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28JUN2024
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Vor wenigen Wochen ist eine langjährige Wegbegleiterin von mir verstorben. 95 Jahre alt ist sie geworden. Was für ein gesegnetes Alter! Ich hatte sie als Schülerin in der Kirche kennengelernt. Auch nach ihrem Ruhestand und meinem Umzug von der Nordsee nach Süddeutschland sind wir durch die Jahrzehnte in Kontakt geblieben. Wenn wir telefoniert haben, hat sie erst einmal zugehört und dann einfach ein paar Fragen gestellt. Sie war keine Frau fürs oberflächliche, ihr ging es um das Wesentliche, um das, was einen im Herzen umtreibt. Sie hat sich mit ihrer Meinung und ihrem Wissen nicht aufgedrängt, ihr ist es darum gegangen, dass ihr Gegenüber eigene Antworten findet.

Nun fehlt sie mir mit ihrer großen Lebenserfahrung als Ratgeberin. Manche Gedanken von ihr sitzen jedoch tief in mir. „Weißt du, manchmal lohnt es sich gar nicht, sich aufzuregen. Der neue Nachbar mit anderen Vorstellungen, die unfreundliche Verkäuferin, Stress auf der Arbeit? Das legt sich alles von selbst. Bleib einfach freundlich, wenn man dir unfreundlich kommt. Fertig.“

Als Jugendliche schien mir diese Haltung ein wenig schräg, Unfreundlichkeit mit Freundlichkeit zu begegnen, aber sie hat recht. Energie und Einsatz braucht es an anderer Stelle, das war für meine Bekannte klar. Als junges Mädchen hatte sie erlebt, wie ihre jüdischen Freundinnen von einem auf den anderen Tag in Königsberg verschwunden waren, später auf der Flucht hat sie Dinge gesehen, die brutal waren. Den Schmerz darüber hat sie bis ins hohe Alter im Herzen bei sich getragen.

„Du musst, wenn Du Dich ärgerst, genau unterscheiden, ob etwas im Grunde albern ist und vorübergeht oder ob eine Grenze überschritten wird, die nicht überschritten werden darf. Frag dich das jedes Mal ganz genau!“ Antisemitismus und Machtgehabe waren für sie solche Grenzen. Wenn die überschritten wurden, war es ihr egal, wer vor ihr stand, auch als sie die 90 schon weit überschritten hatte. Da wurde Klartext gesprochen. „Weißt du, in der Bibel heißt es: ‚Behüte dein Herz mit allem Fleiß, denn aus ihm fließt das Leben‘ – das ist wichtig. Habe dein Herz bei allem, was Du tust, im Blick. Sei klar, was dir wichtig ist und was nicht.“ Ihr Herz hat nun aufgehört zu schlagen, aber, das spüre ich nun ganz genau, mein Herz schlägt weiter für das, was ihr in ihrem langen Leben wichtig geworden war.

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27JUN2024
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„Sind Sie eigentlich auch mal richtig wütend?“, hat mich letzte Woche ein Mann aus meiner Nachbarschaft gefragt. „Ich habe mich gerade furchtbar aufgeregt und will das gar nicht. Sie wirken immer so ruhig.“ Dann haben wir einfach ein wenig miteinander über seine Wut gesprochen. Seine Frage habe ich für mich mitgenommen, um darüber nachzudenken.

Ja, auch ich bin manchmal wütend. Richtig wütend sogar. Aber ich lasse meine Wut selten so richtig raus. Ganz anders eine Freundin von mir. Sie lebt ihre Wut gerne auch einmal aus. Mich hat das zuerst irritiert, aber für meine Freundin scheint das etwas Gutes zu sein. Ich glaube fast, sie mag es sogar, wütend zu sein: „Probiere es doch einfach mal aus“, hat sie mir irgendwann gesagt, „lass sie raus! Für mich ist die Wut etwas Produktives!“ Vielleicht mache ich das irgendwann einmal. Allerdings denke ich, dass ich da doch etwas anders ticke: Wenn mich etwas ärgert, brauche ich erst einmal einen Kaffee und dann frische Luft und Musik.

Schon König Saul soll mit Musik beruhigt worden sein, steht in der Bibel. Bei mir muss die Musik am Anfang laut und wild sein, und wenn ich mich dann selbst in meiner Wut ein wenig gefunden habe, stelle ich sie wieder leiser. Irgendwann komme ich aus dem bloßen Gefühl ins Denken und überlege dann, was mich so geärgert hat und wie ich das angehen will. Das braucht manchmal auch ein paar Anläufe. Dieses „ins Denken kommen“ tut mir gut, und meistens bin ich dann so voller Energie, dass ich die Dinge, die mich verärgert haben, auch angehen will. Also hat Wut auch für mich tatsächlich etwas Produktives und sie ist gar nicht so schlecht wie man ihr nachsagt. Vielleicht hat ja auch hier die Bibel gar nicht so unrecht, wenn es heißt: „Lass die Sonne nicht über deinem Zorn untergehen.“ Gefährlich wird Wut oder auch Zorn aus meiner Sicht dann, wenn man sie einfach nur in sich hineinfrisst und sich nicht mit ihren Gründen auseinandersetzt. Dann platzt die Wut einfach nur aus einem heraus und ihre Energie verpufft, wenn sie nicht sogar andere ungewollt verletzt. Und das wäre doch schade.

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26JUN2024
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Vor Kurzem war ich mit einer Reisegruppe in Ghana, und auf einem Stausee in einem Schiff sind wir völlig unerwartet in einen Sturm geraten. Ich habe auf einmal nur noch die dunklen Wolken heranziehen sehen, es windete wie aus dem Nichts und regnete aus allen Kübeln. Hohe Wellen brachten das Schiff ins Schwanken. Das Geschirr klapperte, die Musik verstummte, Panik brach aus. Und so habe ich auf einmal mit ein paar anderen unter einem Tisch auf dem Außendeck gesessen, damit wir vor den herumfliegenden Gegenständen geschützt waren. Eine Situation, die überhaupt nicht vorhersehbar gewesen war. Warum ist das Schiff überhaupt ausgelaufen? Warum hat niemand auf die Wetterapp geschaut? Fragen über Fragen. Mir kam die biblische Erzählung von der Sturmstillung in den Kopf. „Warum habt ihr solche Angst?“, fragt Jesus seine Jünger darin. „Habt ihr keinen Glauben?“ Das war für mich wie ein Befreiungsschlag, ein wenig Gottvertrauen, dass mich in dem Moment aus meiner eigenen Angst und meiner Erstarrung befreit hat. Alle Fragen nach dem Warum sind doch egal, jetzt ist das Jetzt gefragt. Jetzt, in diesem Moment, hatte nicht nur die Frau mir gegenüber unsagbare Angst, jetzt flogen die Sachen herum und waren die Wellen hoch. Also festhalten und ruhig bleiben. D geholfen. Wir haben aufeinander geachtet und uns gegenseitig ermutigt. Über dieses Erlebnis haben wir in den Tagen danach intensiv gesprochen. „Ich bin mir so allein und verloren vorgekommen. Es brauchte etwas, bis ich Euch und die anderen gesehen habe“, so die eine. „Ich musste mich erst einmal auf die Situation einlassen“, ein anderer. Und das ist es vielleicht: Sich auf eine unerwartete Situation, sich auf das „Jetzt“ einzulassen, bringt einen aus der Schleife des „hätte“ oder „wäre doch“  hinein ins Handeln und damit ins Leben. Das gilt ja nicht nur in solch einer Ausnahmesituation wie einem Sturm, sondern grundsätzlich im Leben.  Ich bin nicht allein. Mir schenkt mein Glaube Halt, da sind   andere Menschen mit mir im Leben unterwegs. Ihnen geht es vielleicht so wie mir. Das will ich aus diesem Sturm mitnehmen. Beherzt miteinander das angehen, was jetzt dran ist.

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25JUN2024
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„Akwaaba“ heißt „Hallo und Willkommen“ in der Sprache der Akanstämme in Ghana. Vor wenigen Wochen haben wir mit der Kirche unsere Partnergemeinde dort besucht. Das war ein echtes Abenteuer! Der lange Flug mit Turbulenzen, dann die Hitze und Luftfeuchtigkeit, als wir nach 18 Stunden angekommen sind. „Akwaaba!“ Alle Strapazen waren vergessen, als wir unsere Gastgeber am Flughafen erblickt haben, die uns hinter der Absperrung fröhlich zuwinkten. „Willkommen!“ Das waren wir in Westafrika wirklich.

Egal, an welchem Ort wir uns in den kommenden zehn Tagen aufgehalten haben, unter einem Blechdach am Straßenrand oder am Königshof des Stammes - immer wurden wir freundlich empfangen. „Akwaaba!“ Essen und Getränke wurden gereicht, ein echtes Gespräch gesucht, nachgefragt, wie sich das Leben bei uns von dem in Ghana unterscheidet, und unsere Gastgeber haben gebetet. Sie haben Gott gedankt, dass die Freunde aus Deutschland heil angekommen sind, dass die Partnerschaft nun schon über ein Jahrzehnt geht und wir so viel voneinander lernen dürfen.

Überhaupt haben die Menschen wie selbstverständlich für alles gedankt, was der Tag jeweils gebracht hat. Auch für Dinge, die uns hier gar nicht so in den Sinn kommen: Am Ende einer guten Autofahrt für das Erreichen des Ziels, am Abend nach dem Restaurantbesuch für die freundlichen Mitarbeiter und das gute Essen, für die Musik, ja, für das gute Wetter oder umgekehrt für die Bewahrung in einem Sturm. Diese Freundlichkeit und Dankbarkeit hat etwas mit mir – ja, ich denke, mit unserer ganzen Reisegruppe gemacht. Wir wurden im Laufe der Tage immer fröhlicher und irgendwie auch gelassener. Eine Autopanne, die uns hier einfach nur aufregen würde, wurde im Gebet am Abend als Pause interpretiert, als Gelegenheit, um neue Menschen kennenzulernen, denen man sonst nie begegnet wäre.

„Akwaaba – Hallo und Willkommen!“ Ein Ruf nicht nur zur Begrüßung von Menschen, sondern im Grunde genommen ein Ruf zu einer Lebenshaltung: jeder Moment in deinem Leben hat eine Bedeutung.

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24JUN2024
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„Nun beginnt der Ernst des Lebens!“ Ich weiß noch, wie mein Vater das gesagt hat, als unser Sohn vor Jahren in die Schule gekommen ist. In wenigen Tagen endet seine Schulzeit. Und nun? Wird das Leben noch ernster? Auf eigene Weise stehen der jungen Generation alle Türen offen. Wohin man hört, überall werden Fachkräfte gesucht: im Handwerk, der Industrie, im Einzelhandel oder auch in der Wissenschaft. Die junge Generation hat im Grunde genommen freie Wahl, das zu tun, worauf sie Lust hat. Das klingt großartig; macht die Entscheidung, was es denn nun für eine Ausbildung oder ein Studiengang sein soll, aber nicht leichter. In früheren Jahrzehnten war vieles einfach gegeben. Mein Vater hat schlicht den elterlichen Betrieb übernehmen müssen, bei mir waren manche Ausbildungsgänge einfach überfüllt und kamen daher von vornherein nicht in Frage.

Ich hoffe, unser Sohn wird in den kommenden Jahren einen Beruf finden, der ihn erfüllt. Und ich wünsche mir, dass er sich dabei die notwendige Zeit nimmt. Denn meiner Erfahrung nach braucht es etwas Zeit, bis man bei sich selbst alle Gaben entdeckt, die Gott in einen gelegt hat. Da geht es ja nicht einfach um das, was man in der Schule gelernt hat.

Das eigene Talent, die Begabung oder Begeisterung für eine Sache spült das Leben - vielleicht auch durch einen Zufall - irgendwann auf eigene Weise hervor. Das kann eine Begegnung im Urlaub sein, ein erfahrener Meister, der einem ein neues Fachgebiet eröffnet oder ein Mensch, der einen einfach begeistert. In den vergangenen Jahren habe ich ein paar Menschen kennengelernt, die den Mut gefunden haben, sich mitten im Leben für einen anderen Beruf zu entscheiden. Sie wagen sich an etwas Neues. Warum nicht? Auch ich habe den Studiengang gewechselt, hatte vor der Theologie etwas anderes im Sinn.  Paulus, der große Apostel aus der Bibel, hat das auch getan. Der gelernte Zeltmacher hat auf einmal gespürt, dass in seinem Leben etwas ganz anderes dran war als das, was bisher sein Leben geprägt hatte. Paulus hat sich eines Tages entschieden, das Evangelium in der Welt auszubreiten und hat darin seine Erfüllung gefunden. Solch eine Erfüllung im Beruf wünsche ich unserem Sohn und all den anderen jungen Menschen, die sich jetzt auf den Weg ins Berufsleben machen, ebenso wie denen, die grade auf der Suche nach einem Neubeginn sind. Mit etwas Gottvertrauen und Geduld, da bin ich mir sicher, wird sich das finden, was das eigene Herz erfüllt.

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21JUN2024
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„Mami, Mama – die Mama soll wiederkommen“ schluchzt meine fünfjährige Enkelin. Seit Tagen geht das so, jeden Abend. Jeden Abend, an dem nur die Oma sie zu Bett bringt. Die Eltern sind leider beide beruflich unterwegs. Den ganzen Tag ist das Kind fröhlich, spielt, malt, turnt herum. Aber am Abend überkommt sie der große Jammer. Jeden Abend. „Die Mama soll kommen.“

Für mich sind diese Heimwehanfälle anstrengend. Gleichzeitig sind sie völlig normal. Die Mama fehlt. Das tut weh.  Auch wenn es mit der Oma noch so schön ist. Mama ist was Anderes. So kann ich nur bei ihr bleiben, sie ein wenig streicheln, gut zureden, manchmal lässt sie sich in den Arm nehmen, manchmal hilft auch ablenken. Manchmal aber hilft gar nichts. Dann drückt sie den Teddy an sich und weint sich in den Schlaf.

Heimweh ist schlimm. Vermutlich wissen das alle, auch die Großen. Heimweh hat viele Gesichter. Ich erinnere mich an Heimweh nach einem Familienumzug. Da war ich schon fast fünfzehn. Es war zwar toll, in einer neuen Stadt langsam wieder anzukommen. Aber der Ort meiner Kindheit hat mir trotzdem lange schmerzlich gefehlt. Eine alte Tante sagte, sie habe Heimweh nach ihrem vor kurzem verstorbenen Mann. Damit hat sie ihre Trauer benannt. Heimweh, das ist so eine Sehnsucht nach vertrauten Menschen und Orten, nach Geborgensein. Diese Sehnsucht kann sehr heftig sein.

Und dann gibt es ja noch so ein Lebensheimweh, das vielleicht gar keinen aktuellen Grund hat. Ich spüre nur, dass irgendwas fehlt, weiß aber nicht, was es ist. „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir, Gott“. So hat vor Hunderten von Jahren schon der gelehrte Augustinus es ausgedrückt. Dieser Satz wird sehr oft zitiert. Weil das Gefühl einfach zeitlos ist und immer neu bewältigt werden möchte. Weil nichts in dieser Welt diese tiefe Sehnsucht nach einem wirklichen Zuhause-sein erfüllen kann. Davon weiß meine kleine Enkelin zum Glück noch nichts. Wenn ihre Mama sie wieder in die Arme schließt, ist bei ihr alles wieder gut. Wir Erwachsenen haben es da nicht so einfach.

Aber es gibt gute Strategien. Wenn mich mein Lebensheimweh überkommt, gehe ich spazieren und bete eine Weile. Andere hören Musik. Oder rufen einen lieben Menschen an. Putzen und Aufräumen kann auch helfen. Oder ich nehme dieses Lebensheimweh ganz bewusst wahr und atme einfach weiter. Denn es kommt - und geht wieder - und wird irgendwann wieder kommen - aber auch wieder gehen …

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20JUN2024
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Die Kirchen sollen sich auf ihre „Kernkompetenz“ beschränken, lese ich in letzter Zeit häufiger. Aha, da wissen einige anscheinend, was die Kernkompetenz sein soll: Die Kirchen mögen sich doch bitte nur um die Frömmigkeit ihrer Mitglieder kümmern. Nicht um Politisches und Soziales. Also Kirchenraum statt Welt - so sehen das manche Kritiker. Ich sehe das nicht so. Es verkürzt das, was Christinnen und Christen aufgetragen ist. Und das empört mich. Denn: In der Bibel steht es deutlich anders!

Klar, für Frömmigkeit sorgen und von Gott sprechen ist die erste Aufgabe der christlichen Kirchen. Glauben ist für viele Menschen ein großer persönlicher Gewinn. Für mich auch. Ich kann mit meinem Glauben mein Leben besser meistern. Finde darin Mut und Lebenshoffnung. Aus dem Kontakt mit Gott entsteht eine Menge Energie. Und ich habe darin viele Lebensmöglichkeiten entdecken dürfen, die mein Leben reich machen.

Aber Glaube ist mehr als nur eine persönliche Entfaltung. Glauben muss über den Kirchturm hinausgehen. Raus in die Welt, nah oder fern. Fordert Engagement für die Menschen und ihre Nöte. Jesus hat gesagt: Selig, die Frieden stiften ... Selig, die barmherzig sind ... Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. Manchmal hat er es auch so ausgedrückt: Ihr sollt Frucht bringen.

Eine Bekannte, die gerne weite Reisen gemacht hat, sagte: „Ich mache keine Flugreisen mehr. Unverantwortlicher Ausstoß von CO² und anderes mehr. Ich will darauf verzichten. Auch wenn es mir gar nicht leichtfällt. Aber ich tue das auch wegen meiner Enkelkinder. Ich kann doch nicht Christin sein und es ist mir egal, in welche kaputte Welt meine Enkelkinder hineinwachsen.“  Ich weiß, dass sie nicht nur hier verzichtet hat. Sie hat ihren Glauben ernst genommen und will Gottes Schöpfung nicht noch mehr belasten. Auch das gehört zur Kernkompetenz im Glauben. Christsein als Verantwortung - über den Kirchturm hinaus.

Das Ringen darum, die Schöpfung zu bewahren, ist kein Alleinstellungsmerkmal von Christinnen und Christen. Aber auch das gehört, neben anderen sozialen und politischen Themen, zur christlichen Kernkompetenz.

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19JUN2024
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Die Enkelkinder sind müde und drehen noch mal so richtig auf. Springen herum, toben wild, sind laut. Großes Vergnügen! Erfahrungsgemäß gibt es da oft ein böses Ende. Weil irgendwas passiert. Aber bitte nicht jetzt am Abend! Deshalb ist es höchste Zeit, einzugreifen. Sie sollen sich beruhigen und runterkommen. Also läute ich die Zeit für Schlafanzug und Zähneputzen ein. Jetzt ist Ruhe dran. Geschichten vorlesen, kuscheln, vielleicht ein wenig über den Tag sprechen oder über die Angst vor der Nacht. Sie sollen sich beruhigen und entspannen. Damit sie dann auch bald schlafen. Denn morgen ist wieder ein Tag – und die Oma ziemlich müde.

Und was mache ich, wenn es ruhig ist? Ich setze mich und lese die Zeitung. Endlich! Ich lese gerne solche Zeitungen, die meine Gedanken in Schwung bringen. Wo ich was zum Nachdenken habe. Meistens fange ich hinten an. Da geht es um Theaterstücke, Bücher, Filme. Um gesellschaftliche Fragen. Langsam taste ich mich zu den politischen Seiten vor. Die stehen ganz vorne, ich lese sie aber immer zuletzt. Weil sie mich am meisten aufwühlen.

Und da ist mir was aufgefallen. Es tut mir nicht gut, wenn ich am Abend noch schwierige politische Themen studiere. Die verfolgen mich sonst in die Nacht. Da geht es mir wie den Kindern. Am Abend brauche ich Ruhe. Nein, die Probleme der Welt sind mir deshalb nicht egal. Ich will wissen, was los ist. Es geht ja um mein Leben, und um das Leben der nächsten Generationen. Aber sie sind keine gute Lektüre auf dem Weg in die Nacht.

In der Nacht sind wir Menschen dünnhäutiger und empfindlicher. Sorgen plagen uns in der Nacht viel mehr als am Tag. Schmerzen fühlen sich stärker an. Deshalb lege ich die Zeitung bewusst zur Seite. Die komplizierten Themen können warten auf den hellen Tag. 

Ich muss genauso runterkommen wie die Kinder. Auch meine Gedanken sollen abends nicht noch wild herumtoben, meine Sorgen nicht noch vermehrt werden. Also helfe ich mir selbst. Lege die Zeitung auf die Seite. Sage mir: Das lese ich morgen! Und noch etwas tue ich: ganz bewusst lege ich diesen Tag und Abend Gott in die Hände. Das hilft!

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18JUN2024
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In einer Doku sehe ich, wie Nachwuchssängerinnen und -sänger für einen Wettbewerb trainiert werden. Gefühlt in jedem dritten Satz sagt einer der Coaches: „Am Ende des Tages“. Am Ende des Tages steht halt der Wettbewerb. Am Ende des Tages zählt, wer die beste Show abliefert. Am Ende des Tages zeigt sich, ob deine harte Arbeit sich ausgezahlt hat. Gemeint ist natürlich nicht das Ende dieses konkreten Tages, sondern das Ende eines Wettbewerbs. Ein Finale. Jedenfalls ein Zeitpunkt, an dem so etwas wie eine Abrechnung stattfindet. Daumen hoch oder Daumen runter.

Seither erst fällt mir auf, wie oft die Redewendung „am Ende des Tages“ gesagt wird. Sie scheint momentan ein bisschen Mode geworden zu sein. Ein paar Tage lang ging sie mir fast wie ein Ohrwurm im Kopf herum. Und momentan fällt sie mir immer ein, wenn ich wirklich am Ende des Tages angekommen bin. Aber ich nehme diese Redewendung dann wörtlich. Und frage mich: Was mache ich am Ende des Tages, also am Ende dieses Tages?

Da nehme ich mir ein paar Minuten Zeit für einen Rückblick auf diesen Tag. Das tut mir gut. Handy und PC sind ausgeschaltet, ich gucke so vor mich hin, atme einige Male ruhig ein und aus und überlege dann: Was war eigentlich heute? Was habe ich erlebt, vom Aufstehen bis zum Abend? Und ich gehe die Stunden noch mal in Ruhe durch. Was war heute los, was fällt mir noch ein, was ist mir begegnet?

Fast jeden Abend denke ich: Heute war aber viel los! Obwohl ich gar nicht so viel unternommen habe. Aber wenn ich mal genau überlege, staune ich: Ich konnte aufstehen. Bin satt geworden. Habe ein Dach über dem Kopf. Eine Waschmaschine, die mir schwere Arbeit erspart. Ein lieber Mensch hat angerufen. Vielleicht habe ich auch eine Arbeit fertigbekommen. Ein schwieriges Gespräch erledigt. Und dann sind da noch die besonderen Pluspunkte: Beim Einkaufen freundliche Worte gehört und gesprochen. Oder diese wunderschöne Rose in meinem Vorgärtchen. Wie sie jetzt blüht und duftet. Ohne diesen kleinen Rückblick „am Ende meines Tages“ hätte ich das meiste schon vergessen. Und gar nicht wirklich beachtet.

Ich glaube, dass Gott mir dabei von morgens bis abends begegnet ist. Wenn ich gestaunt habe über meine schöne Rose, oder beim Essen; in der Langeweile und im Arbeiten; auch durch die Menschen, die mir heute begegnet sind. In jeder Sekunde, in der ich ein- und ausatme. Da war Gott.

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17JUN2024
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Bagger, Planierraupe, Kran – Als Oma muss ich mich damit oft beschäftigen. Die Kleinen wissen schon die richtigen Namen der Maschinen. Denn in einem bestimmten Alter sind vermutlich die meisten Kinder völlig begeistert von Baumaschinen und den Menschen, die sie bedienen. Und zwar Mädchen wie Jungs. Tagsüber stehe ich derzeit öfter mit dem Jüngsten an einer sehr großen Baustelle. Sie ist sein Traum! Bagger, Raupenfahrzeuge, Tieflader. Riesige Kräne, die wir sogar vom Wohnzimmer aus sehen. Aber das höchste Glück ist natürlich, direkt an der Baustelle zu sein. Alleine würde ich da - ehrlich gesagt – nicht stehenbleiben. Aber jetzt stehen wir halt da, und während das Kind dem Bagger zuschaut, gucke ich nach oben und beobachte das Ballett der Kräne. Fast lautlos drehen sie sich hin und her. Wie präzise die Kräne die Last aufnehmen und an einem anderen Platz wieder absetzen. Wie genau die Baggerführer arbeiten. Ein Handgriff passt auf den anderen. Ich bin begeistert, das gebe ich zu.

Der Kleine an meiner Hand steht da und guckt und staunt. Wir bewundern die großen Maschinen. Dann sagt er im Brustton der Überzeugung: „Die Bauarbeiter sind aber ganz stark!“ Ja, das habe ich tatsächlich auch gedacht. Das ist schwere, körperliche Arbeit. Riesenmaschinen helfen ihnen zwar. Aber es geht eben nicht ohne diese Menschen. Und vermutlich geht ihnen ihre Arbeit im Lauf der Zeit ziemlich auf die Knochen.

Das Kind hat dann irgendwann genug. Auf einem kleinen Spielplatz nebenan schaukelt er und singt und ist ganz in sich gekehrt. Sein kleiner Kopf muss ja die Erlebnisse verarbeiten. Und seine Seele auch.

Aber ich stehe dabei und gucke weiter abwechselnd auf das Kind und auf die Kräne. Die bewegen sich hoch über uns. Hier sieht mich ja keiner, denke ich. Hier kann ich ungestört Baumaschinen gucken. Die haben etwas sehr Urtümliches, was mich fasziniert. „Danke“ schießt mir durch Kopf und Herz. Danke für alle, die an so einer Bau-Arbeit beteiligt sind. Die mit ihren Maschinen, aber auch mit dem Einsatz von Körperkraft Häuser bauen. Und Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und alles andere. Sie machen so eine wichtige Arbeit für uns alle. Dafür Danke!

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