SWR4 Feiertagsgedanken

SWR4 Feiertagsgedanken

03OKT2020
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30 Jahre deutsche Einheit wird heute gefeiert. Zentral in Potsdam und sicher auch anderswo. Die Menschen schauen zurück auf diese dreißig Jahre. Die Freude am Anfang, als die Mauer aufging. Die Freude derer, die endlich reisen konnten und sagen, was sie sagen wollten. Die Fehler, die gemacht wurden: die Treuhandanstalt. Die Abwicklung so vieler Betriebe in der ehemaligen DDR. Die Abwanderung der Menschen von dort, der Arbeit im Westen hinterher. Die wachsende Unzufriedenheit hier wie dort. Es war zu wenig, was man für uns getan hat, sagen die einen. Die Einheit kostet viel Geld und trotzdem sind die Menschen unzufrieden, sagen die anderen. „Jammer-Ossis“ und „Besser-Wessis“ waren und sind pauschale Schimpfworte. Immer noch.

30 Jahre deutsche Einheit. Sicher wird auch wieder zurückgeschaut darauf, wie das damals gekommen ist: Die Friedensgebete in Leipzig, Halle und anderswo haben maßgeblich dazu beigetragen. Zuerst haben Tausende in den Kirchen um Frieden gebetet und um Freiheit. Dann haben sie Mut gefasst und auf den Straßen für Freiheit und Demokratie demonstriert. Und viele haben sich angeschlossen. Im November 1989 waren es allein in Leipzig 150.000, die gerufen haben „Wir sind das Volk“ und dann auch „Wir sind ein Volk“.

Viele haben sich rausgetraut und Verbesserungen gefordert. Mich erinnert das an eine Geschichte, die von Jesus erzählt wurde. Da waren es nicht Tausende, aber immerhin zehn Männer, die ihn gebeten haben: „Hilf uns doch“. Die Männer waren schwer und ansteckend krank, mussten in Quarantäne leben, weit weg von den Gesunden. Weit weg von ihren Familien. Sie bitten Jesus und der ermutigt sie: „Geht zu den Hohepriestern“.  Also: „Zeigt euch. Versteckt euch nicht länger mir Eurem Leiden. Zeigt, was ihr braucht und was ihr wollt.“ Da gehen die 10 kranken Männer los. Sie trauen sich. Gehen auf die Straße, wo sie sich sonst nicht sehen lassen durften. Jetzt können alle sie sehen. Können wahrnehmen, wie es ihnen geht. Und noch während sie unterwegs sind, werden die Männer gesund!

Ein Wunder war das, erzählt die Bibel. Aber könnte man nicht auch sagen: Wenn man sich traut, wenn man sich zeigt mit seinem Leiden und seinen Bedürfnissen, dann findet man Hilfe? Wahrscheinlich nicht immer. Viele beten und bitten und nichts geschieht. Und Demonstrierende werden manchmal auch verhaftet und eingesperrt oder aus dem Land geschafft.

Damals aber, bei den 10 kranken Männern wurde es gut. Und für die Demonstrierenden in Leipzig und in den anderen Städten auch Das DDR-System war am Ende. Die Mauer zwischen Ost und West wurde niedergerissen. Und heute feiern wir 30 Jahre deutsche Einheit.

 

Und jetzt? 30 Jahre danach? Müssten die Beter und die Demonstrierenden von damals heute nicht singen: „Nun danket alle Gott!“ und statt Friedensgebete abzuhalten, Dankgottesdienste feiern? Auf die Idee allerdings kommt kaum jemand. Nicht im Osten und nicht im Westen. Die meisten würden sich wohl dagegen verwahren, die deutsche Einheit irgendwie mit Gott in Verbindung zu bringen.

Gewiss, der Glaube ist nicht dazu da, die Verhältnisse im Land heilig zu sprechen. Aber dass es den Menschen gut geht, dass sie frei und befreit leben können, dafür will Gott sorgen. „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch eure Last abnehmen.“ Das hat Jesus versprochen. Dazu muss man sagen, was nicht in Ordnung ist. Den Menschen geht es immer nur dann gut, wenn es dem ganzen Land gut geht. Deshalb beten Christen um Frieden und Gerechtigkeit – heute wie damals.

Die Bibel erzählt, wie Jesus zu seiner Zeit zehn kranken Männern geholfen hat. Aber nur einer kam zurück und hat sich bedankt. Und die anderen? Wahrscheinlich haben die versucht nachzuholen, wozu sie vorher keine Gelegenheit hatten. Vielleicht waren sie sauer, weil sie soviel im Leben verpasst haben? Warum hatte Gott ihnen das zugemutet, diese vielen Jahre. Und steht ihnen jetzt nicht ein Ausgleich zu – müsste jetzt nicht viel mehr für sie getan werden? Die neun gesund gewordenen haben offensichtlich keinen Grund gesehen, sich zu bedanken.

Nur der eine, der Zehnte, der bedankt sich. Ist glücklich über das, was er bekommen hat. Freiheit. Neue Lebensmöglichkeiten. Er fühlt sich beschenkt. Gesegnet vielleicht. Und Jesus sagt zu ihm: „Dein Glaube hat dir geholfen!“.

Was das heißen soll? Vielleicht: Wer dankbar ist, muss auch erst einmal zurechtkommen mit dem, was sich verändert hat. Das ist nicht einfach. Aber wer dankbar ist, der ist nicht unzufrieden. Unzufriedenheit lähmt.

Natürlich kann und muss man sagen, was nicht gut läuft und was besser werden könnte. Aber wer dankbar ist, nörgelt nicht herum. Der sagt nicht: Ich wusste es ja, das ganze Leben ist ungerecht. Und ich kann sowieso nichts machen. Wo Menschen dankbar sind, da ist die Stimmung besser. Da sieht man, was geschafft ist und besser geworden. Da sieht man, dass es besser werden kann. Dass man etwas tun kann. Vielleicht auch, dass Gott helfen kann, wenn man ihn bittet. Dankbarkeit motiviert zum Leben. Ich finde, wir haben allen Grund, dankbar zu sein für unser Land.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31774
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