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SWR2 Wort zum Tag

01JUL2023
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Hat jemand angerufen? Frage ich routinemäßig meine Frau, wenn ich nach Hause komme. Hat jemand angerufen? Gibt es Neuigkeiten?  

Dabei wird mir klar: Im religiösen Sinn gibt es noch eine ganz andere Form des Angerufenwerdens. Ich denke besonders an eine biblische Geschichte aus dem Alten Testament. Sie erzählt von dem Propheten Samuel, der als junger Mann im Tempel von dem alten Eli ausgebildet wird.

Eines Nachts hört Samuel eine Stimme, die ihn ruft.

Samuel denkt sofort, dass sein alter Meister etwas von ihm will. Also geht er hin zu dem Alten. Doch der weiß von nichts. Sagt nur: „Ich habe nicht nach dir gerufen. Geh, leg dich wieder schlafen“.

Das Ganze wiederholt sich dann noch einmal und noch einmal...

Es dauert eine ganze Weile bis Samuel merkt, da steckt etwas Anderes dahinter. Plötzlich begreift er: das ist kein menschlicher Anruf. Das ist ein Anruf aus einer anderen Wirklichkeit. Ein Ruf Gottes vielleicht. „Rede“, sagt Samuel da, „jetzt bin ich  bereit zu hören“.

Manchmal dauert es tatsächlich ganz schön lange, bis ein Mensch heraushört, was der Anruf ist, der ihm ganz persönlich gilt. Auch mir geht das so. Weil mir meistens erst nach und nach klar wird: hinter den vielen Geräuschen und Stimmen, die mich umgeben, verbirgt sich die eine, die mich meint. Ein Anruf, der mir ganz allein gilt.

Vielleicht ist das eine Meldung aus den Nachrichten, die mir unter die Haut geht. Oder eine Musik, die mich ergreift und anspricht. Oder ein Wort auf einem Kalenderblatt. Etwas jedenfalls, das mich blitzartig berührt. Und anspricht.

Dann  wache ich auf aus meiner Routine wie der junge Samuel, dem plötzlich klar wird: da bin ja ich angesprochen. Vielleicht sogar: Gott selbst will mir etwas sagen .

„Wir müssen uns anrufen lassen, ein hörendes Herz einüben“, hat der Soziologe Hartmut Rosa kürzlich geschrieben, „sonst funktioniert unser Zusammenleben nicht.“ Für ihn ist das Sich-Anrufen-lassen die Basis eines gelingenden Miteinanders. Im Kleinen wie im Großen.

Also werde ich heute Morgen besonders darauf achten, welche unter den vielen Stimmen um mich herum vielleicht die ist, die mich meint. Und mich - anruft.

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SWR2 Wort zum Tag

30JUN2023
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Ist es unvernünftig, an Gott zu glauben? Diskussionen über diese Frage erlebe ich immer wieder. Am Rande einer Party. Unterwegs im Zugabteil. In der Kneipe. Plötzlich geht es um Gott.

Der Glaube an Gott ist doch überholt, höre ich mein Gegenüber sagen. Geradezu hinterwäldlerisch in einer Welt von Smartphons, künstlicher Intelligenz und moderner Technologie.

Ich mische mich dann ein. Nicht deshalb, weil ich Pfarrer bin. Sondern weil ich überzeugt bin, dass ein aufgeklärter Glaube kein subjektives, irrationales Gefühl ist. Sondern eine vernünftige und lebensdienliche Sache.

Aus dreierlei Gründen meine ich das: Erstens, mein Glaube verhilft mir zu einer wichtigen Unterscheidung. Nämlich: ich bin nicht Gott. Es gibt etwas Größeres. Eine Wirklichkeit, die mich umfasst und trägt.

Und die mir die Freiheit gibt, mir nicht alle Lasten des Lebens und der Welt auf meine Schultern packen zu müssen. Sondern zu tun, was in meinen Kräften steht. Und den Rest Gott zu überlassen.  

Zweitens macht mir mein Glaube die Bedeutung der Unterschiede zwischen uns Menschen klar. Ich bin nicht Du. Es gibt neben mir andere, die mir in manchem ähnlich, in den meisten Dingen aber völlig anders sind als ich.

Der Blick dafür schenkt mir Sensibilität für den Umgang mit den Unterschieden. So dass ich das richtige Gespür finde für das Zusammenspiel mit den nahen und fernen Anderen.

Und drittens: Ich bin endlich. „Der Mensch ist in seinem Leben wie Gras“, sagt die Bibel. Weil das so ist, will ich die mir geschenkte Zeit bewusst wahrnehmen und leben. Das macht mir die Gegenwart kostbar, ohne dass sie für mich zur letzten Gelegenheit wird.

Ich glaube, alle drei Gründe sind gute und wichtige Korrektive in Zeiten, wo man jeden Tag mit neuen Ansprüchen und Anforderungen überhäuft wird.

Wo viele sich darum zurückziehen auf eine Haltung, die an sich selbst genug findet. Oder die Meinung, dass man ja „sowieso nichts machen kann.“

Ich bin mir sicher, ein vernünftiger Glaube verhindert menschlichen Größenwahn und verhilft zu einer realistischen Selbsteinschätzung. Er zeigt mir auf, wie wichtig Gemeinschaft ist. Und lässt mich hoffen. Weit über das hinaus, was ich gegenwärtig sehe und erlebe. 

Ob ich mich damit auch meinem Gegenüber verständlich machen konnte?

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SWR2 Wort zum Tag

29JUN2023
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Eine Fernsehserie, die ich mir in den letzten Wochen fasziniert angeschaut habe, erzählt von der „Macht der Kränkung“. Sie beruht auf authentischen Fällen aus der Praxis eines Psychiaters, kleinen und großen Kränkungen, die zu einer Spielfilmhandlung verwoben wurden.

Die Serie handelt von Menschen, die gedemütigt und vor anderen herabgesetzt worden sind. Und davon wie sich solche fortgesetzten Kränkungen in Gewalt entladen können. Gegen Andere oder auch gegen sich selbst.

Auch im Leben Jesu haben Kränkungen eine Rolle gespielt. Schon wegen seiner Herkunft aus dem kleinen Nest Nazareth und aus einer einfachen Familie. „Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?“, haben die Leute gesagt. Mit der Herkunft aus so einem Kaff war man ja abgestempelt!

Nicht viel anders klingt das heute. Mit dem Hintergrund, den du hast, wird das nichts! Oder: Wie du gebaut bist, schaffst du das nie! Oft kommen Kränkungen sogar ganz ohne Worte aus. Dann wird jemand einfach nur übersehen oder übergangen.  

Am Leben Jesu aber lässt sich ablesen, dass Gott nicht will, dass Menschen klein gemacht oder erniedrigt werden.

Ganz im Gegenteil! Gott spricht dem Menschen hohe Wertschätzung zu. Wenig geringer als Gott ist der Mensch geschaffen, heißt es in einem Psalm. Geschmückt mit einer Krone. Beschenkt mit Herrlichkeit und Würde.

Mit genau diesem Verständnis geht Jesus zu den Gekränkten und Kranken. Kehrt bei ihnen zu Hause ein. Setzt sich mit ihnen an einen Tisch.

Er lebt aus Gottes Vertrauen und Zuneigung zu ihm. Die lässt ihn nicht verbittern – auch nicht angesichts der Missachtung und Kränkungen, die er selbst im Leben erfahren hat.

Ja, denke ich, offenbar ist es so, dass Kränkungen im Leben einen festen Platz haben. Nicht nur die, die ich selber erleide. Sondern auch die, die ich – bewusst oder unbewusst –  verursache.

Und doch - an Jesus sehe und lerne ich, dass es nicht zwangsläufig so laufen muss. Er hat sich auf das Vertrauen verlassen, das Gott in ihn gesetzt hat. Und konnte davon an andere weitergeben.

Er hat den Menschen gesehen hinter der Rolle, die er spielt. Er hat nicht seine Schwächen attackiert, sondern auf die Fähigkeit gesetzt, das ein Mensch sich ändern kann.

Und hat so dem kranken und gekränkten Ich ein neues und stärkeres Selbstvertrauen mit auf den Weg gegeben.

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SWR2 Lied zum Sonntag

25JUN2023
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Eine Reise über die Insel Rügen im letzten Sommer hat mich auch in eine der schönen alten Dorfkirchen geführt: die Kirche von Sagard. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Inschrift auf dem imposanten Orgelprospekt. Direkt über der Orgelbank. „Gott ist mein Lied“ ist da in Frakturschrift zu lesen.

Sehr passend für eine Orgel, habe ich gedacht, die ja den Gesang der Gemeinde anstimmt und die Lieder begleitet. Und überhaupt - ist das nicht ein wunderbarer Gedanke, Gott musikalisch zu verstehen? Nicht in einem Begriff, nicht in einer Definition. Sondern als Lied, als Melodie, als Schwingung, die mein Leben in Bewegung bringt...

Tatsächlich steht genau dieser Gedanke am Beginn eines Gedichtes von Christian Fürchtegott Gellert aus dem Jahr 1757. Ludwig van Beethoven hat es in Töne gefasst: „Gott ist mein Lied“.

Gott ist mein Lied!
Er ist der Gott der Stärke;
Hehr ist sein Nam, und groß sind seine Werke,
Und alle Himmel sein Gebiet.

Eine biblische Geschichte aus dem Alten Testament fällt mir ein von der göttlichen Heilkraft der Musik. Als der junge David, der so wundervoll die Harfe spielen kann, zu dem lebensmüden und von Depressionen geplagten König Saul gerufen wird.

Immer wenn der böse Geist über den König gekommen ist, hat David seine Harfe genommen und dem König darauf etwas vorgespielt. Und, das erzählt die Geschichte, „so erquickte sich Saul, und es ward besser mit ihm, und der böse Geist wich von ihm.“

Mit solchen Gedanken trete ich aus dem Halbdunkel der alten Rügener Dorfkirche hinaus ins Freie. Und denke mir: wie treffend, Gott zu verstehen als Lied. Als Melodie meines Lebens. Als den, der mir den Ton angibt an jedem Morgen. Der mich einstimmt auf jeden neuen Tag. Der mitschwingt, wenn ich morgens die Augen öffne und sie abends wieder schließe.

Gott ist mein Lied!
Er ist der Gott der Stärke;
Hehr ist sein Nam, und groß sind seine Werke,
Und alle Himmel sein Gebiet.

Warum sind Kirchenkonzert immer so gut besucht?, habe ich mich schon oft gefragt. Egal ob Weihnachtsoratorium oder Brahms-Requiem, Bachkantaten oder Jazzmessen - Menschen fühlen sich von dieser Musik angezogen. Auch viele, die sonst nie oder selten einen Gottesdienst besuchen.

Es ist, glaube ich, die Kraft der Töne und Klänge, die – wie Martin Luther einmal gesagt hat – die Traurigen fröhlich macht und die Verzagten ermutigt. Und mich die Nähe Gottes spüren lässt.

„Gott ist mein Lied“. Ein schönes Motiv, das mich anregt, darauf zu hören, was meine eigene Lebensmelodie ist. Auf den Gesang der Gräser und Bäume. Der Sonne und der Sterne. Auf die Stimmen der Kinder und der Alten. Auf alles, was mein Leben in gute Schwingungen versetzt...

Gott ist mein Lied!
Er ist der Gott der Stärke;
Hehr ist sein Nam, und groß sind seine Werke,
Und alle Himmel sein Gebiet.

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Gott ist meine Lied (Ludwig van Beethoven)
CD: Ein Liederabend mit Peter Schreier, Track 13, „Gottes Macht und Vorsehung“, 2020 Berlin Classics

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SWR2 Wort zum Tag

17MAI2023
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Das nenne ich ein salomonisches Urteil! Der weise König Salomo hat es in biblischen Zeiten gefällt. In einer ziemlich verzwickten Angelegenheit.

Die Geschichte geht so. Zwei aufgeregte Mütter erscheinen mit einem kleinen Kind vor dem weisen Salomo. Die beiden Frauen streiten heftig darüber, wem das neugeborene Kind gehört.

Jede behauptet: „Mein Kind ist das!“ Der König soll herausfinden, wer die richtige Mutter ist. Gar nicht so einfach!

Doch der weise König hat eine Idee. Er fordert die streitenden Mütter auf, das Kind kurzerhand in zwei Teile zu teilen. Damit müssten doch die Ansprüche auf beiden Seiten befriedigt sein. Oder etwa nicht?

In Wahrheit ein unerträglicher Gedanke! Jedenfalls für die richtige Mutter des Kindes. Die sagt darum auch sofort: „Gebt mein Kind der anderen Frau! Ich will doch, dass mein Kind leben soll!“

Die Strategie des Königs ist aufgegangen. Es hat sich herausgestellt, wer die echte Mutter ist. Sie soll das Kind behalten!

Mich macht die Geschichte in mehrfacher Hinsicht nachdenklich. Zunächst sagt sie etwas über die Weisheit des Königs Salomo. Sein absurd klingender Vorschlag hat sich als durchaus weise herausgestellt.

Sie sagt aber auch etwas über wahre Mutterliebe. Die stellt nämlich das Leben des Kindes über die eigenen Besitzansprüche.

Vor allem aber sagt sie etwas über die Kunst des Loslassens. Denn die tiefere Botschaft der Geschichte lautet ja: es gibt Situationen, in denen  Loslassen das einzig Wahre ist. 

Loslassen zu lernen, das finde ich auch, ist wichtig. Wenn wir auch Tag für Tag das Gegenteil davon erleben. Das geht schon im Sandkasten los. Das „Habenwollen“, was der oder die Andere hat. Den Eimer, die Schaufel. Später dann das stärkere Auto, das höhere Ansehen.

Dabei gewinne ich Freiheit erst, wenn ich loslassen kann. Zuweilen besteht ein weises Verhalten einfach darin, die Hände zu öffnen.  

Die Bibel nennt diese Haltung Weisheit. Die Geschichte von Salomos Urteil zeigt mir eine Haltung, die nicht die eigenen Ansprüche in den Vordergrund stellt.

Sondern, die fragt: was dient dem Leben? Dem Leben meines Kindes, dem Zusammenleben in der Gemeinschaft, dem zukünftigen Leben auf unserem Planeten.
Nicht zu vergessen: was gewinne ich selbst, wenn ich loslasse?

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SWR2 Wort zum Tag

16MAI2023
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Menschen mit einer genauen Beobachtungsgabe bewundere ich. Wie den Schriftsteller Wilhelm Genazino, der in diesem Jahr achtzig geworden wäre.

Tatsächlich gefällt mir sein Gespür für die winzigen Miniaturen des Alltags. Das kann die Beschreibung eines sanft herabsegelnden Ahornblattes sein. Ein spielendes Kind auf einem Balkon, das durch ein Guckloch auf die Welt schaut. Oder die Stille, die sich manchmal beim Schreiben am Schreibtisch einstellt. Und in der er gemeint hat, eine Sehnsucht nach Erlösung wahrzunehmen.

Dabei war Genazino ein Mensch, der sich in seinem Leben oft gerade nicht sonderlich wohl gefühlt hat. Sondern eingeklemmt, wie er notiert hat, „zwischen Katastrophenangst und Erlösungssehnsucht“.

Um dann aber doch immer wieder festzustellen: weder das eine noch das andere ist eingetreten. Stattdessen, das war so etwas wie sein Credo, kommt immer - der nächste Tag!

In dieser lakonischen Feststellung drückt sich ein Lebensgefühl aus, das vermutlich weit verbreitet ist. Ich kann mich jedenfalls darin ganz gut wiederfinden.

Mit dieser Beklemmung umzugehen, dafür hat Genazino seine eigene Strategie gefunden. Ich würde es eine Art Mystik des Alltags nennen. Sie schaut hinter die glatte Oberfläche des Alltäglichen. Und findet im Vordergründigen das Hintergründige.

So wie Jesus in der Bergpredigt. Der entdeckt  auch in den Lilien auf dem Felde, im Flug der Vögel, im Zug der Wolken die geheimnisvolle Schrift des Schöpfers. An jeden persönlich adressiert, der es sehen mag.

Tröstliche Momente sind das, in denen ich erlebe, dass im Alltäglichen das geheimnisvoll Verborgene aufleuchtet. Und aus dem Ernst des Lebens eine Heiterkeit aufsteigt, die aus der Schwerkraft des Alltags für einen Moment erlöst.

Ich glaube übrigens, dass man so eine poetische Beobachtungsgabe einüben kann. Und dann in der alltäglichen Realität immer wieder den Vorschein einer anderen Welt entdecken wird. Offen wird, wie Genazino notiert, für „die betörenden  Augenblicke“, in denen das Ich sich weitet und „die bedürftige Seele“ sich stärkt.

Ganz in diesem Sinne wünsche ich Ihnen heute einen Tag mit vielen alltäglich-wunderbaren Entdeckungen!

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SWR2 Wort zum Tag

15MAI2023
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Was soll denn das sein, habe ich mich gefragt, als ich neulich von „Soda-Brücken“ gelesen habe. Brücken, auf oder unter denen Getränke verkauft werden? Soda-Wasser oder ähnliches?

Beim Weiterlesen bin ich dann aufgeklärt worden. „Soda-Brücken“ sind sinnlose Bauwerke, die einfach nur „so da“ stehen. Weil die Straßen, die sie eigentlich verbinden sollten, aus irgendwelchen Gründen dann doch nicht gebaut wurden. Nun stehen diese Brücken vergessen in der Landschaft. Einfach „so da“.

Eigentlich gar kein schlechter Gedanke, finde ich. Wie Denkmäler stehen sie herum und erinnern daran, wie wichtig Verbindungen sind. Brücken, die von einer Seite zur anderen führen. Die selbst dann, wenn sie keine Funktion haben, darauf verweisen, dass wir von Verbindungen leben.

Ich spinne den Gedanken weiter. Und finde, dass es ja auch „Soda-Menschen“ gibt. Menschen, die kein großes Getue um sich machen. Und doch ungeheuer wichtig sind. Weil sie Verbindungen schaffen. Brücken bauen.

Vielleicht zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Ältere Menschen, die wissen, wie es früher war und die vielleicht eine Lösung haben für ein Problem, vor dem wir heute ratlos stehen. Oder die eine Verbindung herstellen zwischen Nachbarn, die miteinander verkracht sind. Oder innerhalb einer Familie, in der man sich entzweit hat.

Solche Brückenbauer sind heute an vielen Stellen gesucht. Sie knüpfen einen abgerissenen Faden wieder zusammen. Machen den ersten Schritt. Räumen Barrieren aus dem Weg.

Mit Zuspruch und Ermutigung zimmern sie Stege und Brücken, so dass ein Gespräch zwischen sprachlosen und verfeindeten Menschen wieder möglich wird. Sie tun das ohne großes Aufheben, einfach weil sie „so da“ sind. Kompromissbereit und darum hilfreich.

Die „Soda-Menschen“ könnten den „Soda-Brücken“ auch wieder eine neue Funktion geben. Wer Hilfe braucht, Vermittlung oder Schlichtung in einem festgefahrenen Konflikt, der verbringt einen Tag oder eine Nacht auf einer „Soda-Brücke“! Und kann in Ruhe überlegen: was liegt an mir, um erstarrte Fronten wieder in Bewegung zu bringen? Was kann ich tun, dass getrennte Parteien wieder miteinander in Kontakt kommen?

Damit die Brücke nicht länger nur „so da“ steht. Sondern Menschen sie wieder benutzen. Und Schritt für Schritt darüber gehen. Auf die andere Seite.

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SWR2 Lied zum Sonntag

16APR2023
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Mit jubelnden Orgelklängen orchestriert Johann Sebastian Bach sein Vorspiel zum Osterchoral: „Heut triumphieret Gottes Sohn“. Was an Ostern geschehen ist, das wird in diesem Choral musikalisch in das Bild eines Triumphzuges gekleidet. Ich finde, das kann man auch hören: die Freude darüber, dass die Nacht des Todes vorbei ist. Und das Leben triumphiert.

Orgelvorspiel

Triumphzüge stammen ursprünglich aus der Welt der Antike. Wenn ein siegreicher römischer Feldherr nach Rom zurückgekehrt ist, dann ist er mit seinem Heer und den besiegten gefangenen Soldaten durch die Straßen gezogen. Massen von Menschen haben ihm dabei zugejubelt.
Auf die mitgeführten Gefangenen allerdings hat fast immer der Tod gewartet.
Einen ganz anderen Akzent setzt dagegen dieser Choral. Im Bild des Triumphzuges zieht hier der auferstandene Christus durch die Kulissen einer vom Tod gezeichneten Welt.
Denn mit seiner Auferweckung hat Gott die Macht des Todes ein für alle Mal gebrochen. Was ausgesehen hat wie ein katastrophales Scheitern, erweist sich am Ende als Sieg des Lebens. „Mit großer Pracht und Herrlichkeit“, wie es in dem Osterchoral heißt.

Heut triumphieret Gottes Sohn,
der von dem Tod erstanden schon,
Halleluja, Halleluja,
mit großer Pracht und Herrlichkeit,
des dankn wir ihm in Ewigkeit.
Halleluja, Halleluja.

Ich finde es bemerkenswert, dass das Lied das Geschehen der Auferstehung ins Heute verlegt. „Heut triumphieret Gottes Sohn“.
Weil Ostern nicht nur ein Ereignis in der Vergangenheit ist. Ostern geschieht heute. In meinem Leben. Wenn ich nach dunklen Tagen und Wochen wieder Mut fasse. Wenn mir in aller Hoffnungslosigkeit die Hoffnung nicht ausgeht.
Ich möchte mir das immer wieder klar machen! Beim Lesen jeder Todes- anzeige. Beim Schmerz über jeden verstorbenen Menschen. Immer dann, wenn das Leben vor einem dunklen Abgrund zu stehen scheint.
Christ ist erstanden! Der auferstandene Christus ruft auch mich ins österliche Leben. Das ist wahrhaftig ein Grund zur Dankbarkeit. Und so schließt auch der Choral mit einem großen Lobgesang. Auf den Gott, der sich mit Ostern auf die Seite des Lebens gestellt hat.

Gott Vater in dem höchsten Thron
samt Christus, seinem lieben Sohn,
Halleluja, Halleluja,
dem Heilgen Geist in gleicher Weis
in Ewigkeit sei Lob und Preis!
Halleluja, Halleluja.

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CD: Johann Sebastian Bach „Heut triumphieret Gottes Sohn“,
Orgelvorspiel und Choralsatz.
Aus: Ein Choralbuch, Gächinger Kantorei  & Bach     
Kollegium Stuttgart, Helmut Rilling, Hänssler Classic 2004

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SWR2 Wort zum Tag

05APR2023
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Diese Geschichte ist mir schon als Kind nahe gegangen. Da wird in der Bibel von einem gestandenen Mann gesagt: „... er weinte bitterlich.“ Wo ich doch immer wieder gehört hatte: Jungens weinen nicht!

Und dann wird erzählt, dass der erwachsene und starke Petrus doch bitterlich geweint hat. Weil er bereut hat, dass er seinen Freund Jesus im entscheidenden Moment im Stich gelassen hat. Laut und dreimal hintereinander hat er sich von ihm distanziert: „Ich kenne diesen Mann nicht.“ Und jedes Mal hat ein Hahn dazu einen schrillen Schrei ausgestoßen.

Diese Szene aus der Passionsgeschichte ist mir eingefallen, als ich neulich von dem amerikanischen Wissenschaftler Daniel Pink gelesen habe, der sich mit dem Thema Reue befasst hat.

Reue, so meint der Wissenschaftler, ist das schlechte Gefühl, dass es einem besser ginge, wenn man in der Vergangenheit klüger gehandelt hätte. Beispielsweise sich mehr gekümmert hätte um eine Freundschaft. Oder um die Ehefrau. Um die Kinder. Oder auch um die alten Eltern. 

Reue hat viele Gesichter. Bereuen kann man, etwas getan zu haben, was einem jetzt leid tut. Aber auch umgekehrt: etwas nicht getan zu haben, was man nun bedauert. In jedem Fall schickt uns, so der Wissenschaftler, das Bereuen eine wichtige Botschaft: dass ich nämlich merke, was mir wirklich wichtig ist.

Wer eine verlorene Beziehung oder Freundschaft bedauert, versteht, dass ich mich doch im Leben nach Liebe und Anerkennung sehne. Wer bedauert, einen anderen Menschen gekränkt zu haben, erinnert sich daran, dass wir eigentlich in Güte und Frieden miteinander umgehen wollen.

Zerknirscht sein hilft dann wenig. Eher die Frage: Was mache ich künftig anders? Vor allem besser?

Das lerne ich vom weinenden Petrus: wie der Blick zurück helfen kann, klarer nach vorne zu schauen. Nicht gelähmt, sondern befreit. Ich weiß dann wohl, ich habe etwas falsch gemacht. Und das schmerzt. Aber Kränkungen und Verletzungen passieren. 

Allerdings: ich muss ihnen nicht das letzte Wort überlassen. Ich nehme ihnen ihre Macht, wenn ich versuche, die Folgen meines Handelns künftig besser einzuschätzen.

Petrus zeigt mir, dass das gehen kann. Petrus, der bitterlich geweint hat, wird später zu einer tragenden Säule für die Sache Jesu. Und trägt darum zurecht den Beinamen Petrus, der Fels.

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SWR2 Wort zum Tag

04APR2023
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Es hat ja alles gut angefangen – damals beim Einzug Jesu in Jerusalem. Die Menschen haben Jesus zugejubelt. Mit Hochrufen und Palmzweigen war er empfangen worden. Und er hat es geschehen lassen. Aber dann, die nahe Stadt vor Augen, ändert sich bei Jesus die Stimmung dramatisch. Plötzlich beginnt er zu weinen. Er weint über das, was in den nächsten Tagen geschehen wird. Und - mehr noch - über das Unglück, das er kommen sieht. Die baldige Zerstörung Jerusalems.

„Wenn du doch erkennen würdest“, ruft Jesus beim Anblick der Stadt, „was zum Frieden dient! Aber nun ist's vor deinen Augen verborgen.“

Es gehört wohl tatsächlich zum Schwierigsten im Leben, wirklich zu erkennen, was dem Frieden dient. Alle sind ja überzeugt, eine Antwort darauf zu haben. Dabei hat jeder nur sein eigenes Friedensrezept! Genau darin aber liegt das Problem! Wie schnell zeigt sich, dass die eigenen Vorstellungen unverträglich sind mit denen des Gegenübers. Ist es diese Unverträglichkeit, die Jesus zum Weinen bringt? Seine Verzweiflung darüber, dass letzten Endes alle nur mit sich selbst beschäftigt sind? Und darum der Friede wenig Chancen hat?

Nach biblischem Verständnis ist Frieden, hebräisch Schalom, viel mehr als nur die Abwesenheit von Krieg. Schalom umfasst das äußere und innere Wohlergehen eines Menschen und einer Gemeinschaft. Ein gelungenes Leben in gelungenen Beziehungen. Ein Leben in Dankbarkeit gegenüber dem Gott, der Schöpfer von allen ist. 

Dass diese Einsicht unter den Steinen und hinter den Mauern einer Stadt verschüttet ist, bringt Jesus zum Weinen. Er weint über die menschliche Selbstbezogenheit und Gottesblindheit. Über eine Welt, die im wahrsten Sinne des Wortes ver-rückt ist. Nämlich: aus der Fassung gerutscht.

Aber: Tränen setzen auch Energie frei. Sie können verhärtete Zustände wieder ins Fließen bringen.nSo frage ich mich bei dieser Geschichte: was kann ich dazu beitragen, in einer verrückten Welt das zu erkennen und zu tun, was dem Frieden dient?

Vielleicht so, mit einem Gebet wie diesem: „Herr, mach mich zum Werkzeug deines Friedens, dass ich verbinde, wo Streit ist; dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält, dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert.“

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