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SWR Kultur Wort zum Tag
Nur wenige Meter von unserem Haus entfernt liegt am Rand eines schmalen Fußwegs ein Baumstamm im Gras. Er war einmal eine stolze Pappel mit einem beachtlichen Durchmesser. Vor vierzehn Jahren schon wurde sie gefällt und seither liegt sie da. Mit voller Absicht, denn sie soll Spaziergängern vor Augen führen, dass ihr Totholz vielen Tier- und Pflanzenarten als wichtiger Lebensraum dient. Es ist ein unglaublich langsamer Prozess, der da vonstattengeht, und wahrscheinlich wird es noch etliche Jahre dauern, bis von dem Baumstamm gar nichts mehr übrig ist. Ein wenig drastischer könnte man freilich auch sagen, dass an dieser Pappel der natürliche Verfallsprozess demonstriert wird, dem alles Organische unterliegt. Öffentlich zur Schau gestellte Verrottung. Mich erinnert sie jedenfalls auch an die eigene Vergänglichkeit.
„Alle Menschen sind doch wie Gras. In ihrer ganzen Schönheit gleichen sie den Blumen auf dem Feld. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, wenn der Wind des Herrn darüber weht.“ So sagt es ein biblischer Poet, und ich stelle mir vor, dass er dabei auf einem solchen Totholzbaum sitzt und in den Novembernebel starrt. Der Melancholie verfallen ist er gleichwohl nicht. Denn er hat auch eine klare Vorstellung davon, was diesem allgegenwärtigen Stirb und Werde mit Macht Widerstand leistet: „Das Wort unseres Gottes bleibt für alle Zeit“, lautet sein Statement.
Ausgerechnet Worte! Gibt es überhaupt etwas Flüchtigeres? Was sind schon Worte gemessen an der zähen Langlebigkeit eines Baumes? Schall und Rauch! Aber nach biblischer Überlieferung ist es ein Wort, das alles ins Leben gerufen hat: Den Baum, die Blume, das Gras, Menschen, Tiere und Mikroorganismen, ja die ganze Welt mit ihrem Kreislauf aus Leben und Sterben. Gott spricht. Spricht nur ein Wort. Spricht ein Machtwort. Und es geschieht. Und der christliche Glaube hat diesen Gedanken sogar noch radikaler weitergesponnen und behauptet: Wenn Gott einen ganzen Kosmos allein durch sein Wort hat entstehen lassen, dann kann er dem Tod, dem großen Vernichter, alles Lebendige auch wieder entreißen. „Ich glaube an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben“, heißt das im Glaubensbekenntnis.
Und wenn ich am Totholzbaum vorbeikomme und das Leben in ihm am Werk sehe, kommt mir das gar nicht so unmöglich vor.
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Als in den trüben Morgenstunden des sechsten November das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in den USA früher als erwartet endgültig feststand, musste ich auf einmal an Amanda Gorman denken. An ihren ikonischen Auftritt mit sonnengelbem Mantel und rotem Haarband bei der Amtseinführung von Joe Biden im Januar 2021. Die jugendliche Poetin hat damals die ganze Welt in ihren Bann gezogen. Ein dünnes schwarzes Mädchen, wie sie selbst von sich sagt, das von Sklaven abstammt und von einer alleinerziehenden Mutter großgezogen wurde. Und davon träumt, einmal Präsidentin zu werden. Dieser Traum ist nun erst mal wieder ausgeträumt, nicht für sie, aber für Kamala Harris, die gerade versucht hat, ihn Wirklichkeit werden zu lassen.
Trotzdem: Die Rede, die Amanda Gorman vor vier Jahren gehalten hat, hat für mich nichts von ihrer prophetischen Kraft eingebüßt. Im Gegenteil. Sie steht für mich in der Tradition eines anderen großen Redners. In der Bibel steht er auf einem Hügel. Viele Menschen sind um ihn versammelt und hängen an seinen Lippen. Und er sagt ihnen: „Ihr seid das Licht der Welt. Verbergt es nicht! Habt keine Scheu! Lasst es leuchten vor den Menschen. Traut euch etwas zu!“ Und wie einen Kommentar zu diesem Satz aus Jesu Bergpredigt, höre ich Amanda Gorman sagen: „Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten heraus, entflammt und ohne Angst. Die neue Morgendämmerung zieht auf, wenn wir sie befreien. Denn es gibt immer Licht, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein!“
Im Moment sieht es freilich eher danach aus, als hätte einer dieses Licht wieder ausgeknipst. Und viele fürchten sich vor einer langanhaltenden Phase der Dunkelheit. Mit ihren mutigen Worten, mit ihren Bildern von biblischer Kraft, mit ihrem Glauben an eine bessere Zukunft, bleibt Amanda für mich ein echter Lichtblick. Noch einmal mit ihren eigenen Worten: „Ein jeglicher wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen ohne Scheu. So steht es geschrieben in der Heiligen Schrift. Wenn wir dem Gebot der Stunde genügen und ans Ziel kommen wollen, werden nicht Schlachten zu schlagen, sondern Brückenschläge zu schaffen sein. So führt der Weg ins versprochene Licht. Den Hügel hinauf, wenn wir uns trauen.“
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Martina Steinbrecher trifft Margret Köpfer, Leiterin des Hans-Thoma-Museums in Bernau
Die Leiterin des Hans-Thoma-Museums in Bernau im Schwarzwald hat in diesen Tagen alle Hände voll zu tun. Grund dafür sind gleich zwei Jubiläen: Das Museum feiert sein 75-jähriges Bestehen. Und dann jährt sich in diesen Tagen der 100. Todestag des „Lieblingsmalers der Deutschen.“ Auf den Tag genau heute vor 100 Jahren ist er in Karlsruhe mit Glanz und Gloria beerdigt worden. Der Weg zu so viel Ruhm war allerdings lang und beschwerlich:
Hans Thoma stammt aus ärmlichen Verhältnissen und fürs 19. Jahrhundert auch sehr schwierigen Familienverhältnissen. Denn erst starb sein älterer Bruder, der Hilarius, dann starb sein Vater, und so war er das einzige männliche Mitglied der Familie, von dem natürlich auch irgendwie erwartet wurde, dass er in Zukunft die Familie ernährt. Die Familie bestand dann noch aus seiner Mutter Rosa und seiner Schwester Agathe. Und die Mutter Rosa hat also sehr viel darangesetzt, dass der Bub was G‘scheits wird.
Mutter und Schwester: Die beiden Frauen, die ihn ihr Leben lang begleitet und geprägt haben, hat Hans Thoma immer wieder portraitiert. Das vielleicht bekannteste Ölgemälde der beiden stammt aus dem Jahr 1866 und zeigt die 62-jährige Rosa und die 18-jährige Agathe, wie sie zusammen in einer Bibel lesen. Zum Jubiläum ist das Bild in der aktuellen Ausstellung zu bewundern.
Oder dann haben wir Mutter in der Bibel lesend. Das hängt im Schwarzwaldraum, da liest sie natürlich auch in der Bibel und hat ihre Brille auf. Diese Brille, irgendwie so dieses Symbol des Gebildetseins. Dann die Bibel, das Zeichen der Frömmigkeit. Das taucht schon immer wieder bei ihm auf.
Auch wenn die Familie Thoma katholisch ist und Hans erst durch die Heirat mit der Künstlerin Cella Berteneder evangelisch wird, zeigen die Bilder der lesenden Frauen ein zutiefst protestantisches Programm. Denn es war ein wichtiges Anliegen der Reformatoren, auch Menschen aus einfachen Verhältnissen Zugang zu Bildung zu verschaffen, und zwar Männern wie Frauen, nicht zuletzt, um die Bibel in ihrer Muttersprache lesen zu können. Dass das Bibelstudium im Hause Thoma ein alltägliches Ritual war, sieht man an der abgebildeten Bibel: Sie zeigt starke Gebrauchsspuren. Aber auch die Haltung von Mutter und Schwester lässt keinen Zweifel: Diese Frauen leben nicht vom Brot allein, sondern - gemäß einem Bibelvers - von jedem Wort, das ihnen aus Gottes Mund entgegenkommt. Ein Bild der Mutter mit Bibel ist zurzeit auch das Lieblingsbild von Margret Köpfer:
Das hängt so genial jetzt in der neuen Ausstellung. Wir haben praktisch die Fenster verdunkelt. Und da ist das Geburtshaus von Hans Thoma drauf, und zwischen den beiden Fenstern ist ein Stück Wand. Und da ist genau das Hauseck vom Geburtshaus. Und genau da hängt jetzt die Mutter, und es ist für mich so Inside-outside. Ja, ich sehe von außen das Geburtshaus, und ich sehe die Mutter von innen, die genau in diesem Eck des Hauses vorm Fenster sitzt und die Bibel liest. Ja, das find ich einfach irgendwie kongenial.
Man merkt es ihr an: Die gebürtige Bernauerin Margret Köpfer ist begeistert von ihrem kleinen Museum und seinen vielfältigen Möglichkeiten, den Maler und sein Werk bekannt zu machen. Bevor Hans Thoma im Alter von knapp 60 Jahren Direktor der Karlsruher Kunsthalle wird, Abgeordneter in der badischen Landeskammer und schließlich 1924 als hochbetagter A-Promi zu Grabe getragen wird, hat er als Künstler jahrzehntelang mit vielen Vorurteilen zu kämpfen:
Er war bei seinen Kollegen als „Hühnermaler“ verschrien, weil er so an seinen ländlichen, bäuerlichen Motiven festhielt. Und wir haben wunderschöne Hühner von ihm, also da weiß man dann überhaupt nicht, warum das ein Schimpfwort sein soll, weil er hat sie wirklich saugut drauf.
Mutter und Schwester unterstützen die Karriere des brotlosen Hühnermalers, und jahrelang lebt die Familie vom Erlös der Blumenbilder seiner Ehefrau Cella, die sich viel besser verkaufen lassen. Erst am Anfang des 20. Jahrhunderts stellt sich auch für Hans Thoma der Erfolg ein. Dann aber durchschlagend. Er wird zum Lieblingsmaler der Deutschen.
Das hat auch ein bisschen was mit der Zeit zu tun, weil eben die Industrialisierung in vollem Gange war. Und da hat sich der Mensch halt irgendwie so nach dieser Natur gesehnt, so wie Hans Thoma halt auch. Und für ihn war halt das Idealbild der Natur eigentlich oft einfach die Bernauer Landschaft.
Diese heimische Landschaft findet sich übrigens auch auf Bildern mit Szenen aus der Bibel. Als im Jahr 1912 endlich die beiden Altarbilder geliefert werden, die Hans Thoma seiner Heimatgemeinde für die Kirche St. Johannes schon lange versprochen hat, sind die Bernauer freudig überrascht. Denn auf dem einen sieht man …
… Maria über dem Bernauer Tal, das zeigt ja auch wieder irgendwie seine Heimatverbundenheit, wie die da über dem Ortsteil Innerlehen schwebt. Und es ist was zwischen Heiligenbild und Landschaftsbild. Und na ja, Johannes, der Täufer, das ist halt Rheinebene. Und er hat es bestimmt irgendwie ein bisschen angleichen wollen an die biblische Landschaft, aber eindeutig Rheinebene.
Hans Thoma hat wohl verstanden, was Mutter Rosa ihm aus der Bibel zu vermitteln suchte, und er hat mit seinen künstlerischen Mitteln umgesetzt, was die biblische Botschaft zu allen Zeiten will: Mitten im Leben der Menschen ihre Wirkung entfalten.
Überblick Hans-Thoma-Kunstmuseum in Bernau im Schwarzwald.
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St. Martin, der seinen Mantel mit einem Bettler geteilt hat, Bischof Nikolaus, der seine Würde als Heiliger schon bald wieder gegen den profanen Weihnachtsmann verteidigen wird. Oder die Mystikerin Teresa von Avila als erste Frau im offiziellen Status einer Kirchenlehrerin: Diese Heiligen sind auch mir als evangelischer Pfarrerin wohl bekannt. Aber spätestens nach ein paar Dutzend weiterer Namen versiegen meine Kenntnisse. Dabei zählt die katholische Kirche inzwischen nahezu 14000 Heilige, Selige und Märtyrer in ihrem Kalender. Und heute ist ihr Tag: Allerheiligen.
Der katholische Theologe und Musikwissenschaftler Meinrad Walter ist mit vielen Heiligen aufgewachsen. Eine katholische Kindheit mit feierlichen Prozessionen und fröhlichen Patronatsfesten. Heute arbeitet er als Professor an der Hochschule für Musik und im Amt für Kirchenmusik der Erzdiözese Freiburg. Er bedauert, dass der Festtag aller Heiligen vom darauffolgenden Allerseelentag mit Totengedenken und Friedhofsbesuchen buchstäblich in den Schatten gestellt wird:
Der 1.11. ist eigentlich ein sehr österlicher Tag, ein herbstliches Fest, was eigentlich sehr hell leuchten soll. Als jemand, der auch Musik macht, sehe ich so die Heiligen quasi in einem Ensemble. Es ist ein großes Ensemble. Manchmal wird es auch in Liedern als Chor beschrieben. Dann singen die Bekennerinnen, und dann singen die Märtyrer, Und dann singen die Heiligen Jungfrauen und was es alles gibt.
In dieser bunt gefächerten Gemeinschaft der Heiligen finden sich Stars und Sternchen und auch große Unbekannte. Da gibt es den Namenspatron des Professors, den Heiligen Meinrad, der das Kloster Einsiedeln in der Schweiz gegründet hat. Oder die Heilige Wiborada, die im elften Jahrhundert als erste Frau von der Kirche heiliggesprochen wurde. Sie hat ihr Leben eingemauert in einen Turm verbracht, ohne Tür, nur mit zwei Fenstern: eins in die Kirche hinein, eins zur Welt hinaus. Heute betreiben ihre Anhängerinnen eine digitale Plattform, auf der man spirituelle Übungen herunterladen kann. Ich frage mich: Fehlt uns etwas in der evangelischen Kirche so ganz ohne Heilige?
Wenn ich in meine katholische Kirche gehe, dann sehe ich den Heiligen Jakobus, weil die liegt im Schwarzwald, an einem Jakobus-Pilgerweg. Dann sehe ich Statuen, dann sehe ich ein ganzes Marienleben mit biblischen Dingen, wo jeder Protestant mitgehen kann. Ich glaube, die evangelische Gefahr ist, dass diese Buntheit ein bisschen verloren geht. Die katholische ist, dass es so bunt, so vielstimmig wird, dass man den Grundton Christus ein bisschen vergessen könnte, das ist dann auch schade.
Auch Evangelische Theologen sagen, wir haben zu wenig Gespür, dass es Menschen gibt, die sind außerordentlich. Bei uns sind alle immer gleich. Und das andere ist so eine Idolisierung: Das ist mein Gott! Also ich glaube, das eine ist so falsch wie das andere. Und das Heilige ist doch so irgendwo in der Mitte, das sind Menschen wie du und ich. Aber sie sind doch besonders begnadet. Im Ulmer Münster ist Johann Sebastian Bach so dargestellt wie die Heiligen und Apostel in katholischen Kirchen, nämlich als Person der Kirchengeschichte auf einem Sockel, quasi mit Orgelpfeifen und so weiter. Ähnlich Paul Gerhardt. Also irgendwie braucht es solche, jetzt nennen wir es mal Identifikationsfiguren, um das Wort Heilige zu vermeiden. Und ich glaube, das ist auch was Gutes. Das sind Personen, die herausragen, die man als Vorbild nehmen kann, die erst mal schlicht eine Präsenz haben.
Identifikationsfiguren, Vorbilder, charismatische Persönlichkeiten: Zu diesen Begriffen fallen mir etliche Personen ein. Bei einem Heiligen argwöhne ich: Es kann doch nicht sein, dass einer in seinem Leben nur Leuchtspuren hinterlassen hat! Und frage mich: Wo hat der wohl seine versteckten Schattenseiten? Ein Vorbild wäre für mich aber gerade ein Mensch, der mir auch zeigt, wie man auf gute Weise zu seinen Fehlern stehen kann. Und ich finde es eine Stärke protestantischer Theologie, dass sie Menschen gerade in ihrer Anfälligkeit zum Scheitern, theologisch gesprochen als Sünder ernst nimmt. „Ich bin kein ausgeklügelt‘ Buch. Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch!“
Politiker müssen die weiße Weste haben, egal, was irgendwo versteckt ist. Also hoffentlich ist es bei den christlichen Heiligen nicht so. Also diese Spannung in der Person, die muss man aushalten. Wenn man die Heiligen betrachtet, dann sind das ja keine so einförmigen Personen. Wenn ich jetzt denke, der Heilige Augustinus, durch welche Irrungen und Wirrungen der seinen Weg gefunden hat, die Heilige Edith Stein, die sagt, ich war überzeugte Atheistin und habe dann irgendwie zum Glauben gefunden. Also diese Dynamik, die darf es schon haben. Aber ich finde ganz schön, dass man sich auch an den Heiligen so ein bisschen reiben und stoßen kann, Dass die nur auf dem Podest stehen und nur alles im hellsten Licht und dann kommt ja der nächste Schritt: und ich als armes Menschlein so vieles im Dunkeln. Das wäre auch nicht gut.
In der Erzdiözese Freiburg steht demnächst eine Seligsprechung an. Dieser Akt kann der erste Schritt auf dem Weg zur späteren Heiligsprechung sein. Selige werden in einer bestimmten Region verehrt; Heilige dann von der ganzen weltweiten Kirche. Am 17. November wird im Freiburger Münster der Priester Max Josef Metzger seliggesprochen. Eine schillernde Persönlichkeit mit vielen verschiedenen Interessen, geboren 1887 im südbadischen Schopfheim. Eine Expertenkommission hat in den letzten Jahren in einem aufwändigen Prozess seine Biografie durchleuchtet und sämtliche seiner Veröffentlichungen gesichtet. Mit ausschlaggebend für den Antrag auf eine Seligsprechung war Metzgers pazifistisches Engagement. Nach seinen Erfahrungen als Seelsorger im 1. Weltkrieg ist der Weltfrieden zu einem seiner großen Lebensziele geworden. Denn …
… es kann nicht sein, dass die Menschen sich bekriegen. Wir müssen alles tun, damit das aufhört. Und das wird natürlich ganz virulent im Nationalsozialismus. Er hat einen Weltfriedensbund gegründet. Er hat evangelische Pastoren zum Friedensgespräch eingeladen, aber er ist natürlich dann auch angeeckt …
… und letztlich sind seine Friedensbemühungen verraten worden. In einem Schauprozess vor dem Volksgerichtshof wird Max Josef Metzger als Hochverräter zum Tod verurteilt und im April 1944 in Berlin hingerichtet. So wird er zum Blutzeugen, der für seinen Glauben mit dem Leben bezahlt.
Für ihn war Christkönig das Fest, was zeigt: Christus allein ist König. Wenn ein Diktator kommt und sagt: Ich bin der Allherrscher, kann das gar nicht sein, denn Christus ist König. Also ein sehr widerständiges Konzept: Ich mache keine Kompromisse mit einem Diktator, das finde ich schon sehr beeindruckend.
Dem Kirchenmusiker Meinrad Walter gefällt noch eine andere Facette im Leben des designierten Seligen: Max Josef Metzger hat nämlich auch volkstümliche Kirchenlieder geschrieben und sie mit Hilfe von befreundeten Komponisten mehrstimmig vertont:
Auch wieder was fast Lutherisches: Die Gemeinde soll doch selber singen. Die Gemeinde soll die Texte der Liturgie singen, nicht nur zuhören, wie andere singen. Das muss man doch hinkriegen. Da braucht man die deutsche Sprache, und der Kirchenchor soll denen endlich mal vorsingen, und dann stimmen die ein und dann lernen die das ganz.
Meinrad Walter ist deshalb auch nicht abgeneigt, den designierten Seligen in seine ganz persönliche Heiligenriege aufzunehmen. Ein Bild dieser illustren Schar hängt über seinem Schreibtisch: Darauf die Heilige Cäcilie, der biblische Psalmendichter und Harfenist David, die Kirchenmusiker Bach und Palestrina. Und daneben nun womöglich bald der selige Max Josef Metzger als Patron der dilettantischen Hobbykomponisten und Amateurmusikerinnen. Ein sehr sympathisches Ensemble!
Foto: Meinrad Walter vor einem musikalischen Heilgenbild von Sieger Köder.
Copyright: Amt für Kirchenmusik der Erzdiözese Freiburg
SWR Kultur Wort zum Tag
Wenn Sie sich genau zehn Tuwörter aussuchen könnten, um Ihr bisheriges Leben zu beschreiben, welche wären das? Probieren Sie es doch mal aus; ich fand es ein sehr anregendes Experiment. Und es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mit meiner kleinen Liste zufrieden war.
Darauf gebracht hat mich der Berliner Hanser-Verlag. Der hat nämlich gerade eine neue Essayreihe aufgelegt: „Zehn Bücher über die zehn wichtigsten Themen des Lebens.“ Eröffnet wurde die Reihe von Elke Heidenreich mit dem Thema „Altern“. Ist gleich ein Bestseller geworden. Und obwohl ich mir über das Älterwerden gerade auch sehr viele Gedanken mache, taucht das Verb „Altern“ in meiner Zehnwörterliste nicht auf. Genauso wenig wie das Verb schlafen, obwohl ich doch wahrscheinlich mindestens die Hälfte meines Lebens damit zubringe. Schlafen ist der Titel von Band zwei. Außerdem schon erschienen sind zwei Bücher über Streiten und Lieben. Arbeiten, wohnen, essen, spielen, sprechen und reisen sollen noch kommen. Und was, frage ich mich, ist mit glauben und leiden? Mit singen und sterben? Klar, jeder Mensch hat seine eigenen Themen.
Das ganze Projekt erinnert mich auch an den biblischen Text „Alles hat seine Zeit“. Der hat zwar viel mehr als zehn Tuwörter im Programm, macht aber im Prinzip dasselbe: Im großen Stil über das Leben nachdenken. Das ordnet er in Gegensatzpaaren an: Pflanzen und ausreißen, lachen und weinen, tanzen und klagen, Steine sammeln und Steine wegwerfen. Suchen und verlieren. Was mich wundert: Ob Gott in einer solchen Lebenswortliste vorkommt, ganz explizit oder eher zwischen den Zeilen, das kann auch der biblische Autor nicht mit Sicherheit sagen. Denn Gott kann eben nicht in ein Tuwort übersetzt werden. Keine Tätigkeit kann ihn fassen. Der biblische Prediger meint: „Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in unser Herz gelegt. Nur dass der Mensch nicht ergründen kann, was Gott tut, weder den Anfang noch das Ende.“ Wenn es Gott gibt, bleibt er ein Geheimnis. Aber eins, das mit Macht zum Leben verführt. Zum Leben mit all seinen Verben.
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Nusantara heißt die neue Stadt. Klingt wie aus einem Märchen, soll aber tatsächlich einmal die neue Hauptstadt von Indonesien werden. Im August ist der Grundstein gelegt worden, in zwanzig Jahren sollen dort zwei Millionen Menschen leben. Denn Jakarta, die bisherige Hauptstadt des Staates mit seinen 17 000 Inseln versinkt schon jetzt im Chaos, in Müll und in Abgasen. Und irgendwann im Meer. Weil der Meeresspiegel immer weiter steigt.
Was für eine Mammut-Aufgabe! Eine ganze Stadt komplett neu am Reißbrett zu entwerfen. Aber auch, was für eine riesengroße Chance: Da kann eine Stadt des 21. Jahrhunderts entstehen, ohne all den Ballast und die Fehler, die historisch gewachsene Städte eben mit sich herumschleppen. Und tatsächlich soll die neue Hauptstadt zu großen Teilen aus Grünflächen bestehen, ein nachhaltiges Energiekonzept verwirklichen und nur Elektroverkehr auf ihren Straßen haben. Eine perfekte Stadt? Ich hätte wirklich große Lust, auch anderswo an solchen Projekten mitzudenken. Dass es auch Probleme mit sich bringt, die dafür notwendigen Flächen zu erschließen, ist mir völlig klar. Aber ich will auch mal in Möglichkeiten denken. Und habe dafür ein anderes Städtebauprojekt vor Augen:
Auf den letzten Seiten der Bibel wird das himmlische Jerusalem beschrieben. Diese Stadt der Zukunft hat riesige Ausmaße, die perfekte Symmetrie, Straßen aus Gold, edelsteinbesetzte Tore, zwölf an der Zahl, sie ist nach allen Himmelsrichtungen hin offen.
Bemerkenswert daran sind aber nicht diese märchenhaften Bilder. Bemerkenswert finde ich, dass die Zukunft im biblischen Konzept überhaupt urban gedacht wird. Nicht als Rückkehr in einen immergrünen Paradiesgarten, kein Zurück zur Natur, sondern als Entwurf einer perfekten Stadt. Und auch wenn das ein himmlisches Bild ist, lese ich darin eine Anerkennung der menschlichen Zivilisationsgeschichte. Schon heute lebt ja mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, in Deutschland sind es fast 80%. Mir macht das Hoffnung. Hoffnung, dass es gelingen kann, lebenswerte Städte zu bauen. Einen Versuch, finde ich, ist es allemal wert.
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Simon Morris hat mir auf Facebook eine Freundschaftsanfrage geschickt. Er lebt in einem der mittleren US-Bundesstaaten und ist geschieden. Sein Profilbild zeigt einen Mann in den besten Jahren: Silbergraue Schläfen, durchtrainierter Körper, Hochglanzlächeln. Viel mehr gibt er nicht von sich preis. Ach ja, er schreibt noch, dass er zufällig auf mein Profil gestoßen ist, mich ganz bezaubernd findet und mich gern näher kennenlernen möchte.
Dutzende solcher Anfragen habe ich schon weggeklickt. Sorry, kein Interesse. Erst vor kurzem habe ich aber erfahren, was sich hinter all diesen gutaussehenden Amerikanern verbirgt. Es ist ein ausgeklügeltes Betrugssystem und heißt love-scamming. Auf Deutsch: Liebesbetrug. Die Masche dieser digitalen Heiratsschwindler ist einfach und fies: Mit einem gefälschten Profil machen sich diese Männer interessant, geben sich höflich und charmant und versuchen auf diese Weise, ihre potentiellen Opfer für sich einzunehmen. Und wenn das geklappt hat - auszunehmen: Plötzlich gerät Mr. Morris nämlich in finanzielle Nöte und bittet seine Internetbekanntschaft um Geld. Natürlich nur leihweise und als Überbrückungshilfe. Dann verschlimmert sich seine Lage, die Forderungen werden dringender, das Unheil nimmt seinen Lauf.
Lange habe ich nicht verstanden, warum Frauen da mitmachen. Nicht wenige sind hoch verschuldet oder finanziell bankrott. Dann habe ich ein Buch von Martina Hefter gelesen. Einen Roman mit dem Titel „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“* Darin schildert die Hauptfigur Juno, wie sie einem dieser Lovescammer auf die Schliche kommt, ihn sogar enttarnt und dann trotzdem mit ihm in Verbindung bleibt. Wie sie sich ihm innerlich öffnet, ihn dann wieder beargwöhnt und eine Zeitlang ignoriert, und dann doch wieder seine Fragen beantwortet. Geld fließt übrigens keins in diesem Buch. Aber die Geschichte ist so aufrichtig und echt, so völlig frei von Kitsch geschrieben, dass sie mich immer noch bewegt. Vor allem hat sie mir beigebracht, mich nicht über andere zu erheben, die „auf so was!“ reinfallen. Denn was für ein bedürftiges Wesen ist doch der Mensch! Angewiesen auf wahre Liebe und Zuneigung. Und wie verletzlich dabei. Ich auch!
*Martina Hefter, Hey guten Morgen, wie geht es dir? Stuttgart 2024
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Heute ist der „Tag des Erzengels Michael und aller Engel“. Es ist ein komischer Feiertag, denn wie schade für Michael, dass er seinen Namenstag mit allen anderen Engeln teilen muss. Und wie bedauerlich erst für die große Zahl an Engeln, von denen es anscheinend so viele gibt, dass nicht jeder mit einem eigenen Gedenktag gewürdigt werden kann. Einem dieser namenlosen Engel hat der Dichter Hugo Ball zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Trost wenigstens ein kleines Gedicht gewidmet. Und der zeitgenössische Komponist Peter Schindler hat es in Töne gesetzt. Es heißt Morgenengel:
Früh, eh der Tag seine Schwingen noch regt,
alles noch schlummert und träumet und ruht,
Blümchen noch nickt in der Winde Hut,
eh noch im Forste ein Vogel anschlägt,
schreitet ein Engel durchs tauweiße Land,
streut aus den Segen mit schimmernder Hand.
Dieser Morgenengel bleibt nicht nur ohne Namen, er wirkt auch im Verborgenen. Die Morgendämmerung ist seine Zeit, früh, eh der Tag seine Schwingen noch regt. Noch nicht einmal ein Vogel ist wach, der doch lange schon vor irgendeiner menschlichen Seele das Licht eines neuen Tages heraufziehen spürt. Ein Engel schreitet durchs tauweiße Land, womöglich barfuß, aber das stört ihn nicht, denn er widmet sich mit Hingabe seiner Aufgabe: „Streut aus den Segen mit schimmernder Hand.“ Als hätte die Welt den ganzen Segen vom gestrigen Tag schon wieder aufgebraucht und müsste nun auf’s Neue damit überschüttet werden. Und dann erwacht die Schöpfung aus ihrem Schlummer:
Und es erwachet die Au und der Wald.
Blumen bunt reiben die Äuglein sich klar,
staunen und flüstern in seliger Schar.
Aufstrahlt die Sonne, ein Amselruf schallt.
Aber der Engel zog längst schon landaus.
Flog wieder heim in sein Vaterhaus.
Kein Mensch betritt die Szenerie dieses Gedichts. Nur die Vögel sind schon da, und die Au und der Wald und die Blumen regen sich im ersten Sonnenlicht. Aber auch sie sind dem Morgenengel nicht begegnet. Ehe ein Geschöpf ihn bemerken kann, ist er schon wieder weitergezogen. Was für eine schöne Vorstellung, dass die Welt ganz ohne mein Zutun jeden Morgen neu gesegnet wird. Von Engeln, die sich dafür zwischen Tau und Tag an die Arbeit machen. Mit schimmernden Händen Segen ausstreun, damit ich morgens in einer gesegneten Welt aufwachen kann.
Musikangaben:
Text: Hugo Ball (1868-1927)
Komposition: Peter Schindler (geb. 1960), Nr. 2 aus dem Zyklus „Engel-Lieder“ (2019)
Aufnahme: Anja Petersen (Sopran) und Peter Schindler (Piano) (31.01.2021), Youtube
Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Ausgerechnet Mose heißt der gigantische mobile Deich, der die Stadt Venedig regelmäßig vor Überflutungen schützt. Mose, wie der Mann aus der Bibel. Seit vier Jahren ist er in Betrieb und seither schon 84-mal zum Einsatz gekommen. Bei Hochwassergefahr werden seine 78 leuchtend gelben Fluttore vom Meeresboden auf 30 Meter Höhe hochgeklappt und riegeln so die Lagunenstadt auf einer Länge von knapp 2 km vom offenen Meer ab.
Ich wusste gar nicht, dass es diese Vorrichtung überhaupt gibt, und war begeistert, als ich neulich davon gelesen habe. Und auch der biblische Namensgeber hätte wohl seine helle Freude an dem technischen Wunderwerk gehabt. Zwar ist der venezianische Mose nur die Abkürzung von „Modulo Sperimentale Elettromeccanico“, was auf Deutsch - und reichlich untertreiben - so viel heißt wie ein „elektromechanisches Versuchsmodul“, aber es besteht kein Zweifel, dass Mose zwei mit immensem technischem Aufwand genau das zuwege bringt, was Mose eins einst allein durch das Heben seines Armes bewirkt haben soll: Er hat, so steht es in der Bibel, das Meer geteilt. Hat dafür gesorgt, dass eine Gruppe von Menschen aus sklavischen Verhältnissen im alten Ägypten entkommen konnte. Buchstäblich in letzter Sekunde, bevor die Streitkräfte des Pharaos die Flüchtigen eingeholt hatten, hat Mose die Fluten geteilt.
Die Israeliten gelangen sicher ans rettende Ufer; die Verfolger kommen um, als die unsichtbaren Dämme kurz darauf brechen und das Wasser zurückkommt. Und ganz egal, was sich damals tatsächlich abgespielt hat, diese Geschichte ist für Generationen von Menschen zur Urerfahrung von möglicher Rettung aus höchster Not geworden. Und ein neuer Mose tut nun dasselbe für die Venezianer. Ihre Stadt sinkt jährlich um drei bis vier Millimeter ab. Und draußen steigen die Meeresspiegel. Aber Mose hält das Unheil fern. Er ist für mich ein wuchtiges Beispiel für den zwar nicht von Mose, aber von Hölderlin überlieferten Satz: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“
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„Ein kleiner Einstein“ habe ich damals unter das Foto geschrieben. Mein ältester Sohn ist darauf vielleicht fünf Jahre alt und hat sich die viel zu große Brille seines Vaters auf die Nase gesetzt. Dadurch blickt er nun sehr gelehrt in die Welt. Und sieht aus wie ein kleiner Einstein.
Was auf dem Foto wie ein Scherz daherkommt, war vor zwanzig Jahren in vielen Kindertagesstätten im Land Programm. Beim sogenannten „Einstein-Konzept“ gab es für jedes Kind einen individuell abgestimmten Bildungsplan. Die Stärken sollten gezielt gefördert, die Schwächen ausgeglichen werden. Der Blick auf das einzelne Kind, seine Interessen und Bedürfnisse stand im Mittelpunkt. Zwei Jahrzehnte später schlägt das Pendel nun wieder in die andere Richtung aus: „Wir brauchen mehr Gemeinschaftssinn, mehr wir“, sagt die Leiterin einer Stuttgarter Kita. „Mehr Rituale, mehr gemeinsames Singen und Spielen, mehr verlässliche Strukturen im Kindergartenalltag.“ Mit Sorge blickt sie auf eine erwachsene „Ich-Gesellschaft“, in der vor allem die Frage zählt „Was nützt es mir?“
Ich schaue wieder das Bild in meinem Fotoalbum an: Aus dem kleinen Einstein ist später ein begeisterter Pfadfinder geworden und heute ein junger Mann, der eigene Interessen verfolgt und sich neben seinem Studium ehrenamtlich in einem Berliner Gemeinschaftsprojekt engagiert. Und ich denke, es braucht doch wohl immer beides: Eine gute individuelle Förderung und eine, die die sozialen Kompetenzen auch nicht aus dem Auge verliert. Lauter kleine Einsteins, das kann ja nicht funktionieren.
Im neuen Testament findet sich ein schönes Bild für eine gelingende Gemeinschaft. Der eine Stein, der Einstein, auf den es da ankommt, ist Christus. Er bildet ein tragfähiges Fundament. Und von den Menschen, die auf ihn bauen, heißt es: Lasst euch selbst als lebendige Steine zu einer Gemeinschaft aufbauen. So wird ein Haus draus.
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