SWR4 Abendgedanken

18JUN2024
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In einer Doku sehe ich, wie Nachwuchssängerinnen und -sänger für einen Wettbewerb trainiert werden. Gefühlt in jedem dritten Satz sagt einer der Coaches: „Am Ende des Tages“. Am Ende des Tages steht halt der Wettbewerb. Am Ende des Tages zählt, wer die beste Show abliefert. Am Ende des Tages zeigt sich, ob deine harte Arbeit sich ausgezahlt hat. Gemeint ist natürlich nicht das Ende dieses konkreten Tages, sondern das Ende eines Wettbewerbs. Ein Finale. Jedenfalls ein Zeitpunkt, an dem so etwas wie eine Abrechnung stattfindet. Daumen hoch oder Daumen runter.

Seither erst fällt mir auf, wie oft die Redewendung „am Ende des Tages“ gesagt wird. Sie scheint momentan ein bisschen Mode geworden zu sein. Ein paar Tage lang ging sie mir fast wie ein Ohrwurm im Kopf herum. Und momentan fällt sie mir immer ein, wenn ich wirklich am Ende des Tages angekommen bin. Aber ich nehme diese Redewendung dann wörtlich. Und frage mich: Was mache ich am Ende des Tages, also am Ende dieses Tages?

Da nehme ich mir ein paar Minuten Zeit für einen Rückblick auf diesen Tag. Das tut mir gut. Handy und PC sind ausgeschaltet, ich gucke so vor mich hin, atme einige Male ruhig ein und aus und überlege dann: Was war eigentlich heute? Was habe ich erlebt, vom Aufstehen bis zum Abend? Und ich gehe die Stunden noch mal in Ruhe durch. Was war heute los, was fällt mir noch ein, was ist mir begegnet?

Fast jeden Abend denke ich: Heute war aber viel los! Obwohl ich gar nicht so viel unternommen habe. Aber wenn ich mal genau überlege, staune ich: Ich konnte aufstehen. Bin satt geworden. Habe ein Dach über dem Kopf. Eine Waschmaschine, die mir schwere Arbeit erspart. Ein lieber Mensch hat angerufen. Vielleicht habe ich auch eine Arbeit fertigbekommen. Ein schwieriges Gespräch erledigt. Und dann sind da noch die besonderen Pluspunkte: Beim Einkaufen freundliche Worte gehört und gesprochen. Oder diese wunderschöne Rose in meinem Vorgärtchen. Wie sie jetzt blüht und duftet. Ohne diesen kleinen Rückblick „am Ende meines Tages“ hätte ich das meiste schon vergessen. Und gar nicht wirklich beachtet.

Ich glaube, dass Gott mir dabei von morgens bis abends begegnet ist. Wenn ich gestaunt habe über meine schöne Rose, oder beim Essen; in der Langeweile und im Arbeiten; auch durch die Menschen, die mir heute begegnet sind. In jeder Sekunde, in der ich ein- und ausatme. Da war Gott.

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