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SWR4 Abendgedanken RP

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Diese Worte werde ich jetzt am Palmsonntag wieder hören, im Gottesdienst - es sind die letzten Worte Jesu, bevor er am Kreuz stirbt. Zumindest berichten so die Evangelisten Markus und Matthäus. Warum musste Jesus so sterben? Wie kann ich das verstehen? Ich bin mit diesen Fragen noch nicht fertig, auch heute nicht. Aber während meines Studiums ging mir etwas auf: ich habe die Kreuzigungsszene auf dem Isenheimer Altar gesehen. Matthias Grünewald hat dieses Altarbild im 15. Jahrhundert gemalt. Jesus hängt schmerzhaft entstellt am Kreuz, die Finger an den blutenden, ausgezerrten Armen sind verkrampft, das Gesicht zeigt einfach nur Schmerz und sein Körper ist übersät mit Pestbeulen und eitrigen Wunden. Nicht nur dass das Bild abgründig und ungeschönt ist, der Maler hat Jesus auch die Pest angehängt - das fand ich beeindruckend. Denn die Pest hat ursprünglich mit Jesu Tod nichts zu tun. Sie war ja die große Bedrohung im Mittelalter, sie war der schwarze Tod, dem die Menschen in Europa schutzlos ausgeliefert waren. Ein Drittel der Bevölkerung hat sie hinweggerafft. Und der Maler Grünewald hängt Jesus die Pest an. Er hängt sie sozusagen mit ans Kreuz. Wie mag das auf die Menschen gewirkt haben? Ich stelle mir vor, wie sie in den Kirchenbänken sitzen und dieses Altarbild sehen: Jesus, der übersät ist mit Pestbeulen. Und darunter - die Gaben, Brot und Wein, die der Priester im Gottesdienst segnet. Vielleicht haben sie dabei gespürt, dass der Tod Jesu etwas mit ihnen zu tun hat. Vielleicht haben sie gespürt, dass er nicht nur Brot und Wein, sondern auch ihre Sorge und ihre Angst, teilt. Und vielleicht war das auch ein Trost für sie. Ich weiß es nicht. Heute würde das Altarbild von Matthias Grünewald anders aussehen. Die Pest würde nicht mehr mit am Kreuz hängen. Dafür aber die Kriege unserer Zeit, das Atomunglück in Japan, die Verzweiflung der Flüchtlinge und unsere ganz persönliche Not. Ich bin mit der Frage, wie ich Jesu Tod verstehen kann noch nicht fertig. Aber mir ist klar geworden, dass er das Leid derer teilt, die trauern und verzweifeln. Zumindest hoffe ich das und bete, dass es die Menschen spüren, deren Not ich nicht begreifen kann.

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SWR4 Abendgedanken RP

Angeschnallt, den Schlüssel ins Zündschloss und rumgedreht...aber anstatt anzuspringen, orgelt der Motor nur kurz, und dann geht nichts mehr. Die Batterieanzeige leuchtet rot auf und erinnert mich daran, dass ich am Abend vergessen habe, die Leselampe auszuschalten. Klar, jetzt ist die Batterie leer, ganz leer - Tiefenentladung nennt das der Fachmann. Nervig, finde ich das. Im Grunde aber kein größeres Problem. Mit dem Überbrückungskabel hat der Mann vom ADAC den Motor wieder zum Laufen gebracht und nach einer Stunde Autofahrt ist die Batterie wieder voll. Wenn die Batterie beim Auto leer ist, dann ist das eine Sache - was aber, wenn mir die Kräfte ausgehen, wenn meine Energie aufgebraucht ist? Die Bibel erzählt von so einem Fall: der Prophet Elija ist mit seinen Kräften völlig am Ende. Es heißt sogar, dass sich Elija den Tod wünscht, weil er nach seinem unermüdlichen Einsatz für Gottes Sache einfach nicht mehr kann. Als ihn der Schlaf überkommt, wird er von einem Engel geweckt. Er soll sich stärken: mit einfacher Kost, mit Brot und Wasser. Dann bricht Elija auf zu einem einsamen Ort. Vierzig Tage und Nächte hindurch wandert er und zieht sich auf dem Gottesberg Horeb in eine Höhle zurück. Hier findet er wieder zu sich selbst und zu Gott. Und zwar nicht in gewaltigen Zeichen. Sturm und Feuer ziehen an seiner Höhle vorbei. Aber Gott findet er - wie die Bibel formuliert - in einem sanften Schweigen. Ich selbst war, Gott sei Dank, noch nicht soweit mir den Tod zu wünschen. Aber den Zustand, nicht mehr zu können, keine Kraft und keine Motivation mehr zu spüren, den kenne ich. Irgendwie ausgelaugt. Dann tut es einfach Not, zu schlafen und zu essen und vielleicht auch noch an die frische Luft zu gehen, ein bisschen wie Elija bei seiner Reise. Am meisten hilft mir aber der Rückzug an einen stillen Ort. Ich gehe in ein Kloster in der Eifel, wenn es klappt, einmal im Jahr. Und hier habe ich tatsächlich die Erfahrung gemacht, dass Stille heilsam ist. Es sind nicht die großen Worten, die fantastischen Geschichten, nein, es ist die Stille, in der ahne ich etwas von Gott ahne; von seiner leisen, ständigen Gegenwart. Das ist für mich auftanken, aufladen, wenn mein Akku tief entladen ist.

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SWR4 Abendgedanken RP

Am Anfang dieses Jahres sind wir umgezogen. Das war eine ganze Menge Arbeit. Vor allem, weil wir in der Wohnung noch alle Böden und Wände neu machen mussten. Mittlerweile sind die Bücher in den Regalen, das Geschirr im Schrank und der Alltag klappt wieder. Trotzdem gibt es ein paar Dinge, die liegen noch in den Kisten. Das alte Bild von meinem Bruder und mir, das jahrelang bei der Oma im Schlafzimmer hing. Die kleine Tonskulptur, die mir mein Pfarrer geschenkt hat. Unser Hochzeitsfoto... . Ich merke, diese Dinge kann ich nicht einfach irgendwo hinstellen oder aufhängen. Sie brauchen einen Platz in der Wohnung, einen, der zu ihnen passt. Und den habe ich noch nicht gefunden. Das mit dem passenden Platz stimmt nicht nur bei Dingen. Es geht mir auch so, wenn ich etwas Wichtiges zu erzählen habe. Ich komme nicht auf die Idee, der Kassiererin beim Einkaufen von einem Berufserfolg zu erzählen oder dem Nachbar im Treppenhaus von meiner Traurigkeit. Hier wäre es fehl am Platz. Am Abend, dann, wenn Zeit dafür da ist, spreche mit meiner Frau oder rufe meinen Bruder an, oder einen guten Freund. Es muss jemand sein, der mich kennt und der mir zuhört. Dann weiß ich: meine Freude oder meine Traurigkeit haben jetzt einen guten Platz.
Der ehemalige Aachener Bischof Klaus Hemmerle geht noch einen Schritt weiter. Nicht nur Sachen und Dinge, nicht nur Gedanken und Gefühle, nein, vor allem unser Herz braucht einen passenden Platz. Es braucht einen Ort, wo es gut aufgehoben ist. „Dein Herz an Gottes Ohr," schreibt er. Das klingt erst mal sperrig. Aber der Bischof ist sich sicher: Gottes Ohr ist der richtige Platz für mein Herz. Gott hat sein Ohr, seine ganze Aufmerksamkeit bei mir. Und noch mehr: er hört nicht nur die Worte, die ich vielleicht bete, er hört auch all das, was dahintersteckt. Gott hat sein Ohr an meinem Herzen. Ich finde, das ist eine wunderbar tröstliche Vorstellung - vor allem in Zeiten, in denen ich keine passenden Worte finde.

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SWR4 Abendgedanken RP

Da lag sie in meinen Armen. Dieser kleine Mensch. Sie machte manchmal die Augen auf, quietschte leise vor sich hin, die ersten Minuten auf dieser Welt. Ich konnte einfach nur staunen, konnte mich nicht satt sehen. Wie froh war ich, dass sie nicht schrie und keinen Hunger hatte, sondern einfach nur da lag; ganz friedlich, ganz ruhig. Unsere Tochter ist jetzt acht Wochen alt - und mir geht es jeden Tag so: ich könnte sie stundenlang anschauen und bestaunen. Die kleinen Hände mit den winzigen Fingern, das süße Gesicht, die kleinen Strampelbeine... . Sie hat sich einfach in mein Herz geschlichen . Und wenn sie in meinen Armen einschläft, empfinde ich ein Riesenglück. Vaterglück, denke ich, und kann gar nicht anders, als sie von Herzen zu lieben. Ich weiß, das viele Väter so fühlen , und Großväter kennen das Gefühl doppelt: Bei den eigenen Kindern und bei den Enkeln. Ich finde es erstaunlich, dass wir auch von Gott oft als Vater sprechen. Zumindest ruft Jesus ihn so: Abba, lieber Vater - übersetzt heißt das eigentlich „Väterchen". Und seinen Jüngern lehrt er als Gebet das Vaterunser. Gott wie ein liebender Vater oder eine liebende Mutter? Leider machen nicht alle Kinder mit ihren Eltern gute Erfahrungen. Das macht die Vorstellung von einem Gott, der so sein soll wie Vater oder Mutter, nicht unproblematisch. Aber wenn ich von meinem Vaterglück ausgehe, von diesem Moment, in dem meine Tochter ganz zart und schutzlos in meinen Armen liegt, dann frage ich mich: Was, wenn es Gott genauso geht - mit uns, seinen Kindern? Mit dir, mit mir? Was, wenn er tatsächlich das fühlt, was ich für meine Tochter fühle? Was, wenn er gar nicht anders kann, als zu lieben? Gott kann nur lieben - weil wir seine Kinder sind! Wenn ich das wirklich glaube, dann tut sich eine Welt auf: Dann kann ich mich in seine Arme fallen lassen. Dann muss ich mich nicht ständig beweisen, muss nicht zeigen, was ich kann und vertuschen, was ich nicht kann. Dann darf ich einfach sein, einfach so. Ich muss nicht um Liebe kämpfen, nein, ich bekomme sie ja geschenkt. Gott kann nicht anders. Gott kann nur lieben. Viel überschwänglicher und reicher als ich es mir vorstellen kann. Und mein Vaterglück? Das ist eine schöne Ahnung davon.

 

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SWR4 Abendgedanken RP

Ich spaziere oft mit dem Kinderwagen durch die Weinberge, die bei mir praktisch vor der Haustür liegen. In den letzten Wochen habe unterwegs beobachtet, wie die vielen Triebe an den Reben geschnitten wurden. Meist bleibt nur eine, höchstens zwei Ruten stehen. Diese werden von den Winzern sorgsam gebogen und gebunden. Sie wissen, dass die Kraft des Bodens und der Sonne begrenzt ist - sie reicht nicht aus, dass an allen Trieben volle, reife Früchte wachsen. „Weniger ist mehr", heißt hier das Motto. Schließlich sollen die Trauben bei der Ernte süß und reif sein, damit dann auch die Qualität des Weines stimmt.
„Weniger ist mehr", der Satz könnte auch von Gott sein. Im Johannesevangelium sagt Jesus: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht". Bemerkenswert finde ich die Rolle, die Gott dabei zufällt: Gott ist der Winzer. Er reinigt die Reben und schneidet die ab, die keine Frucht bringen. Mit diesem Bild habe mich nie leicht getan. Gott ein Winzer, der die Reben abschneidet, weil sie keine Frucht bringen? Gott, einer der aussortiert und abtrennt? Leichter wird es mir, wenn ich an einen befreundeten Winzer in der Pfalz denke: von ihm weiß ich, wie viel Herzblut und Sorgfalt hinter der Arbeit im Weinberg stecken; mit welcher Umsicht und Aufmerksamkeit er täglich die Reben pflegt. Und diese Liebe zu seinem Weinberg traue ich auch Gott zu. Ich glaube, dass es ihm nicht egal ist, wie ich wachse und welche Früchte ich hervorbringe. Und weil meine Lebenskraft genauso begrenzt ist, wie die Kraft des Bodens und der Sonne, motiviert mich das Bild vom Weinstock und den Reben: darüber nachzudenken, in welchen unfruchtbaren Sackgassen ich mich verfangen habe, wo ich mich verzettle, und wo es an der Zeit ist, mich auf die Dinge zu konzentrieren, die mir wirklich wichtig sind. Weniger ist mehr, nicht nur bei den Reben im Weinberg.

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SWR4 Abendgedanken RP

„Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar ..." - so beginnt ein Gedicht, das in der Kirche an Geburtstagen, bei Hochzeiten oder zum Jahreswechsel gesungen wird. Behütet und getröstet wunderbar - eine schöne Vorstellung. Aber dann sehe ich die Nachrichten von Unglück und Katastrophen vor mir, in der Zeitung, im Fernsehen. Ich erlebe in der Verwandtschaft, dass der geliebte Ehepartner zu früh stirbt. Ein Jugendlicher aus der Gemeinde verunglückt, eine Beziehung scheitert: Behütet und getröstet wunderbar? Der Satz kommt mir oft genug falsch vor: es stimmt nicht, dass Menschen immer geborgen und getröstet sind. Das zu glauben wäre naiv. Der Autor des Liedes allerdings war alles andere als naiv: Dietrich Bonhoeffer, ein evangelischer Theologe, heute, am 4. Februar vor 105 Jahren ist er geboren worden. Bonhoeffer schließt sich im dritten Reich dem Widerstand gegen Hitler an. Er hält entschieden daran fest, dass sich die Christen gegen Unterdrückung und Willkür stark machen müssen - auch dann, wenn die eigene Sicherheit gefährdet ist. Er wird verhaftet und sitzt zum Jahreswechsel 1944 bereits in einem Berliner Gefängnis der Gestapo als seine Zeilen von den „Guten Mächten" entstehen. Er schreibt sie als Gedicht an seine Verlobte und ist sich wohl bewusst, dass sein Leben auf dem Spiel steht. Denn er dichtet: „Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern, aus deiner guten und geliebten Hand." In einem zwielichtigen Prozess wird er schließlich des Hochverrats angeklagt und im April 1945 zum Tode verurteilt. Bonhoeffer ist 39 Jahre alt, als er hingerichtet wird. Dass Bonhoeffer selbst Leid erfahren musste, macht anderes Unglück nicht besser. Leid ist Leid und darf nicht kleingeredet werden. Vor allem dann nicht, wenn ich mittendrin stecke. Sein starker Glaube zeigt mir aber, dass es auch in den dunklen Stunden des Lebens Wege geben kann, nicht zu verbittern und unterzugehen. Deshalb ermutigt mich Bonhoeffers starkes Leben und so kann ich sein Lied auch weiterhin mitsingen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, behütet und getröstet wunderbar, Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag."

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SWR4 Abendgedanken RP

Schuhe abputzen, rein in die Wohnung und die Tür zu. Jacke und Tasche weg und dann löse ich die Schnürsenkel und ziehe sie aus, die Schuhe, die mich den ganzen Tag begleitet haben. Ab damit in den Schuhschrank. Wie mit den Schuhen, so sollte ich es auch mit meinen täglichen Sorgen machen, empfiehlt ein Sprichwort aus Schweden: Wenn du schlafen gehst, dann stecke deine Sorgen in die Schuhe. Das gefällt mir: Also, den Ärger über den Kollegen, mit dem die Wellenlänge nicht stimmt? Ab damit in die Schuhe. Die Gedanken an die Tochter, die in einer persönlichen Krise steckt, der ich aber nicht helfen kann? Ab in die Schuhe. Die Sorge um das Enkelchen, das mit Fieber und Husten im Bett liegt? Ab in die Schuhe. Wenn ich die dann am anderen Tag wieder anziehe, ist immer noch genug Zeit für Sorgen und Aufgaben; ich muss sie nicht mit ins Bett nehmen und mir auch die Nacht verderben lassen. Ja, das klingt gut. Aber wenn ich ehrlich bin, dann frage ich mich: Wie kommen die Sorgen denn aus meinem Kopf und meinem Herz in die Schuhe hinein? In einer Zeit und in einem Land, da die meisten Schuhe noch Sandalen waren, erzählt Jesus: Mit dem Reich Gottes ist es wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät. Dann schläft er. Stopp, möchte ich einhaken. Bestimmt hat er den Acker gut vorbereitet, die Erde nach den Wintermonaten aufgepflügt, den Rechen durchgezogen, um dann - in der Zeit der Aussaat - mit geschickter Hand den kostbaren Samen zu säen. Seine Pflicht hat er bestimmt getan. Gut, hat er, aber dann? Dann schläft er. Ganz einfach! Pflug und Rechen stehen in der Ecke und er legt sich hin und schläft. Es wird Nacht und wird Tag, so erzählt Jesus, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht. Ich finde: ein beeindruckendes Gleichnis. Wenn ich meine Verantwortung wahrnehme und den Samen säe, dann kümmert Gott sich um das Wachsen der Saat. Deshalb darf ich die tägliche Sorge am Abend loslassen und Gott in die Hand legen. Wenn die Gedanken aber doch hartnäckig bleiben, habe ich die Erfahrung gemacht, dass es wirklich hilft, sie aufzuschreiben. Für jede Sorge ein kleines Zettelchen und dann lege ich sie weg - ob in die Schuhe oder nicht ...die Erde bringt von selbst ihre Frucht.

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SWR4 Abendgedanken RP

Spätestens heute sind die Weihnachtskrippen in den Kirchen abgebaut. Mit den Kerzen ist es aber trotzdem nicht ganz vorbei: in den Gottesdiensten wird am 2. Februar Mariä Lichtmess gefeiert. Da ist es Brauch, die mitgebrachten Kerzen zu segnen. Das verbindet sie sozusagen mit dem Licht der Heiligen Nacht. Das Licht wird in den Alltag des Jahres hineingetragen, denn die gesegneten Kerzen werden Angehörigen geschenkt und in schweren Stunden angezündet. Früher gab es sogar bestimmte Kerzen, die Gefahren wie Blitz und Hagel von Haus und Hof fernhalten sollten. Ehrlich gesagt verlasse ich mich beim Unwetter lieber auf Blitzableiter und nicht auf Kerzen. Aber der Gedanke gefällt mir, dass das Licht der Weihnacht jeden Tag scheinen kann. Auch das Fest Maria Lichtmess geht auf so einen Lichtblick zurück. Auf den alten Simeon, der in Jerusalem dem kleinen Jesuskind begegnet. Simeon ist ein frommer und weiser Mann. Er hofft, dass er nicht sterben wird, bevor er seinen Erlöser, seinen Retter trifft. Im Tempel von Jerusalem begegnet er Maria und Josef mit ihrem 40 Tage alten Baby. Simeon nimmt es auf den Arm und erkennt in ihm den menschgewordenen Gott. Jetzt ist er sich sicher: Er kann in Frieden gehen, denn Gott ist da. Gott ist bei ihm, Gott ist bei den Menschen, es kann nichts mehr passieren. Und er kann nicht anders, er muss seine ganzen Gefühle in ein wunderbares Gebet packen. Dieses Gebet des Simeon berührt bis heute Menschen, und wird bis heute im Abendgebet der Kirche gebetet: „Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, dass du vor allen Völkern bereitet hast."  Aber erzählt dieses Gebet nicht eigentlich von einer verdrehten Welt? Eigentlich brauchen doch Kinder die Erwachsenen. Eigentlich sind es die Erwachsenen, die die Kinder beschützen sollen. Bei Simeon und Jesus ist das anders: in dem kleinen Baby erkennt der alte Simeon das wahre Gesicht Gottes. Das überwältigt ihn: der große Retter-Gott ist zart, ist verletzlich und verschenkt sich in einem Kind. Das gibt ihm Hoffnung, das lässt sein Herz ganz ruhig werden: Gott macht sich klein, Gott ist zart. Daran möchte ich denken, wenn ich im Alltag eine Kerze zum Gebet anzünde.

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SWR4 Abendgedanken RP

Der Bauch meiner Frau ist mittlerweile schön groß und rund geworden. Wenn ich meine Hand darauf lege, dann spüre ich manchmal, dass sich der kleine Mensch darin schon bewegt. Ob es ein Mädchen oder ein Junge wird - da wollen wir uns überraschen lassen und sind schon sehr gespannt. Unfassbar, denke ich oft: da bin ich unserem Kind ganz nah und weiß doch so wenig von ihm. Wie es aussieht, wie es sich anfühlt, wie seine Stimme klingt? Dieses neue Leben ist noch ganz verborgen, ganz geborgen im Schoß seiner Mutter. Ich spüre nur manchmal seine Bewegungen und sehe am Bauch meiner Frau, dass es wächst. Wir haben großes Glück. Bisher ist alles gut gelaufen und wie alle Eltern hoffen wir, dass unser Kind gesund zur Welt kommt. Immer klarer wird mir dabei, wie wenig ich in der Hand habe. Ich kann mich sorgen, kann vielleicht schlaue Bücher über gute Erziehung und gesunde Ernährung lesen, aber im Moment kann ich für diesen kleinen Menschen nichts tun - außer vielleicht den Bauch zu streicheln und schon mal durch die Bauchdecke zu sprechen. Meiner Frau geht es ähnlich. Natürlich spürt sie alles noch viel intensiver, spürt die Bewegungen des Kindes, spürt, wann ihr Körper Ruhe braucht. Aber das neue Leben - dass es wächst, dass es reift - es ist ein Geschenk. Dass ich da staune und achtsam werde, dass ich großen Respekt vor dem Wunder des Lebens empfinde, kommt mir dabei ganz natürlich vor. Diese Achtung möchte ich vor allem Leben haben - vor dem ganz jungen, ungeborenen und vor dem reifen, erwachsenen Leben. Denn schließlich sind wir alle einmal so geheimnisvoll entstanden und herangewachsen wie das Kind im Bauch meiner Frau. Ein Psalmwort bringt dieses Staunen in berührende Worte: Herr, Du hast mein Inneres geschaffen,  / mich gewoben im Schoß meiner Mutter. / Als ich geformt wurde im Dunkeln, / kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, / waren meine Glieder dir nicht verborgen. / Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. / Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke.

 

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SWR4 Abendgedanken RP

Irgendwann ist Schluss! Das lernt schon meine kleine Nichte, mit der ich oft ein Spiel mache: Hubschrauber - ich lege sie auf meine Schulter und drehe mich ganz schnell im Kreis, bis es uns beiden schwindelig wird. Dann stelle ich sie wieder auf ihre beiden kleinen Füße und sobald sie wieder gerade laufen kann, kommt sie zu mir und sagt: noch mal, noch mal! Natürlich machen wir das Ganze dann auch noch mal und noch mal. Aber irgendwann sage ich: das ist jetzt das letzte Mal. Weil ich es auch so meine, weiß sie: das Spiel ist gleich aus. Irgendwann ist Schluss; und was für das Spiel gilt, das gilt für jeden Tag und für das ganze Leben. Dabei fallen mir viele Dinge ein: Irgendwann trinke ich meinen letzten Kaffee, setze mich zum letzten Mal auf meine Lieblingsbank im Park, fahre zum letzten Mal Fahrrad. Irgendwann schließe ich die Bürotür zum letzten Mal ab, lese zum letzten Mal die Zeitung, und irgendwann sehe ich auch meine Lieben zum letzten Mal. Ist das ein Grund zum Traurig-Sein? Es stimmt: manchmal macht es mich nachdenklich und ein bisschen melancholisch. Aber auf der anderen Seite empfinde ich auch das Gegenteil: ich weiß ganz genau, dass mein Leben endlich ist, und das schärft meine Sinne. Und weil ich nicht beliebig oft auf die Wiederholtaste drücken kann, bin ich wach und aufmerksam: Abends frage ich mich dann hin und wieder: Welche Geschenke hat dieser Tag für mich bereitgehalten? Was habe ich heute ganz bewusst erlebt und wahrgenommen? Wann habe ich mich heute gefreut? Und da kommt tatsächlich einiges zusammen, was mich dankbar macht: Danke, für den leckeren Kaffee am Frühstückstisch! Danke, für den Spaziergang durch den verschneiten Wald! Danke, für den Blick in die strahlenden Kinderaugen meiner Nichte! Irgendwann ist Schluss. Und das erst lässt mich die kleinen Geschenke in meinem Alltag entdecken und dankbar genießen - so wie meine Nichte das Hubschrauberspiel.

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