lichtes.

Der alte Mann und sein tiefes Vertrauen, dass dieser Jesus seine Dunkelheit erhellen kann. Selbst in seinem nahen Tod setzt er noch auf ihn. Ihm und seinem Gott hat er die Treue gehalten.

Sein ganzes Leben lang. In seinen Ängsten als junger Mann im Krieg. Und jetzt noch am Ende seines Lebens.

Er hat gemalt, was ihn in seinem Leben getragen hat.

In der Weihnachtszeit hat sein Bild in meiner Wohnung einen besonderen Platz. Es ist meine Weihnachtskrippe.

Musik

Mein Weihnachtsbild. Mit dem Kind im dunklen Stollen von dem Licht ausgeht. Gemalt von einem alten Mann.

In der Dunkelheit dem Licht trauen. Wie kann das gut gehen?

Gott vertrauen. Wenn ich krank bin. Jetzt in Pandemiezeiten. In den persönlichen Krisen meines Lebens. Selbst noch im Angesicht des Todes.

Heute wird der Gedenktag des heiligen Stephanus gefeiert. Seine Geschichte aus der Bibel, passt ganz und gar nicht in die Festtagsstimmung von Weihnachten.

Kaum sind die Sätze vom Licht, das vom Kind ausgeht, vom Gesang der Engel und den erwartungsvollen Hirten verklungen, wird heute von Verfolgung, Gericht und dem gewaltsamen Tod des Stephanus berichtet.

Der war unerschrocken und redegewandt. Jesus war sein und alles. Ganz Jerusalem war von Stephanus begeistert. Er brannte für seinen Glauben an Gott.

Doch einige Gelehrte suchten Streit mit ihm. Argumentativ waren sie schwach. Ihre Hetzkampagnen und die über ihn verbreiteten Fake News brachten ihn vor das Gericht. Dort hielt er die Rede seines Lebens. Was dann folgt ist nur grausam. Sie treiben ihn die Stadt hinaus und bewerfen ihn mit Steinen. Bis er verblutet. Doch selbst noch in seinem brutalen Sterben vertraut er sich Jesus und seinem Gott an.  

An den beiden Weihnachtsfeiertagen werden wir mit beidem konfrontiert. Mit der Geburt eines Kindes und der brutalen Steinigung des Stephanus.

Es sind Realitäten unseres Lebens. Geburt und Tod. Friede und Gewalt. Gute Zeiten und schlechte Zeiten. Gnadenlos begegnen wir all dem oft gleichzeitig.

Wer sich auf Jesus und seinen Gott einlässt, wird nicht verschont vom Dunkel dieser Welt.

Der alte Mann, der mir sein Weihnachtsbild vor Jahren schenkte hat mit seinem dunklen Stollen angedeutet, was ja auch Jesus nicht erspart blieb. Seine Geburt in einfachen Verhältnissen, die Flucht der jungen Familie mit dem Kind, sein Kreuzweg und brutales Sterben.

Ich schaue auf mein Bild. Auf die Krippe. Das Kind im Licht.

Mittendrin im finsteren Stollen.

Jesus hat in seinem Leben viel Dunkelheit erlebt. Trotzdem hat er Gott  vertraut.     

Er hat dem Licht mehr getraut, als allem Dunkel.

So wie der alte Mann. So wie Stephanus.

Wir feiern an Weihnachten, dass Gott sich bedingungslos an unsere Seite stellt.

Der frühere Bischof des Bistums Limburg, Franz Kamphaus, hat den Sinn von Weihnachten einmal so zusammengefasst:

Mach’s wie Gott, werde Mensch.

Mensch werden. Wie Gott.

Wenn ich auf dieses Kind im Licht schaue, verpflichte ich mich zur Menschlichkeit.

Zur Solidarität in Krisenzeiten. In der Krankheit.

Zum Engagement für Menschen auf den Schattenseiten des Lebens.

Immer in der Sorge für eine Welt, die Zukunft hat für unsere Kinder und Enkel.

Ich wünsche Ihnen einen schönen zweiten Weihnachtsfeiertag.

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01NOV2020
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Heilig. Heiligkeit. Es legt sich nahe, heute an Aller-Heiligen darüber zu sprechen. Was das bedeutet: heilig zu sein, heiligmäßig zu leben. Aber dann beschleicht mich gleich der Verdacht, das könnte ein ziemliches „Luxusproblem“ sein. Für das sich allenfalls Theologen interessieren, oder Katholiken, die regelmäßig in die Kirche gehen. Es gibt doch weiß Gott wichtigere Themen, mit denen ich mich in meiner kostbaren Sendezeit hier auseinandersetzen könnte: Wo Christen einen guten Beitrag für die Allgemeinheit leisten können. Was wir ändern müssen, damit unser Leben mehr dem Evangelium entspricht. Wie wir für andere ein gutes Vorbild werden, indem wir die Gebote befolgen. Und bestimmt nicht zuletzt, wie wir als Gesellschaft gut durch diese schwierige Corona-Zeit kommen.

Für mich hat die Frage nach der Heiligkeit allerdings sehr viel mit dem allen zu tun. Denn heilig zu sein, verbindet mit Gott. Eigentlich ist es ausschließlich Gott, auf den dieses Wort zutrifft. Von ihm fällt allenfalls ein bisschen Glanz ab auf uns. Sozusagen ein Strahl seiner Heiligkeit, den wir dann bei diesem oder jenem Menschen sehen können.  Wer davon etwas ausstrahlt, der ist auf dem Weg, ein glücklicher Mensch zu werden. Nicht im Handumdrehen und nicht vollständig. Aber wer von sich sagen kann: „Mir ist etwas heilig“, und wer sich darum kümmert, wer dieses Heilige pflegt, dem wird das gut tun. Und es wird ihm in seinem Leben besser gehen, als so manchem, der dafür keinen Blick hat.

Das Lachen eines Menschen, das ist für mich so eine heilige Sache. Wenn ich auf dem Gesicht eines anderen sehen kann, dass er sich von ganzem Herzen über etwas freut. Das kann ein Geschenk sein, oder eine Begegnung mit jemandem, es kann ein Glücksgefühl sein, dass ihn überkommt oder einfach der sichtbare Ausdruck: „Ich bin im Moment zufrieden.“ Wenn ich sehe, wie jemand lacht, dann richtet mich das regelrecht im Inneren auf. Und ganz oft reagiere ich unwillkürlich mit einem eigenen Lachen. Auf diese Weise verbindet das Lachen zwei Personen. Es bringt zum Ausdruck, was den Menschen groß macht, schön, erhaben. Und weil ich darin auch eine Verbindung zu Gott erkenne, nenne ich das: heilig. Im Mittelalter gab es einen Streit darüber, ob Jesus gelacht hat. Die einen waren der Meinung: Das kann nicht sein. Der Sohn Gottes lacht nicht; das ist sozusagen unter seiner Würde. Die Gegenpartei war der Auffassung: Oh ja, wer so gedacht und gelebt hat wie Jesus, der hatte bestimmt viele Gelegenheiten, um froh und glücklich zu sein. Das ist auch meine Meinung. Jesus hat gelacht. Wenn einer, dann er. Weil er ganz Mensch war. Weil sich in seinem Lachen etwas von der Heiligkeit gezeigt hat, die ihm eigen war.

An einem Text aus der Bibel kann man das besonders gut zeigen. Davon gleich mehr nach der Musik. 

Woran kann man erkennen, dass ein Mensch heilig ist, dass sich an ihm etwas von dem Glanz zeigt, der von Gott kommt? Mit dieser Frage beschäftige ich mich heute an Allerheiligen in den SWR4-Feiertagsgedanken. Und mir kommt dabei eine Bibelstelle zu Hilfe: Die Seligpreisungen, die Jesus einer Predigt voranstellt. Sie sind so etwas wie die Voraussetzung, dass ein Mensch etwas zum Lachen hat, dass er in seinem Leben das Glück findet. In mehreren Schritten buchstabiert Jesus dort, was einen Menschen heilig macht, was ihn zugleich menschlich sein lässt und mit Gott in Verbindung bringt.

Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich. Das Wort selig kann getrost durch heilig ersetzt werden oder auch durch glücklich. Alle drei Worte meinen das Gleiche. Hier, im ersten Schritt, dass es keine Schande ist, arm zu sein. Im Gegenteil: Wer nicht mehr sein will, als er ist, wer mit sich und anderen ehrlich umgeht, ja, wer weiß, dass er, sobald es drauf ankommt, immer nackt vor Gott dasteht und auch gar keine Verkleidung braucht, der kann glücklich sein. Automatisch, ohne dafür etwas tun zu müssen. So sieht man das Heilige an ihm.

So auch im zweiten Satz: Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Mit Trauer verbinden die meisten Menschen etwas Schlechtes, etwas das man sich lieber vom Leib halten will. Ganz anders Jesus. Für ihn macht es den Menschen heilig, wenn er mit dem umzugehen versteht, was das Leben dunkel macht; mit dem Tod, mit schwerer Krankheit, mit all den Problemen, die das Leben so bringen kann. So ist diese Welt. So ist das Leben des Menschen. Was traurig macht, gehört dazu. Es ist weder schlecht noch falsch. Wer trauert, weiß, was ihm wehtut und fehlt. Und er streckt seine Hände aus nach Rettung und Hilfe, und in letzter Konsequenz nach Gott. So entsteht eine heilige Begegnung.

Die Seligpreisungen halten noch weitere Wege bereit, wie man glücklich durchs Leben kommt. Sie lassen sich ohne weiteres auch auf die gegenwärtigen Einschränkungen der Corona-Zeitanwenden. Denn gerade jetzt brauchen wir doch Lichtblicke. Und die entstehen überall dort, wo man etwas von Gottes Heiligkeit auf einem menschlichen Gesicht sieht - sichtbar nicht zuletzt, wenn einer lächelt oder gar lacht: weil einer barmherzig reagiert, weil es sanftmütig zugeht, weil Frieden geschaffen wird. Das gibt es nämlich immer auch - neben allem, was uns das Leben schwer macht.

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03OKT2020
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30 Jahre deutsche Einheit wird heute gefeiert. Zentral in Potsdam und sicher auch anderswo. Die Menschen schauen zurück auf diese dreißig Jahre. Die Freude am Anfang, als die Mauer aufging. Die Freude derer, die endlich reisen konnten und sagen, was sie sagen wollten. Die Fehler, die gemacht wurden: die Treuhandanstalt. Die Abwicklung so vieler Betriebe in der ehemaligen DDR. Die Abwanderung der Menschen von dort, der Arbeit im Westen hinterher. Die wachsende Unzufriedenheit hier wie dort. Es war zu wenig, was man für uns getan hat, sagen die einen. Die Einheit kostet viel Geld und trotzdem sind die Menschen unzufrieden, sagen die anderen. „Jammer-Ossis“ und „Besser-Wessis“ waren und sind pauschale Schimpfworte. Immer noch.

30 Jahre deutsche Einheit. Sicher wird auch wieder zurückgeschaut darauf, wie das damals gekommen ist: Die Friedensgebete in Leipzig, Halle und anderswo haben maßgeblich dazu beigetragen. Zuerst haben Tausende in den Kirchen um Frieden gebetet und um Freiheit. Dann haben sie Mut gefasst und auf den Straßen für Freiheit und Demokratie demonstriert. Und viele haben sich angeschlossen. Im November 1989 waren es allein in Leipzig 150.000, die gerufen haben „Wir sind das Volk“ und dann auch „Wir sind ein Volk“.

Viele haben sich rausgetraut und Verbesserungen gefordert. Mich erinnert das an eine Geschichte, die von Jesus erzählt wurde. Da waren es nicht Tausende, aber immerhin zehn Männer, die ihn gebeten haben: „Hilf uns doch“. Die Männer waren schwer und ansteckend krank, mussten in Quarantäne leben, weit weg von den Gesunden. Weit weg von ihren Familien. Sie bitten Jesus und der ermutigt sie: „Geht zu den Hohepriestern“.  Also: „Zeigt euch. Versteckt euch nicht länger mir Eurem Leiden. Zeigt, was ihr braucht und was ihr wollt.“ Da gehen die 10 kranken Männer los. Sie trauen sich. Gehen auf die Straße, wo sie sich sonst nicht sehen lassen durften. Jetzt können alle sie sehen. Können wahrnehmen, wie es ihnen geht. Und noch während sie unterwegs sind, werden die Männer gesund!

Ein Wunder war das, erzählt die Bibel. Aber könnte man nicht auch sagen: Wenn man sich traut, wenn man sich zeigt mit seinem Leiden und seinen Bedürfnissen, dann findet man Hilfe? Wahrscheinlich nicht immer. Viele beten und bitten und nichts geschieht. Und Demonstrierende werden manchmal auch verhaftet und eingesperrt oder aus dem Land geschafft.

Damals aber, bei den 10 kranken Männern wurde es gut. Und für die Demonstrierenden in Leipzig und in den anderen Städten auch Das DDR-System war am Ende. Die Mauer zwischen Ost und West wurde niedergerissen. Und heute feiern wir 30 Jahre deutsche Einheit.

 

Und jetzt? 30 Jahre danach? Müssten die Beter und die Demonstrierenden von damals heute nicht singen: „Nun danket alle Gott!“ und statt Friedensgebete abzuhalten, Dankgottesdienste feiern? Auf die Idee allerdings kommt kaum jemand. Nicht im Osten und nicht im Westen. Die meisten würden sich wohl dagegen verwahren, die deutsche Einheit irgendwie mit Gott in Verbindung zu bringen.

Gewiss, der Glaube ist nicht dazu da, die Verhältnisse im Land heilig zu sprechen. Aber dass es den Menschen gut geht, dass sie frei und befreit leben können, dafür will Gott sorgen. „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch eure Last abnehmen.“ Das hat Jesus versprochen. Dazu muss man sagen, was nicht in Ordnung ist. Den Menschen geht es immer nur dann gut, wenn es dem ganzen Land gut geht. Deshalb beten Christen um Frieden und Gerechtigkeit – heute wie damals.

Die Bibel erzählt, wie Jesus zu seiner Zeit zehn kranken Männern geholfen hat. Aber nur einer kam zurück und hat sich bedankt. Und die anderen? Wahrscheinlich haben die versucht nachzuholen, wozu sie vorher keine Gelegenheit hatten. Vielleicht waren sie sauer, weil sie soviel im Leben verpasst haben? Warum hatte Gott ihnen das zugemutet, diese vielen Jahre. Und steht ihnen jetzt nicht ein Ausgleich zu – müsste jetzt nicht viel mehr für sie getan werden? Die neun gesund gewordenen haben offensichtlich keinen Grund gesehen, sich zu bedanken.

Nur der eine, der Zehnte, der bedankt sich. Ist glücklich über das, was er bekommen hat. Freiheit. Neue Lebensmöglichkeiten. Er fühlt sich beschenkt. Gesegnet vielleicht. Und Jesus sagt zu ihm: „Dein Glaube hat dir geholfen!“.

Was das heißen soll? Vielleicht: Wer dankbar ist, muss auch erst einmal zurechtkommen mit dem, was sich verändert hat. Das ist nicht einfach. Aber wer dankbar ist, der ist nicht unzufrieden. Unzufriedenheit lähmt.

Natürlich kann und muss man sagen, was nicht gut läuft und was besser werden könnte. Aber wer dankbar ist, nörgelt nicht herum. Der sagt nicht: Ich wusste es ja, das ganze Leben ist ungerecht. Und ich kann sowieso nichts machen. Wo Menschen dankbar sind, da ist die Stimmung besser. Da sieht man, was geschafft ist und besser geworden. Da sieht man, dass es besser werden kann. Dass man etwas tun kann. Vielleicht auch, dass Gott helfen kann, wenn man ihn bittet. Dankbarkeit motiviert zum Leben. Ich finde, wir haben allen Grund, dankbar zu sein für unser Land.

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11JUN2020
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An Fronleichnam macht sogar Gott einen Ausflug. So, wie viele an diesem Tag unterwegs sein werden, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Hoffentlich ist das Wetter überall so schön und sommerlich, wie es dafür sein sollte.

In katholischen Gegenden kann man neben den Wanderern und Radfahrern auch Gott dabei beobachten, wie er unterwegs ist. Damit alle aufmerksam werden, tragen die Priester die goldene Monstranz mit dem Abendmahlsbrot durch die Straßen. Vom Abendmahlsbrot hatte Jesus, der Gottessohn, ja gesagt: Das ist mein Leib. Wer also das Abendmahlsbrot durch die Straßen und über die Felder trägt, der trägt Gott selbst ins Freie – jedenfalls symbolisch.

Und Gott ist nicht allein unterwegs. Normalerweise jedenfalls. In diesem Jahr dürfen ihn wegen Corona allerdings nur höchstens 100 Menschen begleiten. Da werden sich die Gemeinden vielleicht etwas Neues überlegt haben. „In normalen“ Jahren aber wird Gott von vielen in einer prächtigen Prozession begleitet. Priester und MinistrantInnen tragen ihre schönsten Gewänder, meistens wird ein goldener Baldachin über der Monstranz getragen. Die Menschen haben ihre Sonntagskleider angezogen, Musik ist dabei, ein Posaunenchor oder der Musikverein, die Gläubigen singen. Häuser und Gärten an den Straßen sind geschmückt. Zuschauer stehen da und manche schwenken Fähnchen. Gott soll sehen, wie schön die Welt im Frühsommer ist und wie fröhlich die Menschen sind. Er hat die Welt geschaffen, glauben wir Christen alle. Und wenn man sie herausputzt und gut pflegt, dann kann man viel besser erkennen, wie gut er sie geschaffen hat. ‚Danke, Gott, dass Du es so gut mit uns meinst‘. Dieses Gefühl stellt sich ein, bei so einer Prozession an Fronleichnam – auch wenn ich als evangelische Pfarrerin nur am Straßenrand zuschaue.

Ich bin sicher, Gott sieht, wieviel Mühe sich die Menschen an diesem Tag geben, um die Welt so schön wie möglich zu machen. Aber ich glaube, man kann Gott nichts vormachen. Er sieht auch den Kummer. Er sieht die Einsamkeit vieler in diesen Zeiten, in denen man Abstand halten muss. Er sieht, wie einsam sich manche fühlen. Er sieht die Sorgen, die viele haben, weil sie nicht wissen, wie sie aus dieser Krise wieder herauskommen sollen.

Gott sieht das alles auch, glaube ich. Und deshalb ist es gut, wenn auch wir Menschen genau hinschauen. Sicher, für manche fühlt sich diese Zeit ein bisschen wie Urlaub an. Entschleunigt und weniger Stress. Aber es gibt so viele, die Hilfe brauchen. Gerade an so schönen Tagen wie heute sollten wir deshalb fragen: Wem können wir wie helfen? Damit die Menschen merken, dass Gott wirklich mitten unter uns ist und keinen übersieht.

Es gab eine Zeit, da war Gott sichtbar unter seinen Menschen. Persönlich sozusagen. Damals als Jesus unterwegs war. Von ihm hat Gott gesagt: „Dies ist mein lieber Sohn!“. Und Jesus hat das bestätigt: „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“

Sein Gefolge waren die Jünger und Jüngerinnen, die mit ihm durchs Land gezogen sind. Dieses Gefolge war sicher nicht so prächtig, wie es normalerweise die Fronleichnamsprozessionen sind. Aber beeindruckend und Aufsehen erregend war es anscheinend trotzdem.

Jesus hat gezeigt, wie Gott ist. Aber ganz anders, als die Menschen sich das vorgestellt haben. Nicht himmelhoch und allmächtig, sondern ganz nah bei den Menschen. Einer von ihnen eben. So konnte er auf seinem Weg die Welt sehen, wie sie ist: Nicht immer aufgeräumt und mit Blumen geschmückt, sondern oft auch sehr alltäglich, mit Kummer und Sorgen und Leid.

Jesus hat gesehen, was los war mit den Menschen. Und er hat Wege gefunden, ihnen zu helfen. Ein Fischer namens Simon zum Beispiel, der ganz verzagt war, weil er nicht mehr genug fangen und deshalb nicht mehr genug verdienen konnte für seine Familie. Dem hat er geraten: Probier es anders. Probier etwas Neues. Auch wenn du zuerst meinst, so kann das nicht gehen. Versuch es! Und als Simon es versucht, da hat er einen großen Fang gemacht.

Oder die Frau, die ganz krumm geworden war im Laufe ihres Lebens. Wer weiß, welche Lasten sie getragen hatte. Jetzt war sie verzagt und mutlos und sah nur noch sich selbst und wie nutzlos sie war. So sehr war sie gebeugt. Keiner hat sich mehr um sie gekümmert. Aber Jesus hat sie gesehen. Und er hat sie angesprochen. Da konnte sie sich wieder aufrichten. Aufschauen. Dass Leben sehen, das noch vor ihr lag. Es gab noch Möglichkeiten, auch für sie.

Durch Jesus hat Gott sich den Menschen zugewendet – so, dass sie es sehen, hören und spüren konnten. Und Jesus hat seine Jüngerinnen und Jünger ausgeschickt, dass sie es genauso machen: dass sie sehen, wer Hilfe braucht. Dass sie den Menschen zuhören, ihre Sorgen begreifen. Und helfen, wo es möglich ist. Dass sie auch sehen, wo die Natur Hilfe braucht, damit sie schön bleiben kann.

Ich glaube, so ist Gott auch heute noch unterwegs. Mit und in allen, die aus seinem Geist leben. Man kann ihn allerdings nicht sehen. Aber wahrnehmen kann man ihn schon, wenn Menschen einander beistehen und einander das Leben leichter machen.

Gott ist unterwegs in seiner Welt. Auch heute. Gut, dass uns die Fronleichnamsprozessionen daran erinnern.

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01JUN2020
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Erde, gemahlenen Ton und eine Saatmischung mit dem vollmundigen Namen „Bienen- und Hummelmagnet“. Das habe ich neulich mit Wasser vermischt und zu Kugeln geformt. Dazu habe ich mich mit einer Bekannten auf dem Balkon getroffen. Wir haben uns erzählt, was in den letzten Wochen so bei uns los war. Nebenher haben wir diese Samenkugeln gemacht.

Die meisten Kugeln haben wir verschenkt. Sie wurden am Wegrand abgelegt oder in einen Blumentopf gepflanzt. Man sieht schon die ersten grünen Triebe. Und hoffentlich sind es bald schöne Sommerblumen, die Menschen und vor allem den Bienen Freude machen. Wie wir darauf gekommen sind? Nun, weil es ums Säen und Ernten oft auch in der Bibel geht. Zum Beispiel in einem Reise-Lied für den Weg hinauf zum Tempel nach Jerusalem.

Es fängt so an:
Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. 2 Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Da wird man sagen unter den Völkern: Der HERR hat Großes an ihnen getan! 3 Der HERR hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich. 4 HERR, bringe zurück unsre Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland. 5 Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. 6 Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Das Lied ist ein Lied der Befreiung aus einer Krise. Denn die, die da singen, waren zuvor Gefangene im Nachbarland. Endlich sind sie wieder zuhause. Die jahrelange Sehnsucht nach der Heimat und ihrem religiösen Zentrum ist nun gestillt.

Ich finde, es ist ein gutes Lied für die Krisenzeit. In einer Krise fühle ich mich momentan auch, obwohl ich ja nicht wirklich gefangen bin. Doch irgendwie bin ich entfremdet von meinem normalen Leben und ich würde gerne in das Gewohnte zurückkehren.

Am Anfang war es vielleicht noch spannend in der Fremde. Ich hatte viele freie Abende. Auch mein Sohn hat sich gefreut. Doch nun höre ich täglich zu Hause: „Ich will wieder in die Schule.“

Ich hätte nie gedacht, dass mir dieser Satz einmal zu Ohren kommen würde. Manche haben endlich mal Zeit gehabt, das zu tun, was sie schon länger vor sich hergeschoben haben, Zeit um beispielsweise den Keller oder den Dachboden auszumisten. Die Müllabfuhr ist kaum hinterhergekommen, den Sperrmüll einzusammeln. Doch auch wenn manches ums Haus noch zu erledigen wäre, sehnen sich viele nach Normalität, nach ihrer ganz gewöhnlichen Routine. Noch braucht es Geduld. Und da hilft mir dieses Reiselied nach überstandener Krise aus der Bibel.

Das Leben fühlt sich für viele gerade ein wenig nach Exil an, so, als ob man aus dem gewohnten Leben herausgerissen wäre. Ich bin auf ein Lied in der Bibel gestoßen, das nach dem Exil geschrieben wurde. Und darin sind zwei Dinge, die mir im Moment helfen.

Zum einen ist da ein dankbarer Rückblick. Ich weiß, dass bei uns längst noch nicht alles beim Alten ist. Doch ich finde es eine gute Idee, bereits jetzt zurückzuschauen und zu überlegen, wo habe ich Gutes bekommen? In dem Lied aus der Bibel heißt es: Der Herr hat Großes an ihnen getan. Vor Corona hat es schon „manch Großes“ in meinem Leben gegeben: Unbeschwerte Sommer- und Geburtstagsfeste und Urlaube, die mir in guter Erinnerung geblieben sind. Diesen Reichtum rufe ich mir gerade immer wieder ins Gedächtnis. Ich zehre davon und die Erinnerungen geben mir Hoffnung, dass es in der Zukunft wieder so schöne Lichtblicke gibt.

Das zweite, das ich hilfreich finde, ist der aufmerksame Blick auf das Gute im Hier und Jetzt.
Ich finde das besonders wichtig, denn die unangenehmen Erlebnisse, die drängen sich allzu gerne in den Vordergrund oder auch die Schönen, die abgesagt werden mussten. Aber wenn ich abends auf den Tag zurückblicke, stelle ich regelmäßig fest: Ich habe trotzdem auch Gutes an dem Tag erlebt. Doch es hat diesen aufmerksamen Blick, dieses kurze Nachdenken am Abend gebraucht, damit ich mich erinnert habe. Als Hilfestellung habe ich seit einem Monat eine „Dankbarkeits-App“ auf dem Handy. Da kann ich für jeden Tag ein paar Gedanken eintragen. Und tatsächlich ist mir an fast jedem Tag etwas eingefallen, für das ich Gott danke.

Es kann eben beides gleichzeitig geben: fröhlich sein und klagen, sich sorgen und feiern.
Das Krisenlied in der Bibel verharmlost nichts. Da ist von Tränen die Rede, die das Säen begleiten. Und manche haben gerade allen Grund, Tränen zu vergießen. Ich hoffe und bete darum, dass diese Tränen der Samen für Freude werden. So, wie die Leute auch damals erlebt haben: Es ist nicht für immer. Genauso werden auch wir wieder die Freiheit erleben, dass wir einander unbeschwert nahekommen und mit voller Stimme singen und tanzen können. Davon bin ich überzeugt.

Viele Menschen vor uns haben genau das schon erlebt: 5 Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. 6 Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Daran will ich denken, wenn ich nach den Samenkugeln Ausschau halte, die ich ausgestreut habe. Für die Bienen wächst auf diese Weise Gutes und ich hoffe, dass aus der momentanen Zeit ebenfalls etwas Gutes erwächst. Gegen alle Enge, Angst und Scharfmacher. Ich traue darauf, dass wir mit Freuden ernten werden.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Feiertag

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Ich begehe dieses Jahr den heutigen Maifeiertag anders als sonst. Letztes Jahr hatte ich morgens einen Zeltgottesdienst mit Blaskapelle. Dieses Jahr ist kein Gottesdienst – weder im Zelt noch in der Kirche.  Dennoch hat dieser Maifeiertag eine doppelte Botschaft für mich: zum Einen geht es um die Arbeit, zum andern um die Natur. 

Die katholische Kirche denkt heute an Josef, den Vater Jesu. Er ist der Patron der Arbeiter, war er doch selbst Handwerker. Wir leben heute weitgehend von der Großindustrie. Aber wie oft brauchen wir einen Handwerker für eine kleine Reparatur? Nicht umsonst sagt man: 'Handwerk hat goldenen Boden.“ Es scheint ein guter und sicherer Beruf zu sein. Aber viele klagen heute darüber und sagen: “Ich finde keinen Handwerker, der am Haus etwas repariert.“ Vielleicht haben wir die Dienste des Handwerkers zu wenig geschätzt. Wir sind zu sehr eine Wegwerfgesellschaft geworden: Wozu reparieren? Wirf es weg und kauf ein neues! Ich meine, das ist keine gute Entwicklung. Sie hat auch mitgeholfen, die Arbeit des Handwerkers gering zu schätzen – abgesehen davon, dass die Industrie oft besser bezahlt.

Das Recht auf Arbeit ist wichtig, denn Arbeit ist nicht selbstverständlich. Als ich Pfarrer im argentinischen Busch war, hat mich anfangs sehr erstaunt, wie viele dort nur Gelegenheitsarbeiter waren. Sie hatten keine feste Anstellung und waren immer wieder auf der Suche nach neuer Arbeit. Arbeitslosengeld gab es auch keines. Da habe ich unsere wirtschaftliche Situation hier im Land neu schätzen gelernt.

Beim Recht auf Arbeit denke ich auch daran, wie wichtig es ist, Arbeit zu teilen. Jeder Mensch hat das Recht, sich durch Arbeit zu verwirklichen. Wo dies nicht der Fall ist, müssen alle zusammenstehen. Sie müssen auch bereit sein, Arbeit abzugeben, so dass alle sich durch ihre Arbeit verwirklichen können. Jobsharing ist ja zum Glück ein wichtiges ethisches Prinzip geworden. Es wäre schön, wenn dies auch weltweit greifen würde.

Skandalös finde ich dagegen, dass manche Produkte bei uns deshalb so billig sind, weil sie von Kindern in anderen Ländern gemacht wurden. Wir unterstützen dadurch ein System, in dem Kinder um ihre Kindheit und Jugend gebracht werden.

Teil2

Ich spreche heute in den SWR 4-Feiertagsgedanken über die Bedeutung des Maifeiertages. Er richtet unseren Blick nicht nur auf die Arbeit, sondern auch auf die Natur. Viele müssen heute auf den gewohnten Maispaziergang in der Gruppe verzichten.  Ich hab in diesem Frühling täglich einen kleinen Spaziergang ins Grüne gemacht. Corona hat mir ja freie Zeit geschenkt. Dabei hab ich gespürt, welch vielfältige Kraft in der Natur steckt.

Sträucher und Bäume blühen natürlich immer im Frühling. Aber dieses Jahr hab ich das Erwachen der Natur bewusster wahrgenommen. Ich hab aber auch daran gedacht, was Papst Franziskus in seinem Rundschreiben „Laudato si“ angesprochen hat. Die Natur stöhnt unter den Folgen des Klimawandels und der Ausbeutung. Jetzt in der Coronazeit hab ich den Eindruck: Die Natur atmet auf. Sie erholt sich vom drohenden Kollaps und sammelt neue Kräfte. 

Freilich: Wenn die Coronazeit hoffentlich bald endet, geht dann alles wieder so weiter wie bisher oder werden wir doch achtsamer mit der Natur umgehen? Sie ist ja die Grundlage unseres Lebens, und wenn wir sie missbrauchen, leiden wir eines Tages selbst.

Viele haben in der letzten Zeit das Wort „Entschleunigung“ gebraucht. Es ist der Gegenpol zum Infarkt. Ich hoffe, dass der Impuls, die Natur mehr zu achten, nicht ungehört verhallt. Ich hoffe auch, dass unsere Art zu wirtschaften sich ändert.

Solange wir nur ans Habenwollen, ans Besitzen, ans Herausholen auf Teufel komm raus denken, werden wir bald wieder im alten Trott sein und die Natur ausbeuten. Ich nehme zum Einkaufen meine Stofftasche mit und kaufe möglichst Waren, die offen sind und nicht plastikverpackt. Das machen viele andere auch – Gott sei Dank!

Ich schwärme nicht von einem romantischen „Zurück zur Natur“. Aber ich plädiere deutlich für ein „Mit der Natur“. Ob wir damit Erfolg haben, hängt von uns allen ab; es hängt von unserer Wirtschaft ab, von unserer Politik. Der Egoismus zerstört am Ende uns selbst. Wenn wir untereinander weltweit solidarisch werden, auch mit der Natur, dann wird der Maifeiertag zu einem guten Impuls für uns.

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Vor einigen Wochen war ich mit jungen Menschen zusammen, um mit ihnen ihre Hochzeit vorzubereiten. Das war noch vor der schrecklichen Pandemie, die uns jetzt zwingt, zuhause zu bleiben und die so viele Menschen bedroht und in Angst und Sorgen versetzt. Bei unserem Treffen haben wir miteinander ein Bild angeschaut. Es hat auf den ersten Blick nichts mit Hochzeit zu tun. Sein Titel: Gang nach Emmaus. 

Das Bild zeigt ein biblisches Motiv, das mich in diesen Tagen besonders berührt. Zwei Menschen gehen, oder besser gesagt, schleppen sich auf ihrem Weg. Sie tragen eine schwere Last. Sie mussten miterleben, wie ihre große Hoffnung an einem Kreuz zunichte gemacht wurde. Sie hatten ganz auf Jesus gesetzt und geglaubt, dass er der so lang ersehnte Retter sei. Und nun dieses Ende. 

Und während sie so mit schweren Herzen unterwegs sind, begegnet ihnen ein Mann, der sich ihrem Weg anschließt und mit ihnen ins Gespräch kommt. Genau dieser Augenblick wird auf dem Bild dargestellt. Wir sehen neben den beiden einen Unbekannten, der nur ganz leicht in seinen Umrissen angedeutet wird. Einer der dabei ist und doch nicht erkannt wird. Einer, der sich zuwendet und doch eigenartig fremd bleibt.  Aber sie gehen in die gleiche Richtung und einer der beiden Jünger versucht ganz zaghaft seine Hand auf die Schulter des Unbekannten zu legen. Als möchte er sagen: „Bleib doch bei uns, es ist gut dass wir jetzt nicht allein sind“. Und der Unbekannte lässt diese Berührung geschehen und scheint den beiden anderen noch intensiver zuzuhören. 

Es ist trotz der dunklen Gewänder, in die die beiden Jünger gehüllt sind, ein hoffnungsvolles Bild. Nicht weil es am Horizont hell zu werden beginnt, sondern weil Menschen miteinander einen Weg gehen, sich gegenseitig tragen und annehmen und weil sie zum Glück  miteinander das teilen können, was ihnen so schwer auf dem Herzen liegt. Einer von den Brautleuten, mit denen ich das Bild angeschaut habe, hat es auf den Punkt gebracht: “Zwei gehen zu dritt“.  

„Zwei gehen zu  dritt“! Ich spreche heute in den SWR 4 Feiertagsgedanken über eine biblische Geschichte, die von einer ganz besonderen Weggemeinschaft erzählt. Zwei gehen zu dritt. Schon unterwegs haben die Jünger gespürt, dass der Unbekannte ein besonderer Mensch sein muss. Die Art wie er zuhört, wie er redet, wie er sich in der Bibel auskennt! Aber erst am Abend, als er mit ihnen das Brot teilt, gehen ihnen die Augen auf. Sie erkennen Jesus, der die ganze Zeit mit ihnen gegangen ist. 

Mich bewegt diese biblische Geschichte in diesen Tagen besonders. Wie alle anderen auch bleibe ich zurzeit in meiner Wohnung, genieße aber die Spaziergänge in den anbrechenden Frühling. Dabei treffe ich viele, die allein oder zu zweit unterwegs sind, und plötzlich scheint möglich, was vorher oft nicht passiert ist. Wir schauen uns an, wir grüßen einander und sprechen ein paar kurze Worte, wenn auch bei gebührendem Abstand; und plötzlich merken wir, wie wir alle in der gleichen Situation sind. Mir tut so eine freundliche Begegnung gut, und ich bin dankbar, dass ich immer wieder ein aufmunterndes Wort gesagt bekomme. 

Die gegenwärtige Krise erzeugt viele Ängste und Sorgen. Sie bewegt aber auch viele Menschen, anderen beizustehen und ihre Hilfe anzubieten. Ich denke an die Jugendlichen, die für andere einkaufen oder an Kinder, die für die Bewohner unserer Pflegeheime einen Ostergruß malen. Besonders beeindrucken mich die vielen Frauen und Männer in den Pflegeheimen und Krankenhäusern oder bei den Rettungsdiensten, die nach wie vor auf dem Posten sind und sich der erkrankten und Pflegebedürftigen annehmen. 

Auch wenn wir dieses Jahr Ostern nicht mit feierlichen Gottesdiensten begehen können, es findet dennoch statt. Womöglich viel handfester als sonst. Die Emmaus Geschichte zeigt es. Wo immer Menschen miteinander ihre Last teilen, wo keiner allein gelassen wird und wir einander zuhören und beieinanderbleiben, dort ereignet sich Ostern, dort erleben wir, was wir sonst in feierlichen Gottesdiensten gesungen hätten: Die Liebe ist stärker als der Tod. Die Liebe, die über alle Grenzen hinweg Menschen zusammenbringt, die Liebe, die nicht nur nach dem eigenen Vorteil fragt und hamstert, was es zu hamstern gibt, die Liebe, die sich nicht zu schade ist, einem anderen beizustehen, auch wenn für einen selbst dabei nichts herausspringt. 

Auf dem Emmaus-Bild, von dem ich vorher gesprochen habe, sieht man die Gestalten nur von hinten. Und man sieht vor allem keine Gesichter. Alle drei könnten Ihr oder mein Gesicht tragen. Es ist unsere Geschichte, egal auf welchen Wegen wir gerade unterwegs sein müssen. Hoffentlich mit einem an unserer Seite, der mitgeht, mitleidet, und ein Stück Brot hat, das er mit uns teilt. Damit auch wir sagen können: „Zwei gehen zu dritt“.

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