SWR4 Abendgedanken

21JUN2024
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„Mami, Mama – die Mama soll wiederkommen“ schluchzt meine fünfjährige Enkelin. Seit Tagen geht das so, jeden Abend. Jeden Abend, an dem nur die Oma sie zu Bett bringt. Die Eltern sind leider beide beruflich unterwegs. Den ganzen Tag ist das Kind fröhlich, spielt, malt, turnt herum. Aber am Abend überkommt sie der große Jammer. Jeden Abend. „Die Mama soll kommen.“

Für mich sind diese Heimwehanfälle anstrengend. Gleichzeitig sind sie völlig normal. Die Mama fehlt. Das tut weh.  Auch wenn es mit der Oma noch so schön ist. Mama ist was Anderes. So kann ich nur bei ihr bleiben, sie ein wenig streicheln, gut zureden, manchmal lässt sie sich in den Arm nehmen, manchmal hilft auch ablenken. Manchmal aber hilft gar nichts. Dann drückt sie den Teddy an sich und weint sich in den Schlaf.

Heimweh ist schlimm. Vermutlich wissen das alle, auch die Großen. Heimweh hat viele Gesichter. Ich erinnere mich an Heimweh nach einem Familienumzug. Da war ich schon fast fünfzehn. Es war zwar toll, in einer neuen Stadt langsam wieder anzukommen. Aber der Ort meiner Kindheit hat mir trotzdem lange schmerzlich gefehlt. Eine alte Tante sagte, sie habe Heimweh nach ihrem vor kurzem verstorbenen Mann. Damit hat sie ihre Trauer benannt. Heimweh, das ist so eine Sehnsucht nach vertrauten Menschen und Orten, nach Geborgensein. Diese Sehnsucht kann sehr heftig sein.

Und dann gibt es ja noch so ein Lebensheimweh, das vielleicht gar keinen aktuellen Grund hat. Ich spüre nur, dass irgendwas fehlt, weiß aber nicht, was es ist. „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir, Gott“. So hat vor Hunderten von Jahren schon der gelehrte Augustinus es ausgedrückt. Dieser Satz wird sehr oft zitiert. Weil das Gefühl einfach zeitlos ist und immer neu bewältigt werden möchte. Weil nichts in dieser Welt diese tiefe Sehnsucht nach einem wirklichen Zuhause-sein erfüllen kann. Davon weiß meine kleine Enkelin zum Glück noch nichts. Wenn ihre Mama sie wieder in die Arme schließt, ist bei ihr alles wieder gut. Wir Erwachsenen haben es da nicht so einfach.

Aber es gibt gute Strategien. Wenn mich mein Lebensheimweh überkommt, gehe ich spazieren und bete eine Weile. Andere hören Musik. Oder rufen einen lieben Menschen an. Putzen und Aufräumen kann auch helfen. Oder ich nehme dieses Lebensheimweh ganz bewusst wahr und atme einfach weiter. Denn es kommt - und geht wieder - und wird irgendwann wieder kommen - aber auch wieder gehen …

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